Unübertroffener Übermut

  • War es doch zu viel Lebendigkeit gewesen, die sie bewiesen, die sie dorthin zurück brachte, wo sie wohl am besten aufgehoben waren, das Element, das ihre Wunden am ehesten heilen konnte, die Taubheit aus den Gliedern schwemmte. Das Wasser brachte Mallalais Verstand zurück, er drehte sich schmerzlich überrascht zu I'seidon, seine sorgenvolle Unruhe wuchs in diesem einzigen Kiemenzug, den er brauchte, um den Freund nicht weiter zu umklammern – er zog sich, doch Mallalai schaffte es, bevor er ihn in die überschatteten Augen sah, seine Gefühle niederzuringen. Ihn loszulassen, sich abzustoßen.
    Vielleicht wollte er sich selbst erproben, weil er sehen wollte, wann seine Arroganz zerbrechen und Angst an ihre Stelle treten würde: er hätte I'seidon niemals der Gefahr aussetzen, zu einem Sprung in die Ungewissheit verleiten sollen.


    Vermutlich sollte er zu Alaria beten, dass sie ihn später verurteilte, zu einem Zeitpunkt, an dem er vieles schon wieder zurecht gerückt hatte, das er nun vermasselte, dann würde es nicht ganz so schwer wiegen. Würde sie meine Bitte erhören? Bekanntermaßen, wenn man sein Bestes versucht, fügt sich im letzten Akt alles.


    "Ich ... ich will dich nicht verlieren", meinte er sanft. "Wir sollten vorsichtiger sein."

  • Gehörte er da wirklich hin?


    So verwirrend waren diese Eindrücke, die in kleinen Wellen zu ihm spülten. So erschreckend, wie es sich quälte. Noch mal. Noch mal. Noch mal.
    Wollte es nicht auch… einen Moment… zur Ruhe kommen? Zu ihm Eintauchen in diese so viel stillere Welt… betrachten… sinken…


    Nein, es wollte ihn zurück. Einsam. So einsam und verzweifelt in einem Kampf… noch mal… noch mal… das tat weh… so kraftvoll, doch zu wenig, dass es greifen konnte. Es würde aufgeben. Bald schon. Bald schon. Bald… wenn er nicht kam, um zu helfen.


    Um mitzukämpfen.
    Um… es nicht allein zu lassen… niemanden allein zu lassen…nicht jetzt!


    Noch mal! Weiter!


    I’seidon konnte das Wasser spüren. Es trieb ihn - hielt ihn sanft… und so kalt. Es war so kalt.
    Warum… war es so schwer, zu atmen? Er wollte nach seinen Kiemen tasten, herausfinden, ob sich etwas um seinen Hals geschlungen hatte, doch seine Hand zuckte nicht einmal.


    Nein! Er wollte…! Er wollte die Kontrolle zurück…!

  • Mallalai sah, dass der Freund nicht bei ihm war, nicht mit seinen Sinnen, daher auch nicht mit seiner Aufmerksamkeit. Vielleicht war es gut so, dass er ihn die Worte hatte nicht sprechen hatte hören, auch wenn es sich für ihn selbst gut angefühlt hatte, sie laut auszusprechen, loszuwerden, dass es tatsächlich so war. Er zog I’seidon zurück in seine Arme, schmiegte sich an seinen Rücken, umschlang ihn mit dem einen, denn Kälte war es, die sie beide fühlten. Seine Wange bettete er auf der schmalen Schulter, versuchte in Innigkeit Wärme zu geben, wie zu nehmen, während sie durch das Wasser trieben. Mehr konnte er nicht tun, als auch seinem Körper Momente der Ruhe zu gönnen, der jetzt, eben durch den rollenden Absturz, beständig vor Schmerz pochte.
    Nichts könnte ihn dazu bringen alleine zurück zu kehren, wie er es schon einmal getan hatte. Wieder einmal türmten sich seine inneren Wellen zu einem verzweifelten Sturm. Mallalai verhielt sich nicht so, als hätte er den Verstand verloren. Verhielt sich nicht wie ein Wahnsinniger, schreiend und kichernd, sabbernd wie mondsüchtig, brüllend und schäumend wie besessen ... mehr als hätte jemand die Fäden abgeschnitten, die ihn mit allem verbanden, außer mit diesem Mira’Tanar, um die er sie nun schlang.

  • ‚Danke Mallalai… dass du da bist…’
    Es war ernst gemeint, auch wenn er es jetzt nicht aussprechen konnte. Die Wärme und Nähe seines Freundes ließen ihn wieder Kräfte schöpfen. Kein Wort, das hilfreicher gewesen wäre als diese Geste.


    Doch es waren noch vielmehr ernstere Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, nun, da er sie nicht einmal mehr belächeln konnte. Er hatte immer geglaubt, stark zu sein. Mallalai ähnlich zu sein. Die Geschehnisse hier unten… lehrten ihn jedoch etwas anderes.
    Gedanklich ballte er Fäuste und atmete verblüfft aus, als sich seine Finger tatsächlich langsam zusammen bewegten, wenn auch noch kraftlos.


    Kraftlos… ja, ein besseres Wort gab es wohl nicht, um ihn zu beschreiben. Er hatte keine Kontrolle über die Dinge, die passierten. Nicht mit ihm. Nicht mit seinen Freunden und seiner Familie. Natürlich wollte er jeden beschützen; sie alle glücklich sehen; lächeln sehen… aber was konnte er schon tun?


    Er schaffte es ja nicht einmal… sein eigenes Leben zu schützen. Er würde bei allem nur im Weg sein. So wie er auch hier im Weg war… weil er schwach war.


    „M…“ Sperrig und schwer fühlten sich seine Lippen an. Gänsehaut rann ihm vom Scheitel bis zu den Flossenspitzen, als das Gift die lähmenden Klauen lockerte und seine Muskeln endlich ihren Dienst wieder aufnahmen. I’seidon wartete noch einen Moment länger. Er wollte nicht stammeln. Nicht dabei.


    „Mallalai. Ich möchte dein Schüler sein.“


    Es war schwerer als alles, was er jemals gesagt hatte. Aus sehr vielen Gründen…


    „Bitte… bring mir bei, was du weißt.
    Lehre es mich… zu kämpfen!

  • Wenn man genauer hinsieht, kann man nicht überrascht werden, doch mit einem Schlag hatte sich die Fülle verändert, dass er es kaum wieder erkannte. Alles hatte sich so verdüstert, wie an einem Wolken verhangenen Tag.
    Schmerzte es, tat es weh? Nein, nein. Das nicht. Nicht mehr.
    Nur das Entsetzen wand sich um ihn herum und ließ sich kalt in einem Schauer auf Mallalais Haut nieder, seine Schultern versteiften sich wohl, denn er verstärkte seinen Griff um I’seidons Brustkorb – da war sie wieder, die Vergangenheit schlug ihm ins Genick und es zerbrach unter der Wucht. Er hörte es knacken. Nie hatte er viel über die Yassalar gesprochen, vielleicht war es nun sein eigenes Versäumnis, das ihn einfing und in dessen Netz er sich nun verstrickte. So schwammen sie in seiner Vorstellung hin und her, gewandet in Anmut, in ihre befremdende, tief schwarze Haut und ihre silbernen Haare … so schön, dass Grausamkeit und Herrlichkeit verschmolzen, sein Magen sich schmerzlich zusammenzog, vor Angst, auch vor Sehnsucht.
    Es gab nichts, was er hätte weitergeben wollen, so weitergeben würde können, wie er es selbst gelernt hatte. Er hatte nicht zu kämpfen gelernt, er hatte gelernt zu überleben und sich selbst zu verachten. Doch wenn er ehrlich war, ohne die Bitterkeit, dass musste er auch die Bewunderung zulassen, die den Yassalar mancher Orts entgegengebracht wurde: ihr Kampfstil war der Seinige, seine Bewegungen spiegelten die ihren wieder, seine berechnende Halsstarrigkeit, sich an das Leben zu klammern. Das war es, was I’seidon sah, was er begehrte. Das Verstehen schlich sich ein, dass der junge Mann für sich selbst einstehen wollte.


    Sein Messer glitt scharf aus der Manschette, es nahm den Glanz der Muscheln auf, als er es I’seidon vor die Augen hielt, er selbst darin nach Worten suchte, während sein Ellenbogen, die Beine, ihn weiterhin hielten.
    „Soll ich es dir über deinen Bauch ziehen, die Schuppen öffnen? Immer wieder die Wunde öffnen, bis du gelernt hast, es aufrecht zu ertragen, ohne einen Laut?“ ein fragender Hauch, so scharfzüngig wie die Klinge es war.


    Bis mir der Schmerz nichts mehr bedeutet, nicht einmal meine Lippen mehr beben, bis der Blutverlust mich endlich in die Knie zwingt, aber dennoch: ich kämpfe verzweifelt weiter, stur, denn erst dann könnte es das letzte Mal gewesen sein, dass ich meinem Blut hinterher sehen muss, es in der Fülle schmecke, mich selbst atme und trinke – diese Möglichkeit taucht immer mit mir. So will ich es versuchen, nicht einmal mit einer Hand die Wundränder zusammen zu pressen.
    In der Aussichtslosigkeit bäume ich mich auf und wehre den angreifenden Speer ab. Ich triumphiere, doch es ist der Tod meines Kameraden, wenn man es so nennen mag, denn er hätte weder gezögert, noch gezweifelt, dass mein Leben beendet werden musste, um seines zu retten. Er muss fallen, besser durch meine Hand, denn sein Tod ist sicher: er ist jener, den ein schwacher Mira’Tanar bezwang.


    „Willst du lernen, dass nur der Zäheste überleben kann, dass du in deinem Anflug von Schwäche jetzt von mir schon längst hättest zurückgelassen werden müssen?“ seine Wange rieb sich an der türkisenen Haut. Tu es mir nicht an, dass ich dich, geliebten Freund, durch diese Ausbildung treiben müsste. „Das ist nicht unsere Art zu leben.“


    „Vielleicht kann ich einen Weg finden“ räumte Mallalai widerwillig ein, ohne dir die Unschuld zu nehmen – „Gib mir Zeit, beide Leben zu verbinden.“
    Damit fuhr das Messer zurück, Mallalai sog tief I’seidons Geruch ein, er würde ihn nicht verlieren.

  • Der härtere Griff um seine Brust, das Messer vor seinen Augen… doch es kam kein Anflug von Furcht in ihm auf. Mallalais Worte, seine Stimme - so fremd und kalt beides plötzlich klingen mochte, I’seidon hätte in diesem Moment alles über sich ergehen lassen. Es wäre richtig gewesen. Es musste es sein, wenn es von Mallalai kam. Er würde ihm immer vertrauen…


    Sein Einlenken schließlich wirkte wie eine Befreiung auf den jungen Mira’Tanar. Er grinste breit, das protestierende, taube Prickeln in seinen Wangen ignorierend. „Lass dir aber nicht zu viel Zeit dafür, ja? Die Hälfte deiner Haare sind immerhin schon weiß, Alterchen.“


    Ein kurzes, freches Lachen… zu anstrengend jedoch. Seine Lungenflügel bedankten sich mit einem unangenehmen Stechen, das rasch in einen keuchenden Husten überging.


    I’seidon kam sich plötzlich vor wie damals, als er aus purem Trotz fünf Nächte in Folge Schlaf verweigert hatte. Zugegeben… blöde Idee…
    Aber hey, heute hatte er sich ins Korallenmaul gestürzt. Er konnte nicht behaupten, er sei seit damals eine Flossenbreite klüger geworden, oder?


    Der ruhige Atem kehrte zurück und mit ihm das verlockende Bedürfnis, schlichtweg an Ort und Stelle einzuschlafen. Noch immer gewann sein Gesicht nur schwerlich Farbe zurück, was nicht verwunderlich war angesichts der Tatsache, dass seine Verletzung durch den ungebremsten Sturz erneut aufgerissen sein musste und er inzwischen mehr Blut verloren hatte, als irgendeinem Geschöpf gut tun konnte.

  • Mallalai ächzte. Er hätte wissen müssen, dass ein Einlenken nicht zu erwarten war. Am liebsten hätte er I’seidon geschüttelt, um ihm die Ernsthaftigkeit vor Augen zu führen – konnte ihn denn nichts erschüttern? Wie sie längst erfahren hatten, war dies kein Ort der Harmlosigkeit. Es war Natur, die nicht umschrieben werden konnte, mit Wohlwollen und überdachter Absicht, sondern sie gab oder nahm und dies blind, je nachdem wie man sich selbst anstellte. Und allenfalls hatten sie ein wenig Glück, das I’seidon, wie es den Anschein hatte, geringfügig abhanden gekommen schien. Doch Mallalai wollte sich bemühen, es auszugleichen.


    „Und du wirst die andere Seite auf dem Gewissen tragen“, befürchtete Mallalai schmunzelnd. Er hielt ihn weiter fest umschlungen, solange der Husten I’seidon ebenso ergriffen hatte. So leid es ihm auch tat … „Doch wer bereits einige Tage ohne Schlaf ertragen hat, der wird auch jetzt noch ein wenig damit warten müssen, Is, wir müssen weiter, wenn es dir möglich ist.“ Er hat keine Wahl. Ich traue der Idylle nicht.


    Langsam begann er sich rückwärts in Bewegung zu setzen, zog den Freund mit sich. Die Fülle umhüllte sie samtig, das Perlen einzelner Tropfen erreichte sein Gehör ebenso, wie er I’seidons Kiemenbewegungen an seinem Hals spürte. Ganz nah und fast zu aufmerksam belauscht.
    Der Grund fiel leicht ab, es wurde merklich dunkler, doch die Pflanzen mehrten sich zu fülligen Bodendeckern. Eine zerbrechliche Einsamkeit, die schwer auf ihm lag, jederzeit bereit, im unbekannten Land, in Scherben zu splittern. Seine Sinne waren angespannt und bereit. Doch es geschah nichts. Dann fühlte er den Sog, löste sich langsam von I'seidon, nur für einen Moment, wie er sich selbst versicherte.
    "Warte hier", schnell war er tiefer getaucht. Was Mallalai erwartet hatte, fand er: einen Zugang. Doch es gab kein Hinaus, denn die hereinfließende Strömung war in dessen Nähe so stark, dass es kein dagegen Ankommen gab. Zerknirscht gab er auf, seine Kräfte zu verschwenden.
    Doch was hereinkam, musste auch hinaus, sonst wäre die Höhle am Überlaufen und es würde am Korallenmaul hinaus und nicht hineindrücken ... er eilte nach oben, katapultierte sich aus dem Wasser, doch fehlte es ihm an Schnelligkeit, an Schwung, an einem Arm. Doch für einen schnellen Rundumblick hatte es genügt.


    "Es gibt einen Ausgang, wie ich denke" wahrscheinlich mehrere, doch einer genügt mir, erzählte er I'seidon, legte ihm wieder den Arm um die Taille. "Weit oben. Das Wasser wird steigen, wie es tags fallen wird, Ebbe und Flut." Die Zeit konnte abgewartet, mit Ruhe genutzt werden. So schob er den jungen Mira'Tanar in eine kleine, entdeckte Höhle an der Felswand und blockierte selbst den Eingang. Entschlossen schloss er die Augen.

  • Wo er den Felsgrund der Höhle berührte, sank I’seidon nieder. Den Kopf auf einen Arm gebettet, hob sich sein Blick schlaftrunken noch einmal zum Eingang, wo sein Freund Stellung bezogen hatte. I’seidon wusste, dass er, einmal eingeschlafen, so bald nicht wieder erwachen würde…
    Es würde keinen Schichtwechsel geben. Keine Ruhe für Mallalai. Schuldgefühle schwammen hinter I'seidons Stirn, verebbten in der Müdigkeit, nur um ihn daraufhin erneut zu befallen. Seine Augen hingen, so lange er sie noch offen halten konnte, an der Gestalt, die über ihn wachte.


    Trotz allem hatte sich ein seliges Lächeln auf die Lippen des jungen Mira’Tanar geschlichen, als dieser schließlich in den Schlaf sank. Die Ruhe und die Blätter um seine Hüfte konnten nun ihre Wirkung entfalten, die seiner Wunde endlich die Heilung ermöglichte.

  • Sein Zeitgefühl verlor sich, während er nach sich tastete, den Körper nach Zeichen erkundete, die an Vergangenem fest hielten, ihn noch verraten konnten ... hatte er nicht alles versucht, sie zu tilgen, sie von sich abzuwaschen? Ihre Fingerabdrücke auf seinen Schuppen? Doch jetzt waren es seine Kindheitsprägungen, die sie hier am Leben erhalten konnten, obwohl die Erinnerung schmerzte und brannte, musste Mallalai zulassen, dass sie ihn leitete. Sein Gesicht fiel in seine Handflächen.
    Er hatte einmal von einem Tier gehört, das verbrannt war, sich jedoch aus seiner eigenen Asche erheben konnte, gar wunderschöner und erneuerter als zuvor ... welch ersehnlicher Wunsch und Anblick. Es stand dem Meer nicht zu, seine Lebewesen zu verbrennen. Er war ertrunken und hatte begonnen an die Oberfläche zu schwimmen, seiner Meinung nach, hatte er bereits die Leere geatmet, nur um jetzt fest zu stellen, dass er noch am Grund im Sand trieb. Welch Ironie! So schnell hatte es ihn wieder eingeholt. Es war keine Schande, er hatte nichts falsch gemacht, nur, dass er wohl unten geblieben war, anstatt aufzutauchen. Doch allein das Erkennen war etwas wert, nicht wahr? Das stete Bemühen, die Quälerei von Tag zu Tag. Mallalai sah auf. Träumer. Es wird immer an dir kleben, so dass sogar dieser junge Elf es zu erkennen vermag. Dann bezwinge dein Schicksal! schrieen die Felsen ihm zu. Ändere dich oder ändere die Schwierigkeiten! sangen die Wellen.
    Mallalai lachte rau und leise, um I'seidon nicht zu wecken, Tränen glitzerten in seinen Augenwinkeln, die sich salzig mit dem Wasser vermischten.


    Bald war es soweit. Das Wasser war gestiegen, der Ausgang nah, er spürte es, Mallalai ahnte es. Sein Blick wanderte voller Zärtlichkeit zu seinem Freund, es bekümmerte ihn, dass er ihn würde wecken müssen. Zeit, noch war Zeit zu warten.

  • I’seidon sah Mallalai vor sich. Er wusste nicht, ob sie gerade noch geschwommen waren und nur kurz Halt gemacht hatten oder schon länger an dieser Stelle warteten. Sein Freund wandte ihm den Rücken zu, hielt Ausschau nach etwas voraus Liegendem, doch versperrte I’seidon zugleich die Sicht darauf.
    „Was ist denn da?“ grinste I’seidon und reckte sich, um Mallalai über die Schulter zu spähen. Doch plötzlich fuhr der Mira’Tanar herum, als hätten I’seidons Worte ihn erschreckt… und ein Ausdruck puren Hasses brandete I’seidon entgegen, der das Lächeln auf dessen Lippen sofort gefrieren ließ.


    Unwillkürlich wich er zurück, verfolgte perplex, wie sein Freund zu einer Waffe griff, den Blick weiterhin bösartig auf ihn geheftet. „Hey… du weißt hoffentlich, was du da tust“, versuchte I’seidon, die Situation zu entspannen und hob seine Hände beruhigend dem Freund entgegen… nur um entgeistert festzustellen, dass sie schwarz waren.


    Schwarz… wie die eines Yassalar.
    Eines Yassalar…?


    In seiner Ratlosigkeit entging ihm beinah die Bewegung seines Freundes. Die Attacke war tödlich schnell und wie es ihm trotzdem glückte, auszuweichen, konnte er danach nicht sagen. Er wusste auch nicht, woher die zwei sichelförmigen Klingen kamen, die plötzlich in seinen Händen auf ihren Einsatz lauerten. Aber er wusste, wie er sie zu kreuzen hatte, als ein Klingenhieb wie aus dem Nichts auf ihn niederging – mit einer Wucht, die seine eigenen Klingen vibrieren ließ.


    Er war… Nein! Sein Freund hielt ihn für einen verfluchten Yassalar!
    Aber… was wie warum seit wann?
    Keine Zeit für Fragen.


    „Verdammt, lass das!“ keuchte er angestrengt, während die Klingen noch immer mit brutaler Kraft aufeinander knirschten. „Ich bin es! I’seidon!“ Verzweifelt sah er in Mallalais Augen, dass der ihm kein Wort glaubte. Natürlich nicht. Er würde ihm überhaupt kein Wort glauben. I’seidon sah sein eigenes, ein Yassalar-Gesicht, in seinen Klingen gespiegelt und er erkannte sich nicht einmal selbst. Da war nichts, das an seine wirkliche Gestalt erinnerte … außer vielleicht die Unsicherheit in den so verhassten Augen, die nun seine eigenen waren.


    Trotzdem. „Ich weiß, ich sehe nicht so aus! Aber ich’s kann beweisen, wenn du mir nur…“ Doch die Kraft, mit der sein Freund sich zurückstieß, drückte auch ihn weit durchs Wasser. Zurück gewonnener Abstand. „Ich will nicht gegen dich kämpfen!“ brüllte I’seidon in die Wellen und sah doch schon den nächsten Angriff Mallalais nahen. „Komm nicht näher! Bitte!“
    Zwecklos.


    In den folgenden Momenten hatte er nicht einmal Gelegenheit, zu atmen. Er hatte nie gelernt, zu kämpfen, doch es gab einfach keinen Schlag, der ihn überraschte; keine Finte, auf die er nicht vorbereitet war. Die Schläge prasselten, trafen auf seine Defensive und es war alles… berauschend leicht… ein Spiel, für das dieser schwarze Körper von Kopf bis Fuß geschaffen schien, bis ein Vorstoß seinen Oberarm heißkalt durchbohrte. Eine scharfe Klinge, die sich weit durch seine Muskeln trieb. Rot auflodernde Flecken verschleierten seinen Blick Angst Panik Wut eine Gier zur Vergeltung, die I'seidon in ihrer Macht hoffnungslos überstürzten.
    Seine Zorn bebende Waffenhand stieß vor und riss kaltes Metall tief durch weiches Fleisch. Ein Schnitt quer durch den kräftigen Bauch, tödlich, einer unsichtbaren Linie folgend… unsichtbar?


    Nein… nein... nur zu vertraut... Blut und Organe seines Freundes, die ihm wie lebendes Getier entgegen quollen; namenloses Grauen, das seinen Geist umgriff; und ihn mit einem Entsetzensschrei in die Realität schleuderte.


    Kaltes Gestein, gegen das seine Sinne prallten. I’seidon keuchte, kämpfte mit Übelkeit und hielt erschrocken den Atem an, als ihm schlagartig klar wurde, wo er war. Sein Blick sprang zu Mallalai und verharrte an dessen Erscheinung. Vorsicht, Angst, Schuld und Grauen rangen auf dem Gesicht des jungen Mira’Tanar. Seine Augen tasteten über den unversehrten Bauch seines Freundes. Bis er seine Gesichtszüge beherrschte und sie in ein hartes Lächeln verwandelte. „Bin wach!“

  • Da sein nachdenklicher Blick auf I'seidon gelegen hatte, war ihm dessen Bewegungen nicht entgangen. Ein Traum, den jener durchtauchte, scheinbar kein angenehmer, wie ihm Schwimmbewegungen und das Greifen der Finger offenbarten. Viel Ruhe schien er im Schlaf nicht finden zu können. Doch so war es, so sollte es sein. Möglich waren weitere Gelegenheiten zum Schlafen, die Mallalai vielleicht erzwingen konnte. Deshalb entging ihm auch nicht der prüfende Blick zu seinem Bauch, auf dem die etwas hellere, lange Narbe prangte. Matt lächelte er. Gewiss, er hatte I'seidon Angst einflössen wollen, Respekt vor der Kampfkunst, die er begehrte, wenn man es denn Kunst nennen wollte, die anderen mit Anmut und Geschmeidikeit Leben nehmen konnte. Doch weit entfernt hatte die Absicht gelegen, ihn mit seinen Worten nicht ruhen zu lassen. Wenigstens wusste er nun mit Gewissheit, dass der Stein an den Strand gespült wurde.


    Sein Atem stockte etwas länger als es angenehm war, gefolgt von einem Ziehen in der Magengegend, als er den entsetzten Klang der Stimme vernahm, mit der sein Freund erwachte, sich aus seinem Traum schleuderte. Die Augen liefen vor Panik über, ergossen sich über Mallalais Schuppen und Schuld blieb daran kleben. Nichts davon berührte seine gefasste Miene, denn es wären überflüssige Gefühle, die sie hier nur behindern würden, obwohl es Mallalai schmerzte.


    Nickend begrüßte er das Lächeln I'seidons. Gut so ... "Wie ich sehen kann, bist du das." Die Frage, ob es ihm besser ginge, wurde achtlos zur Seite gedrängt, denn es sollte keine Rolle spielen, keine Erwähnung mehr finden, und I'seidon schien dies zu wissen. "Das Wasser ist gestiegen, wir sollten den oberen Ausgang" ... wenn es denn einer war und nicht lediglich eine Aushöhlung in der Felswand ... "erreichen können. Bist du auch bereit?" Da war sie, die sorgenvolle Frage, versteckt, wie sich der junge Mira'Tanar denn fühlte ...

  • „Für einen Ausgang bin ich immer bereit!“ entgegnete I’seidon begeistert und richtete sich voller Tatendrang in der Höhle auf. Alles war gut, was ihn davon abhalten würde, weiterhin an diesen Alptraum zu denken. Er fühlte sich ausgeruht genug für weitere Abenteuer.


    Ein Schritt nach vorn und er tauchte über Mallalai hinweg nach draußen, wo er sich im Treiben drehte und über Kopf zu seinem Freund zurücksah. „Und du? Oder möchtest du jetzt erstmal schlafen, Mallalai?“
    Es wäre gerecht.


    I’seidon blickte neugierig an sich hinab zur Wasseroberfläche. Dort oben sollte sich also der Ausgang befinden. Tatsächlich war das Wasser sehr viel höher gestiegen, während er… geschlafen hatte.
    Die Insel musste nun vollständig unter Wasser liegen. Wie die klebrigen Geschöpfe wohl überlebten, wenn sie das nasse Element um sich herum doch scheinbar mieden? Aber das sollte nicht ihr Problem sein.


    Fragend sah er wieder zu Mallalai, lächelte dann aber verstehend: „Nein, wir haben keine Zeit dazu, nicht wahr?“

  • Mallalai runzelte die Stirn, es schien ihm fast, als bekäme er hier etwas vorgespielt, das nicht der Realität entsprach. Doch jeder zog sich an dem nach oben, was ihm zur Verfügung stand, sollte es für diesen Freund Übermut sein, auch wenn er unübertroffen war. Also stieß er sich ebenfalls von der Kante ab und ließ sich nach draußen gleiten. „Wir sollten die Gelegenheit nutzen, die sich bietet“, stimmte er zu, schraubte sich höher entgegen der Leere, die sich nach der Fülle auftun würde. Seine Sinne versicherten ihm, dass I’seidon hinter ihm blieb. Es ging nicht um Zeit, gab es wohl niemanden, der auf sie warten würde … weder I’seidons Mutter würde sich sorgen, wenn er einige Tage abwesend war, noch Tehanu wäre verstimmt, sollte er nicht die Nächte mit ihr verbringen.


    Seine Hand griff bereits hinaus, bevor er sehen konnte, tastete am Fels entlang. Mallalai sprang, seine Fingernägel kratzten über erdigen Grund, rissen Moose und Flechten mit sich, als schließlich er Halt fand. Die Beine baumelten noch im salzigen Wasser, während seine Lungen die Leere mit einem Keuchen aufnahmen, sein Oberkörper sich streckte. Die Schwierigkeit lag jetzt für ihn darin, die Beine nach oben zu schwingen, um sich auf das Plateau ziehen zu können, eine Herausforderung mit nur einem Arm. Und er verabscheute es zutiefst.

  • I’seidons Kopf tauchte aus dem Wasser. Der junge Mira’Tanar blinzelte zwischen nassen Strähnen zu Mallalai hoch und sah dessen Anstrengung. „Warte, ich schieb dich von unten an! Musst dich dann nur von meinen Händen abstoßen.“
    Schon war er wieder abgetaucht und sein Schemen verschwamm rasch in den Schatten unter der Oberfläche. Mit neuem Schwung tauchte er nach oben, legte die Hände unter Mallalais Füße und spannte die Muskeln, um die Kraft des Auftriebs auf seinen Begleiter zu übertragen.


    Die Beine des älteren Meereself wurde vollständig aus dem Wasser gehoben. I’seidon spürte die Gegenkraft, als dieser sich abstieß und er selbst wieder tiefer gedrückt wurde. Einen Moment wartete er noch, spähte nach oben, wo die Oberfläche die Bilder in mildem Wandel verzerrte.


    I’seidon kniff zielend ein Auge zu. „Und jetzt sollen die Delphine mal gut zugucken!“
    Doch trotz großer Worte, zögerte er noch, legte vorsichtig die Hand auf seine verletzte Hüfte und schöpfte tief Atem. Sie hatte gespannt, als er Mallalai geholfen hatte. „Wehe, du machst mir jetzt Ärger“, drohte er der Verletzung mit einem sanften Lächeln.


    Ein paar Beinschläge und es ging aufwärts. Immer kraftvoller und schneller. Das Wasser rauschte wilder an seinen Elfenohren vorbei, bis I’seidon vor dem Auftauchen die Arme anlegte und den Übergang genoss, in dem das Wasser von ihm abperlte, während er die Arme wieder ausstreckte und den schmalen Überhang zu greifen bekam, an dem zuvor Mallalai gehangen hatte.
    Es bereitet ihm weniger Schwierigkeit, sich aufs Plateau zu ziehen, doch er brauchte etwas länger, um seine Atmung umzustellen. Die Luft prickelte. I’seidon richtete sich auf und strich ein paar klebende, blonde Strähnen zurück. Unbemerkt blieben dabei vier erdige Striemen auf seiner Stirn zurück.
    Das moosbedeckte Felsstück war nicht sehr breit und ging nach einigen Metern in einen dicht von Flechten bewachsenen Gang über. Einige Ranken tasteten so weit hinab, dass sie bereits einen Vorhang vor dem Loch in der Gesteinswand gebildet hatten. Man konnte trotzdem gut erkennen, dass der Tunnel ebenfalls von den grünlichen Spuren erhellt wurde, die auch die übrige Grotte in ein schwaches Schummerlicht tauchten.


    Ein unterschwelliger Geruch von abgestorbenen Pflanzen und alter Luft entströmte dem Gang. I’seidon rieb sich die feuchte Erde von den Händen und sah zu Mallalai. „Sieht sehr nach unserem Weg aus…“


    Sein Blick wanderte kurz weiter über die Schulter, doch es waren sonst bloß jede Menge kleinerer Löcher in den Wänden zu sehen, die schlecht bis überhaupt nicht zu erreichen sein würden. „Sieht wirklich nach unserem Weg aus.“ Er blickte zu Mallalai zurück und schmunzelte aufmunternd.

  • Beinahe erniedrigend, wäre es nicht sein bester Freund gewesen, der ihm Schwung verlieh. Aber es genügte, das Plateau zu erreichen und allein das zählte, kein Zieren würde ihm helfen von hier zu fliehen. Dann also wie ein gestrandeter Wal, ungeschickt und mit Hilfe. Immer wieder zuckte der Arm, um sich aus der Schlinge zu befreien, seine Handlungen zu unterstützen, doch Is hatte gut geschnürt.
    Beneidenswert anmutig landete dann auch besagter Elf neben ihm, wohl mit ein wenig Genugtuung hörte Mallalai das erschwerte Atmen und schalt sich sogleich einen Idioten. Flüchtig strich sein Daumen, fast unbewusst, den Schmutz von der türkisenen Stirn und die Zuneigung schnürte ihm die Kehle zu, bis auch er den Kopf wandte, um ihren Weg zu prüfen, der sich bisher nicht einfach wieder verschlossen hatte.
    Wieder ein Maul, das sie verschlingen wollte, sie lockte, doch in die Falle zu treten. Vielleicht sollte er es doch ein wenig schlichter sehen – einfach nur ein Tunnel, nichts, das sie sofort hinweg spülen wollte. Nichts Geheimnisvolles lauerte dort … er erwiderte das Schmunzeln, eine gute Art es zu betrachten.


    „Wenn ich dich fragen würde, was du glaubst, das dich hinter dem Pflanzenvorhang erwartet … was würdest du antworten?“ fragte er.

  • Durch Mallalais Frage wurde seine Aufmerksamkeit wieder zum Tunnel gelenkt. Plötzlich schien das Schimmern in I’seidons Augen intensiver zu werden. „Bei Alaria… vielleicht… möglicherweise ist das der Eingang nach Khâraril’Yarai…“


    Er versuchte die Entfernung gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwiegen, doch am Ende blieb der Gedanke einfach zu unglaublich. Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Nein.“ Unauffällig streifte sein Blick Mallalais Arm. Sowieso. Es musste rücksichtslos klingen, sich jetzt noch mehr Abenteuer zu wünschen…
    Der junge Mira’Tanar zuckte mit den Schultern. „Ich schätze, da wartet nur ein langweiliger Weg auf uns und am Ende… schwimmen wir enttäuscht nach Hause zurück.“


    Pessimismus… aus seinem Munde. Das klang so dermaßen unüberzeugend.


    I’seidon rieb sich verlegen den Nacken und fügte hastig hinzu: „Aber wenigstens bekommen wir dann wieder was zu essen. Komm doch mit zu I’kanai. Da steht dann bestimmt was Leckeres auf dem Tisch.“ … und es wird bestimmt wer da sein, der deinen Arm besser verarzten kann.

  • Mallalai neigte den Kopf: „Khâraril'Yarai?“ Die von Beleriar zerstörte Stadt? Unwillkürlich senkte er noch einmal schweigend den Blick auf das Pflanzengeflecht. Khâraril'Yarai – es gab nichts, das er sofort als unglaubwürdig abtun würde, doch I’seidon kam ihm zuvor, ersetzte das zuerst gefällte Urteil durch Verharmlosungen, auf die Mallalai nicht eingehen wollte. In Hocke, abgestützt auf die Finger des gesunden Arms, leicht nach vorne gebeugt, gab er sich seinen eigenen Vorstellungen hin, die gewiss nichts mit Leckerem auf dem Tisch zu tun hatten. Wäre es gar so unvorstellbar? Mitnichten.
    Manchmal kam er sich selbst vor wie ein Geist ... unter solchen zu wandeln, wäre keine üble Sache, im Inneren leergefegt, nur ein äußerer Hauch von Sein oder war es dieses, was verwehte, um das Innere frei zu legen? Ein schwarzer Schatten unter den Reinen, die hier unten ihr Leben im Streit der Götter gegeben hatten ...


    „Es besteht ein Unterschied zwischen deinen beiden Annahmen“, meinte er schließlich. „Wie gehst du aber vor, denn du wirst dich für eine davon entscheiden müssen.“


    Er selbst war ein grandioses Beispiel für instinktiv gefällte Entscheidungen, wie man an ihrer Situation erkennen konnte. Wollte er I'seidon den Vortritt lassen, jedoch nicht, bevor er gehört hatte, wie der Mira'Tanar urteilen, was er sehen würde.
    Flüchtig hatte er überlegt, ob er ihm eine Manschette überlassen sollte, doch sein Herz hatte sich verkrampft in Überlegung sich davon zu trennen ... ein Yassalar trennt sich niemals von seinen Waffen, es sei denn, sein Arm zerfiele darunter zu Sand ... ein Grund mehr also. Bedächtig löste er die Schnürung mit den Zähnen, in Erwartung der Schmerzen, entgegenbrüllend, ignorierend, aye, darin war er wohl gut, durch die grellen Blitze vor seinen Augen zu sehen. So wollte er es alleine schaffen, das Leder abzunehmen, wandte sich ein wenig ab, um Is ja davon abzuhalten, es überhaupt versuchen zu wollen. Dieser Arm war ohnehin nutzlos, was brauchte er also ein Messer?
    Feierlich hielt er die Manschette I'seidon entgegen. "Man hofft nicht, dass du es gebrauchen wirst müssen, doch es würde mein Herz vor dem Schlag schützen, den es erleiden würde ... wenn ich sehen müsste ... wenn du ohne den Versuch einer Verteidigung ..." Mit einem Ruck unterstrich er nochmals die Leihgabe. Es stand außer Frage, dass er es würde zurück verlangen. "Pass auf, es fährt leicht heraus, Yassalarstahl, zum Töten geschmiedet."

  • „Es besteht ein Unterschied zwischen deinen beiden Annahmen“, meinte er schließlich. „Wie gehst du aber vor, denn du wirst dich für eine davon entscheiden müssen.“
    Entscheiden? I’seidon glotzte Mallalai für einen Moment recht ratlos an und tippte sich dann nachdenklich mit dem Finger ans Kinn. „Also eigentlich ist das doch egal. Es kommt, wie es kommt und man sollte das Beste daraus machen, oder?“


    Der junge Mira’Tanar schaute wahllos in eine andere Richtung, als er bemerkte, dass Mallalai sich abwandte, um sich an dem verletzten Arm zu schaffen zu machen. War doch etwas mit der Verschnürung nicht in Ordnung?


    Umso verblüffter guckte er, als Mallalai ihm plötzlich eine seiner Waffen hinhielt. Verteidigen?
    Der auffordernde Ruck ließ ihn die Hand schon ganz automatisch heben und seine Fingerspitzen berührten fast das dunkle Leder, da ließen ihn die letzten Worte seines Freundes abrupt zurückprallen. „Ich will es nicht!“ spie er aus. Es war schneller heraus, als dass auch nur ein abwägender Gedanke sich hätte bilden
    können.

    Heftig schüttelte I’seidon den Kopf, biss die Zähne zusammen und ging zum Pflanzenvorhang, von dem er wütend eine der Ranken ergriff. Wie konnte er ihm so etwas anbieten! Er kniff die Augen zusammen und durchlebte mit Schrecken Blitzbilder seines Traumes. Er wollte es nicht!
    Starrsinnig blickte er in den Gang hinter der Ranke.


    Es fuhr leicht heraus? ... zum Töten...
    Das war zu gefährlich… viel zu gefährlich für seine Hände! Nicht nach diesem... verfluchten Alptraum!

  • Nein! Ein geistiger Schrei.
    Mallalai fasste nach I’seidons Finger, der an das Kinn tippte, hielt zuerst ihn zu fest umklammert, die ganze Hand umhielt er gleich, obwohl er dem Freund nur wieder die Angst entgegenbrachte, die er in Schmerz empfangen hatte. Die Berührung brachte ihn näher, um der Eindringlichkeit Willen, die er den eigensinnig, leicht daher gesagten, Worten entgegenbringen wollte:
    "Man kann nicht das Beste daraus machen, wenn es bereits geschehen ist, Is! Was ist das Beste, was du dann noch zusammenkratzen kannst? Es sind die Reste, die in alle Richtungen treiben!"
    Dann ließ er ihn in schrecklicher Gewissheit los, dass jeder seine eigenen Fehler machen musste, eigene Erfahrungen, und er niemanden würde retten können, indem er sich wie ein Anker an ihn klammerte. Tropfenartig fuhr seine feingliedrige Hand die Konturen des hellen Haares entlang, berührte jedoch nicht ein einziges.


    Wer wollte schon kaltes Metall umgreifen, das niemals erhoben sein sollte, wenn man nicht auch die verlässliche Absicht hatte, es auch zu benutzen. I’seidons Finger berührten fast das Leder, wie Mallalai gespannt verfolgte. Sah auf die Fingerspitzen, leckte sich über die auf einmal trockenen Lippen. So fürchtete er ebenso die Berührung, wie sein Loslassen ...
    Ich will es nicht!
    Ein Zurückprallen, als hätte er ihn mit seinen Worten selbst körperlich zurückgestoßen, erwachend blinzelte Mallalai. Sah jetzt nicht mehr in das Gesicht, sondern auf starre Schultern, Hände, die eher eine der Ranken umgriffen, als seine Manschette. Der Raum um ihn herum stauchte sich zusammen, es wurde dunkler, während sich seine Augenlider bis auf Schlitze senkten.
    Mallalai würde nicht so schnell aufgeben, hier ging es nicht um einen Streifzug durch bekanntes Gelände. Bedächtig, aber überzeugt, trat er hinter I’seidon, seine Brust berührte fast die türkisene Haut, schlang seinen Arm um ihn und drückte die Waffe an dessen Brust.
    „Nimm sie, Törichter! Fragtest du nicht nach Lehrstunden?“ Sein Herz klopfte ruhelos und seine Kiemen hinter den Ohren öffneten und schlossen sich unablässig, obwohl er doch nur das Wasser in der Nähe riechen und fühlen konnte, nicht selbst in der Fülle schwamm. Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren gepresst, aber die Qual war tief verwurzelt und ja, er verstand, es war der Hass auf die Yassalar, der seinem Volk in die Wiege gelegt wurde. Wer könnte es besser verstehen als er selbst oder war er genau aus diesem Grund ungeeignet? „Wie willst du kämpfen lernen, ohne jedoch die Waffe zu führen?“ Tritte waren eine Wahl, hart geschobene Wellen ebenso, um sich den Raum zu verschaffen, doch eine scharfe Klinge schnitt tiefer, wenn die Nähe es verlangte.

  • I’seidons Augen weiteten sich für einen Moment. Schuldbewusst guckte er zur Seite, während er das Leder an seiner Brust spürte. Noch immer rann ihm Wasser aus seinen Haaren und als einer der Tropfen auf seine Nasenspitze traf, sank sein Blick zu Boden.
    Sein Körper fühlte sich steinern an. Er wollte seinen Willen behaupten; die Waffe des Feindes erneut von sich weisen, aber Mallalai hatte auch Recht mit dem, was er da sagte. Er hatte zugestimmt, sich leiten zu lassen … was für ein Muttersöhnchen wäre er, nun einen Rückzieher zu machen?
    Ob Mallalai ahnte, was in ihm vorging?
    Selten hatte er die Präsenz seines kampferprobten Freundes so deutlich gespürt. Viel zu nah, um es ignorieren zu können. Selbst seine Haut registrierte jeden feinen Luftzug. Jeden Atemzug, der seinen Nacken streifte. I’seidon kam sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt vor. Unmöglich auszuweichen.

    Verdammt, warum sollte er eigentlich lernen, mit einer Waffe des Feindes umgehen zu können, meldete sich sein Starrsinn zurück.

    … weil du dann weißt, wie sie damit kämpfen, Dickkopf!


    I’seidon musste sich eingestehen, dass er es drehen und wenden konnte, wie er wollte. Wenn er Mallalais Waffe nicht annahm, konnte er genauso gut aufgeben und sich Zeit seines Lebens feige hinter den Rücken anderer verkriechen. Wegschwimmen. Der schnellste Schwimmer, wenn es darauf ankam, so würde man über ihn reden. I’seidons Kiemen schnappten kurz bebend an der Luft. Ein grässlicher Gedanke!
    Das Leder an seinem Körper wurde allmählich wärmer. Trotzdem rann ihm eine Gänsehaut über die Arme; zog sich sein Magen zusammen bei der Vorstellung, dass es sich um seinen Arm schlang.


    Und den Traum ignorieren? Wäre das nicht leichtsinnig? Gut... zugegeben – es blieb ein Traum, sogar ein denkbar unrealistischer. Erst einmal war es völlig unmöglich, mal eben zum Yassalar zu werden und zudem traute er sich nicht wirklich zu, Malallai überhaupt töten zu können… selbst wenn er oder irgendwer das aus
    unerfindlichen Gründen wollen sollte… es blieb ein Alptraum… er blieb doch auch nicht tagelang zuhause in seinem Bett liegen, nur weil er geträumt hatte, von einem Schattenhai gerissen zu werden.

    Erschöpft vom hin und her rann ihm der Atem aus der Lunge.
    Wenn es doch nicht gerade dieser Yassalarstahl wäre... Aber blieb Metall nicht Metall? Wie es hergestellt worden war … wen hatte das jetzt noch zu interessieren? Es befand sich an Mallalais Arm und wenn der sich nicht scheute, es zu benutzen, konnte es so schlecht nicht sein. Waffen trugen keine Geister in sich. Zumindest nicht die von Yassalar. Denn I’seidon bezweifelte sehr, dass die überhaupt Seelen besaßen.
    Was zögerte er also?


    I’seidon konnte trotz mühsam errungener Beherrschung nicht verhindern, dass seine Finger zitterten, als sie der Manschette nah kamen. Der Atem stockte ihm für einige Herzschläge. Seine Hand streifte die von Mallalai, die noch immer das inzwischen warme Leder an ihn presste. „Einverstanden“, antwortete er mit belegter Stimme, die Fingerspitzen auf dem Leder absetzend. „Aber…“, er grinste schwach. „… deshalb fange ich jetzt nicht an, dich Meister zu nennen, klar?“

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