Pulverfass und Würfelspiel

  • Regnerisch war der Tag. Und grau. Unwirtlich, ungemütlich, unangenehm. Ein Tag, den man genauso gut an einem unangenehmen Ort verbringen konnte. Oder mit Rum verdrängen musste. Oder beides.


    Tara hatte das rote Haar gut unter einem Kopftuch versteckt. Sie mochte es nicht, wenn sie aufgrund der wilden Mähne schon von weitem erkannt wurde. Nicht in den Katakomben. Nicht, wenn sie quasi unbewaffnet war. Und nicht, wenn ihre Laune an einem regnerischen Tag ins bodenlose glitt.


    Still schritt sie durch die kalten, klammen Gänge. Besah sich jede Abbiegung genau. Sie war schon lange nicht mehr hier gewesen. Hoffentlich gab es den Rattenfänger überhaupt noch. Ratten waren gefährliche Tiere, das wusste man als Pirat nur zu gut. Sie verbreiten Krankheiten fast so schnell, wie sich Gerüchte um die Adelsfamilien in Nir'alenar verbreiteten.
    Und wenn man dann noch in solch unfreundlicher Gegend wohnte...


    Als hätte Tara es geahnt, lief ihr im selben Augenblick ein besonders großes Exemplar über den Weg. Die Rothaarige zögerte nicht lang, griff sich ihre Steinschlosspistole, zielte und schoss. Da Tier beendete sofort seinen Weg und ergoss sich in einer roten Pfütze durch den schmalen Gang.
    "Widerliches Viehzeug." seufzte Tara und schritt über den Kadaver. Nun, wenigstens sollte der Schuss dafür gesorgt haben, des Rattenfängers Aufmerksamkeit zu erhaschen. Weit konnte seine Unterkunft nicht mehr sein...

  • Für Klivv war dies ein Tag wie jeder andere. Hier in seinem unterirdischen Reich spielte das Wetter schließlich kaum eine Rolle. Noch weniger sogar, als die Zeit. Mit flinken Schritten tänzelte der Rattenfänger über die schwankende Brücke und ließ damit seine Behausung endgültig hinter sich. Er wollte sich gerade tiefer in die Kanalisation wenden – denn auch wenn der Aufbau seiner Zucht viel Zeit erforderte, sollte seine eigentliche Arbeit darunter ja nicht leiden – als ihn ein Knall aus der anderen Richtung herumfahren ließ.

    Ob das ein Schuss gewesen war? Pistolen waren schon an der Oberfläche fast unerträglich laut, doch hier in den Tunneln wandelten die tausendfachen Reflektionen den Knall in ohrenbetäubenden Donner. Dennoch bildete sich Klivv ein, sogar herausgehört zu haben, wessen Waffe ihn verursacht hatte. Eine alte Kundin und die hoffentlich einzige Person, die von diesem weiteren Geschäftsfeld des Rattenfängers wusste. Es war ohnehin Zufall gewesen, dass die Piratin ihn damals bei einem seiner wenigen Versuchen, diesen Biestern mit Schwarzpulver zu Leibe zu rücken, überrascht hatte. Wie lange war sie nun schon nicht mehr bei ihm gewesen?

    Der kleine Mann schüttelte energisch den Kopf. Warum stand er hier herum und schwelgte in Erinnerungen? Auf leisen Sohlen huschte er dem Laut entgegen und entdeckte schon bald tatsächlich eine weibliche Gestalt. Außerdem stieg ihm Pulverdampf in die Nase und irgendwo hinter ihr musste sich eine zerfetzte Ratte befinden. “Ihr Schwanz wäre drei Pfenning wert gewesen“, seufzte Klivv, konnte jedoch ein breites Grinsen nicht länger unterdrücken. “Was führt Dich denn mal wieder zu mir? Wirst wohl was brauchen…“

  • "Aaaah, Klivv, alter Rattenfänger." Tara begrüße ihr Gegenüber mit einem Nicken und sah dann hinter sich.
    "Jetzt hat das Mistding zwei Schwänze.." Desinteressierte zuckte sie mit den Schultern und schritt dem etwas zu kurz geratenem Mann entgegen. Erfreut klopfte sie ihm auf den Oberarm. "Genau dich habe ich gesucht."


    Tara nahm ihre Pistole und schob sie in den passenden Gurt, der auf ihrer Hüfte lag.
    "Lange haben wir uns nicht gesehen. Ich hoffe dir ist es gut ergangen. Und du hast recht, ich brauche etwas."
    Viele empfanden Klivvs Anwesenheit eher als unangenehm. Tara aber wusste, dass es weitaus unangenehmere Gesellen gab. Jene, die einen versuchten zu blenden mit ihrem Gehabe und ihrer geleckten Art. Jene, die mehr sich als ihren Geist pflegten. Jene, die Umgangsformen wichtiger als Ehre fanden.
    Klivv hingegen war ihr in der Hinsicht immer als angenehmer Zeitgenosse erschienen. Er verstellte sich nicht, er war direkt und kam sofort zum Punkt und vertrödelte damit nicht seine Zeit mit unwichtigen Dingen. Und Rattenfang war in einer Stadt wie Nir'alenar sowieso von solch einer Wichtigkeit anzusehen, dass er all ihren Respekt hatte.


    So gab Tara Klivv ein kleines Beutelchen aus langweiliger, brauner Jute. Ein Teil von Taras Existenz lag in ihm. Zwei Würfel. Taras Glückswürfel. Nur dummerweise hatten diese ihr Glück sonstwo gelassen und waren unausgeglichen. In 5 von 7 Würfeln warf der eine eine 3. Die denkbar ungünstigste Zahl im Glücksspiel.
    "Schau sie dir an. Sie haben mich schon 35 Golddukaten gekostet und einen ganzen Beutel Schwarzpulver." Fügte sie schlecht erklärend hinzu.

  • Als die Rothaarige ihn berührte, zuckte Klivv weit weniger zurück, als es Leute die ihn kannten wohl erwartet hätten. Irgendwie konnte er die Piratin erstaunlich gut riechen. Er fand ja, dass sie von einem feinen Duft nach frischem Fisch umgeben war. Und Fische hatten den großen Vorteil, dass es sich bei ihnen weder um Ratten, noch um Menschen, handelte. Freilich hatte er ihr das noch nie gesagt, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Frauen unberechenbar auf Komplimente reagierten…

    Neugierig öffnete der kleine Mann den Beutel, den Tara ihm mitgebracht hatte und wog die abgegriffenen Würfel, die zum Vorschein kamen, aufmerksam in seiner Hand. “Kann Dir welche machen, die ein wenig berechenbarer sind“, schlug er schließlich vor. Er hatte schließlich erst vor ein paar Tagen, einen schönen großen Rinderknochen, der mehr als genug Ausgangsmaterial liefern müsste, gefunden. “Oder soll ich versuchen an denen was zu drehen? Übernehm aber keiner Verantwortung.“

    Mit einem scheuen Lächeln wandte sich Klivv in die Richtung, aus der er gekommen war. “‘Gehen wir erst mal in meine Höhle, ist gemütlicher dort“, behauptete er. “Und falls Du Ersatz für das verspielte Pulver suchst, wird das eine Weile dauern. Warst lange nicht hier. Fürchte meine Vorräte sind in der Zwischenzeit feucht geworden.“

  • "Auf die Antwort hatte ich gehofft." Antwortete Tara und machte Anstalten in die Richtung zu gehen, in der sie Klivvs Wohnstätte vermutete.
    "Natürlich würde ich mir wünschen, diese Würfel wieder zu begradigen. Aber ich fürchte, da ist nicht mehr viel zu retten. Seht euch die Kanten an..." Tara deutete im Vorbeigehen auf die abgewetzten Stellen. "Die Würfel sind schon über zu viele Tische gerollt."


    Tatsächlich konnte die Piratin sich mittlerweile viel mehr als Glücksspielerin denn als Piratin bezeichnen. Ihren Lebensunterhalt hatten ihr in den letzten Monaten die Würfel und Karten bestritten. Wirklich jemanden überfallen hatte sie schon länger nicht mehr. Deshalb saß ihr die Pistole auch viel zu locker, wie die Ratte gerade eben leidlich erfahren hatte müssen.


    "Was das Schießpulver angeht - wie lange brauchst du? Über kurz oder lang werde ich wieder auf Beutezug gehen müssen. Da sollte mein Schätzchen geladen sein."

  • “Die Gefahr sie gänzlich zu ruinieren ist groß“, bestätigte Klivv. So konnte man sie zumindest noch als Erinnerungsstücke aufbewahren, wenn man Wert auf so etwas legte. “Werd also neue machen und das Pulver braucht…“ Faulbaumholz und Schwefel waren kein Problem, aber soweit er sich erinnerte, waren seine Salpetervorräte zur Neige gegangen und er hatte keine Lust dafür extra den Nachtmarkt aufzusuchen. “… drei Tage, wenn Du eine kleine Besorgung für mich machst. Würde aber an Deiner Stelle gleich auf die Schleuder umsteigen. Macht keinen Lärm, braucht kein Pulver.“ Der Rattenfänger hatte diesen Vorschlag allerdings schon so oft gemacht, dass er wusste, dass Tara dafür nicht zu haben war.

    “Da sind wir“, bemerkte er, da die abenteuerliche Brücke über den Kanal im spärlichen Licht kaum zu sehen war. Dass diese für die Piratin, die schon die Takelage von so manch stolzem Segler bezwungen hatte, kein Hindernis war, wusste er inzwischen. Deshalb übernahm er erst jenseits der Öffnung zu seinen Kellern wieder die Führung, denn der Pfad zu seiner Kammer war schwer zu finden und das war auch durchaus so gewollt.

  • Tara folgte Klivv.
    "Eine Schleuder, genau. Klivv, ich bin Piratin. Was sollen die Leute von mir denken, wenn ich sie mit einer Schleuder bedrohe? Ha.." Das sie dafür auch immer noch ihren Dolch hatte, tat nichts zur Sache. Tilla mochte das Gefühl der Pistole in ihrer Hand. Sie mochte den lauten Knall und das Chaos, dass sie damit anrichten kannte. Und sie hatte in ihrem Temperament definitiv NICHT das Geschick, eine Schleuder einzusetzen.


    "Eine Besorgung?" Der Tonfall der Rothaarigen ließ schwer daraus schließen, ob dies eine Nachfrage oder eine Feststellung gewesen war. Fakt war, Klivv ging nicht gerne unter Menschen. Das sie für ihn Besorgungen machen sollte, kam nicht das erste Mal vor - und so lange Tara nicht seinen Wocheneinkauf auf dem Markt erledigen musste, hatte sie wenig dagegen einzuwenden.


    "Was brauchst du? Bitte sag nicht, ich soll dir wieder Vogelexkremente besorgen.."
    Diesen Lieferwunsch hatte Klivv einmal in Bezug auf Schwarzpulver von ihr gefordet - und sie war sich sicher, dass sie ihm den Wunsch nicht ein weiteres Mal erfüllen wollte.

  • “Na, dafür zerreißt sie einem hier herunten nicht gleich das Trommelfell“, meinte Klivv mit einem frechen Grinsen. “Jedem das seine, würde ich meinen.“

    Da Tara seinem Vorschlag für ihn einzukaufen nicht gleich widersprochen hatte, wusste der Rattenfänger, dass sie schon fast überredet war. Begeisterungsstürme hatte er ohnehin nicht erwartet. “Muss keine Vogelscheiße sein“, meinte er deshalb mit einem Schulterzucken. “Wenn’s Dir nichts ausmacht, dass das Schießpulver dreimal so viel kostet, kannst Du auch nach Salpeter fragen. Ist auch gut, spart mir Arbeit.“

    Inzwischen hatten sie die Kammer des Rattenfängers erreicht und dieser bat die Piratin mit einer schon beinahe einladenden Geste ins Innere. “Wenn Du schon auf dem Markt gehst“, obwohl er nicht hinsah, hatte Klivv das Gefühl, dass Tara die Augen verdrehte, “kannst Du zuvor nachsehen, ob da was brauchbares dabei ist.“ Mit diesen Worten schob er eine Holzkiste voller Kram, den er gefunden hatte, vor die Füße der Piratin. “Verkauf‘s oder behalt’s, wenn’s Dir gefällt.“

    Als hätte er im tiefsten Winkel seines Gedächtnis einen Hinweis darauf gefunden, dass er sich als Gastgeber eigentlich anders verhalten sollte, scheuchte der Rattenfänger plötzlich den schwarzen Kater, mit dem kleinen weißen Fleck auf der Stirn, von einem der Schemel. “Setzt Dich doch. Willst vielleicht einen Schluck Wachholderschnaps? Und darf ich vorstellen…“ Klivv blickte sich um und Pfiff dann ungeduldig woraufhin ein kleiner bunter Vogel auf ihn zugeflattert kam. “Noinin, ist zu Gast hier die Kleine und die Lady in der Ecke ist inzwischen die Neunte.“

  • "Oh Klivv.." Tara ließ tatsächlich die grünen Augen kullern.
    "Erinnerst du dich an das letzte Mal, als du mir deine Schätze zum Verkaufen gegeben hast?" Auch damals hatte Klivv etwas von verkauf's oder behalt's gefaselt. Am Ende hatte die Rothaarige Piratin mit einem angenagtem, morschen Holzbein da gestanden, das ihr auch noch eigenartig bekannt vorkam.


    Unwissend hatte sie das Paket, dass ihr der Nagetierschreck damals mitgegeben hatte, erst auf dem Markt geöffnet - und mit dem Holzbein in der Hand mehr als einen seltsamen Blick geerntet. Das Ende vom Lied war, dass Tara sich mit einer der Stadtwachen angelegt hatte und einem Tag im Arrest nur durch eine spektakuläre Flucht entkommen konnte.


    "Werf alles was nicht wie ein Edelstein funkelt weg. Ich verkaufe es nicht."
    Sagte sie bockig und setzte sich auf den angebotenen Platz. "Hast du Rum?"
    Ihr Blick wanderte erst zum Achtbeiner in der Ecke und dann zu Noinin.
    "Du hast jetzt also offiziell einen Vogel." Kommentierte sie das bunte Tier und war sich unsicher ob es für einen Vogel wirklich gut sein könnte in solch einem.. Rattenloch zu leben.

  • “Sieh’s Dir eben vorher an“, grummelte Klivv, der keine Lust hatte die Geschichte nochmal aufgewärmt zu bekommen. Die offene Kiste hatte schon ihren Grund… “Sind schöne Sachen dabei.“ Wie er das so genau sagen konnte, obwohl doch hinreichend bekannt war, dass er von solchen Dingen keine Ahnung hatte, erklärte der Rattenfänger lieber nicht.

    Wenn aber Edelsteine dasjenige waren, was das Piratenherz höher schlagen ließ, so konnte er vielleicht bei dem grünen Stein an der filigranen – leider gerissenen – Silberkette, oder dem Rubinarmband, durchaus Hoffnung hegen. “Den Rest müsst Ihr auch nicht wegwerfen, lasst’s einfach hier.“ Nachdem er das klargestellt hatte, huschte Klivv zu seinem Regal, um die gewünschte Spirituose für den Rotschopf zu holen. “Ist recht starkes Zeug. Leg normalerweise nur Dinge darin ein“, warnte er und hatte wie zur Bestätigung für sich eine eigene Flasche mitgebracht.

    “Nur geliehen“, antwortete er auf die Frage nach dem Vogel. “Versteh aber eh nicht, wie einem ein Tier gehören kann. Hat doch seinen eigenen Kopf… Schau nach ihr, bis es ihr ein wenig besser geht.“ Obwohl es keinen Hinweis darauf gab, dass es Noinin nicht ohnehin schon gut gegangen wäre. Sie hatte es sich gerade im Haar des kleinen Mannes gemütlich gemacht und ein fröhliches Lied angestimmt.

  • "Ein geliehener Vogel, soso." Kommentierte Tara das Tier auf Klivvs Kopf und nahm sich die Flasche, die Klivv für sie auf den Tisch gestellt hatte.
    Mit sicherem Griff entkorkte sie das Gefäß und roch dran. Die Nasenflügel flatterten leicht, aber Tara machte einen zufriedenen Eindruck. "Wenn's zum Einlegen taugt, dann auch für meine Kehle." sprach sie und goss sich selbst ein. Ohne auf Klivv zu warten kippte sie den Rum hinunter, schloss die Augen, schüttelte sich kurz und ließ dann ein erleichtertes "Aaaah" hören.


    "Stark, da hast recht. Und mit einem ganz eigenen Aroma. Nicht zu vergleichen mit dem aus... ach, ich will dich nicht langweilen." Erstmals huschte ein Lächeln über die Lippen der Rothaarigen.
    "Ich werde es mir ansehen, in Ordnung. Und ich versuche dieses Salpeter zu bekommen. Wo holst du es sonst her?" Fragte Tara und goss sich erneut ein. Bevor sie das Glas diesmal an die Lippen setzte, wartete sie aber darauf, bis Klivv ebenfalls soweit war.

  • “Ich kann eben gut mit Tieren“, erwiderte Klivv in einem Tonfall, als müsse er sich dafür rechtfertigen, und betrachtete mit leicht sorgenvoller Miene, wie Tara den doch sehr starken Fusel hinunterstürzte. “Wenn Du eh schon auf den Markt gehst“, setzte er in bereits bekannter und gefürchteter Form an, “kannst gleich ein paar Flaschen richtig guten Rum mitbringen.“ Um zu zeigen, dass er es durchaus ernst meinte, schob er der Rothaarigen einen goldschweren Beutel zu. Dann bediente auch er sich, allerdings an einem seiner selbstgebrannten Schnäpse.

    “Redet nur“, meinte er und lehnte sich zurück so gut es auf einem flachen Schemel ohne Lehne eben ging. “Glaub nicht, dass ich mich langweilen werd – so selten wie ich rauskomm.“ Da die Piratin darauf zu warten schien prostete der kleine Mann ihr zu und leerte dann seinen Becher mit einem Zug. “Man bekommt’s am Nachtmarkt. Bei dem Mütterchen, dass auch Kräuter und all das Zeug verkauft zum Beispiel.“ Hexereibedarf hätte man es wohl auch nennen können und besagtes Marktweib passte perfekt zu einem solchen Stand.

  • "Zum Trinken oder Einlegen von.. was auch immer?" Skeptisch sah sie Klivv an. Manchmal war sie sich nicht sicher, was in dem Kopf des kleinen Mannes vor ging - und mit was er seine Zeit verbrachte, wenn er nicht gerade auf Rattenfang war.
    Gasthäuser waren sicherlich nicht seine Methode zum Entspannen. Und die Muschel hatte er zu Taras Zeit auch nicht besucht. Wahrscheinlich führte er dort hinten in dem abgelegenen Raum seltsame Experimente an den Nagern durch. Entnahm ihnen das Hirn, nähte Beine falsch herum an oder.. Tara schüttelte sich und kippte den zweiten Rum hinterher. Sie wollte es gar nicht wissen. Vielleicht war Klivv ja auch eine künstlerische Seele und fand Ablenkung durch das Schreiben von Gedichten.


    Die Rothaarige nickte. Sie war schon seit Ewigkeiten nicht mehr am Nachtmarkt gewesen. Warum wusste sie selbst nicht. Irgendwie hatte sie wohl in letzter Zeit etwas zu sehr in den Tag hineingelebt. Aber die Markthexe würde sie sicherlich finden.


    Erneut schüttete Tara erst sich und dann auch Klivv die Becher voll.
    "In welchem Teil der Stadt jagst du derzeit die meisten Viecher?" Fragte die Piratin dann interessiert.

  • “Hab lang nichts gekauftes mehr getrunken“, begründete Klivv seinen Wunsch. Jede andere Erklärung, die er hätte liefern können, hätte schließlich geklungen, als würde er auf weitere Besuche der Piratin hoffen. Und das konnte natürlich nicht der Fall sein. Es war ja nicht so, als wenn er einsam gewesen wäre. Schließlich legte er auf menschliche Gesellschaft überhaupt keinen Wert.

    “Jag überall und immerzu“ Rattenfang war ein wunderbar unverfängliches Thema und der kleine Mann genehmigte sich den Schnaps, den Tara ihm gerade eingeschenkt hatte, ehe er fortfuhr: “Nur nicht unterm Adelsviertel. Mach grad Pause dort, kann den feinen Herrschaften nicht schaden auch mal Ungeziefer zu sehen.“

    Das hinterhältige Grinsen verriet wohl recht deutlich, dass mehr als nur diese Erkenntnis hinter der Geschichte steckte. “Hast vorher was von Beutezügen gesagt. Wüsste Dir da ein hübsches Anwesen. Könnt mich sogar überreden lassen mitzukommen“, überlegte Klivv laut und schien äußerst amüsiert darüber. Sein vorrangiges Ziel dabei wäre es allerdings etwas zurückzulassen...

  • "Und dann willst du mit Rum anfangen?" Skeptisch hob Tara erst die Brauen - dann das Schnapsglas.
    Langsam machte sich diese wohlige Wärme in ihr breit. Sie seufzte leise und strich sich den letzten Rumtropfen aus dem Mundwinkel.
    "Und gleich ein paar Flaschen! Gut gut, Rattenfänger, ich besorge dir einen wunderbar süßwarmen, alten braunen Rum. Als Grog wärmt er dir Leib und Seele.."
    Sie lächelte versonnen und lehnte sich zurück.


    "Das Adelsviertel bereinigst du nicht mehr?" Tara horchte auf. Er hatte doch nicht etwa Konkurrenz bekommen? Nein, das Grinsen erzählte eine ganz andere Geschichte.
    "Ooooh.. hat dich jemand verärgert?" Tatsächlich hatte Tara ihre Frage gestellt um herauszufinden, wo es die meisten Ratten gab - wo viele Ratten waren, waren wenig Menschen. Wo wenig Menschen waren, konnte man ungestört rauben. Das dies nun im Adelsviertel der Fall sein sollte..


    Sofort setzte Tara sich wieder auf und legte die Hände auf den Tisch. "Das ist nicht dein ernst, oder? Du wüsstest ein Anwesen? Ich hab zu lange vom Glücksspiel gelebt und würde meinen.. Standard gerne wieder etwas nach oben anpassen. Erzähl mir von dem Anwesen!" Die grünen Augen leuchteten vor Erwartung.

  • “Was heißt hier anfangen? Das hier ist nun auch nicht gerade Brunnenwasser“, meinte Klivv und pochte vielsagend an seine Flasche, ehe er sich daraus einschenkte. Es war nur so, dass Rum in dieser Stadt wohl leichter zu besorgen war als… Woraus wurde das Zeug überhaupt gebrannt? Doch Tara schien sich ohnehin nicht wirklich gegen den Einkauf zu sträuben.

    “Ja, die fürchterliche Gräfin Imarkar“, begann Klivv auf die Frage der Piratin hin zu erzählen. “Hab ihr eine wunderschöne zweiköpfige Ratte geliefert und meine Dienste angetragen – auf besonderen Wunsch einer alten Freundin von ihr – und sie hat beides mit Füßen getreten.“ Wenn auch eines von beiden nur im übertragenen Sinne und irgendwie hatte sie ihn ja dann doch noch für sie arbeiten lassen. Aber darauf kam es jetzt nicht an.

    Angestrengt überlegte der Rattenfänger, was er über das Schloss selbst sagen konnte. In den Gängen unmittelbar darunter hatte er weitaus mehr Zeit verbracht. “Nun, es ist groß und mit dem ganzen Schnickschnack. Viel Grund, Mauer rundherum bewaffnete Wachen vor dem Tor.“ Nun, so besonders verlockend für einen Raubzug, klang das jetzt noch nicht. Wenn er Tara – und auch sich selbst – davon überzeugen wollte, musste ihm schon noch was Besseres einfallen. “Bin die halbe Nacht im Dienstbotentrakt rumgestanden, hab gewartet. War alles ruhig, hat alles geschlafen. Und die alten Dinger sind doch alle irgendwie mit den Katakomben verbunden. Gib mir ein paar Tage Zeit…“

  • Aufmerksam hörte Tara dem Rattengesicht zu.
    Einer Adeligen die Missbildung einer Ratte zu schicken war sicherlich nicht klug. Die Frage war, wer der Dumme gewesen war. Die Person, die Klivv den Auftrag gegeben hatte oder Klivv selbst?
    Ein wenig mitleidig sah Tara den Mann an. Nun, Klivv war sicherlich nicht das hellste Gestirn am Himmel der sozialen Intelligenz. Wahrscheinlich hatte er es nicht mal gemerkt, dass man ihn für irgendetwas ausgenutzt hatte.


    Die Gedanken der Rothaarigen glitten nur kurz ab, bevor sie sich wieder an Klivvs Erläuterungen hefteten.


    Bei den letzten Sätzen stand Tara auf, stützte sich auf dem Tisch ab und sah Klivv mit einer Mischung aus Ernst und Erschrockenheit an.


    "Das. Ist. Nicht. Dein. Ernst...." Ihren Augen waren geweitet. "Du hast die halbe Nacht unerkannt im Dienstbotentrakt rumgestanden? Du warst bereits IM Schloss? Und hattest nichts besseres zu tun, als zu warten?" Ungläubig ließ Tara sich wieder auf den Stuhl fallen.
    "Klivv, dir ist nicht mehr zu helfen. Darauf brauche ich noch einen Schnaps." seufzte sie und griff diesmal zu Klivvs Gesöff. Kam der Kerl nachts in ein Schloss, stellt sich ein wenig mit einer Missgeburt in die Ecke und wartet. Selbst die ehrenwertesten Wesen, die Tara kannte (was nicht besonders viele oder ehrliche waren), hätten so eine Chance genutzt und gesehen, was sich hinter den Schlossmauern so alles verbirgt.


    "Gut, ich warte.. " sprach sie dann leise und fragte weiter: "Der Dienstbotentrakt - machte er auf dich den Eindruck, dass im Herrenhaus etwas zu holen wäre?" Nichts war ärgerlicher, als bei verarmten Adel die Wäsche zu durchwühlen.

  • “Nun, das war aber bevor ich Hausverbot hatte“, meinte Klivv fast bedauernd. Nachts an den Dienstboteneingang zu klopfen und den merkwürdigen Versuchen dieser Frau – ihn schauderte – zu entgehen, würde nicht mehr klappen.

    Etwas irritiert blinzelte der Rattenfänger die Piratin an. Was in Shirashais Namen hätte er sonst dort machen sollen? Als es allmählich zu ihm durchsickerte, gab er sich entrüstet: “Ich war geschäftlich dort und konnte ja noch nicht wissen, dass sie es verdient hat. Außerdem habe ich einen Ruf, auf den ich achten muss…“ Außerdem war er davon ausgegangen, dass er bei seiner Arbeit noch genug Gelegenheit haben würde sich umzusehen.

    “Was das Schloss angeht“ Klivv zuckte mit den Schultern, “der Dienstbotentrakt war groß allerdings recht schlicht gehalten, aber die Gräfin…“ Das Grinsen des kleinen Mannes ließ keine Zweifel offen. “So sieht keine arme Frau aus und sie hatte genug Gold, um es in Pferdeäpfel zu stecken.“ Der Rattenfänger war ziemlich stolz auf diese Analyse und hätte ihm nicht die ganze Zeit über ein singender Vogel auf dem Kopf gesessen, hätte er vielleicht wirklich professionell dabei ausgesehen.

  • "Einen Ruf. Verstehe." Tara lächelte ein wenig spöttisch.
    Seine Ausführungen über die Hausherrin besänftigten sie wieder ein wenig und sie kippte den Schnaps herunter. Gleich darauf verzog sich ihr Gesicht. Diese Plörre war wahrlich nichts für sie.
    Demonstrativ schon sie den Becher von sich fort. Sie musste eh Maß halten lernen.


    "Um es in Pferdeäpfel zu stecken? Nun, das klingt interessant." In Gedanken war Tara schon drei Schritte weiter. Da hatte sie bereits ihr Schießpulver, Kenntnis von den Örtlichkeiten und den Zugang zum Schloss. Musste sich nur noch umsehen und greifen, was ihr Nixenherz erfreute. Kleine Schmuckstücke, große Goldtruhen, vielleicht auch das ein oder andere neue Gewand!?


    "Klivv? Wann war dein letzter Beutezug?" Freimütig hatte sich der Mann aus den Katakomben als Begleitung angeboten. Aber Tara konnte sich nicht erinnern, nein, konnte es sich nicht einmal vorstellen, dass Klivv je irgendwo eingebrochen wäre oder jemanden ausgeraubt hätte. Warum auch? Zu den meisten Häusern bekam er früher oder später eh Zugang - und von weltlichen Gütern verstand Klivv in etwa genauso viel wie von zwischenmenschlichen Interaktionen.

  • “Gut nicht?“, fragte Klivv ganz so als hätte er Taras Gesichtsausdruck nicht bemerkt und leerte auch seinen Schnaps. Der Piratin schien das, was er über die Gräfin zu berichten hatte, zu gefallen und eine Weile saß der Rattenfänger zufrieden mit sich und der Welt auf seinen Schemel. Dann jedoch riss ihre Frage ihn aus seinen wohligen Gedanken.

    “Beutezug? Also so direkt… Bin schon ausgebrochen, hab schon Räume durchsucht, die mich nichts angehen“, meinte er und versuchte sich seine Verwirrung und Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. So wie er die Rothaarige anblinzelte, gelang ihm das allerdings nur sehr bedingt. “Bin sehr leise, kann kämpfen“, fügte er noch hinzu, weil er das Gefühl hatte, dass das Eigenschaften waren, die bei einem Einbruch von Nutzen sein konnten. Ob er damit überzeugt hatte? Doch irgendwann musste man doch mit solchen Dingen anfangen und da gab es doch gewiss welche, die schlechter vorbereitet als er ans Werk gingen.

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