Unübertroffener Übermut

  • Schweigen in der Fülle, verklingt der Ruf, zergeht die Melodie in den Elementen, die ihr Spiel spinnen. Das Meer, das Meer ... winselt es weiter durch seinen Körper, wie ein bissiger Hagelschauer, durchlöchert es seinen Widerstand, seinen Widerspruch ... dein Auflehnen wird scheitern! Es echot zurück und klirrt, perlt ab ... er weiß nicht mehr, wo er beginnt, wer das Ende ist ... die Masse wird zäher, Tropfen fliegen in sich erstarrt um ihn herum ... ist er in Sicherheit?... glitzernde Perlen in den Hallen der Zeit ... nicht! schreit I'seidon wieder, doch was meint er? Die Hitze, der Schmerz gar, der sich an allem reibt?


    Das schwarze Gesicht mit den weißen Augen bricht aus, lautloses Geheul aus verzerrter Form. Unbeirrt formt er eine Hand, kämpft sie durch die Fülle, die geworden ist und stößt die Göttin von sich, von ihnen, von Mallalai, stößt sie aus dem Meer, der Fülle, die Welt schwankt.
    NEIN! brüllt er wieder, Rauschen, Mallalais Pein, Tehanus Seufzen, eine Klauenhand greift hinaus, berührt die blasse Wange, die Tränennasse ...


    Mallalai sieht die Oberfläche über sich glitzern, er sinkt, er begreift nicht, wehrt sich gegen das Brennen, Schwimmhäute vor den Augen.

  • Bald ließ das Licht der Muschel keinen Zweifel mehr zu. Freude und Bestürzung mischten sich in I'seidons Augen, denn es sprach für sich, wie sein Freund im Wasser trieb.
    Schon hatte er Mallalai erreicht und fasste ihn an der Schulter, richtete ihn auf, sodass er ihm ins Gesicht sehen konnte. Bleich. Kein anderes Wort wäre treffender gewesen. Und die schwarzen Haare seines Freunden, die zwischen sie trieben, unterstrichen diesen Eindruck nur noch.


    Mallalais Augen waren geöffnet, doch er schien nichts um sich herum zu sehen. "Wach auf, Mallalai!"
    Schon im Begriff, ihn an der Schulter zu rütteln, spürte er, dass etwas nicht in Ordnung war mit der Art, wie sich die Muskeln an der Stelle anfühlten. I'seidon beleuchtete die Stelle und zog scharf Wasser zwischen den Kiemen ein. Das... musste wehtun.
    Er entdeckte noch mehr, als er den Arm hinableuchtete. Der Ellenbogen sah verändert aus und I'seidon erstarrte kurz bei der Vermutung, sein Freund könnte sich den Arm gebrochen haben. Das hieß... das hieß... dass er was finden musste, um die Bruchstelle zu fixieren. Soweit reichte sein Wissen, doch was die Schulter betraf, musste er sich etwas einfallen lassen.


    Vor allem anderen jedoch, mussten sie Abstand zwischen sich und den Wasserfall bringen, in den der Strudel gemündet hatte. I'seidon schwamm in enger Bahn um seinen Freund herum, ihn weiter stützend und legte schließlich dessen gesunden Arm über seine Schultern.
    Die meiste Kraft forderten die ersten Schwimmzüge. Das Gewicht Mallalais an seiner Seite war unerwartet sperrig. I'seidons Puls schnellte nach oben. Das war... verflucht anstrengend. Trotzdem schwamm er verbissen weiter und redete dabei aufmunternd auf sein Frachtgut ein, in der Hoffnung, dass ein paar der belanglosen Wörter zu Mallalai vordringen würden.


    Unbewusst kehrte I'seidon zu dem Punkt zurück, an dem er die Zaubermuschel gefunden hatte. Die Schräge bot sich an und vorsichtig ließ er seinen Gefährten von sich auf den Fels gleiten.


    Die Schulter sah immer noch übel aus. Natürlich tat sie das! I'seidon schüttelte den Kopf, ob der kindlichen Hoffnung, dass die kurze Strecke Weg etwas daran geändert haben könnte. Vorsichtig tasteten seine schlanken Finger über die breiten Muskeln. Wenn die Schulter wirklich verrenkt war, könnte man sie einrenken...


    Das hatte er gehört... doch zu wissen, wie er das anzustellen hatte... das war etwas anderes. Zur Antwort zitterten seine Finger. Er wollte nichts noch schlimmer machen... sollte er warten? Aber wenn er jetzt etwas tat, bevor Mallalai zu sich kam, würde der den Schmerz vielleicht überhaupt nicht spüren...
    Die Gedanken wirbelten hinter seiner Stirn und I'seidon knirschte mit den Zähnen. All diese Zweifel! Das brachte ihn nicht weiter!


    Kurzentschlossen griff er vor, schloss die Augen und presste seine Hände mit abrupten Druck auf die Stelle, die er eben zu fassen bekam. Es knackte, sodass er meinte, es selbst zu spüren. Die Zähne des jungen Mira'Tanar schlugen zitternd aufeinander. Vorsichtig öffnete er erst ein, dann das andere Auge.
    Begutachtete; inspizierte ängstlich den angerichteten Schaden.


    Schaden? Er blinzelte verblüfft ... es sah gut aus. Er hatte es richtig gemacht?
    Fast noch erschrockener als zuvor, wich er zurück, schwamm schnell herum und begann gedankenlos damit, weitere Zaubermuscheln einzusammeln.
    Es hätte genausogut schiefgeben können! Er war so ein KIND!

  • Schmerz schlug mit der Kraft einer wütenden Welle zu, nahm ihn mit sich hinauf, um ihn auszuspucken, während er hilflos hin und her gewirbelt wurde. Der gepresste Schrei, den er hörte war sein eigener, der ein dunkles Bild mit sich brachte. Sein Blick verlor sich in der Höhe, beständig nachfühlend, wie die Brandung in seiner Schulter abebbte. Seine Lippen, die eine schmale Linie gebildet hatten, begannen zu zittern, während Wasser in einem steten Rinnsal zwischen ihnen hervor rann.


    „Oh I’seidon“, flüsterte Mallalai durch das Wasser, bevor er zu kichern begann, den Rest durch die Kiemen freigab. „Wir haben es geschafft.“ Erst dann sah er zur Seite auf das bekannte Gesicht, voller Erleichterung, da die Erinnerung wieder sein war, bevor er sich dann doch seitlich zusammenrollte und kurz nachgab, was da in ihm tobte. Ausatmen. Aufsetzen. Kraft sammeln.


    „Du siehst schrecklich aus.“ Er lachte sein warmes Lachen, dann folgte ein Stöhnen. „So wie ich mich fühle.“
    Beobachtend streckte er den Arm aus, öffnete die Hand, es knirschte in seinem Ellenbogen, der langsam anschwoll. „Verdammt!“ zischte Mallalai erbost.

  • I’seidon legte die gefundenen Zaubermuscheln ab und ließ sich neben Mallalai auf den steinigen Grund sinken. Er sah zu seinem Freund rüber.
    „Wie geht’s deinem Arm?“


    Das Licht, das von dem kleinen Haufen Lichtmuscheln ausging, war bereits so hell, dass I'seidons eine Gesichtshälfte geisterhaft schimmerte, während die andere im Schatten verschwand. Was hatte er gesagt?


    Er sah schrecklich aus? Schrecklich?


    Obwohl er ernst bleiben wollte, brach ein Lachen übermächtig hervor; überschwappte ihn förmlich. I’seidon lachte, hielt sich den Bauch und schluckte glucksend Wasser. Der Lachkrampf trieb ihm Tränen in die Augen. Er kniff sie zusammen. Es war längst nicht mehr witzig, doch der junge Mira’Tanar konnte nicht aufhören. Kaum gelang es ihm zwischendurch Atem zu schöpfen.


    Der Schock saß tief und er schüttelte ihn im Lachen, wie es zuvor der Strudel getan hatte. Blindfisch, Blindfisch, das Monster hat dich gefressen!


    Wiederholt pressten sich seine Organe unter einer Lachattacke zusammen. Es… tat weh!
    Aufhören!

  • Bevor Mallalai überhaupt antworten konnte, reagierte I’seidon; es überkam den jungen Mira’Tanar unerwartet heftig, wie Mallalai fand, dessen Gesichtausdruck einen gequälten Ausdruck annahm. In welche wahnwitzige Situation hatte er sie gebracht, womöglich war er nicht einmal im Stande I’seidon sofort wieder hinaus zu bringen, unfähig ihn zu beschützen. Natürlich zweifelte er keineswegs daran, dass dieser See von frischem Wasser gespeist würde, doch wie groß waren die Zuflüsse? Befanden sie sich überhaupt noch in Ya’tanai? Die Grenzen waren nicht weit gesteckt … Doch anscheinend brauchte jener zuvor eine … kleine … Ablenkung, bevor er vollendet in seinem Lachen ertrank.


    Mallalai presste seinen verletzten Arm fest an den Körper, kurz musste er schmunzeln, wie aberwitzig ihre Situation wirklich hinter der ernsten Fassade war … sie waren denkbar die ersten Meeresbewohner, die freiwillig in das Maul gesprungen waren, sie hatten den wortwörtlichen atemberaubenden Fall mit dem Wasserfall erlebt und vor allem überlebt – nur unerheblich weniger Wasser und … Mallalai schloss die Augen. Wenn er Zeit hatte, würde er sich darüber freuen, obgleich – warum nicht jetzt? Er war keineswegs gegen die unterirdische Schönheit der Höhle imun.


    Dann schnellte er nach vorne, gab dem Wasser einen Stoß mit der flachen Hand und eine satte Menge Nass übergoss I’seidon in Form einer seichten Welle, in der Hoffnung, dass es genügen würde. „Komm zu dir!“ und bereute es sofort.

    Crawling in my skin
    These wounds they will not heal
    Fear is how I fall
    Confusing what is real

    Einmal editiert, zuletzt von Mallalai ()

  • Die unerwartete Welle ließ ihn zur Seite kippen. I’seidons Körper zuckte noch für wenige Augenblicke, dann seufzte er und merkte, dass sein Blut nun leichter durch seine Venen strömte.
    Der Mira’Tanar setzte sich auf und sah sich wiederholt um. Etwas mehr als eine Körperlänge über ihnen lag die Wasseroberfläche.


    „Wir sollten nach einem Ausgang suchen“, murmelte er und sah Mallalai an. Ein Stich ging durch seine Seite und er legte die Hand auf die schmerzende Stelle an seiner Hüfte. Verwundert merkte er, dass seine Hose dort aufgerissen war. Er drehte sich weiter zum Licht. Seine Augen weiteten sich.


    Der Riss war tief, sah übel aus und noch immer trat eine feine Wolke Blut hervor.


    „Na toll“, grollte er und gab sich Mühe, das mulmige Gefühl zu ignorieren. Seltsam, dass er so gut wie keinen Schmerz spürte. Zur Antwort bekam er einen weiteren Stich, der den ersten in den Schatten stellte.


    Da musste er wohl durch. Den begleitenden Stich ignorierend, schwamm er von seinem Platz auf. „Die Muscheln markieren den Treffpunkt. Wir sind schneller draußen, wenn wir getrennt suchen.“ I’seidon griff sich eine der leuchtenden Muscheln, in deren Lichtkreis seine Haare fast ebenso hell schimmerten.

  • "Du hast Schmerzen", stellte Mallalai beklommen fest, besorgt, dass er nicht alles hatte abhalten können. Doch I'seidons Augen waren nicht getrübt, was für ihn ein gutes Zeichen darstellte und vor allem konnte der Elf noch Pläne schmieden. "Lass mich sehen ..." Wenn es tief war, sollten sie noch ein wenig ruhen, denn auch ihm war in diesem Augenblick nicht nach einer verzweifelten Suche zumute. Ein paar Stunden mehr oder weniger in diesem Loch, oh ja, Geduld hatte er gelernt ... er beugte sich nach vorne, trieb ein wenig zur Seite, sah bereits das kostbare Nass, im sanften Schein der Muscheln, sich als dunklerer Schatten bewegen. "Hab ein wenig Geduld, bis die Blutung aufhört, vielleicht vermag ich einige blutstillende Pflanzen zu finden --" er holte sich einen großen Schwall Wasser durch die Kiemen, "schließlich will ich keine Haie auf meiner Spur."


    Fest, aber bestimmt, griff er nach I'seidons Schulter, zog ihn zurück. "Hier geblieben!" Sturer Mira'Tanar, das ergab keinen Sinn. Sein Finger zeigte auf die schmale Brust. "Nicht bewegen."
    Mit einer Hand kramte er in seinem Beutel nach einer der Schnüre, die er meist bei sich trug. Sein Gesicht verzog sich ein wenig, als er sie I'seidon zeigte. "Nimm sie und binde mir den unbrauchbaren Arm an den Körper, er würde mich nur behindern." Dann machte er sich auf alles gefasst.

  • „…schließlich will ich keine Haie auf meiner Spur.“


    Die Farbe wich aus I’seidons Lippen, sodass sie kaum mehr als zwei harte, blassblaue Linien formten. Widerstandslos ließ er sich zurückziehen, nahm die Schnur schweigend entgegen und umklammerte sie mit seinen schmalen Fingern.


    „Diese Wunde ist mein Problem“, murmelte er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen. Den Blick auf die Schnur gesenkt, fügte er hinzu: „Wenn jemand suchen sollte, bin ich es. Hier unten gibt es sowieso keine Haie. Die würden niemals lebend durch den Strudel kommen.“


    Mallalai sollte sich ausruhen, anstatt sinnlos hier herum zu schwimmen. Sein Freund hatte genauso Schmerzen, doch sein eigener Körper war schon immer schnell geheilt und das hier war auch nicht mehr als ein etwas tieferer Kratzer.


    „Es hört bestimmt gleich von selbst auf… zu bluten“, versicherte er, den Blick hebend.

  • Mallalai sah ihn liebevoll an. "Es ist nicht nur dein Problem, Is, bedenke, dass ich an deiner Seite bin", die Floskel dann tu es für mich ersparte er sich wohlwissend, er hatte sie selbst nie hören wollen. "Du bist nicht bereit, mich auf die Liste deiner Schuld zu schreiben."


    Nie sollte man sich etwas sicher sein, kam Unerwartetes auch durch die kleinsten Lücken, um den anzuspringen, der sich abwandte, wie die Springflut ein Haus überrollen konnte ... sollte es einen Zufluss geben, würden Haie ihn finden, wenn er tief genug war, wenn es sich lohnte, einer verlockenden Spur zu folgen. "Wenn du wegen Blutverlust ohnmächtig wirst ..." Wahrscheinlich hörte er sich an wie eine Mutter, was ihm ferner nicht liegen konnte. All Argumente verblassten vor dem klaren Blick, der sich ihm nun entgegen hob. Mallalai knirschte mit den Zähnen, seine Hand fuhr unbewußt über die Narbe auf seinem Bauch. Er konnte ihn nicht schützen, nur begleiten und war er nicht selbst ...


    "Welch hervorragendes Vorbild ich doch bin!" rief er aus und grinste schief. Zuversichtlich jetzt:"Aye, wir werden zusammen suchen schwimmen, doch zuerst verbinden wir deinen Schnitt und legen meinen verdammten Arm still."

  • I'seidon lächelte und nickte. Gleichzeitig würden sie sich nach einem Weg nach draußen umsehen.


    Beim Festbinden des Arms gab er sich Mühe, das geschwollene Gelenk nicht zu sehr zu bewegen, doch durch I'seidons Vorsicht dauerte es nur länger, bis es vollbracht war. "Tschuldige", seufzte er, als er seine Hände zurückzog. "Es ist kein Meisterwerk, aber es sollte halten."


    Er berührte den zerfetzten Stoff an seiner Hüfte. Der Riss in seinem Fleisch prickelte schmerzhaft. "Hast du etwa auch Verbandszeug dabei? Wir bräuchten ziemlich viel. Die Stelle lässt sich schlecht verbinden..."


    Die Tatsache, dass der junge Mira'Tanar sein eigenes Blut im Wasser schmecken konnte, schlug sich als seichte Übelkeit in seinem Magen nieder; und die Vorstellung, dass es Mallalai womöglich nicht anders erging...
    Angewidert presste I'seidon das Wasser aus seinen Kiemen.
    Eine wechselnde Strömung milderte den blutigen Geschmack... doch nicht für lange... ging es I'seidon betrübt durch den Sinn.

  • Mallalai nickte starr. Seine Finger gruben sich in seine Schuppen an seinem Bein, hielten sich fest, es würde vergehen, wie alles an einem vorbeizog, irgendwann ... Schlieren vor seinem Blick, tauchten sie in die Tiefen des Meeres und er folgte nur bereitwillig ... dort Wasserpflanzen, die sich langsam bewegen, der Strömung folgen, weiße Fische nah am Boden ... sein Herz wollte die Haut sprengen, doch unbewegt war er, blieb er, kein Muskel angespannt, während er Teil des Wassers wurde, sich auflöste, den Druck an die Tropfen abgebend … schwebend.


    Als er an sich herabsah, umspielte ein erleichtertes Lächeln seine Augen. "Gut gemacht, I'seidon." Schon schüttelte er den Kopf. "Verzeih, nein, das habe ich nicht." Abwägend betrachtete er den Freund, eine Falte barg sich zwischen den zarten Brauen: eine Wolke von Übelkeit umgab I'seidon, hing wie Gewitterwolken über dem Meer, wie Mallalais Vorstellungskraft ihm deutlich bekräftigte. Es war das Blut. Und er hatte es kaum bemerkt, wie rücksichtslos, wie erniedrigend für ihn selbst im Spiegel seiner eigenen Sicht ... gut, denn es grenzte ihn ab von den Yassalar.


    "Drehe du dich in die Strömung, während ich große Blätter finden werde", schmunzelte er zuversichtlich, "bin gleich zurück!"
    Mit gewohntem Schwung glitt er hinaus, wagte nicht ein Zögern zu zeigen, wenn es etwas gab, das es zu erledigen gab, vergessend, dass er nicht, kaum nennenswert, heil war. Mit klarer Sicht suchte Mallalai in dem üppigen Grün, strich mit einer Hand durch die Pflanzen, denn eines würde genügen, wenn es sich denn finden ließe.
    Schnell, dennoch wenig grob, das Leben des Meeres schützend, in welcher Art, es sich auch zu verbergen wusste, pflückte er zwei Blätter der Staude, namentlich genannt Tau des Meeres, quirlartige Fächer, inmitten großen fleischigen Blättern, ihr Saft stob ihm ätherisch in die Nase ... ja!!


    Hilflos besah er sich ... eine Hand mit dem Tau, dort der Schnitt ... fragend sah er zu I'seidon "Ich kann es nicht allein" sagte sein Blick.

  • „Ich muss nicht…!“ rief er Mallalai nach, doch der schwamm schon davon. I’seidon verschränkte gekränkt die Arme vor seiner Brust, nur um sich im nächsten Moment betreten einzugestehen, dass Mallalai wohl deshalb allein schwamm, um den Geruch seines Blutes nicht ertragen zu müssen.

    Deprimiert blies er ein paar Luftblasen zwischen seinen Lippen hervor. Das angenehme Kitzeln brachte ihn rasch auf leichtere Gedanken. Immerhin hatte er ein Lob für das Schnürergebnis bekommen. Ganz nutzlos war er also nicht…


    I’seidon kickte nach einer der Zaubermuscheln. Keine gute Idee, wie ihm seine Wunde sogleich versicherte. Er setzte sich auf einen höheren Stein und wartete dort fortan bewegungslos auf die Rückkehr seines Freundes.
    Es dauerte gar nicht lange und fast konnte man den Körper des älteren Mira’Tanar im Wasser übersehen, so mühelos passte sich dieser … trotz seiner Verletzung… den Strömungen an. Das Kinn auf eine Hand gestützt, ließ I’seidon abermals Blasen aufsteigen.


    Er nickte verstehend, als er Mallalais Ausdruck bemerkte. Von seinem Aussichtsstein herabsinkend, schnürte er seine Hose auf und streifte sie nahezu fließend ab. Wortlos nahm er die Blätter, drehte und wendete sie zwischen seinen Fingern, hielt sie an und überlegte, wie er sie am besten binden konnte. Es durfte ihn beim Schwimmen nicht behindern.


    Schlussendlich blieb es bei einem einfachen herum Schlingen und Verknoten und I’seidon verließ sich darauf, dass es zusätzlichen Halt bringen würde, wenn er seine Hose wieder überzog.

    Dass die Blätter einen angenehmen Geruch im Wasser hinterließen, bestätigte zwar seine Überlegungen, doch er sprach es nicht an und warf Mallalai auch keinen Blick zu, während er wieder nach seiner Hose fischte.


    „Danke“, murmelte er… für die Blätter… von denen ich doch sagte, ich hätte sie selbst suchen sollen! „Ich schau mal oben nach einem Ausgang.“ Er deutete das ansteigende Ufer hinauf und grinste frech: „Wenn ich da oben einen Schatz finde, ist es meiner!“

  • Kam es ihm nur so vor, doch es schien, als wolle I'seidon sich ihm entziehen, seiner Gegenwart entrinnen und glitt Mallalai durch die Finger. "Gerne", antwortete er dem Stein, dessen Ansicht ihm zuvor versperrt gewesen war. Langsamer folgte er, lauschend in die Umgebung. Sei wachsam! Natürlich waren es seine eingefleischten Ängste, seine Sinne spielten Narren mit ihm, kaum konnte er einen Schritt tun, ohne darüber zu stolpern.


    Wenn man sich konzentrierte, konnte man zuvor nicht Ersichtliches wahrnehmen, denn manche Sinne waren stets wach. Achtete man auf sie, verrieten sich viele der Dinge von alleine. Mallalais Kopf legte sich schief, als könne das linke Ohr mehr vernehmen, wenn er sich nach oben richtete, seine Augen suchten im weiten Raum um sie ... blautönend ruhte der See, denn das war es, wie er erkannte, nur gestört durch den Fall von der Höhe, gurgelte es dort hinter ihm. Weshalb durchströmte ihn Kälte? Alles täuschte Ruhe, Besinnung, ein Schatz in der Tiefe, könnte ein Ort der Zuflucht sein, geschützt durch das Korallenmaul ...


    ... kennt ihr es, wenn ihr Krallen in eurem Nacken spürt, Beobachter in den Schatten?


    Blitzschnell drehte sich sein Kopf, Sicht verdeckt durch lange Haare, bedacht hielt der Meereself die Luftblasen, die fröhlich aus den Kiemen entfliehen wollten, zurück -- flach atmen, alles erfassen, nichts übersehen ... doch etwas übersah er, oder etwa nicht?

  • I’seidon hatte sich eine Zaubermuschel genommen und sammelte beim Hinaufgehen eine weitere auf. Seine gesamte Konzentration war infolgedessen darauf gerichtet, das störrische Ding zu öffnen. „Na! Stell dich nicht so an! Wirst du wohl!“ tauchte sein Kopf schließlich aus dem Wasser. In der gleichen Sekunde brach die Muschel auf. Der Lichtschwall stach ihm in die Augen.


    Was war…?


    Hellblaue Schlieren tanzten vor seiner Netzhaut, trotzdem huschten seine Augen alarmiert die Ufergrenze entlang. Etwas… da hatte sich doch was bewegt…!


    Die Muschel blendete noch immer rachsüchtig in seinen Augenwinkel. Forschend hielt er sie hoch, leuchtete die flachen Steine oberhalb des Ufers ab. Viele Schatten… viel Nichts.

    War er nur geblendet gewesen und hatte Geister gesehen? Armlange, dunkle Geister, die sich plötzlich wie eine Welle vom Wasser zurückgezogen hatten? Er spürte mit einem Schauder, wie sich die Hautschüppchen auf seinen Armen und seinem Nacken leicht aufrichteten.
    Irritiert hatte er die Luft angehalten – nun nahm er vorsichtig Atemzüge. Anfangs nicht mehr als kleine Happen der dünnen Umgebung, die langsam tiefer und gieriger wurden.


    Wovor hatte er überhaupt Angst? Das war alles Unsinn! Was sollte in diesem lichtlosen Loch schon überleben?


    Frischen Mutes ging er weiter, spürte trockene, kalte Steine unter seinen Füßen und drehte sich zum Wasser um, die Lichter zu seinen Seiten haltend, um seinen Freund aufschließen zu lassen.


    Und er würde den Schatz doch als erster sehen!


    Breit grinsend gab I'seidon sich seinen Träumereien hin. Die seltsame Beobachtung war längst wieder vergessen.

  • Sich im Kreis drehend, den einen Arm weit von sich gestreckt, tauchte Mallalai aus der Fülle auf. Kurz hielt er im Atmen inne, bereit Luft durch die Nase aufzunehmen, ein Blinzeln brennendes Gefühl, das sich sofort legte.
    Ihr Abenteuer hatte begonnen, was war es anderes als eine Ablenkung ihres tristen Alltages, ein Schritt hinauf unter die Kuppel? Jeden Augenblick der denkwürdigen Nacht sollten sie in ihrem Gedächtnis bewahren, die Anfänge der Spannung würden nicht wiederkehren. So lächelte Mallalai auch frohen Sinnes, wollte sich dem leichten Gemüt I'seidons anschließen. Es galt nicht, sich Sorgen zu machen, auf Ängste und Illusionen zu lauschen, alles dadurch zu betrüben.


    Als seine Augen die Höhen suchten, wurde er belohnt, fanden sie eine unterirdische Welt, die wahrscheinlich ihres Gleichen suchte: Felsnasen hingen bis fast auf die Wasseroberfläche herab, zeigten wie Finger auf den See, ein Weg darüber hinweg, den man schwingend würde nehmen können. Ein Wald aus Zähnen, Stalaktiten, glitzernde Mineralien, einfach verzaubert.
    Leise spuckte er Wasser aus, ließ es über die Lippen rinnen, die Stille nicht zu stören.
    Gerölliges Ufer säumte den salzigen See, dessen Ränder geronnenes Weiß waren. Kaum würde Mallalai es wagen etwas zu berühren, doch seine Hand streckte sich bereits, während seine Gedanken noch in der Luft hingen, fühlten Fingerspitzen wie Tautropfen zart über die Mineralien. Rau und ungewohnt an seiner Haut.


    "Hast du so etwas schon einmal gesehen?" fragte er laut. "Du hast wahrlich einen Schatz gefunden!" Allerdings blieb die Frage, wie I'seidon gedachte, ihn fort zu schaffen.

  • I’seidon sah sich um und lachte.
    „Das Zeug abzuschürfen, würde zu lange dauern. Aber einmalig ist es wirklich.“ Er zwinkerte Mallalai grinsend zu. „Vielleicht merk ich es mir und spring die Tage noch mal runter!“


    Er zog eine tote Grimasse und warf seinem Freund lachend eine der Muscheln zu. „Das heißt: natürlich nur, wenn wir einen Weg nach draußen finden.“


    Nachdem er sich das Wasser aus den Ohren geschüttelt hatte, erklomm I’seidon mit ganz elfischer Leichtfüßigkeit - an der auch die luftige Umgebung nichts ändern konnte - einen Hügel größerer Gesteinsbrocken und klopfte versuchsweise gegen einen der Stalaktiten, der auf dieser Höhe zum Greifen nah war.


    Die Grotte war viel größer, als er erwartet hatte. Nur schwach erreichte das Licht der Muschel noch den gigantisch hohen Wasserfall, der mit seinem weißen Tosen überwältigte und dabei Liter um Liter den See speiste. Jedoch… so weit und so angestrengt I’seidon auch spähte, gab es keine Öffnungen im Fels, die auf einen Ausweg schließen ließen...


    Doch irgendwohin musste das Wasser doch ausweichen!


    Sich nachdenklich das Kinn reibend, leuchtete er wieder zu Mallalai hinab. Und dieses Mal sah er etwas! Es war egal, wie schnell es sich wegduckte und zwischen den Steinen verschwand. Ein schwarzer, hässlicher Klumpen, ganz nah an der Grenze, an der das Licht von Mallalais Muschel endete.


    „Vorsicht!“ rief er erschrocken hinab und wies mit dem Finger auf die Stelle. „Da… da ist irgendwas! Da! Mallalai! Da im Schatten!“ Eine heftige, wellenartige Bewegung lief plötzlich durch den Stein, auf dem sein rechter Fuß stand. „Uwwaahh…!“ Mit den Armen rudernd, kämpfte I’seidon um sein Gleichgewicht und starrte entgeistert zum Stein hinab.

    Mitten in zwei große, hervorquellende Augen


    ... zwischen denen sein Fuß wie auf einem Algenbett einsank...

  • Ts, ja, das würde ich dir sogar glauben ... droh mir nur.


    "Was? --" was war, dass es einen Ausruf des Schreckens hervorlocken konnte? Nah bei ihm, wie der Finger wies oder doch in I'seidons Nähe, den der Boden zum Schwanken brachte. Weder war es erdiger Grund, noch Stein, mehr ein Tier, wie eine Kröte, wie Mallalai fand. Er war zu weit entfernt, um schnell Hilfe bieten zu können. Auch sah er sich selbst umgeben von den Tieren, Brocken, Klumpen gleich, deren quellende Augen zu ihm aufsahen. Kitzelten sie ein Lachen in seiner Kehle hervor, wie sie den Ufergrund bedeckten, einer neben dem anderen, eine Masse aus Leibern, die ihn musterten, als sei er ihr willkommenes Nachtmahl. Wohl ein Rest des Alkohols, meinte er, und erhob sich grazil auf die Zehenspitzen.
    Wie war es zuvor gedacht? Ein schwingender Weg über ihren Köpfen? Wäre er nicht verletzt, hätte er es versucht, hätte er hinauf gegriffen zu den Kegeln, um sich daran entlang zu hangeln ... würde klammern genügen, bis die Masse verschwunden wäre? Keine Option.
    Im Wasser waren sie nicht, sonst hätte er sie auf der Suche gesehen ... aber I'seidon hatte kräftige Arme, ein Leichtgewicht und Mallalai wies nach oben.


    "Kannst du sie erreichen, dich herausziehen aus ... dem ... sein Gesicht?" ... während er sich selbst mit einem Sprung in den See würde retten können ... falls sie bösartig wären, eine Eigenschaft, die sie neben dem Ekligsein noch nicht bewiesen hatten ... Gift? Eindringlich besah er seinen Freund.

  • Schlagartig verschwand alle Farbe aus I’seidons Gesicht. Hastig zerrte er an seinem Fuß, der schon bis über den Knöchel eingesunken war. Ein Brennen lief über seine Zehen.
    Die Glupschaugen der Kreatur kniffen sich fest zusammen. Es schmerzte für einen Moment, doch mit einem Ruck war der junge Mira’Tanar frei und kippte vom eigenen Schwung getragen nach hinten. Die Lichtmuschel fallen lassend, fingen seine Hände den Sturz erstaunlich weich ab.


    Ein entsetzter Blick über die Schulter, der von weiteren Augen erwidert wurde. „Nein!“ keuchte er, zog seine Hände aus den weichen Leibern und kam schwankend auf die Beine. Er bemerkte Mallalais aufzeigende Geste und griff nach einem der beiden Felszacken, die ihm aus der Gottendecke entgegen ragten.


    Seine Halt suchenden Finger durchstreiften den Felszapfen einfach. Der Irrtum brachte ihn fast ein weiteres Mal zu Fall, hätte er im Umkippen nicht noch glücklich den anderen Stalaktit zu fassen bekommen. Irritiert verfiel er in seine Kiemenatmung, was ihm ein paar unglückliche Japser bescherte, ehe er sich wieder auf seine Umgebung besinnen konnte.


    Etwas Weiches glitt seinen Unterschenkel entlang. Nach oben! Jetzt!
    Er wäre gesprungen… hätten ihm die Muskeln in seinen Beinen noch gehorcht! I’seidon griff in eine höhere Kerbe, versuchte, sich mit bloßer Kraft nach oben zu ziehen. Es kostete ihn alles, doch es gelang. Seine angestrengten Schultern zitterten. Der Fels drehte sich vor seinen Augen.
    Langsam wich das Gefühl auch aus seinen Fingerspitzen.

  • "Nur nicht in Panik geraten!" beschwor er leise. Hätte Schwanken nicht genügt, so fiel I'seidon. Ein eindringlicher Blick, Hände, die zupacken, helfen wollten, aber dies nicht konnten. Zitternd versuchten sie Kraft fließen zu lassen, hieften eindringlich den Körper nach oben. Sein Kopf, wie sein Herz hämmerten. Als hätte Willen allein genügt, den Freund zu tragen! Mallalai schüttelte den Kopf, um allein durch die Geste, die Schatten des Versagens zu vertreiben. Seine Sinne rebellierten.
    Er sah, wie sehr I'seidon um die Kontrolle rang, er sich mühte, seinen Willen erzwang, die Welt schien taub zu werden für ihn. Doch er schaffte es, sich zu heben! Hinaus aus dem Sumpf der Leiber, die doch nur weiter nach ihm griffen, während das Blut sich in Rinnsalen den Weg sein Bein hinab suchte. Eine Verlockung, die nur weitere der krötenartigen Wesen heranzog ... Aasfresser! Schönheit täuschte, barg die Gefahr in sich, die in allem floss ... die Krallen der Yassalar griffen zu.


    Ein gewaltiger Stoß ließ Mallalai taumeln, er würde hier niemanden verlieren! Nicht noch einmal sich verändern müssen, um es zu überstehen ... mit Mühe blieb er selbst auf den Füßen. Hatte ihn etwas gestreift? Es bedeutete nichts. Jetzt musste er um seinen Freund, wie um seinen Verstand kämpfen, war es denn nie genug, nie genug?
    So entsetzt er auch in seinem Inneren war, so rannte er bereits los, einen Moment kämpfte er gegen die leere Luft, bis er bemerkte, dass er in schmatzende Haut einsank, sich befreite, sprang, einen Arm gestreckt ... wie in stählerner Langsamkeit I'seidons Finger den Halt verloren, er sich selbst dröhnend keuchen hörte.


    Gleichzeitig trafen sie aufeinander, eine Weggabelung, während einer Bewegung, die nicht inne hielt.

  • Es gab keinen Halt mehr. Weder für seine Hände, noch für seine Sinne.
    I’seidon spürte nicht, dass er fiel. Die Welt vor seinen Augen wirkte entrückt, als wäre er kein Teil davon.

    Ein plötzlicher Stoß, den er bloß an den Bildern wahrnahm, die noch immer auf ihn einströmten. Dann stürzten auch diese ins Chaos. Schattenfetzen, Erschütterungen, ein Eindruck bläulicher Haut, dann ein helles Brausen und alles erstarrte in dunkler Ruhe.


    Der Zusammenprall mit Mallalai hatte den Fall des jungen Mira’Tanar abgelenkt, gleichzeitig den des anderen mitgerissen. Erschrocken von so viel unerwarteter Bewegung zogen sich die klebrigen Bewohner des Inselsees schützend zusammen. Ihre erhofften Beutestücke stürzten den Bruthügel hinab, überschlugen sich und ihr Schwung wurde dabei über die gummiartigen Kreaturen weiter getragen. Ihr Fall beschleunigte sich immer mehr, bis die beiden Mira’Tanar am Fuße des Hügels schließlich in den See zurück klatschten.

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