Durch die Straßen

  • Der Sylph hatte nichts dagegen, seinen nächsten Weg mit Tara zu teilen. Vielleicht hatte die Nacht einige interessante Anblicke zu bieten, die sich besser zu zweit genießen ließen.


    „Meine Geschichten…“, überlegte er, während sie nebeneinander hergingen. „… die haben leider keine guten Worte gelernt, um sich zu erzählen...“


    Ein Schimmern von klaren Nächten lag auf der Kuppel und spiegelte sich matt in den Straßen. Die Zaubermuscheln begannen zahlreicher zu werden, je weiter sie sich von Der Schwarzen Katze entfernten... doch bisher waren sie kaum mehr als helle Schnitte in den Schatten.
    „… vielleicht sind es auch bereits zu viele geworden und ich würde Gefahr laufen, sie zu vermischen, gerade wie mir der Sinn danach steht.“


    Er schmunzelte kurz und blickte unter dem Rand seiner Kapuze zu ihr hinüber. „In jener Kneipe… hättet ihr lustigere Gesellen als mich finden können, Tara.“

  • "Mit Sicherheit," antwortete Tara. "Lustigere Gesellen, deren Atem aus purem Rum zu sein scheint und deren Geschichten nichts weiter als Märchen sind."
    Die Rothaarige winkte ab und schüttelte leicht den Kopf.
    "In den seltensten Fällen suchen wir uns doch eigentlich unsere Gesellschaft aus. Meist trifft das Schicksal diese Entscheidung für uns schon viel früher."


    Mit leichten Schritten ging Tara weiter die Straße entlang. Die Häuser an beiden Seiten des Kopfsteinpflasters wurden mit jedem Schritt besser und wohlhabender und Tara fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie sich - eine Piratin an der Seite eines dunklen Fremden - entgültig fehl am Platze fühlte.


    "Ausserdem seit ihr auch nicht gerade in die beste Gesellschaft gekommen, Ascan." Taras Stimme wirkte belegt. "Diese Hände haben mehr Blut an sich, als die der meisten Leute in der "Katze". Ich klaue, ich betrüge, ich lüge - glaubt ihr lustigere Gesellen als ihr es seit wollten wirklich etwas mit mir zu tun haben?"
    Sie letzte den Kopf leicht schief und zwinkerte Ascan frech zu - ein wenig versuchte sie damit offensichtlich die Wahrheit aus ihrem letzten Satz zu nehmen, denn über die Offenheit, die sie damit an den Tag legte, war sie selbst mehr als überrascht.

  • Sie kannte die alte Geschichte also nicht...
    Ascan atmete unhörbar auf.


    Eine Treppe führte zu ihrer Rechten in der dunklen Häuserzeile empor. Da ihre Schritte keinem festen Ziel folgten und die erhöhte Warte einen guten Blick über Nir’alenar versprach, lenkte er seinen Weg zu den Stufen.
    Der unterschwellige Geruch von Exkrementen lag über dem ersten Absatz der Treppe, doch mit jedem Schritt aufwärts wurde auch die Luft wieder klarer.


    Tara hatte noch etwas anderes gesagt, dass Ascan nicht loslassen wollte, bis er schließlich seine Gedanken dazu aussprach. „Schicksal… an so etwas habe ich nie geglaubt… wie könnte man es, ohne gleichzeitig das eigene Leben aufzugeben?“


    Er betrachtete sie von der Seite. Mit ihren Fehlern musste sie wohl selbst auskommen. Jeder trug seinen Schatten... aber das schmälerte nicht den Wert einer angenehmen Gesellschaft.


    Sie hatten das Ende der Treppe erreicht. Hier öffnete sich der Blick, schwang vom Dunkel des See- und Händlerviertels bis hin zum Strahlen der Tempel und zum Turm der Eleria Anuriel. Die Saphire spendeten ein magisches Licht, das noch weit über die Stadt strahlte und manch verborgenen Winkel erreichte.
    Ein Geländer begrenzte zu einer Seite die höher gelegene Straße, welche Zwergenkunst vermuten ließ. Wo das Geländer zwei Mannslängen nach unten führte, öffneten sich bereits wieder gedrungene Einhänge zu Häusern, die unter der Straße errichtet sein mussten.


    Ascan legte die Unterarme aufs Geländer und ließ die Aussicht einen Moment lang auf sich wirken. Nir’alenar… noch einmal hier zu sein… erschien ihm fast wie eine Rückkehr in einen lang zerbrochenen Traum.

  • "Obwohl man die Sterne nicht sieht, ist es ein Anblick, der einen Ehrfurcht lehrt." Wisperte Tara leise und tat es Ascan gleich - verschränkte die Arme auf dem Geländer um in dieser Position in die Nacht hinauszuschauen.


    Soetwas wie Wehmut machte sich für einen Augenblick in der Halbnixe bereit. Wehmut, Nir'alenar nicht schon vor dem Untergang, im alten Glanz, gesehen zu haben. Wehmut, die alten Mythen und Märchen nicht auf Wahrheit überprüfen zu können, sondern als gegeben hinnehmen zu müssen.
    Nicht, das Tara die Kuppel nicht lieben würde. Im Gegenteil. Die Nixe in ihr liebte Nir'alenar in diesem Zustand. Umhüllt von Wasser fühlte Tara sich ein wenig lebendiger, als auf der Oberfläche. Aber es war einfach dieses seltsame Gefühl von Vergänglichkeit, das Tara an diesem Abend für einen Augenblick lang sentimental werden ließ.


    Doch Tara fing sich wieder, drehte sich zu Ascan um und sinnierte einen Augenblick über seine Frage. "Vielmehr stellt sich mir die Frage, wie ihr Leben könnt, ohne an das Schicksal zu glauben. Bestünde unsere Existens aus Zufällen, hätten die Götter kaum unsere Leben wie Fäden in den Händen. Wenn es das Schicksal nicht gibt, kann es diese Kuppel nicht geben und Tod und Zerstörung würde in unsere Herzen einziehen."
    Tara sprach voller Inbrust - und als sie sich dessen bewußt wurde, mußte sie selbst lachen.
    "Ich bin nicht tief religiös und lasse mir ungerne ins Handwerk pfuschen.. aber doch, ich glaube daran, dass vieles einfach passieren muß. Aus irgendeinem Grund seit ihr heute in mein Leben geschritten. Vielleicht nur um mir einen süßen Abend zu bereiten oder mir eine Lektion zu erteilen. Aber nur die Götter wissen, ob ihr nicht vielleicht eine wichtigere Rolle spielen werdet."


    Der Rotschopf drehte sich wieder um und schaute in die Nacht hinaus, die von unzähligen Lichtmuscheln erhellt wurde.

  • Schweigend lauschte er Tara. Ihre Worte ließen einen bitteren Unmut in ihm keimen, der weiter wuchs, selbst als sie bereits wieder schwieg, bloß um unvermittelt in echte Wut umzuschlagen.
    „Ich sage nicht, dass diese verfluchten Götter nicht existieren! Oh, Erhabenheit, Willkür und Sadismus in einer unvergleichlichen Mischung! Aber ein Schicksal gibt es nicht! Nein, NIEMALS! Sie mögen mächtig sein, aber der freie Wille bleibt uns! Und mit ihm unsere Entscheidungen, unsere Ziele und unsere verdammten FEHLER!“


    Ascans Zorn währte noch einen Moment, ehe er so rasch verflog, wie er aufgezogen war. Nur die Muskeln seiner Schwingen bebten noch, als er seinen Blick wieder auf die Stadt richtete.
    Im Endeffekt… waren sie wohl die einzige Hürde… die einzige… vielleicht auch unüberwindlich, aber das würde er nicht vor seinem letzten Atemzug herausfinden.


    „Entschuldigt“, sprach er an Tara gewandt, jedoch ohne sie dabei anzusehen. Es hatte nichts mit ihr zu tun.
    Es geschah sonst nicht oft, dass er sich aus der Kontrolle verlor.

  • Tara hatte sich nicht bewegt. Sie hatte ihn während seiner Worte nicht angesehen. Nein, ihr Blick hatte der Nacht gegolten, sie hatte die Stirn gekräuselt und einfach dem gelauscht, was Ascan zu sagen hatte.
    Ein gewisser Funke in ihr war versucht, sich mit Ascan zu streiten. Diesem Mann, den sie nicht im entferntesten kannte und der auf einer solch einfache Äußerung derart in die Luft ging. Aber der Funke wurde von den ruhigen Wogen die in der Halbnixe derzeit die Oberhand hatten schlichtweg erdrückte. Schon wieder hitzig zu werden lag ihr in dieser Nacht, bei diesem Ausblick vollkommen fern. Sollte er doch glauben was er wollte. Für sie gab es eh nur eine einzige Wahrheit. Und die lag im Geld.


    Langsam sah Tara Ascan wieder von der Seite an. Offensichtlich war der Ausbruch gekommen und auch wieder verebbt. Sie drehte sich zu ihm um.
    "Angenommen." sprach sie knapp und musterte Ascan. Ja, sie wußte tatsächlich rein gar nichts von ihm. Einen Zustand, der der Piratin eigentlich gar nicht behagte.


    "Wo schlaft ihr heut Nacht?" Fragte sie ihn also unvermittelt. Wer in die Katze ging, hatte entweder nicht genug Geld sich etwas besseres zu leisten, wollte nicht gesehen werden oder krumme Geschäfte machen. Warum also war Ascan dort gewesen?

  • Taras Frage überraschte ihn.


    „Ich weiß es noch nicht“, gestand Ascan mit einem Lächeln.


    In klaren wie Nächten wie dieser zog es ihn selten in beengende, verstaubte Schlafräume. Es erschien alles wie in einer Kunst miteinander verbunden und obwohl er sich selbst dafür verfluchen konnte, ließ er sich faszinieren von den dunklen Schatten, die nachts wie Träume über die Kuppel glitten.


    „Ich hatte noch keine Zeit, mich umzusehen“, fügte er hinzu und fragte sich gleichzeitig, wieso sie sich dafür interessierte.
    Seine Augen suchten ihre, um vielleicht einen klareren Beweggrund in ihnen lesen zu können.

  • "Wenn ihr genug Geld habt, geht in den "Zauberbrunnen"." riet Tara fast beiläufig.
    "In der Katze könnte es passieren, dass ihr morgen früh ohne Stiefel und Geldbeutel aufwacht. Sofern ihr einen tiefen Schlaf habt."
    Die Rothaarige lächelte in die Nacht hinein.


    "Wie ihr bin ich in den letzten Jahren viel gereist und selten zur Ruhe gekommen. Nein," Tara stockte ".. eigentlich bin ich das schon mein ganzes Leben. Das einzige, was ich je "Heimat" genannt habe, waren die Planken eines Schiffes. Ihr seht also, ich bin derzeit sehr fern der Heimat."
    Ihre Stimme klang ein wenig wehmütig, doch Tara versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen drehte sie sich zum Ascan um.


    Sie sah Ascan an, kniff trotz der Dunkelheit die Augen ein wenig zusammen und ließ ihren Blick über den Fremden schweifen.
    "Wer seid ihr?" Fragte sie dann unvermittelt. "Bran Boréas, so wie ihr euch nennt.. ich hoffe es enttäuscht euch nicht, aber ich kenne den Namen nicht obwohl ich es offensichtlich sollte." Tara seufzte leise. "Also wer oder was seid ihr?"

  • „Ich bin, was Ihr seht“, antwortete Ascan tonlos.
    Nicht einmal in seinen eigenen Ohren klangen diese Worte überzeugend.


    Er hätte es dabei belassen können. Er hätte es dabei belassen sollen. „Es läge mir nichts ferner, als enttäuscht zu sein. Bran Boréas... Namen mögen unwichtig erscheinen, aber sie haben ihre Macht über uns.“
    Ascan legte seine Hände um das eiserne Geländer und merkte, dass seine Fingerspitzen taub wurden.
    „Meine Heimat liegt längst mehrere Leben hinter mir zurück. An einen Ort kann man zurückkehren; in eine Zeit nie mehr… so sehr man es auch versuchen will. Den Frieden, den ich damals zurück ließ, habe ich in mir selbst nie wieder gefunden.“


    Die Erinnerungen waren ihm nicht willkommen. Ascan wusste nicht, warum er es zuließ, dass sie sich zeigten. Die Offenheit dieser Fremden; das ungezwungene Beisammensein; Erklärungen, die sich wie Ausreden aufdrängten… ändern taten sie nichts.

    „Es ist gefährlich, einem Ziel zu folgen, das mit jedem Schritt unerreichbarer scheint. Wege verändern sich fortlaufend... und bevor man begriffen hat, wozu man sich entschlossen hat, ist ein Pfad beschritten, auf dem eine Umkehr unmöglich scheint. Stehen zu bleiben, ist die schwerste aller Entscheidungen…“ Ascan schmunzelte nach diesen Worten bitter. „… aber womöglich… ist sie es auch nur für mich...“

    Er merkte bedrückt, dass er in Rätseln sprach. Tara würde nichts verstehen.
    Bisher hatte er ihr nicht wirklich auf ihre Frage geantwortet. Wer oder was er war… jetzt war... verflucht, wenn er es selbst wüsste!


    Die funkelnde Stadt lächelte seinen Worten Hohn. Sie wusste, was ihn abhielt, einen neuen Weg zu suchen. Sie kannte seine Alpträume… und in Wahrheit gab es noch einen anderen Grund, aus dem er hierher zurückgekehrt war.
    Beim Gedanke daran kroch ihm eine Gänsehaut über den Nacken.
    Ascan lenkte sich ab, indem er Tara betrachtete. Ihre Heimat… die Planken eines Schiffes… falls sie tatsächlich aus Niel’Anor stammte… aber er konnte nicht darauf setzen, darüber mehr zu erfahren.


    Wie ein schlechter Geschmack blieb der Eindruck zurück, ihr die wahre Antwort schuldig geblieben zu sein. Ascan spielte mit dem Gedanken, es als unwichtig abzutun. Niemand verpflichtete ihn dazu, ihr mit derselben Offenheit zu begegnen wie sie ihm… falls sie denn die Wahrheit sprach.


    Sein Blick wanderte kurz zur anderen Seite, die ausgestorbene Straße hinab, bevor er sich vom Geländer abwandte, um die teils baufälligen Häuser auf der Gegenseite zu betrachten. Tatsächlich schienen sie im Moment allein und unbeobachtet zu sein…

  • Tara sah Ascan weiterhin an und ein leises "aha" kroch ihr über die Lippen. Das zeitgleiche Runzeln ihrer Stirn deutete allerdings daraufhin, dass sie nicht wirklich verstand, was Ascan ihr sagen wollte.


    Vielleicht.. hatte sie doch zuviel Alkohol gehabt? Tara drehte sich erneut zum Geländer, stützte die Ellbogen auf und bließ sich so unauffällig wie eben möglich in die Hand. Nein.. ihre Fahne war kaum wahrnehmbar. Ascan hatte wohl wirklich in Rätseln gesprochen. Meine Heimat liegt längst mehrere Leben hinter mir zurück. Tara blinzelte und blicke Ascan erneut aus den Augenwinkeln aus an, nur um sich dann wieder zu ihm umzudrehen.


    "Ihr seht gar nicht aus, wie ein Cath." sprach sie trocken und fing dann unmittelbar an, auf Ascans Philosophieren einzugehen.
    "Vieles mag unmöglich erscheinen. Aber nur weniges ist es." Behauptete sie. "Manchmal wünschen wir uns nur, dass etwas ein Stück unerreichbar ist, damit wir gar nicht erst versuchen müssen, es doch zu bekommen. Oder aber damit wir eine Rechtfertigung für unser scheitern haben.
    Manchmal, ja manchmal ist das Unmögliche sogar möglicher als das Mögliche - denn das Leben ist selten berechenbar. Wäre es das, wäre ich weder geboren, noch würde ich jetzt hier stehen."


    Sie schüttelte das rote Haare - eine Geste, die perfekt darüber hinwegtäuschte, dass sie immernoch nicht sicher wußte, was Ascan - was Bran Boréas - ihr hatte sagen wollen.


    Sie kniff abermals trotz der Dunkelheit die Augen ein wenig zusammen.

  • Ascan lauschte ihrer Antwort und konnte nicht anders, als sich verblüfft nach ihr umzudrehen.
    Tatsächlich ein heller Verstand… hinter diesen hübschen, wachen Augen…
    Was immer er von diesem Spaziergang erwartet hatte, hatte sie in diesem Moment übertroffen.
    „Wahre Worte“, gestand er.
    Was hatte sie in seiner Aussage gelesen, dass sie ihm diese Antwort geben konnte? Es tat gut… ohne Gleichen… eine Zuversicht, wie er sie selbst kaum wagte… und doch wagen musste, wenn er denn noch den Mut besaß, an seinem Traum festzuhalten…


    Seit langer Zeit stellte er sich einige entscheidende Fragen. Die Antworten ließen ihn matt lachen. Einmal mehr, dass ihn sein eigenes Wesen anwiderte. Oh ja, er war ein Dummkopf. Heute wohl ein noch größerer als damals.


    „Vielleicht… solltet ich mir Eure Antwort aufschreiben… damit ich sie nicht so schnell wieder vergesse“, lächelte er. Dabei hob sich seine Hand zu der breiten Brosche, die den schwarzen Mantel zusammenhielt.
    Ein leichter Druck zu beiden Seiten des praktischen Schmuckstücks, ein dumpfes Klicken, worauf sich zwei verborgene Stoffschichten lockerten. Hatte er es jemals bereut, den Schneider für diese außergewöhnliche Arbeit so gut entlohnt zu haben?


    „Kein Cat’shyrr…nein“, schmunzelte er.
    Lautlos faltete sich ein Paar transparenter Flügel bedächtig hinter seinem Rücken auf. Schwarz wie die Nacht, welche sie umgab, waren die Umrisse der engelsgleichen Flügel nur durch die Reflexe zu erkennen, die die Lichtmuscheln der Stadt auf ihnen erzeugten. Nur bei genauerem Hinsehen benötigte die rechte Schwinge etwas länger, sich vollkommen zu öffnen.


    Der unterschwellige Schmerz war Ascan nicht anzusehen. Die Segmente des rechten Flügels spannten und stachen, sodass er sie nicht für lange gespannt halten konnte. Langsam legten sie sich wieder zusammen, blieben jedoch in prachtvoller Form an seinen Rücken angelegt.


    Die Schlitze im Stoff waren nur zu einem Zweck eingelassen worden: um seinen Flügeln das Entfalten zu ermöglichen, ohne dass er den Mantel dabei ablegen musste. Das Eigengewicht des Stoffes hielt die schnittschmalen Öffnungen für gewöhnlich geschlossen. Zudem verhinderten die beiden beweglichen Stoffschichten über den Schwingen, dass diese doch hervorschimmern sollten... und isolierten gleichzeitig die Körperwärme.

  • Tara staunte nicht schlecht. Nein, ihr Gesicht sprach Bände. Der Unterkiefer klappte Buchstäblich zur, jegliche Körperspannung schien zu erschlaffen, als Ascan seine Flügel ausbreitete.
    Für einen Augenblick war Tara sprachlos und wie angewurzelt - doch nach einigen Sekunden fing sie sich wieder. Der Unterkiefer klappte wieder zu, die Schultern hingen nicht mehr schlaff herunter und Tara begann sich in Bewegung zu setzen.


    Mit großen Schritten umrundete sie Ascan. "Ihr.. ihr seid ein Sylph." Stellte sie überschlüssigerweise fest. Als sie wieder genau vor Ascan angekommen war, blieb sie stehen und lächelte ihn an.
    "Ihr habt mich wirklich überrascht, Ascan. Damit hätte ich wahrlich nicht gerechnet..." Tara lehnte sich mit dem Rücken gegen die Brüstung. "Ich habe noch nie einen Sylphen kennengelernt. Von Ihnen gehört, ja. Sie aus der Ferne gesehe, ja. Aber ich stand noch nie einem so nah gegenüber."


    Der rechte Mundwinkel zog sich ein wenig hoch, so dass ein schiefes Schmunzeln entstand. "Darum verzeiht bitte, wenn ich euch anstarre. Aber.." Tara deutete auf Ascans Brust. "Ihr versteht es wirklich hervorragend, eure Herkunft zu verstecken. Feine Arbeit, euer Mantel." Tatsächlich schwang soetwas wie Anerkennung in der Stimme der Rothaarigen mit.

  • Er bewegte sich unruhig, als sie um ihn herum ging… und behielt sie im Blick, als sie sich wieder an die Brüstung lehnte.
    „Das geht vielen ähnlich“, nickte Ascan, kratzte sich über den Handrücken und war ihr im Stillen dankbar, dass sie keine zweite Runde eingeschlagen hatte. „Wir sind nicht unbedingt bekannt für … unseren weiten Freundeskreis.“
    Dieser Satz rang ihm ein Grinsen ab. Seiner Stimme war nicht zu entnehmen, ob er an dieser Tatsache etwas bereute.


    Es tat gut, die lädierte Schwinge an der Luft zu spüren. Ihr Zustand bereitete ihm etwas Sorge, doch bei diesem schlechten Licht hätte es keinen Sinn gemacht, sie in Augenschein zu nehmen. Das musste warten.


    „Keine Sorge. Man gewöhnt sich an die Reaktion“, lächelte er schicksalsergeben, als sie sich für ihre Neugier entschuldigte. „Nur ist es nicht immer ratsam, so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“, fügte er ernster hinzu. „Das solltet ihr nachvollziehen können… geht man von dem aus, was ihr bereits von euch berichtet habt“, fügte er hinzu, ohne dabei auch nur eine Spur abwertend zu klingen.
    Ganz im Gegenteil mischte sich ein sehr eigenwilliger Respekt in seine Worte, den jemand, der stets nur nach bestem Gewissen gelebt hatte, wohl nicht begreifen könnte.

  • "Da habt ihr wohl recht, werter Ascan." murmelte Tara und konnte den Blick nicht von den Schwingen lösen. Ja, sie hätte sie gerne angefasst - sie wußte selbst nicht, warum dieses Bedürfnis plötzlich in ihr aufstieg, aber sie beschloss schnell, es nicht länger zu dulden und wandte schnell den Kopf um nicht weiter auf die schwarzen Federn starren zu müssen.


    Ein Lächeln schlich sich auf Taras Lippen und gedankenverloren begann die Rothaarige, eine Strähne ihres Haares um den Finger zu wickeln, während sie in die Nacht hinaussah.
    "Mit Sicherheit würdet ihr hier in Nir'alenar wie ein bunter Hund auffallen, wenn ihr mit geöffneten Schwingen umherläuft. Nicht, dass es hier nicht einige Sylphen gäbe, aber.. nun ja, sie fallen nunmal genauso auf, wie Yassalar. Wenn auch positiver."
    Tara zwinkerte Ascan zu, auch wenn sie nicht sicher wußte, ob er ihren Blick in der Dunkelheit der Nacht sehen konnte.


    "Aber ihr wißt doch wahrscheinlich, dass... ihr mich nun noch neugieriger gemacht habt, was eure Person angeht. Neugierde.. das Erbe meiner Mutter." Tara winkte ab. "Oder meines Vaters gleichmaßen." Lachte sie. Und plötzlich klang dieses Lachen viel ehrlicher und freier als noch vor einigen Augenblicken.


    "Sagt Ascan, was haltet ihr davon, wenn ihr mit mir ein kleines Seemannsspielchen spielt? Es heißt "Wahrheit oder Krabbe" - jeder stellt abwechselnd eine Frage und der andere ist verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Oder ihm eine Krabbe zu bezahlen. Bei jeder nichtbeantworteten Frage erhöht sich die Krabbenzahl, die zu geben ist um eins.."
    Spitzbübisch grinste die Rothaarige. "Seit ihr dabei?"

  • Sein Blick schweifte immer wieder über die Stadt, während er ihren Worten aufmerksam folgte. Irgendwo krachte ein Pistolenschuss. Das Echo war dumpf und schien ein ganzes Stück entfernt, trotzdem erinnerte es sehr deutlich daran, dass Nir’alenar zu ihren Füßen nicht schlief.


    Bei Taras letzten Worten wandte sich der Kopf des Sylphen ihr abrupt zu. Regungslos, bis auf den auffrischenden Wind, der den Stoff seiner Kleidung bewegte. Man hätte meinen können, die Nacht sei durch das plötzliche Schweigen um einige Grad kälter geworden.


    „Ihr würdet mich… um mein letztes Hemd bringen…“, stellte Ascan fest… wobei sein amüsiertes Lächeln leider unüberhörbar war.
    Wie sie trat auch er nun wieder an die Brüstung. Der Rothaarigen zugewandt, spielte Ascan trotz aller Vernunft mit der Idee, sich auf ihr Spiel einzulassen. Die Sache versprach, die Krabben wert zu sein… zudem verfügte auch sie über Antworten, die ihn zugegeben… sehr interessierten.


    „Wie viele Krabben habt ihr dabei?“ Ascan stützte den Arm auf die Brüstung und lehnte sich ein Stück zu ihr herüber. „… und wie sollte man eine Lüge erkennen? … Die Moral ist ein schön Ding – es sei denn, man muss sich allzu sehr auf sie verlassen…“


    Kein Spiel ohne Risiko, dachte er sich und verharrte weniger auf ihre Antwort konzentriert, als auf den Ausdruck, den ihre Augen dabei besitzen würden.

  • "Ich verrate doch nicht einem Wildfremden die Schwere meines Geldbeutels." Amüsiert zwinkerte Tara Ascan zu. Unsicher ob diese Mimik in der Dunkelheit der Nacht überhaupt zu sehen war.


    "Selbst der kleinste Verbrecher hat einen Funken Anstand. Ich fürchte, wir beiden würden uns einfach auf das Wort des anderen verlassen müssen. Aber ich sage euch gleich - ich habe genügend Krabben um gar nicht erst lügen zu müssen."
    Mit einer Spur Hochmütigkeit zog Tara das Kinn hoch und verzog die Mundwinkel zu einem spitzbübischen Lächeln. Tatsächlich hatte die Piratin wahrlich genügend Münzen dabei - und gleichzeitig wußte sie, dass sie nicht viel zu verbergen hatte. Also was gab es schon zu verlieren?


    "Ausserdem.." Das Kinn senkte sich und Tara versuchte Ascan in die Augen zu sehen. ".. würde ich es sofort erkennen, wenn ihr lügt."

  • "Wenn Ihr davon überzeugt seid..." Er begegnete ihrem Blick eine Weile. Glaubte sie wirklich, was sie da sagte?


    "Eure Idee - Eure Frage", ließ er seiner Gesprächspartnerin geduldig den Vortritt.


    Was für Fragen könnte sie wohl haben? Für andere wäre es Zeichen genug gewesen, dass er ein Sylph war... oder auch nicht... es gab nicht viele, mit denen er überhaupt längere Gespräche geführt hatte..

  • "In Ordnung!" Tara nickte und lehnte sich an die Brüstung. Sie reckte das Kinn gen Himmel und schien sich eine Frage überlegen zu müssen.
    Nach einigen Sekunden blickte sie den Sylphen wieder - so gut es ging - an und formulierte ihre Frage.


    "Nun, ihr seit ein Sylph. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung." Sie lachte ihr rauhes, warmes Lachen. "Es heißt, Sylphen seien.. nun.. sagen wir "Schüchtern". Sie gäben nicht viel auf die Nähe anderer Wesen. Doch ihr seid hier in Nir'alenar, einer der bevölkerungsreichsten Städte Beleriars. Ihr seid aus einem bestimmten Grund hier, nicht wahr?"
    Tatsächlich war das Taras Frage. Sie hätte Ascan gleich danach fragen können, warum er hier war, doch dies war ein Spiel. Und Taras größte Schwäche waren Spiele. Es hätte ihr den Spaß genommen, die wirklich "interessanten" Fragen gleich vorne weg zu nehmen.

  • Ascan breitete die dunklen Flügel ein weiteres Mal aus. Langsam, als könne ihm die Bewegung etwas Zeit verschaffen. Der Schmerz war abgeflaut… erträglicher geworden.


    Der Sylph faltete auf der Brüstung die Hände übereinander. „Ja…“ Er schwieg für einen Atemzug und blickte auf die Stadt. Seine Augen wanderten durch das wechselhafte Dunkel der Häusergassen, als ließen sich dort einfachere Worte finden, für das, was ihn bewogen hatte, an diesen seelenüberfüllten Ort zurück zu kehren.
    Die Nachtschatten halfen auch ihm nicht. „Vielleicht… will ich etwas wieder finden…“ Ascan lachte leise und bitter. „… oder etwas verlieren.“ Er wandte den Kopf zu Tara und seine Stimme klang ernst. „Mein Leben vielleicht.“


    Es war nicht gelogen – Bruchstück einer komplexeren Wahrheit vielleicht, aber wahr.
    Jemand anders hätte ihr wahrscheinlich eine simplere Antwort geben können… ein anderer… mit einer anderen Vergangenheit.
    „Sylphen bei klarem Verstand halten sich natürlich von einem Ort wie diesem fern… da habt Ihr Recht.“
    Seiner Stimme haftete nun etwas Erschöpftes an und er flüsterte: „Man möchte sie beneiden.“


    Ascan zog seine Hände von der Brüstung. „Nun zu meiner Frage“, lächelte er und die gedrückte Stimmung schien mit Mal gänzlich von ihm abgefallen. Er musste nicht lange nachdenken, hatte er doch bereits auf die Chance gewartet, das Eine von ihr zu erfahren. „Ihr könnt nicht hier geboren sein, wenn Ihr die Planken eines Schiffes Euer Zuhause nanntet. Wie seid Ihr nach Beleriar gelangt, Tara?“

  • Tara sinnierte einen Augenblick über Ascans Antwort. Sein Leben verlieren? Wer wollte schon sein Leben verlieren? Für die lebenslustige Piratin ein Wunsch, der nicht nachzuvollziehen war. Aber er war ein Sylph - Tara sah Ascan schräg an - vielleicht dachten, fühlten, lebten Sylphen anders? Sie beschloss diesen Gedankengang abzubrechen, als Ascans Frage kam.


    Ja, darauf konnte sie antworten. Keine Krabbe, die verschwendet wurde.
    "Nein, ich bin tatsächlich nicht in Beleriar geboren worden, sondern ein Kind von dort oben." Tara deutete in den dunklen Kuppelhimmel.


    "Es ist schon einige Monate her, dass ich nach Beleriar kam. Ich hatte auf einem Schiff angeheuert. Eines der größten, auf denen ich je gestanden hatte.. Wir hatten durchaus einen fähigen Kapitän. Das heißt, wenn er nicht zuviel getrunken hatte. Leider war das an dem Tag, an dem wir untergingen nicht der Fall. Ein fantastischer Beutezug, ein grandioses Gelage - und ein Kapitän, der dem Bootsmann völlig falsche Koordinaten befehligte. Bevor ich es bemerkte, war es schon zu spät. Wir sanken."
    Tara wußte nicht, ob sie sich zu wage ausgedrückt hatte. Aber sie beschränkte sich im Allgemeinen lieber auf das Wesentliche.


    "Ich nehme an, dass die meisten meiner Mannschaft starben. Entweder ertranken sie oder die Strömung presste sie an die messerscharfen Klippen. Ich jedoch.." Tara lächelte.
    "Meine Mutter ist eine Nixe. Glücklicherweise habe ich dadurch gute Schwimmkenntnisse und ein ausgezeichnetes Lungenvolumen geerbt. Doch das alles hätte mir nichts genützt, wenn einige Nixen mich nicht gefunden und mir den Weg nach Beleriar gezeigt hätten." Ein wenig schüchtern schmunzelte die Rothaarige. Sie erinnerte sich noch zu gut, wie sie klatschnass aus einem der Brunnen gekrochen war und Mutter Tilars Auffanglager aufgesucht hatte. Jetzt in dieser Nacht kam es ihr schon viel länger her, als es eigentlich war.


    "Reicht euch dies als Antwort?" Sie lächelte weiterhin und hob dann die Hand ans Kinn. "Dann bin ich wohl wieder dran.. Hmm.. Ihr seid auf Beleriar geboren?" Sie hatte gemerkt, dass ihre erste Frage Ascan bedrückt hatte und suchte nun nach etwas unverfänglicherem.

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