Zur Goldenen Schatulle

  • Tamar nickte eifrig, während Shiya sprach. Sie wirkte recht zufrieden.


    "Ja, das sollte reichen. So lange Ihr zusammenrechnen könnt, was alles kostet, ist das für den Anfang genug. Außerdem würde es mir nichts ausmachen, Euch das ein oder andere bei Bedarf beizubringen." erklärte sie freundlich und es schien so, als böte sie sich wirklich gerne als helfende Lehrerin an, sollte das vonnöten sein. "Wenn Ihr kein Problem damit habt, rasch anzufangen? Ich wollte in wenigen Tagen eröffnen..."


    Auf den letzten Kommentar hin reagierte sie ein wenig überrascht, schmunzelte dann aber und sah zu ihrer "Freundin" hinüber. Sie berichtigte Shiya nicht- war es Absicht oder wartete sie einfach eine Antwort auf ihre Frage ab, bevor sie erklärte, dass Seide weder Kundin noch Freundin war (jedenfalls noch nicht)?

  • Rasch anfangen? Shiya hatte heute wirklich Glück.
    "Ich habe keinerlei Verpflichtungen und könnte somit gleich anfangen. Wann braucht Ihr denn meine Hilfe?"


    Shiya hatte gehofft, Tamar würde sie über ihre Beziehung zu der Nachtelfe aufklären. Doch das hatte sie nicht getan. Wahrscheinlich war sie wirklich eine Freundin - sonst hätte Tamar es doch richtig gestellt, oder? Doch Shiya konnte sich dies genauso wenig vorstellen wie die Überlegung, sie sei eine Kundin. Sehr viel wusste die Cath'shyrr nicht über Nachtelfen, aber für Gewöhnlich lebten sie sehr zurückgezogen. Dass eine von ihnen nun hier in einem Laden stand, machte Shiya noch neugieriger.
    Sie sah erneut zu der Katze hinüber. Zwischen den beiden Gefährten bestand eindeutig eine enge Beziehung, so viel war klar.


    Shiya wollte Tamar wirklich nicht stören - was auch immer sie gerade getan hatte. Gehen wollte sie allerdings ebenfalls nicht. Dafür war ihre Neugierde einfach zu groß. Nicht nur auf die Nachtelfe und deren Begleiterin, sondern auch auf Tamars Waren, die sich unter den Tüchern versteckten.
    So fragte sie: "Eure Freundin hat einen wirklich schönen Stoff in der Hand. Gehört er Euch?"

  • Diese Worte zauberten ein Schmunzeln auf Tamars Lippen. Sie sah kurz zu Seide, dann wieder zu Shiya.


    "Gleich Interesse an der Ware? Das gefällt mir." meinte sie. "Ja, und Ihr dürft ihn Euch auch gerne ansehen- später. Gerade habe ich hier eine... nunja, private Rundführung." Könnte Seide es sehen, sie hätte Ihr jetzt zugezwinkert, aber den Ansatz zu dieser Bewegung bricht Tamar sofort ab, als sie sich erinnert, dass es überflüssig ist. Vielleicht errät Seide es auch aus ihrem Tonfall, wer weiß.


    "Eure Hilfe kann ich schon sehr bald gut gebrauchen. Alleine würde ich wohl kaum alles schaffen! Denn, wisst Ihr, dieses Gewerbe lebt vom intensiven Kundenkontakt. Ich nehme mir gerne viel Zeit." Sie sieht zu Seide. "Leider, werte Shiya, gehört meine Aufmerksamkeit augenblicklich ganz dieser Dame, ich hoffe, Ihr versteht das. Wie wäre es, wenn Ihr heute Abend noch einmal wiederkämt? Wir könnten dann alles in Ruhe besprechen." Ihre Stimme klingt dabei weich, angenehm, freundlich, so dass man wirklich meinen könnte, Tamar und Seide wären alte Freunde, was sie nicht waren, aber das konnte Shiya ja nicht wissen. Seide aber musste es bemerken und vielleicht auch erstaunen. Dass nicht jeder eine so angenehm freundliche Behandlung durch Tamar erfuhr, das hatte sie vorhin beim Intermezzo mit dem ihr suspekten Herrn mitbekommen. Warum aber war die Geschäftsführerin so aufmerksam und nett zu ihr?

  • Shiya war sicherlich zu stolz um es zu zeigen, doch sie war ein wenig enttäuscht. Nunja, die Ware würde sie noch früh genug sehen und wer weiß, vielleicht würde sie auch die Nachtelfe eines Tages wiedersehen? Bleiben konnte sie nach diesen Worten jedenfalls nicht. Das wäre unfreundlich und unangebracht.


    Sie nickte Tamar zu. "Das verstehe ich vollkommen", sagte sie mit einem kurzen Blick auf die Nachtelfe. "Ich will gerne heute Abend wiederkommen, damit wir alles in Ruhe besprechen können." Die Cath'shyrr hielt Tamar ihre Hand entgegen. "Bis heute Abend, Tamar. Es hat mich sehr gefreut."


    Bevor sie ging, sah sie noch einmal zu der Nachtelfe und ihrer Katze und lächelte beide an. Ihre Neugier war nicht unbedingt auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Frau eine Nachtelfe war. Shiya war generell eine große Neugier auf alles Neue zu eigen. Sie wusste natürlich nicht, ob die Nachtelfe ihr Lächeln wahrnahm, doch dass die Katze dies tat war sicher.


    Nachdem sie sich verabschiedet hatte, drehte sie sich um und verließ das Geschäft. Dabei lächelte sie noch immer. Ja, es war sogar beinahe ein Lachen.

  • Tamar nahm Shiyas Hand und besiegelte so die Abmachung. Sie lächelte dabei, aber es war ein sehr geschäftiges Lächeln.


    "Dann bis heute Abend, werte Shiya. Es hat mich ebenfalls sehr gefreut."


    Sie sah ihr nach, als sie den Laden verließ, ruhig, fast schon gewissenhaft beobachtete Tamar die Cath'shyrr, als diese ging. Dann erst wandte sie sich wieder Seide zu.


    "Ein Trubel ist das heute... Damit hätte ich gar nicht gerechnet." Sie seufzte leicht. War es ein erleichtertes Seufzen? "Aber nun habe ich wieder Zeit für Euch. Wir waren bei diesem Stoff, nicht wahr? Moiré... Ich weiß nicht, wie lange es das schon gibt, aber es schien mir recht neu und auch einigermaßen aufwändig herzustellen. Billig ist es jedenfalls nicht, aber man kann den Traum eines Abendkleides daraus herstellen."


    Sie legte ihre Hand auf das Stück Stoff, ohne dabei Seides Hand zu berühren. "Für etwas alltäglichere Kleidung bevorzuge ich allerdings immer noch weiches Leinen."

  • Man möchte den dahinter stehenden Mächten verzeihen, dass sie sich etwas zurückhaltender Fädenziehernatur gezeigt hatten; aber nun waren die Schnüre gespannt und Seide war einsatzfähig.


    Freundin - das klang seltsam in den Ohren der Nachtelfe. Freunde - so etwas besaß sie nicht. Nur weil sie sich nicht zurückzog wie es andere Nachtelfen taten, bedeutete es nicht, dass sie enge Bindungen mit den Wesen in ihrer Umgebung einging. Wer intensiv unter den Wesen anderer Völker lebte, der bekam auch deren Abneigung und Misstrauen zu spüren. Da war es wohl nicht verwunderlich, dass sie es für angebracht hielt das gleiche Misstrauen zu spiegeln, nur die Abneigung, die fand man unter der Bardenmaske nicht.
    Freundin, sagte also die Cath'shyrr und Tamar widersprach nicht. Ebenso vernahm man keinen Laut aus der Bardenkehle. Es würde wohl ein Geheimnis bleiben. Und das, obwohl man die Neugierde Shiyas beinahe riechen konnte - es lockte ein verbindliches Lächeln hervor.


    Ein verschwörerisches Zwinkern konnte sie zwar nicht sehen, aber das machte nichts, sie war Meisterin der Klänge genug, um die feinen Nuancen von Tongefällen und -erhebungen zu differenzieren.
    Das Lächeln der Katzenfrau spiegelte sich unmittelbar auf den Zügen der Seide. Nanu? Vielleicht war es ja auch nur ein plötzlicher Gedanke, der es hervorrief. Alles in allem - eine sehr befremdliche Person die Nachtelfenfrau.


    Die Finger hoben den Stoff ein Stück empor, wie ein Tablett, als stilles Zeichen, dass Tamar die Moiré wieder an sich nehmen konnte.


    "Ihr besitzt sicher eine große Auswahl an verschiedensten Stoffen. Die Moiré scheint ein sehr besonderer Stoff zu sein, wenn er noch nicht sehr alt ist; aber denke ich, dass er sich einer sehr großen Beliebtheit erfreuen wird."
    Und Einschätzungen von Barden waren meistens nicht schlecht - wobei es natürlich auch immer darauf an kam wie man für seinen Laden warb. Hatte sich Tamar schon Gedanken darum gemacht? Gewiss doch.


    Das Verhalten Tamars stimmte sie tatsächlich etwas verwundert. Schon zwei Mal hatte sie eine andere Haltung bewiesen - ihr gegenüber schien sie derartig freundlich. Das machte sie etwas misstrauisch. Dennoch, die Frage keimte im Inneren und würde reifen bevor sie gesprochen würde. vorerst reichte es aus sich an einem Gespräch zu beteiligen - der Rest würde sich später klären.

  • Drei bunt gekleidete, ältere Frauen kamen die Straße entlang. Eine von ihnen hielt begeistert schnatternd einen milchigen Flakon gegen das warme Licht des Nachmittags. Ein Schimmern von nahezu reiner Qualität. Eine Kunstform, die ihren Inhalt noch wertvoller erscheinen lassen musste – und wäre es bloßes Wasser.

    Das weißliche Funkeln fing seine Aufmerksamkeit einen Moment länger und er widmete sich dem Schwall an Worten, um einen Namen zu erfahren.


    Schon nach einigen Schritten fiel das Gequassel hinter ihm zurück und Ascan wandte den Blick zu einem Pfortenschild an einem mit Sorgfalt abgelebten Gebäude.


    Jederzeit wollte sich ein Ächzen dem toten Holz der Fassade entringen, während die Luft einen Teil ihres staubigen Beigeschmacks verlor. Ascan streckte die Hand aus und schob die nur angelehnte Tür auf. Licht begleitete seinen Schatten, der sich im freien Zentrum des Raumes verlor.

  • Eine Tür in eine andere Welt? Nur ein altes Stück Holz, und doch verbindet es völlig unterschiedliche Dinge, führt von der lauten, staubigen, hektischen Straße hinein in einen Raum, der gerade durch den Unterschied angenehm ruhig wirkt. Ein feiner Geruch nach neuen Stoffen und Frühlingsblüten liegt in der Luft. Gelbe Vorhänge hüllen den Raum in ein warmes Licht. Es dauert einen Moment, bis die Augen sich daran gewöhnen.


    Nun offenbart sich ein Raum von viereckigem Grundriss, an allen Seiten zugestellt mit Regalen und Vitrinen, die ihrerseits zwar vollgestopft, aber nicht unordentlich aussehen. Auch in der Mitte des Raumes ist allerhand Plunder ausgestellt nebst zwei äußerst bequem aussehenden Sesseln. Vor der Tür am anderen Ende des Raumes steht ein breiter Tresen.


    "Nein, mein Lieber, ich habe es dir tausendmal gesagt." Eine warme Stimme durchbricht die Ruhe des Raumes. Sie dringt durch die halboffene Tür am anderen Ende. Eindeutig gehört sie einer Frau. "Es ist mir egal, dass du nicht auf mich hören willst, aber erwarte nicht, dass ich mich noch einmal wiederhole!" Die Stimme klingt energisch, sehr bestimmend, ohne dabei aber böse zu werden. Dann rumpelt etwas laut.


    Mit aufgeregtem Gezwitscher schießt ein heller Federklumpen durch die Tür und saust einmal durch den Raum, bevor er sich auf einer antik aussehenden Lampe niederlässt. Es ist ein Vogel, ein rot-gelber Singvogel, der zugegebenermaßen ein wenig dick zu sein scheint. Er gibt noch einige Pfiffe von sich, bevor die Tür ganz aufgestoßen wird.


    "Schmoll soviel du willst, es gibt heute kein Fut... oh." Eine junge Frau steht im Türrahmen. Ihre Worte waren abgebrochen, als sie den Besucher bemerkt hatte. Kaum einen winzigen Augenblick braucht es, bis ihre Überraschung verflogen ist und sie ein geschäftiges Lächeln aufsetzt. Sie geht einige Schritte in den Raum hinein. "Einen schönen guten Tag! Entschuldigt, ich habe Euch gar nicht hereinkommen hören. Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?" Sie sieht den Fremden freundlich und ruhig an, während der kleine Vogel einige beleidigt klingende Töne von sich gibt.

  • Ascan betrachtete den Vogel, doch im Schatten der Kapuze war nichts zu erkennen, das auf seine Gedanken hätte schließen lassen.
    "Ihr besitzt Waren aus Corandir?" fragte er die Frau ruhig, ohne sie dabei nennenswert zu beachten. Dafür wanderte sein Blick über das vielfältige Angebot, das aus allen erdenklichen Winkeln des Landes zu stammen schien.

  • Nur für einen winzigen, kaum spürbaren Moment war sie von der scheinbaren Unhöflichkeit des Mannes irritiert, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Sie zog nur eine der schlanken, braunen Augenbrauen hoch und nickte.


    "Selbstverständlich. Wir haben allerhand Waren aus Corandir; Stoffe, Düfte, Schmuck, was das Herz begehrt." Sie sah sich im Raum um und wandte ihm dann wieder den Blick zu. "Aber da Ihr so direkt fragt, nehme ich an, Ihr sucht etwas Bestimmtes. Sagt nur bescheid und ich werde sofort sehen, was ich für Euch tun kann." Ihre Stimme klang freundlich, sympathisch, aber wenn man genau hinhört, schien es auch so, als kämen ihr diese Worte sehr leicht von den Lippen, wie bereits tausendmal gesagt...

  • Ascan trat einen Schritt in den Raum hinein. "Natürlich", murmelte er und hob einen Gegenstand aus geschliffenem Erz von einem der Tische. Die Figur zeigte einen Bergschatten, einen seit Langem ausgestorbenen Greifvogel.
    Schwer lag die Statuette in seiner Hand... und wog doch kaum mehr als die Erinnerung. Der Sylph stellte die Figur an ihren Platz zurück, verharrte noch einen Moment und wandte sich der Frau zu.
    "Was für Tinkturen oder Parfüms besitzt Ihr aus Corandir?"

  • Ein geschäftiges Lächeln kam auf ihre Lippen. Sie ging erst einige Schritte auf ihn zu, dann aber drehte sie sich in einer fließenden Bewegung zur Seite, dorthin, wo der Vogel auf der Lampe saß. Er sah sie an und gab wieder einige seiner aufgeregten Pfeiftöne von sich.


    "Einen Moment..." Sie ging zielstrebig zu einem der Regale, dessen oberer Teil Türen mit leicht milchigen Fenstern besaß. Plötzlich tauchte ein silbern blitzender Schlüssel in ihren Fingern auf, ohne dass Ascan hätte erkennen können, woher sie ihn genommen hatte, und sie schloss das Regal auf. Viele bunte und teilweise sehr kunstvolle Flakons kamen zum Vorschein. "Corandir..." hörte er sie murmeln.


    Sie sah sich prüfend um und legte dabei eine Hand an ihr Kinn, die andere an die Hüfte. Nach einem kurzen Moment griff sie beherzt nach einem Fläschchen, drehte sich um und stellte es auf den brusthohen Verkaufstisch, auf dem auch die Lampe mit dem Vogel stand. "Dieses hier zum Beispiel. Und..." Sie drehte sich wieder um. In wenigen geschmeidigen Bewegungen hatte sie bald fünf oder sechs Flakons aufgereiht. Zwei von ihnen wirkten sehr kostbar und aufwändig gearbeitet, während die anderen, obschon nicht minder schön, weniger kunstfertig hergestellt worden waren. "Nehmt dies als Beispiel. Ich habe noch ein paar mehr, falls diese Euch nicht zusagen."


    Wieder lächelte sie freundlich und sah ihn abwartend an. Ein kurzer Blick zu dem Vogel, der sie beinahe pikiert ansah. Sie gab einen ganz leichten Pfiff von sich, da flatterte er von seiner Lampe weg und ließ sich auf ihrer Schulter nieder. Die junge Frau lächelte ihn an. "Braver Junge."

  • Mit lang entbehrtem Interesse verfolgte der Sylph, wie sich die Fläschchen zusammentrugen. Jeder Klang, mit dem ein Glasboden auf dem Verkaufstisch aufsetzte, entsprach dem geflüsterten Wort einer Sprache, von der er geglaubt hatte, sie lange zurückgelassen zu haben.
    Beim dritten Aufsetzen horchte er auf, schob den Gedanken jedoch beiseite.


    Als er spürte, dass sich ihre Augen auf ihn richteten, hob auch Ascan den Blick von dem farbenfrohen Schimmern, das sie vor ihnen ausgebreitet hatte. Ihr Lächeln war angenehm sachlich; geschäftlich, versprach weder Sympathie noch Ablehnung.
    Ihr Pfiff jedoch kam überraschend. Das Flattern des Vogels entfachte den ersten Gedanken, den er bei seinem Anblick empfunden hatte. Als das dressierte Tier seinen Platz einnahm, wich Ascan fast erschrocken vom Verkaufsisch zurück. Zahllose Gedanken überschlugen sich, zerrten an ihm, dem Laden sofort den Rücken zu kehren, und überwarfen sich dabei mit uralten Instinkten, um immer wieder von den engen Wänden auf ihn zurück zu prallen.


    Ascan schloss die Augen und kämpfte um einen ruhigen Atem. Ein Schauer rann ihm vom Nacken bis in die Fersen.

  • Ein dunkler Schatten huschte in Form eines Schmunzelns über ihre Lippen. Doch sie gab sich betont geschäftig.


    "Also, wenn Ihr möchtet, könnt Ihr natürlich alle einmal ausprobieren. Sie sind wirklich wunderbare Einzelstücke! Ihr werdet niemanden in Nir'alenar finden, der diese Düfte sonst besitzt!" erklärte sie und lächelte.


    Der dicke Vogel schien keine Lust mehr zu haben, auf ihrer Schulter zu sitzen. Er flog davon und landete nach einigen Ehrenrunden in einem Regal neben dem Fremden. Es schien, als sähe er Ascan direkt an. Tamar schmunzelte.


    "Entschuldigt bitte meinen kleinen Freund hier, er ist gerade etwas beleidigt. Wir hatten eben einen Disput, wie Ihr vielleicht gehört habt. Er ist manchmal ein sehr ungezogener Junge, der leider viel zu viel futtert. Das darf ich nicht unterstützen." Sie lächelte wirklich ehrlich, dann sah sie zu dem Vogel. "Denn ich würde ungern sehen, wie ein so guter Freund als Katzenfutter endet. Nicht wahr, mein dicker kleiner Sirah?"


    Der Vogel zwitscherte kurz. Tamar nickte und wandte sich wieder ihrem Kunden zu. "Also, welches möchtet Ihr ausprobieren?"

  • Der Vogel löste sich von der Frau und zog ein paar enge Bahnen, bevor er sich bereits wieder niederlassen musste. Er war sichtlich überfüttert. Ascan begegnete dem Blick der glänzenden Vogelaugen und widerstand nur mühsam dem Drang, das nächste Fenster einzuschlagen, um dieses Tier nach draußen zu befördern – wo es hingehörte.


    Seine Vernunft behielt die Oberhand. Vögel wie dieser hatten verlernt, ihre ursprüngliche Freiheit für sich zu beanspruchen. Sie waren abhängig… ihrer Natur entfremdet…


    Es brauchte seine Zeit, bis der Sylph sich soweit gesammelt hatte, um die Verkäuferin abermals anzusehen. Da gab es noch etwas, das geklärt werden musste… auch wenn es ihm bald die Luft abschnüren würde, sich mit diesem Wesen und seiner Halterin im selben Käfig zu befinden.


    Ascan trat erneut an den Verkaufstisch vor und nahm den Flakon, auf den er zuvor aufmerksam geworden war. Das Glas war detailreich bearbeitet und abstrahierte die Form eines Fuchses.
    Während seine Finger das Glas entlang strichen, verfinsterte sich sein Blick. „Das hier… kann kein Original sein“, stellte er dunkel fest.

  • Versuchte er, sie aus der Fassung zu bringen? Tamar dachte für einen Moment darüber nach. Aber zu lange schon hatte sie in diesem Beruf gelebt, war in ihn geboren worden, war in ihm aufgewachsen, hatte ihn geatmet und gespürt. Er würde mehr aufbieten müssen als einen flugs dahingesagten Satz.


    "Ihr seid ein Experte, wie?" Sie schmunzelte. "Ich war bisher stets der Meinung, es sei ein Original. Aber bitte, sollte ich einem Betrüger aufgesessen sein, so klärt mich auf!"


    War das Ironie in ihrer Stimme? Sie sah ihn direkt an, vielleicht schon ein bisschen herausfordernd, ohne dabei aber ihre Rolle als freundliche Verkäuferin zu verlassen.

  • Ascan lächelte. Das... war ein Tonfall, den er lange nicht mehr zu hören bekommen hatte. Ihre skeptische Neugier zeugte von Erfahrung.


    Er hob den Blick soweit, dass seine Augen einige von den Farben der Flakons widerspiegeln konnten. "Nichts gegen die Qualität der Ware." Er drehte den 'Fuchs' langsam in der Hand. "Dieses Glas ist ebenso hochwertig wie das von jedem dieser Flakons. Die Wenigsten wissen eine solche Anzahl besonderer Stücke zu schätzen."


    Behutsam stellte er den Flakon zurück. "Trotzdem wurde er nicht in der Tradition Corandirs gefertigt. Nicht von einem der alten Meister. Die angewinkelten Haarkerben am Rücken des 'Fuchses' weisen eine Bearbeitungsweise auf, die mit den ursprünglichen Werkzeugen nicht herzustellen ist. Die Arbeit ist schön und innovativ - aber sie verdient nur das Prädikat des Künsterls, nicht das Corandirs."


    Ascan, vertieft in die Betrachtung der anderen Flakons, war dabei, seine Umgebung zu vergessen. "Ihr müsst in Corandir gewesen sein...", murmelte er.

  • Erstaunlich ruhig reagierte sie auf seine Ausführungen, wenn man bedenkt, was manch jähzorniger alter Händler dem fremden Mann an den Kopf geworfen hätte. Tamar schmunzelte, aber mehr für sich selbst. Dann sah sie ihn an.


    "Eine interessante Behauptung. Ich darf annehmen, dass Ihr selbst in Corandir gewesen seid und tiefere Einblicke in dieses Kunsthandwerk erhalten habt? Anderfalls könntet Ihr kaum so ruhig hereinspazieren und mich der Lüge bezüglich meiner Waren bezichtigen."


    Ihr Tonfall hatte sich kaum geändert, war wieder ruhig und freundlich, was vielleicht verwirrend sein konnte, da der Inhalt ihrer Worte doch eher feindselig zu sein schien. Oder wollte sie den Fremden nur prüfen? Tamar sah ihn direkt und ruhig an.

  • Sein Blick verblieb auf dem Funkeln der Flakons, ehe er das Gesicht der Ladenbesitzern näher in Augenschein nahm. Eine wenig mutmaßte er über ihre Hintergründe und Gedanken, doch er verlor sich nicht lange darin.
    Er war vielen wunderbaren, geradezu atemberaubenden Gesichtern und strahlenden wie auch erschreckenden Persönlichkeiten begegnet. Es ließ sich viel aus den Augen, den Zügen um den Mund oder den einzelnen Falten deuten... ebenso viel Falsches.
    Typisierungen verloren im Laufe der Zeit ihre Bedeutung, je größer die Masse war, auf die sie angewendet werden wollten.
    "Mir liegt nichts daran, Euch schlecht dastehen zu lassen", antwortete er mit einem leichten Anklang von Bedauern. "... genauso wenig bin ich kein Kritiker, der Eure Waren beurteilen will." Der 'Fuchs' fing ein weiteres Mal Ascans Blick. "Ein Hinweis...", fuhr er fort. "...ich nahm an, es würde Euch interessieren... die exakte Geschichte des Objekts, das sich in Eurem Besitz befindet."


    Er schüttelte den Kopf. "Gebt nichts auf mein Wort, wenn es Euch keinen Gewinn bringen kann. Ich kann Euch an nichts Sichtbarem beweisen, dass Corandir mich bisher... für die längste Zeit meines Lebens in Bann geschlagen hielt..."


    Er entschied sich, es von ihrer Antwort abhängig zu machen, ob er den 'Fuchs' kaufen würde, doch selbst wenn nicht... er würde den Stil des Künstlers nicht mehr vergessen.

  • "Es interessiert mich durchaus, mit keinem Wort habe ich das Gegenteil behauptet." erklärte sie nüchtern. Sie sah einen Moment lang auf den Flakon, dann wieder auf den Mann. Sie mustert ihn blinzelnd. Seine letzten Worte hatten ihr zu Denken gegeben.


    "Ich befürchte, Ihr schätzt mich falsch ein, wenn Ihr denkt, ich gäbe nichts auf Euer Wort, nur weil es mir keinen Gewinn einbringt. Ihr scheint ein weitgereister Mann zu sein, sicher habt Ihr vieles auf Euren Reisen erlebt und gesehen, das Euch zu dieser Einschätzung kommen ließ..." Sie hielt kurz inne. "Aber manchmal bedarf es eines zweiten Blickes, eines genaueren Hinsehens, um die Wahrheit zu erkennen." Sie legte ihre Finger auf den Flakon. "So wie Ihr es bei diesem Stück hier getan habt."


    Nun sah sie ihn wieder an, aber anders als zuvor, und auch ihre Stimmlage hatte sich geändert, war auf eine seltsame Art und Weise samtig geworden...

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