Die Höhle des Rattenfängers

  • Vielfältig wie die obere Stadt war auch das unterirdische Nir’alenar. Und ebenso wie das Seeviertel darüber, hielt auch die Luft unterhalb ihre ganz eigenen Aromen bereit. Letztendlich liefen schließlich alle Abwässer der Metropole hier zusammen um einen übelriechenden braunen Strom zu bilden.

    Es kam selten vor, dass jemand beschloss auf der schmalen bröckelnden Uferpromenade dieses fragwürdigen Gewässers zu flanieren, doch eine menschliche Gestalt nutzte diesen Weg regelmäßig. Klein, geduckt und ein wenig an eine der Kanalratten gemahnend huschte sie auf leisen Sohlen den Sims entlang, bis einer der Seitenarme sie dazu zwang die Richtung zu ändern.

    An der Stelle angelangt, an der der Zahn der Zeit solange an der Einfassung des braunen Flusses genagt hatte, bis nichts mehr davon geblieben war, führte nur mehr eine Brücke aus schmutzigen Spinnweben weiter und genau auf ein unregelmäßiges Loch in der Ziegelwand zu.

    Durch dieses gelangte man in einen längst vergessenen Keller und wer sich nur tief genug hineinwagte, stellte fest dass Risse im Mauerwerk und fast verschüttete Gewölbe genug frische Luft durchließen, um den Geruch der Kloake fast verfliegen zu lassen.

    Ganz am Ende des holprigen Wegs, den sich wohl jemand mit viel Mühe durch diese feuchtdunkle Welt gebahnt hatte, fand sich eine kleine Kammer in der ein Kamin aus Lehm und Dreck für ein klein wenig Wärme sorgte. Ein paar improvisierte Regelbretter, auf denen sich hauptsächlich wertloser Krimskrams stapelte, ein schimmliger Strohsack, der wohl die Bezeichnung „Bett“ verdiente, mehr gab es nicht zu sehen.

    Nein, da hatte sich gerade etwas bewegt! Eine schwarze Katze und eine Schlange hatten sich gleichermaßen vor dem Kamin zusammengerollt, um etwas von der Wärme abzubekommen. Und wer wirklich gute Augen hatte entdeckte vielleicht sogar die Fledermaus oder das Spinnennetz mit seiner fetten Bewohnerin in einer der Ecken, aus der die spärlichen Flammen die Dunkelheit nicht vertreiben konnten.

  • Es war die mieseste Gegend der Katakomben. Sich hierher zu wagen war pure Unvernunft. Oder schlichte Blödheit. Irgendwo in einer der Gassen musste die Cath'shyrr falsch abgebogen sein, als sie versucht hatte dem neugierigen Mob vor Willian Sprungbart Pottlers Etablissement auszuweichen. Maida rümpfte angewidert die Nase. War das hier eine Kloake? Wer hier lebte war entweder längst tot oder eine Kanalratte. Die so groß wie kleine Hunde werden konnten, glaubte man dem Laufburschen Boingar und dem Loch in der Ziegelwand. Mit einem Schnauben ließ Maida den Blick schweifen und suchte nach einem Weg zurück zum Nachtmarkt. Hier jedenfalls war sie noch nie gewesen.


    Davon abgesehen war sie beklaut worden. Beide Geldbeutel des Raben waren verschwunden. Und der von Boingar gleich mit.


    "Dieses hinterhältige kleine Miststück", fluchte die Cath'shyrr in Erinnerung an die Schlangenfrau im dunklen Umhang. "Wusste ich doch, dass du eine Diebin bist. Ich reiße dir deine kleinen Fingerchen einzeln aus, wenn ich dich erwische, du..."


    Flüche, die einer anständigen Dame die Schamesröte bis über die Ohren getrieben hätten, entschlüpften Maidas vollen Lippen. Zornig stampfte sie mit dem Fuß auf. Wäre sie zu Hause gewesen, hätte sie das Geschirr gegen die Wand gedonnert und die Stühle hinterdrein.


    "Und wo, verflucht noch eins, geht es jetzt zurück zum Nachtmarkt?", keifte sie und drehte sich im Kreis.

  • Klivv saß gerade in seiner Kammer und versuchte im schwächlich flackernden Licht einer einzelnen Talkkerze eine Rattenfalle aus dem Unrat, den der braune Fluss ihm beschert hatte, herzustellen, als er jemanden rufen hörte. Was war da los? Es verirrte sich kaum jemand in diesen verwunschenen Winkel und wenn doch handelte es sich dabei um leise huschende Schatten.

    Widerwillig löschte der kleine Mann die Kerze zwischen den Fingern und erhob sich von seiner Arbeit, um der Sache auf weichen Sohlen auf den Grund zu gehen. Trotz der fast vollkommenen Dunkelheit fand er den schmalen gewunden Pfad durch das Geröll des Gewölbes mit schlafwandlerischer Sicherheit und erreichte schließlich das Loch zur Kloake. Auf dem letzten Teil des Weges verstand er sogar, über was sich diese Frau so erregte. Offenbar war sie unabsichtlich hierhergekommen und wunderte sich jetzt darüber, dass sie bestohlen worden war. Und das ausgerechnet so dicht vor seinem Unterschlupf!

    Nun, immerhin schien sie recht genau zu wissen, wer sie erleichtert hatte. Dass sie am Ende noch ihn verdächtigte, hätte ihm gerade noch gefehlt. Im schwachen Licht, das durch den Abfluss der Straße oberhalb hereinfiel und seinen Augen einen leicht gelblichen Glanz verlieh, konnte er die Dame näher betrachten. Sie war viel zu gut für diese Gegend gekleidet und er war sich recht sicher, dass sie mit ihren anmutigen Formen den gängigen Schönheitsidealen recht nahe kam.

    “Schneeflocke kann Euch den Weg nach oben zeigen“, bot er aus der Dunkelheit der unförmigen Öffnung heraus an, um dieses Frauenzimmer, das so viel unliebsame Aufmerksamkeit auf sich zog, loszuwerden. Der Weg zum Nachtmarkt war eine andere Sache. Manchmal bekam jemand trotz aller Vorsicht das Gerücht eines Gerüchts mit und versuchte den geheimen Umschlagsplatz auf eigene Faust zu finden. Wenn er nun einem edlen Fräulein, das die Langeweile in die Katakomben gelockt hatte, zu viel verriet, würde man dort keinen Spaß verstehen. Zu viel Risiko für seinen Geschmack…

  • Die Gestalt der Cath'shyrr spannte sich. Wie eine Katze, die sich zum Sprung bereit machte. Das letzte, womit sie gerechnet hatte, war eine Antwort auf eine Frage, die an sich selbst gerichtet gewesen war. Die Mandelaugen zu Schlitzen verengt sah sie sich um? Woher war die Stimme gekommen? Die Ohren gespitzt lauschte sie auf jedes Geräusch. Das Plätschern im Fluss förderte eine Ratte zu Tage. Aus dem unförmigen Loch in der Ziegelwand drang ein leises Kratzen. Vermutlich ein weiterer Nager.


    "Schneeflocke?" Tiefe Falten furchten Maidas Stirn. "Wer ist Schneeflocke? Und wer seid Ihr, dass Ihr Euch nicht zu zeigen wagt?"

  • “Bin lieber allein“, brummte der kleine Mann. Hier in seinem eigenen Reich klang seine Stimme etwas fester als an der Oberfläche oder an etwas belebteren Orten. Dennoch merkte man ihr an, dass er versuchte sie etwas tiefer und volltönender klingen zu lassen, als sie eigentlich war. “Fange hier die Ratten, kann keinen Lärm gebrauchen.“ Verstand die Katzenfrau denn nicht, dass sie weggehen sollte. “Schneeflocke wird Euch gefallen. Ist ein guter Kater, hilft mir. Er kennt den Weg. Muss ihn nur rufen, dann zeigt er Euch wie ihr zur Oberfläche gelangt.“

    Misstrauisch beäugte Klivv die Frau. Diese schien inzwischen anhand seiner Stimme eine recht gute Vorstellung zu haben wo er sich befand, er glaubte jedoch nicht, dass sie ihn in der Dunkelheit entdeckt hatte. Vielleicht würde sie ja seinem Rat folgen und die Kloake hinter sich lassen. Nur die wenigsten kamen freiwillig hier her und kaum jemand wagte es über die Brücke aus Spinnweben auf seine Seite. Doch manchmal schienen die Leute die ungute Angewohnheit zu haben, genau das zu tun, was er nicht von ihnen wollte.

  • Zwischen dem denkwürdigen Besuch im Schloss Imarkar und dem neuerlichen Gang zur Pfandstube


    Kaum war Klivv in das Dunkel der unterirdischen Gänge eingetaucht, vollzog sich mit einem geflüsterten Wort und der Überzeugung, dass ihn niemand beobachtete, eine bemerkenswerte Verwandlung. Seine geduckte Gestalt straffte sich und einen neues Funkeln mischte sich in seine dunklen Augen. Trotz des fehlenden Lichts setzte er seinen Weg erhobenen Hauptes und mit fast tänzerischer Anmut fort. Flinken Schrittes ließ er die breiten sauberen Tunnel des Adelsviertels zurück und gelangte bald in ältere, staubigere und tückischere Teile des Untergrunds.

    Auf verwinkelten Pfaden gelangte er schließlich in seine Kanalisation und mit der Spinnenbrücke wäre der Weg fast geschafft. Vor Freude aus dem Nest des Adels heil entronnen zu sein, hatte er das stinkende Bündel, das schwer in seiner rechten Hand ruhte, fast vergessen. Der Balanceakt über den braunen Fluss rief ihm jedoch jede Last, die er mit sich führte, in Erinnerung. “Pferdeäpfel“, knurrte er und verzog das Gesicht. Obwohl er die Reittiere, wie fast alle Kreaturen durchaus zu schätzen wusste, sah er in ihren Hinterlassenschaften einen Fluch der Städte. Wo zu viele Rösser auf enge Straßen begrenzt waren, blieb stets mehr zurück als sich beseitigen ließ, und bildete den Nährboden für Krankheiten und Seuchen…

    So etwas wollte er sich nicht ins Haus holen und deshalb setzte er das Paket vor seiner Kammer ab, ehe er darin verschwand. Kurze Zeit später kehrte er mit einem Nachttopf aus billigem Blech, in dem Kleinkram schepperte, zurück. Eine Kerze aus billigem Talk, deren schmutziges Licht sich gelb in seinen Augen spiegelte und die er einer Leuchtmuschel jederzeit vorzog, wurde auf einem Geröllbrocken befestigt. Dann band er sich ein Tuch aus grober grauer Seider vor Mund und Nase, streifte sich Handschuhe aus Rattenleder über und öffnete endlich das Bündel. Im schwach flackernden Licht begann er nun mit seinem Werkzeug – eigentlich waren es nur kleine Knochen – die Pferdeäpfel zu zerlegen. Es gehörte sich nicht in der Post anderer Leute zu wühlen, doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass es ihm in diesem Fall niemand übel nehmen würde.

    Mehr als eine Münze, deren goldener Glanz vom Dreck gedämpft wurde, kann dabei jedoch nicht zum Vorschein. Mit seinen Knöchelchen schob Klivv das Geldstück in eine kleine Schale, die einen beißenden Pflanzensud enthielt, und beförderte den Rest in den Nachttopf. Das Atemtuch und die Handschuhe schob er ein, die Kerze nahm er mit in seiner Kammer, den Rest ließ er erst einmal stehen.

    Drinnen wusch er sich mit einer Handvoll des wertvollen Wassers, das er von weither holen musste und suchte noch ein zwei Sachen, die er in kleinen Beuteln aus Rattenfell verstaute, zusammen. Ein Dukat in dem einen und eine kleine helle Figur in den anderen. Damit hatte er sein Werk für heute wohl verrichtet und legte sich hin um noch etwas zu schlafen ehe sich die Dunkelheit erneut über die Oberfläche senkte.

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