Zwischen Seetang und Korallen

  • Moro war etwas verdattert von der Umarmung. Das letzte mal, dass ihn jemand in den Arm genommen hatte, war so viele Jahre her, wie Kea alt war. Immerhin war es ihre Mutter gewesen.
    Aus diesem Grund machte es ihn auch verlegen, obwohl er wusste, dass es nichts bedeutete. Dennoch wandte er sich kurz ab, um seinen Herzschlag sich wieder etwas beruhigen zu lassen.
    Mishas Wandel hatte ihn erstaunt. Eben noch verängstigt, schien sie nun wieder voller Tatendrang zu sein, sodass er Kea heranwinkte, damit sie der Nixe folgen konnten.

  • Hinter sich zogen die drei Meeresgeschöpfeeine glitzernde Spur aus feinen Luftperlen her, die sich spielerisch umeinanderwanden. Die junge Nixe spürte, wie mit jedem weiteren Flossenschlag mehr Lebendigkeit in ihr pulsierte, wie das leise Rauschen ihrer gleichmäßig atmenden Kiemen sich mit einem kräftigen Herzpochen vermischte. Der kleine Unfall von vorhin war längst vergessen.
    Ihr perlte ein silbriges Luftlachen von den Lippen, das sich der verfliegenden Spur hinter ihr anschloss. Sie liebte es, mit anderen zu schwimmen!


    Misha steuerte Elues Felsen an, der noch immer, scheinbar über allem anderen schwebend, in einiger Entfernung als dunkler Schemen stand. Sie wandte sich um zu Moro, immer noch beeindruckt davon, dass er Gartenarchitekt war. "Du hast bemerkt, dass man den Felsen immer sehen kann, egal aus welcher Richtung man nach ihm sieht?", fragte sie Moro, doch ehe er antworten konnte, bremste sie mit einer Wendung abrupt ab und verstummte. Zuerst schloss sie die Augen, dann hörte man das ziehende, rauschende Geräusch eines tiefen Einatmens. Ihre Kiemendeckel flatterten im Wasserstrom und ein Lächeln erschien auf ihren glänzenden Lippen.
    Im Wasser hatte sich der Duft eines ganz besonderen Lebewesens verfangen, der die letzten Züge der Reise zu Elues Felsen versüßte. Sie schlug die Augen wieder auf, zu den goldenen Sprenkeln in den Augen gesellte sich ein verzückter Ausdruck. "Riecht mal!", forderte sie ihre Freunde auf und während sie wartete, dass sie genau dies taten, begann sie zu erzählen. "Das ist der Duft von Nektarienkorallen. Sie bilden kleine Kolonien, wie violette, weiche Kissen sehen sie aus ... seht ihr es an den großen Felsen rot leuchten? Das sind sie. Sie sollen an den Duft der Blumen erinnern, die an Land wachsen. Ich habe sie noch nicht selbst gerochen, aber wenn sie genauso duften ..."


    Sie dachte einen Moment lang ernsthaft darüber nach, wie es wohl sein mochte, mit der Nase an trockener Luft zu riechen, dann lachte sie jedoch leise über sich selbst und wischte ihre Überlegungen mit einer Handbewegung beseite. Abgesehen davon, dass sie sich niemals trauen würde dies zu tun, war sie glücklich mit dem Duft der Weichkorallen und schwelgte noch ein wenig darin, während sich ihre Finger spreizten und wieder schlossen, die zarten Schwimmhäute dehnend.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Moro hielt überrascht in der Schwimmbewegung inne. Auch er roch es und zog den Duft ein. Sein Blick wanderte zu Kea, die die Wunder unter Wasser noch nicht so gut kannte. Er verschwieg auch, dass er das was Misha gerade sagte, wusste. Als Gartenarchitekt musste man so etwas einfach wissen. In Elue würde er sicherlich nicht die Gärten gestalten dürfen. Dazu war er zu neu hier und die Gärten zeigten deutlich, dass die Meerwesen dahinter etwas davon verstanden.
    Er warf einen Blick auf den Felsen und testete, was Misha so eben gesagt hatte. Und tatsächlich, sie hatte recht. Wie geschickt! Ein breites Lächeln überzog sein Züge, während er die Umgebung musterte.

  • Kea konnte gar nicht so schnell bremsen, wie die beiden Erwachsenen anhielten und rummste daher erst einmal mit Wucht gegen ihren Vater. Sie brauchte einige Momente, bis sie das Gleichgewicht wieder gefunden hatte, während dessen die Worte Mishas an ihr Ohr drangen.
    Also versuchte sie den Geruch aufzunehmen, um ihn kennenzulernen und suchte dann mit großen Kinderkulleraugen (hin und wieder zeigte sich eben doch noch, das Kea ein Kind war) - nach der Quelle selbigen, besagten Korallen.


    "Ihr Geruch ist anders. Aber er erinnert dennoch an die Blumen, die in der Stadt wachsen. Wenn man deren Geruch nicht kennt auf jeden Fall."


    Ja, da hatte Kea wieder einen kleinen Bonus, immerhin kannte sie den Geruch der Blumen von 'oben' und konnte beurteilen, wie ähnlich er dem Korallengeruch ungefähr war.

  • Die Nixe hielt ihre Augen noch ein Weilchen geschlossen und genoss den lieblichen Duft, sog ihn durch die Kiemen, schmeckte das Wasser auf der Zunge, entließ es wirbelnd wieder in den Ozean. Da Moro nichts sagte, schlug sie die Augen schließlich auf und betrachtete sein Gesicht, das ein breites Lächeln zeigte. Auch Mishas Lippen zierte ein ausdauerndes, zartes Lächeln, auch als sie sich wieder dem Garten zuwandte und überlegte was sie Moro und Kea als nächstes zeigen wollte.


    Sie erschrak ein wenig, als Kea ungebremst mit Moro kolliderte, lachte dann jedoch sofort kurz und heiter auf, als sie Kea um ihr Gleichgewicht ringen sah. Die kleine Meereselfe beobachtete den Garten mit solch bezaubernden Kulleraugen, dass Misha sie für einen Moment mit den seltenen dunklen Perlen vergleichen wollte, die es manchmal auf dem Markt zu kaufen gab. Entzückt lauschte sie Keas Worten, die ihr vom Duft der Landblumen erzählten, die sie noch nie gerochen hatte.
    Ob man sie auch unter der Wasseroberfläche riechen konnte? Vielleicht könnte Kea ihr mal eine pflücken und mitbringen? Kurz nur durchquerten diese Gedanken Mishas Kopf, dann schüttelte sie denselben schwach. Eine verrückte Idee, zumal sie es nicht mochte Pflanzen von ihren Wurzeln zu trennen und so zu töten.


    "Ich möchte sie einmal riechen, diese ... Blumen.", sagte Misha plötzlich und eine schwache Röte huschte über ihre perlmuttenen Wangen. Sie blickte von Kea zu Moro, die schmalen Brauen ein wenig zusammengezogen und fragte sich, wie gut sie verstehen konnten, dass sie Angst vor dem Trocken hatte. Ein Gefühl, als habe sie Sand in der Kehle drängte sich ihr auf. Doch dann, so plötzlich, als wäre nicht gewesen sprang wieder ein feines Lächeln auf ihre Lippen.


    "Kommt mit, ich möchte euch nun zum Felsen bringen.", sagte sie, ein bisschen gefasst, als ginge es um etwas ernstes und bewegte sich mit einem Schwanzschlagen ein wenig zur Seite, legte den Kopf auf eine Schulter. Dann begann sie den beiden Meereselfen den Weg zu weisen, schwamm stets ein wenig voraus, nannte hier und dort ein paar Pflanzennamen, wies auf Besonderheiten in der Bepflanzung hin.
    Dann schließlich verschwand der Felsen, fast zum Greifen nahe, hinter einem sich wiegenden Meer von Seegras, ähnlich dem, in dem sich Misha verfangen hatte, das sich im gesprenkelten Halbschatten hinter dem Felsen befand. Hier und da leuchtete das Rot einer Schnecke auf, die daran unbekümmert knabberte. Misha hielt inne, ihr Gesicht sah nun gänzlich anders aus als noch wenige Momente zuvor. Obwohl sie glücklich wirkte, fehlte ihr das unbeschwerte Lächeln, ein Gefühl der Traurigkeit tränkte das Wasser, obwohl es süßlich schmeckte, betäubend, fast vergessen machend, dass Elues Geschichte traurig endete. Ein paar letzte Schwimmbewegungen trugen die drei Meeresgeschöpfe über das Gras hinweg, eröffneten den Blick auf Elues Felsen. Im Grunde war er vollkommen unspektakulär, doch durch das, was um ihn geschehen war, wirkte er fast surreal, fast wie eine Kulisse und doch voller so drückender Echtheit.
    Misha schwieg und verfolgte mit den Augen die feinen Spuren im Gestein, die das Meer und seine niemals verebbende Strömung hineingeritzt hatte. Sie spürte die Anziehungskraft dieses Felsens wie einen Sog, wie einen Strudel, der sie näherzog und im letzten Moment doch losließ, damit sie ihn betrachten konnte. Ihr Blick flackerte stumm zu Moro und Kea.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Moro beobachtete Mishas Gesicht, nachdem sie den Wunsch äußerte einmal an Land zu gehen.
    Er wusste nicht, was sie hinderte. Doch er selbst, er fühlte sich stets unwohl fern von Wasser. Instinktiv spürte er, dass er hier her gehörte und nicht zu den Trockenatmern. Doch für Kea und nur für sie, führten ihn seine Wege hin und wieder an Land. Vielleicht konnten sie Misha einmal mitnehmen.
    Noch bevor er etwas sagen konnte, schwamm sie jedoch weiter. Schließlich schwammen sie auf einer Stelle. Er fragte sich, was in der Nixe vorging, dass sie auf einmal so verändert war. Lag es nur an dem Felsen? Moro schätzte sich auch eher romantisch ein, jedoch bedrückte die Geschichte von Elue ihn nicht. Aber er kannte auch nur die kurze Fassung.
    Er sah zu Kea. "Kennst du die Geschichte um diesen Felsen," fragte er seine kleine Tochter.

  • Misha wartete nicht, bis Kea geantwortet hatte. Ihr Blick sprühte vor Begeisterung, die goldenen Sprenkel auf ihrer Iris wurden deutlicher.


    "Auch wenn du die Geschichte kennst, so hast du sie noch nie erzählt bekommen."


    Die junge Nixe war hier in ihrem Element, dies war ihr Garten, ihr Reich, ihr Stolz. Auch wenn sie natürlich nicht einen einzigen Stein in Elues Garten besaß und sie in den zwei Jahren, die sie nun in Elue'Adar wohnte, sicher nicht viel an der Bepflanzung gestaltet hatte. Unstet zog ihre Fluke durch das duftende Wasser, das still von unsichtbaren Strömungen bewegt wurde, die sich an Elues Felsen aufspalteten und die man nur an den sachten Bewegungen der Pflanzen erahnen konnte. Von ihrem Betrachtungswinkel sah die Silhouette des Steins riesig aus, hoch, mächtig ... doch je näher sie ihm kamen, um so stäker fiel auf, wie strukturiert der Fels war.
    An vielen Stellen war er porös und vernarbt, manch ein Stück war herausgebrochen und gab das Innere des Steines preis, wo es dann fast unsichtbar glitzerte. Hier und dort hatten sich kleine Mulden und Grotten gebildet, in denen Fische ihre Brut aufzogen.
    Und ganz oben, am höchsten Punkt des Steins, dorthin hatte man ein Ebenbild Elues gebracht, wie sie ihren Blick sehnsuchtvoll auf den Hafen von Nir'alenar richtete, den man an diesem Tag vervorragend sehen konnte, so klar und still wie das Meer war.
    Doch noch konnte man die Statue der Nixe nicht sehen, noch befanden sie sich zu nahme am Grund des Meeres, die Vegetation teilweise so hoch, dass man sie nicht überblicken konnte.


    Misha wies nach oben, entgegen der Oberfläche und gestikulierte Moro und Kea ihr zu folgen, als sie mit einigen Flossenschlägen begann höher zu schwimmen.


    "Elues Geschichte beginnt mit einem Unglück.", begann sie zu erzählen und wirkte dabei gefasst. "Ein Schiff brach damals im Sturm auseinander, ein Schiff, das viele Luftatmer trug. Als ihr Schiff sie nicht mehr tragen konnten, sanken sie ins Meer, die Luft kann sie schließlich nicht tragen und so sanken sie und schlucken Seewasser und versuchten mit ihren Lungen das Wasser zu atmen. Viele starben an diesem Tag."


    Mishas Flossenschläge wurden langsamer, ihr Blick glomm traurig, doch dann schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. "Doch wir Nixen konnten viele retten! Sie brachten viele der trockenhäutigen Wesen unter die Kuppel, durch die vielen geheimen Gänge in Häfen und Seen. Elue war an diesem Tag auch dabei und sie hat einen Mann gerettet, einen Menschen, in den sie sich rettungslos verliebte. Er jedoch ... er erinnerte sich nicht an sie, als er wieder zu sich kam."


    Bald hatten sie den Felsen ganz im Blick und langsam tauchte die Gestalt Elues auf, erst eine Fluke, dann ein Fischleib, eine schlanke Taille und in einer unsichtbaren Strömung wehendes Haar. In der Ferne konnte man tasächlich schwache Umrisse des Hafens sehen, man konnte die Wellen sehen, die das Meereswasser an der Kuppel warf und das Grün der Unterwasservegetation eines Hafens.


    "Jeden Tag kam sie hier her. An diesem Ort. Nur um den Hafen zu sehen, hoffend, dass sie ihn wiedersehen konnte. Doch sie sah oft umsonst in die Ferne."


    Elues Gesicht mit den sehnenden, schmerzvollen Zügen blieb ihnen noch verborgen, um es sehen zu können, hätten sie um die Statue herumschwimmen müssen, doch Misha machte keine Anstalten sich zu bewegen, sondern verharrte hinter ihr. Ihre Hand lag auf der rauen Oberfläche des Steins, als könnte er sie spüren machen, was damals geschehen war.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Moro folgte der Nixe mit gleichmäßigen Schwimmbewegungen und sah nur hin und wieder zurück, um zu prüfen ob Kea ihnen noch folgte. Er sah, wie die Hand der jungen Frau auf der Statue ruhte. Die Geschichte war traurig. Und vielleicht hätte er sie besser verstehen sollen als jeder andere, aber vielleicht genau darum, weil er ein Kind mit einem Luftatmer hatte, weil er sich auch für ein Leben im Wasser entschiede hatte, berührte ihn die Geschichte nicht so sehr. Sie war traurig, nichts weiter. Er war nur gespannt, wie Kea auf die Geschichte reagierte. Vielleicht würde er trösten müssen.
    Und so sah er völlig unbeteiligt aus.

  • Kea beobachtete Misha genau, das Funkeln in deren Augen, die Begeisterung mit der die Nixe erzählte. Sie folgte ihrem Vater und der Freundin auf dem Fuße - oder der Flosse in Mishas Fall. Gespannt huschten ihre Blicke umher, nahmen die Eindrücke in sich auf. Der Duft des Wassers, die Struktur des Felsens, Mishas Begeisterung. Aber als sie die Geschichte zu erzählen begann, verharrte Kea ganz still. Ja, ihre Mutter hatte ihr die Geschichte einmal erzählt, aber damals war Kea noch nicht so durch die Yassalar und all das Geschehene so geprägt gewesen wie an diesem Tag.
    Die Geschichte stimmte sie traurig, vor allem weil sie auch wusste, das es eben anders sein konnte.. Das auch "Luftatmer" und Meereswesen Kinder haben konnten. Jedenfalls bestimmte von ihnen. Eine Nixe und ein Luftatmer, das wäre sicherlich schwer. Ein Meereself konnte ja wenigstens an Land gehen.


    Langsam ließ sie den Blick an der Statue empor wandern, auf der Misha ihre Hand ruhen hatte. Kea griff nach der Hand ihres Vaters. Sie war still - wie so oft. Ihr Blick wirkte nachdenklich.

  • Misha spürte, wie ihr Kummer das Wasser färbte und eine Stille einzog, die sie kaum zu stören wagte. Eine Stille die mehr war, als die bloße Abwesenheit von Geräuschen. Eine Stille, die sie alle umfloss und festhielt.
    Um Elues Statue zog eine kühle Meeresströmung, die lautlos über Mishas Schuppen rieb, welche die Flossenschleier an ihre Hüfte bewegte und ihr wirres, grünblaues Haar hinter ihrem Kopf aufbauschte. Als sich Mishas Hand vom rauen Felsen löste und dabei ein Wölkchen Sediment aufwirbelte, wirkte sie gefasst und ernst, auch wenn ihre Augen immer noch vor Traurigkeit glommen. Langsam schwamm sie um die Statue der jungen Nixe herum, bis sie ihr Gesicht sehen konnte ... das zauberhaft schöne, zarte Gesicht Elues wie es sehnend blickte, lächelte und doch von Schmerz erzählte.


    Immer noch traf dieser Anblick die Nixe tief, obwohl sie die Statue an jedem Tag sah, den sie hier arbeitete. Diese Wirkung konnte sich nicht abnutzen.


    "Eines Tages, als sie sich wieder hier niedergelassen hatte", begann Misha und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht "entdeckte sie ihn. Sie wusste genau, dass er es war, denn sein Gesicht hatte sich für immer in ihre Erinnerung gebrannt, sein Gesicht war es, dass sie sah, wann immer sie die Augen schloss."


    Mishas Blick war auf Nir'alenars Hafen gerichtet. Er war zum Greifen nah und doch viele kräftige Schwimmzüge entfernt. Man musste eine enge Passage durchschwimmen, ehe man das Hafenbecken erreichen konnte, Misha wusste das, obwohl sie die Passage selbst erst einmal geschwommen war. Der Hafen wirkte bedrohlich auf sie, das enge Becken mit den noch engeren Zu- und Ausgängen bedrängend und wie ein Gefängnis. Mishas Kiemenklappen flatterten kurz, als das Nixenäquivalent eines Räusperns erklingen ließ.


    "Augenblicklich schwamm sie los, denn sie wollte sich ihm zu erkennen geben, in der Hoffnung, er erinnere sich an sie, wenn er ihr Gesicht erst sehen würde. So flink wie es nur eine Nixe vermag durchschwomm sie die Hafenpassage, doch im schummerigen Licht des Hafenwassers jedoch offenbarte sich ihr ein Anblick, der sie zutiefst erschütterte. Der Mann, den sie gerettet hatte. An der Seite einer Frau. Elue wusste, dass es Liebe war, die sie in den Augen der Menschen entdeckte. Und als schließlich die Erkenntnis fiel, dass ihre Liebe niemals erwidert werden würde, kehrte sie zu ihrem Felsen zurück."


    Mishas Blick fiel über ihre Schulter zurück auf die Statue Elues. "Wo man sie schließlich leblos auffand."


    Die junge Nixe beendete hier ihre Erzählung, wissend, dass dies nicht das Ende, sondern erst der Beginn von dem war, wass sie hier heute vorfanden. Für Misha war es absolut klar, warum Elue gestorben war ... nicht aus Neid, nicht nur aus unerwiderter Liebe ... ihr Leben hatte ihren Sinn verloren. Sie hatte ihren Sinn alleine an diese eine Sache geknüpft. Elues Herz war zersplittert im Bruchteil eines Augenblicks und nichts und niemand in den unendlichen Weiten des Ozeans hätte es jemals wieder zusammenfügen können.
    Manchmal, da dachte Misha ähnlich von ihrer Familie. Dass sie einen Scherbenhaufen darstellten. Zerbrochen für immer, die Splitter von den Wellen davongetragen, wissend, dass sie zusammengehören. Und doch war es ihnen unmöglich sich wieder zusammenzufügen zu dem, was sie einmal waren. Sie widmete ihrer Mutter einen schwermütigen Gedanken, ehe sie wieder Kea und Moro ansah und schwach lächelte.


    "Eine Geschichte aus der man lernen kann.", schloss sie und sah auf ihre Hände hinab, spannte die Schwimmhäute auf und schloss sie wieder, unsicher, ob sie dazu etwas hinzufügen sollte.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Moro hielt die Hand seiner Tochter und strich sanft mit den Fingern über die ihren. Er lauschte der Geschichte zu Ende, behielt dabei sein Mädchen in den Augen. Für ihr Alter war sie oft zu ruhig und manchmal erschien sie ihm all zu melancholisch. Deswegen fragte er sich, ob die Geschichte so geeignet für ihre Ohren war.
    Auch Misha wirkte still und schwermutig und der Mira'Tanar fühlte sich unwohl. Er unterdrückte den Impuls die Schwere, die sich scheinbar auf die Gemüter gelegt hatte, mit der Hand fortzuwedeln. Er wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht was, da er sich fehl am Platz fühlte.

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