Dunkle Absprachen

  • - Das Haus des ewigen Feuers -


    Das letzte Schimmern der Kuppel war verblasst und überall in den Straßen begannen die Lichter der Zaubermuscheln aufzuflackern. Noch immer hing die Wärme wie eine Dunstglocke über der Stadt, doch nun würde es rasch erträglicher werden. Ascans Flug näherte sich bereits seinem Ziel und der Anblick des Tempelturms, von dem aus Narions Feuer wie ein rotes Auge über die dunkle Ruine blickte, rief einige Erinnerungen wach.


    Wo der Umriss des Syreniae bei Tage kaum zu übersehen war, wurde er bei Nacht nahezu unsichtbar, sodass Ascan diesen Vorteil noch dazu nutzte, einmal über der Ruine zu kreisen und nach unerwünschten Zeugen Ausschau zu halten, ehe er nach einigen rauschenden Flügelschlägen auf einem der massiven Trümmerstücke aus Obsidian landete und sich nach der gedrungenen Gestalt des Rattenfängers umsah.


    Das Haus des ewigen Feuers war kein Ort, der viel Gesindel anzog, dennoch zögerte Ascan noch, seine Schwingen anzulegen. Viel mochte sich in seiner langjährigen Abwesenheit geändert haben und man musste kein religiöser Kenner sein, um zu wissen, dass die Anhänger Narions in ihrem Glaubenseifer unberechenbar sein konnten. Ganz besonders hier, in den traurigen Resten ihres einst prachtvollen Tempels...


    Während Ascan die Hand auf den Griff seines Revolvers legte, lauschte er in Richtung des Tempelturms. Es war still, bis auf die fern wirkenden Klänge der Stadt und das gelegentliche Rascheln von trockenem Gras zwischen den Trümmern.

  • Die geborstene Kuppel, die den Weg nach oben hin freigab, ein ganzes Netzt von verwunschenen Gängen und die unheimliche Ruhe, die die Ruine wie ein dicker Mantel umhüllte. Vieles machte den Tempel des Narion, oder was davon übrig geblieben war, zu einem geeigneten Treffpunkt zwischen Rabe und Ratte. Man hätte nicht glauben mögen, wie menschenleer ein Ort, an dem die Feuer niemals erloschen, sein konnte. Vielleicht gab es tatsächlich einen Fluch, der erstickend und schwer wie dichter Rauch auf diesen Gemäuern lastete.

    Klivv störte sich nicht daran. Er hatte nicht vor irgendetwas zu tun, womit er den Zorn eines Gottes auf sich ziehen würde und die Abwesenheit anderer Leute war ganz in seinem Sinne – heute sogar besonders. Durch einen schmalen Riss der einen großen Block aus rot geädertem Marmor teilte, beobachtete er die Ankunft einer weiteren Gestalt durch die Lüfte. Wie schon er, ließ sich auch der Neuankömmling Zeit sicher zu gehen, dass sie unter sich waren. Da auch der Geflügelte nicht verdächtiges zu bemerken schien verließ der Rattenfänger seine Deckung und näherte sich auf leisen Sohlen dem großen Obsidianbrocken, auf dem Ascan sich niedergelassen hatte.

    Eher aus alter Gewohnheit, als um von dem Syreniae nicht entdeckt zu werden, nutzte er dabei die Schatten. “Wollt mich also sprechen“, bemerkte er ohne jedes Grußwort, als er nah genug war um gehört zu werden ohne die Stimme zu heben.

  • Die Stimme des Rattenfängers erklang überraschend, wenn auch nicht unerwartet. Obwohl Ascan all seine Sinne genutzt hatte, war es Klivv dennoch gelungen, sich anzuschleichen. Zufrieden blickte der Syrenia auf die Silhouette des mageren Mannes hinab, der dicht an das wuchtige Bruchstück aus Obsidian herangetreten war, und legte seine Schwingen an. Die Dunkelheit hier unten machte es unmöglich, Details zu erkennen. Nur Narions Flamme weit oben im Turm hob einige Konturen aus der Ruine hervor. So spiegelte sich ihr Widerschein auf den hohen Säulen aus schwarzem Marmor, die noch nicht eingestürzt waren, und eben dort leuchteten die roten Adern im Gestein so intensiv, als flösse bis zum heutigen Tag das Blut des Gottes in ihnen.


    In all den Jahren, in denen sie miteinander zu tun gehabt hatten, war der Rattenfänger nicht ein einziges Mal zu spät oder auf andere Weise unzuverlässig gewesen. Dass er auch heute wie abgesprochen erschien, wertete der Rabe als gutes Zeichen.
    Sich auf den scharf geschnittenen Rand setzend, neigte Ascan sich vor und senkte verschwörerisch die Stimme. „Mehr als das. Erinnerst du dich an den ersten Auftrag, den du für mich ausgeführt hast?“


    Ascan ließ seinem scheuen Spitzel einen Moment Zeit und wartete auf eine zustimmendes Geräusch. Was der Rattenfänger an Wortreichtum vermissen ließ, glich er zumeist durch eine schnelle Auffassungsgabe aus, was Ascan nur zu Recht war. Es war nicht die Zeit für lange Erklärungen, sondern für Abgeklärtheit und schnelles Handeln. Er brauchte Informationen und er brauchte sie so bald wie möglich.

  • Klivv blickte aus kleinen dunklen Augen zu seinem Auftraggeber aus alten Tagen auf. Er war klein und hätte daran gewöhnt sein sollen, trotzdem schätzte er die Art wie ihn die erhobene Position des Geflügelten zwang seinen Kopf noch weiter als gewöhnlich in den Nacken zu legen, nicht besonders. “Die Rattengeschichte, erinnere mich.“ Wer glaubte diese Antwort sei zu vage gehalten – schließlich hatten Nager damals gerade einmal eine untergeordnete Rolle gespielt – der irrte sich. Nach Klivvs Maßstäben war das fast schon ein Redeschwall und die beiden einsamen Gestalten an diesem verwunschenen Ort wussten das.

    Sollte der Rabe diesmal eine ähnliche Aufgabe für ihn haben, war diese wohl nicht weiter schwer auszuführen. An ein paar Ratten zu kommen, war nun wirklich kein Problem. Dennoch war ihm der daran Gedanke nicht sonderlich angenehm. Das war wohl auch der Grund, weshalb das Nicken, mit dem er schloss, etwas zögerlich kam. Oder es war die Atmosphäre dieses unwirklichen Ortes, die nicht einmal ein Kind der Schatten unbeeindruckt ließ. Jahrhunderte alte Geschichte lag wie eine dicke Staubschicht auf der Ruine und wer Wind schien ein trauriges Lied zu singen.

  • „Es geht um dasselbe Spiel. Dieses Mal dreht es sich jedoch nicht um einen Gegenstand, sondern um Informationen. Das dritte Haus an der Falkenaug-Allee liegt am Übergang zwischen Händler- und Adelsviertel und wird von zwei Erdmagiern bewohnt. Du schaust dich nur nach Hinweisen um, die darauf schließen lassen, wo sich die beiden in nächster Zeit aufhalten könnten, mehr nicht“, erklärte Ascan seine Absichten. „Je wertvoller und genauer die Hinweise sind, desto mehr werden sie mir wert sein. Es ist Eile geboten und in dieser Sache spielt Gold für mich keine Rolle.“


    Ascans Blick löste sich von den Schatten unterhalb des Obsidianblocks und schweifte durch den zerstörten Tempel. In Gedanken war er bereits bei seinen nächsten Schritten. „Niemand bringt dich mit dem in Verbindung, was danach geschieht. Dafür sorge ich“, fügte er dunkler hinzu. „Zu wann hast du eine ausreichende Menge der Biester gefangen?“

  • „Adelsviertel“, spuckte Klivv aus. Nun, da es nur der Übergang war, würde er es wohl über sich bringen dort auf Rattenfang zu gehen – zumal es kein richtiger sein würde. Dennoch, an Ende hinterließ er die Häuser in die man ihn rief stets frei von diesen Nagern und so würde es auch in diesem Fall sein. „Gold spielt auch für mich keine Rolle.“ Die Stimme des kleinen Mannes enthielt eine Prise Trotz und legte nahe über ein anderes Angebot nachzudenken. Er hatte nach dem Verschwinden des Raben andere Kontakte geknüpft – knüpfen müssen – und sich weitere Einnahmequellen erschlossen. Natürlich kam er auch weiterhin mehr schlecht als recht mit anderen Zweibeinern zurande und wurde an vielen Ecken und Enden über den Tisch gezogen, doch was blieb reichte ihm und mit Reichtum konnte er nichts anfangen.

    „Die Zeiten ändern sich. Nicht nur Ihr habt Euch verändert. Biester müssen nicht mehr gefangen werden, habe genug davon. Ein Dutzend, zwei? Kann sie holen – jetzt.“

  • „Zwei Dutzend”, antwortete Ascan und man konnte ihm anhören, dass er erfreut war, von dieser nützlichen Neuerung zu erfahren. „Immerhin wollen wir nicht riskieren, dass sie übersehen werden.“
    Sein dunkles Schmunzeln hing für einen Moment in der Luft, während er den schmächtigen Rattenfänger musterte. „Bring sie mir genauso verschnürt wie damals. Ich werde hier warten.“ Es schien sich tatsächlich einiges geändert zu haben, was Klivv betraf. Dessen trotzige Antwort in Bezug auf das Gold war dem Syreniae nicht entgangen, sodass Ascan sich noch etwas weiter auf der Kante vorneigte und seiner Stimme einen wärmeren Klang verlieh. „Was immer dir fehlt, wenn nicht Gold... ich bin sicher, dass es sich beschaffen lässt. Sag mir einfach, was es ist.“


    Lauernd sah er in die Schatten hinab und hoffte, dass es nichts sein würde, das ihn mehr Zeit kostete als das Attentat auf die Magier selbst. Zu seiner Zeit als Rabe hätte er weniger Skrupel gehabt, sich zum Schein auf einen Handel einzulassen. Nun jedoch war jedes Abkommen einem Versprechen gleichzusetzen, aus dem er sich nicht herausreden konnte.

  • „Zwei Dutzend sollen’s sein“, bestätigte Klivv mit einem knappen Nicken und schien kurz zu überlegen. “Verlange nichts, was Ihr nicht für Euer Gold kaufen könnt“, versicherte er schließlich. Doch dem Geflügelten würde man wohl für die gleiche Anzahl an Münzen mehr verkaufen und so war, was dem Rattenhändler vorschwebte, für beide Seiten ein guter Handel. “Einrichtung für mein Labor hätte ich gern – richtige Einrichtung. Die Biester gewöhnen sich an alles. Immer kompliziertere Gifte muss ich mischen.“ Und auch der Bedarf an anderen Gütern stieg, doch zu sehr musste man nun auch nicht ins Detail gehen.

    “Wird eine Weile dauern“, erwähnte Klivv noch zur Sicherheit. Doch auch wenn Ascan nie in seiner Höhle gewesen war, hatte er wohl zumindest eine grobe Vorstellung, wo sie sich befand und konnte den Weg und die Dauer abschätzen. Dann war der kleine Mann auch schon hinter einem der schwarzen Marmorblöcke verschwunden.

    Irgendwer hatte große Mühen auf sich genommen die Tunnel unter der Ruine wieder gangbar zu machen. Solange ihn diejenigen nicht daran hinderte sie zu nutzen, fragte Klivv nicht danach, wer es gewesen war. Tiefe Risse durchzogen die einzige Pracht dieser Katakomben, Geröll war an beiden Seitenwänden aufgetürmt und die Decke wurde von morschem Holz gestützt. Dennoch hielten sie bereits seit Jahrzehnten und dem Rattenfänger war dieser Weg weit lieber, als der über die Oberfläche.

    Nach einer Weile erreichte er weniger prunkvolle und zugleich weniger baufällige Gänge, folgte ihnen bis in die Kanalisation, die an sein Zuhause grenzte. Dort angekommen machte er sich daran die Ratten den Erfordernissen entsprechend auszuwählen und vorzubereiten. Für dieses Vorhaben griff er nur zu männlichen und bevorzugt zu alten Tieren. Diese waren zum einen für die Zucht entbehrlich und würden es ihm zudem erleichtern das Haus hinterher wieder Rattenfrei zu bekommen. Demselben Zweck diente auch die dunkelrote Flüssigkeit, von der er jedem Nager drei Tropfen einflößte, bevor er ihn nach den Vorgaben des Geflügelten band: Schnauze, Vorder- und Hinterbeine fest verschnürt, damit sie möglichst wenig strampeln und sich auf keinen Fall freibeißen konnten. Und doch war der dünne Riemen mit einer Hand, mit einer Bewegung, zu entfernen.

    Zum Schluss packte er die kleinen pelzigen Bündel in einen großen Beutel und nutze die Gelegenheit um noch einmal nachzuzählen. Mit einem zufriedenen Nicken schulterte er schließlich seine Last und eilte mit hastigen Schritten davon, um wieder vor Ascan zu stehen ehe der Tag anbrach.

  • Eine Laboreinrichtung. Das bittere Lächeln, das sich auf Ascans Gesicht ausbreitete, blieb im Dunkeln verborgen. Kaum war Klivv verschwunden, kroch erneut Grabesstille in die Tempelruine und der Geflügelte hatte Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen.
    Was hatte er den Göttern nur getan, dass sie ihn mit derlei Zufällen straften? Wie naheliegend es wäre, Sel bei der Beschaffung der entsprechenden Instrumente um Rat zu fragen... wenn nicht allein schon die Vorstellung ihn erschaudern ließe. Vielleicht, wenn er das Thema beiläufig anschneiden würde...
    Ascan schüttelte den Kopf. Wie beiläufig konnte man sich nach dem Handwerkszeug eines Giftmischers erkundigen?


    Als schnelle Schritte die Rückkehr des Rattenfängers ankündigten, war der Rabe um viele Vorgehensweisen, doch um keine optimale Lösung schlauer. Sich aufrichtend und auf einen der niedrigeren Trümmerbrocken springend, streckte Ascan seine Hand fordernd dem schlanken Flügellosen entgegen. Sobald er die verschnürten Ratten erhielt, würde er sich auf den Weg zum Anwesen der zwei Magier machen.
    Je früher diese abscheuliche Mission über die Bühne war, desto eher konnte er Nir'alenar für immer den Rücken kehren und Kyleja fern von all dem bleischweren Übel wissen, das er sich in dieser Stadt angehängt hatte.

  • Zwei Dutzend Ratten waren eine ziemliche Last und so atmete Klivv schwer, als er erneut im Tempel auftauchte. Außerdem war er recht froh darüber den Beutel so schnell an den Geflügelten abgeben zu können. “Die Rattenjagd wird wohl drei Tage dauern. Während dieser Zeit halte ich Augen und Ohren offen.“ Das Gift, das er selbst verabreicht hatte, machte die Sache gut planbar – sofern es vor Ort nicht bereits Ratten gab – und sorgte zudem dafür, dass die Ratten etwas unvorsichtiger und langsamer sein würden oder anders ausgedrückt: Sich sehen lassen würden. „Sollen wir uns an den Abenden treffen? Hier?“ Die Information wollten schließlich nicht nur beschafft sondern auch ausgetauscht werden.

  • Den Beutel mit den verschnürten Ratten an sich nehmend, lauschte Ascan der kurzen Erläuterung des Rattenfängers. Wenn alle seine Spitzel damals so zuverlässig und präzise gewesen wären, hätte er bedeutend weniger Scherereien gehabt. Er wusste, warum er Klivv als Einzigem zutraute, diesen Auftrag reibungslos abzuwickeln.
    „Abgemacht. Wir treffen uns hier, jede Nacht jeweils eine Stunde später“, besiegelte Ascan das mündliche Abkommen. „Je früher ich etwas erfahre, das mir weiterhilft, desto eher kommst du an dein Labor“, fügte er im Plauderton hinzu, während er seine Flügel öffnete.


    Bevor er sich jedoch aufschwang und den Dingen seinen Lauf ließ, wie er es als Rabe stets getan hatte, blickte er noch einmal zum Rattenfänger und erklärte dunkel: „Pass auf dich auf. Es wäre ein Jammer, wenn mein letzter auch dein letzter Auftrag wird.“
    Mit dieser Warnung sprang Ascan wieder auf den höheren Absatz, stieß sich von dort ab und ließ er den alten Verbündeten im Dunkel unter sich zurück. Sicher brauchte der Rattenfänger keine Mahnung, um vorsichtig zu sein, doch ohne es sich recht erklären zu können, hatte Ascan den Eindruck, dem stillen Einsiedler zumindest soviel für seine Treue schuldig zu sein.


    Die kargen Umrisse der Ruine verblassten schnell und während er die Flugroute in Richtung Waisenhaus ausrichtete, kreisten seine Gedanken um die Beschaffung hochwertiger Laborutensilien.

  • Als das leise Knirschen unter Klivvs Sohlen abermals die verwunschene Stille des Tempels durchbrach, lag ein arbeitsreicher Tag hinter ihm. Noch dazu ein Tag an der Oberfläche. Schon im Morgengrauen war er unterwegs gewesen, hatte an Dienstboteneingängen geklopft und verrücktes Zeug erzählt. Und das obwohl reden so gar nicht seine Art war. Um unterirdische Rattenschleichwege war es dabei gegangen und das riesige Nest, auf das die Bewegungen dort hinweisen würden.

    Dennoch war es schon unangenehm hell, als endlich eine hysterische Dienstmagd auf ihn zugerannt kam und noch ehe er sich daran erinnerte, dass er ihr ja freiwillig folgte, zerrte sie ihn in das Gemäuer, das es zu infiltrieren galt. Drinnen wurde die löbliche Vorliebe der Hausherren für gepflegtes Halbdunkel recht schnell offenkundig und selbst den alltäglichsten Gegenständen haftete dieser Hauch des Geheimnisvollen, den man nur im Heim eines Magiers findet, an.

    Der kleine Mann hatte jedoch keine Augen dafür. Er hatte rattenfängerische Routinearbeiten zu verrichten und selbstverständlich führte ihn diese in jeden Raum und jeden Winkel des Gebäudes. Dabei bekam er fast so oft einen der huschenden Schemen zu Gesicht, wie einen der Dienstboten. Diese schienen sich im Angesicht der pelzigen Plagegeister irgendwo verkrochen zu haben, wo selbst Klivv sie nicht fand.

    Ganz anders das heimische Geschwisterpaar: Die Beiden arbeiteten in ihrer Hexenküche und schienen von all der Aufregung nichts mitzubekommen. Erst gegen Abend, als einer der Dienstboten sich aus seinem Versteck wagte um den Herrschaften mitzuteilen, dass eine Madame Pomjeé eingetroffen sei, witterte Klivv seine Chance auch diesem Raum auf den Grund zu gehen. Nicht etwa, weil seine Neugier geweckt worden war, denn dazu hätte er sich zumindest eine Unze für seine Mitmenschen interessieren müssen, sondern aus Pflichtbewusstsein.

    Zu seinem Leidwesen lungerte noch immer der Diener in der Nähe herum und belehrte ihn mit schneidender Stimme, dass er in diesem Zimmer nichts zu suchen hätte, es aber ohnehin nicht betreten könne, da ein siebenfacher Schutzkreis darauf läge. Nicht einmal die kleinste Maus, so wollte es der gestriegelte Lakai wissen, könne da hindurchschlüpfen und eine Ratte schon gar nicht.

    Davon war Klivv zwar nicht zu überzeugen, da Nager seiner Erfahrung nach – und er hatte viel Erfahrung auf diesem Gebiet – überall hindurchschlüpfen konnten, er widersprach aber auch nicht. Hätte er jetzt zu hartnäckig an seinem Plan festgehalten, wäre es nur verdächtig gewesen und auch darin, dass die Magier ihr Loch verlassen hatten, lag eine Chance. Also zog er in die Richtung, in der er die Herrschaften vermutete, ab und musste sich, als er erneut auf einen huschenden Schatten stieß, daran erinnern, dass er gar nicht hier war um zu schnell mit seiner Arbeit fertig zu werden.

    Kurz darauf hörte er auch schon die Stimmen der Geschwister und einer weiteren Person, bei der es sich um die Madame – wenig wusste Klivv davon, dass sie die vielleicht angesehenste Näherin der Stadt war – handelte. Dafür durfte er jedoch den Hauch von Goldgeflecht, Perlmutt und schmaler Bahnen grüner Seider bewundern, der an zwei lebensgroßen stilisierten Puppen aufdrapiert war und in dem von zu vielen Kerzen erleuchteten Raum nur so schimmerte. Dabei handelte es sich – wie Klivv aus dem Mund Pomjeés persönlich erfuhr – um den König der Tritonen und seine Gattin. Exklusiv selbst bei so einem erlesenen Anlass, wie dem Ball eines Adeligen, mit dessen Namen der Rabe sicherlich mehr anzufangen wusste, als ein Kammerjäger.

    Dieser wollte sich gerade diskret zurückziehen, als ein pelziges Etwas das der Schneiderin einen spitzen Schrei entlockte, ihn genau das Gegenteil tun lies. Rein instinktiv warf er eines der bleiernen Geschosse, von denen er immer ein oder zwei in der Tasche hatte, nach dem Biest. Das ging schneller als die Schleuder zu bemühen und brachte die Ratte zumindest in diesem Fall genauso zur Strecke. Aus irgendeinem Grund, den er nicht recht verstand, erntete Klivv für diese Tat fast ebenso viele anerkennende Blicke wie zuvor Pomjeé für ihre Kostüme. Seiner Meinung nach verdiente nichts von beidem Beifall, das Werk der Näherin schon gar nicht.

    “Wollte nur sagen, dass überall Giftköder ausgelegt sind“, nuschelte er und brachte die tote Ratte wie einen Talisman an sich, ehe noch jemand auf die Idee kam ihm beispielsweise durch ein Schulterklopfen Anerkennung zu zollen. „Komm dann in zwei Tagen wieder, um die Viecher einzusammeln.“ Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt, um das Anwesen beinahe fluchtartig zu verlassen. So wie er die Sache einschätzte hatte er sich bereits eine ganz passable Laboreinrichtung verdient…

    Und nun also, nachdem er das Kunststück vollbracht hatte die Ereignisse des Tages in nur drei knappen Sätzen zusammenzufassen – auch wenn dabei einige aufregende Details verlorengegangen waren – wartete er auf das Urteil seines Auftraggebers, der vor ihm auf einem Block schwarzen Marmors thronte.

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