Der Nachtmarkt (alt)

  • Jede Nacht, wenn die Uhr des Glockenturms zur zwölften Stunde schlägt, erwacht der Nachtmarkt von Nir’alenar zum Leben. Seine Existenz ist ein Geheimnis, das sorgfältig gehütet wird und von dem man nur Kenntnis erlangt, wenn man in den richtigen Kreisen verkehrt.
    Der Zugang wird stets gut bewacht. Die Größen der Unterwelt sorgen dafür, dass ihre besten Leute ein Auge darauf haben, dass der Nachtmarkt nicht von den falschen Augen entdeckt wird. Tief in einem abgelegenen, riesigen Gewölbe der Katakomben erstreckt sich diese Schattenwelt. Nur über den unterirdischen Fluss ist sie zu erreichen und nicht jeder Führer weiß, wo man einen Fährmann findet, der Besucher zum Markt bringen kann.
    Wer Glück hat, wird durch das endlose Labyrinth der Wasserstraßen befördert, bis der flackernde Fackelschein zu erkennen ist, der das lebhafte Treiben der Unterwelt enthüllt.
    Stände ziehen sich durch das komplette Gewölbe. Manche von ihnen verbergen sich in Nischen, andere stehen mitten auf dem riesigen Platz und bilden eigene Gassen. Händler bieten ihre Waren mit lauten Rufen an. Andere bevorzugen es, diskreter vorzugehen und lassen sich nur finden, wenn sie gefunden werden wollen.
    Auf dem Nachtmarkt gibt es alles, was man auf anderen Märkten nicht zu erwerben vermag. Gifte, Schmuggelwaren, Drogen und verbotene alkoholische Substanzen werden offen verkauft. Fremdartige Kreaturen und Tiere warten in Käfigen auf neue Besitzer. Prostituierte locken jene, denen der Sinn nach Vergnügen steht und schöne Tänzerinnen und Akrobaten unterhalten das Publikum, während es teure Speisen zu sich nimmt und sich an exotischen Getränken berauscht.
    Es gibt beinahe nichts, was man auf dem Nachtmarkt nicht kaufen kann, wenn man bereit ist, dafür zu bezahlen. Dies gilt insbesondere auch für Informationen, die an bestimmten Ecken verkauft werden. Jene, die diesen Ort besuchen, haben ihre Augen und Ohren in der ganzen Stadt und wissen vieles zu erzählen, was andere zu verbergen trachten.
    Wer in der Unterwelt Rang und Namen besitzt, ist hier auf die eine oder andere Weise vertreten und zeigt sich nicht selten sogar selbst, von seinen Getreuen umgeben, um die eigene Position zu präsentieren oder auf dem Weg zu einem wichtigen Treffen.
    Besonders zu jenen Zeiten, wenn die Herrin des Nachtmarkts, die man nur Schattenkönigin nennt, selbst in Erscheinung tritt, verursacht dieses Ereignis stets großen Trubel. Die Schattenkönigin lässt sich stets einer prächtigen Sänfte durch die Gassen ihres Werkes befördern, streckt hier und da eine grazile, weiße Hand zwischen den Vorhängen hindurch, um Waren zu begutachten. Juwelen zieren ihre Finger und ein Schleier verbirgt ihr Gesicht, wenn es doch einmal hinter den seidenen Tüchern zu erkennen ist.
    Um wen es sich bei dieser Frau handeln mag, weiß niemand. Man munkelt, dass sie über Beziehungen zu Endar Mariandor verfügt und dass er der Einzige ist, der ihre wahre Identität kennt. Manche nennen ihn den wahren Herren des Nachtmarktes und behaupten, dass die Schattenkönigin nicht mehr als eine Marionette des Elfen ist. Ob darin jedoch ein Körnchen Wahrheit steckt oder nicht, kann niemand mit Sicherheit sagen.
    Wahr ist allerdings, dass beide Namen selbst den gefährlichsten Individuen der Schattenwelt eine gewisse Vorsicht abtrotzen.

  • Schon seit einer geraumen Weile zog Amina durch die Gänge des Nachtmarktes. Sie hielt sich gerne hier auf denn hier war sehr gut an manche Information zu kommen, wenn es darum ging, wie gut bewacht so manches Adelshaus war und wo sich ein kleiner "Besuch" in der Tat als rentabel erwies. Doch heute erschienen ihr die Informanten wenig redselig. Nunja vielleicht wären sie auch etwas redseliger gewesen doch derlei Informationen ließen sich besagte Informanten auch gerne etwas kosten und bei Aminas aktueller finanzieller Lage konnte sie da kaum auf brauchbare Hinweise hoffen. Sie seufzte und strich umher in der Hoffnung, vielleicht irgendwo lauschen zu können. Es war wie verflucht. Wenig finanzielle Mittel brachten kaum brauchbare Auskünfte und ohne brauchbare Auskünfte kam sie nicht an finanzielle Mittel. Das Schicksal schien Amina einen großen Streich spielen zu wollen doch sie würde nicht aufgeben. So stacksten ihre langen, in dunkle Hosen und lederne Stiefel gekleideten Beine missmutig weiterhin über den Markt, Augen und Ohren stets offen haltend.

  • Maida gähnte. Die letzten Tage bekam sie einfach zu wenig Schlaf. Leider - hätte sie nicht besser sagen sollen, zum Glück? - hatte sie zur Zeit mehrere vielversprechende Herren an der Angel und konnte sich der Einladungen zu Gesellschaften, Gesprächsabenden oder vertrautem Abendessen kaum erwehren. Gegenwärtig stand sie an einer Ecke des Nachtmarktes und unterhielt sich mit dem Laufburschen eines ihrer Geldgeber. Boingar, so hieß der breitschultrige Kerl, hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief.


    "Langweile ich dich?", brummelte er missmutig. "Oder vielmehr unser Herr und Meister, der dir durch mich Nachricht schickt?"


    "Nein, nein", lachte Maida mit heller Stimme und zwinkerte ihm keck zu. In der Unterwelt trug sie stets einfache Kleidung und einen dunklen Umhang mit Kapuze. Hier unten war sie allein auf ihren Charme und ihre Körpersprache angewiesen. "Ich schlafe zu wenig, fürchte ich, wenn ich mit brauchbaren Informationen dienen soll, liebster Boingar. Du langweilst mich doch niemals. Verzeih mir, das Gemurmel deiner seidenweichen Stimme ist so herrlich einschläfernd..."


    "Soll ich etwa herumschreien, damit gleich jeder alles mitbekommt, Mädchen?", grollte der grobschlächtige Mann, doch er war nicht böse. Ein Schmunzeln zuckte um seine Mundwinkel. Er mochte Maida recht gern, das wusste sie, dennoch musste sie stets auf der Hut sein, was sie ihm sagte und was nicht.


    "Also gut, teile dem Meister mit, sein Auftrag wird erledigt, sobald ich Zugang zu - du weißt schon - habe. Das sollte rasch erledigt sein. Ich kenne da einen jungen Adeligen..." Maida hatte nicht vor, die Namen ihrer Klienten zu nennen. Es wurde auch nicht verlangt. Diskretion war hier unten Gesetz. "Falls es allerdings zu Komplikationen kommt, muss ich den Preis erhöhen. Ist dies nicht gewünscht, gib mir rechtzeitig Bescheid. Was die Angelegenheit vom letzten Mal angeht..."


    Maida sah sich kurz um, und auch wenn die Kopfbewegung flüchtig wirkte, wanderten ihre Augen flink und aufmerksam über die Personen, die geschäftig auf und ab liefen oder gar stehengeblieben waren. Nur ein kleines Stück weit streckte sie die Hand unter dem Umhang hervor und erwartete die Geldübergabe. Informationen gab es erst nach Bezahlung.

  • Vergraben unter den Grundfesten der Stadt, für rechtschaffene Bürger so nützlich wie ein eiterndes Geschwür, dämmerte der Nachtmarkt in den Katakomben. Nur die Toten wussten um all seine Geheimnisse und doch gaben sich viele Lebende große Mühe, es ihnen gleich zu tun. Es wurde noch immer geflüstert, wenn man von den Geschäften sprach, die unterirdisch ersonnen und gesponnen wurden. Nichts schien sich geändert zu haben, außer ihm selbst. Zumindest glaubte er das so lange, bis sich die groben Mauern der dunklen Tunnel wieder um ihn schlossen und der offene Himmel hinter ihm zurück blieb.


    Hatte er das wirklich? Sich geändert?



    Obwohl Mitternacht näher rückte, war die Stille im Kanaltunnel allumfassend. Das flüsternde Plätschern, wo das schlanke Ruder des vermummten Fährmanns durchs Wasser glitt, wurde zum Metronom des Schweigens. Trist war der Weg, unbestimmbar die zahllosen Verzweigungen der Kanäle. An wenig würde man sich erinnern, hatte man den Weg einmal hinter sich gebracht. Nur ein Detail blieb im Gedächtnis: Wie könnte man diesen modrigen, toten Geruch vergessen, wenn man ihn einmal geatmet hatte? Wer einmal hierher hinab zu den verdorbenen Seelen der Unterwelt stieg, kam nicht unbefleckt wieder nach oben.


    Allmählich veränderten sich die Geräusche und Ascans Blick, der ins Dunkel voraus gespäht hatte, entdeckte den matten Widerschein ferner Fackeln. Das tiefe Hämmern einer Trommel war der erste Vorbote des nahenden Marktes. Bald schon gesellten sich hellere Töne dazu, raubten dem Trommelschlag mehr und mehr die Illusion eines schnell schlagenden, tief vergrabenen Herzens.


    Gedämpft empfingen sie die ersten Lichter. Die Musik war nun rhythmisch, ein anderer hätte sie vielleicht als berauschend beschrieben. Die Luft schmeckte schal, eigentümlich, als sei sie nur dazu gut gewesen, den jahrhundertealten Ruß der Fackeln in sich zu konservieren.
    Wie schon damals schlingerte das Boot, als sich die dunkel gekleidete Gestalt des Syreniae erhob und das hohe Ufer des Kanals erklomm. Der Fährmann sandte ihm ein zahnloses Grinsen zum Abschied. Die Kapuze verbarg Ascans Abscheu angesichts der unansehnlichen Geste. Er war zu müde von der Schufterei auf Damiels Dachboden, um noch Geduld für die Unsitten dieses Gesindels zu haben.


    Seinen Sold bereits in der löchrigen Tasche, machte sich der Fährmann auf den Rückweg. Es war noch früh und vielleicht wartete schon sein nächster Passagier am geheimen Eingang zum Labyrinth der Schatten. Nur wenige Schritte trennten Ascan nun vom Dickicht der Stände, deren aufgespannte Planen und verkreuzten Haltestäbe nur schmale Gassen freiließen. Der Widerwille des Syreniae, sich hindurch zu zwängen, blieb nicht nur ein gedankliches Hindernis. Minutenlang rang er mit sich, den ersten Schritt zu setzen. Erst nach einem langen Ausatmen, bei dem er sich auf das Gewicht der Pistole an seiner Seite besann, schritt er hinein.
    Es würden ihn breitere Pfade erwarten, je näher er dem Zentrum des Marktes kam.


    Mit einer Prise Glück würde er einen alten Bekannten wiederfinden. Ein lichtscheuer Geselle, den nur wenige kannten und den selbst diese nur abschätzig als Rattenfinger bezeichneten. Von den Göttern mit der zweifelhaften Ausstrahlung einer Kanalratte gesegnet, hatte der kleine Rattenfänger seine Augen und Ohren überall und nirgends auf dem Nachtmarkt. Wer ihm begegnete, übersah ihn schlichtweg oder duldete ihn mit derselben Gleichgültigkeit, mit der man auch den Gestank aus den Kanälen ertrug, in denen er hauste. Der Rattenfänger gehörte damals zu den wenigen Informanten und Spionen, die Ascan fest in seinen Diensten wusste. Seit er ihn zuletzt gesehen hatte, waren fünf Jahre vergangen, doch die Chancen standen gut, dass er ihn noch immer hier, im größten Rattenloch Nir'alenars, aufstöbern konnte.


    Suchend glitt der Blick des hochgewachsenen Syreniae über die Stände und in die Schatten zwischen ihnen. Ratten verkrochen sich gern in zwielichtigen Ecken... und mit ihnen ihr Fänger.
    Die vielen Gesichter der Händler mit ihrem verschwörerischen Zwinkern und ihrem falschen Grinsen machten ihn krank. Mehr als einmal musste er den Blick rasch abwenden, als ihm verbotene Waren ins Auge fielen, die er nur zu gern nie wieder gesehen hätte. Mit den anderen zwielichtigen Besuchern des Marktes hatte er weniger Schwierigkeiten. Der einschüchternde Anblick seiner schwarzen Flügel hielt ihm den Weg frei - im Grunde brauchte er kaum mehr tun, als sich hier zu präsentieren. Sel würde so über kurz oder lang von seiner Rückkehr erfahren... falls sie das nicht schon längst hatte...

  • "Soll ich etwa herumschreien, damit gleich jeder alles mitbekommt, Mädchen?" Diese Worte ließen Amina aufhorchen und inne halten. Nur wenige Schritte von dem Paar - oder vielmehr den Geschäftspartnern - blieb sie stehen und verbarg sich in den Schatten. Ihre dunkle Kleidung half ihr dabei, fast unsichtbar zu werden.


    Von ihrem Versteck aus war es für Aminas scharfes Gehör ein Leichtes, den Rest des Gespräches mit anzuhören. So so die Dame kannte also einen jungen Adligen. Ein flüchtiges Grinsen huschte über Aminas Züge. Ihr Interesse war geweckt. Und ihre Auftrag würde sie erledigen sobald Zugang hatte zu ... Zu was? Leider gab dieses Gespräch nicht sehr viel mehr preis. Doch Amina beschloss, diese Dame im Auge zu behalten. Wenn es um Adlige ging, war ihr Interesse geweckt. Dort gab es immer etwas zu holen.


    Doch noch während die Fremde ihrem Gesprächspartner ihre fordernde Hand entgegen streckte, wurde Aminas Aufmerksamkeit von Getuschel abgelenkt. Ihre Augen folgten dem Flüstern und Amina erkannte einen Fingerzeig. Nein. Nicht nur ein Fingerzeig. Etwas oder Jemand schien die Aufmerksamkeit der Marktbesucher auf sich zu ziehen. Hier wurde getuschelt, da nickte jemand mit dem Kopf und dort und zeigte ein Finger auf eine imposante Gestalt mit schwarzen Flügeln. Amina schluckte und konnte die Augen nur schwer von diesem Wesen lassen.

  • Etwas war im Gange. Die Leute wurden unruhig. Doch Maida ließ sich nicht ablenken, sondern behielt Boingar fest im Blick. Der Kerl würde ohne mit der Wimper zu zucken abhauen, kaum dass sie den Kopf abwandte, und beim nächsten Treffen dreist behaupten, er hätte sie doch bezahlt, und trotzdem auf die fehlenden Auskünfte pochen. Streit war das Letzte, worauf sie es anlegte. Solange keine Warnung wegen unangenehmer Schlägertypen oder übereifriger Ordnungshüter - die zu meiden jedem gelegen war - erscholl, gab es keinen Grund sich um etwas anderes zu kümmern als das eigene Geschäft. Maida lächelte kokett und wartete seelenruhig, bis ein praller Geldbeutel in ihre Handfläche sackte. Rasch verschwand der Tauschgegenstand unter ihrem Umhang. Nachzählen würde sie zuhause. Boingar hatte sie noch nie betrogen und das würde er auch nicht, solange er Geschäfte mit ihr machte.


    Die Unruhe rundherum war von Vorteil. Niemand würde sie in diesem Moment belauschen. Die Informationen wechselten rasch und mit gedämpfter Stimme von der Spionin zum Laufburschen eines ruchlosen Ganoven. Boingar nickte, grinste sie mit seinen schwarzen Schneidezähnen zufrieden an und drehte den Kopf zum Gegenstand des Getuschels. Maidas Augen folgte seinem Blick. Als sie das nächste Mal zu Boingar hinschaute, war dieser verschwunden.


    Auf dem Markt hatte sich eine freie Fläche gebildet - was in diesem Gedränge höchst ungewöhnlich war. Der Grund war weithin sichtbar: Eine hochgewachsene Gestalt mit schwarzen Schwingen auf dem Rücken. Maidas Augenbrauen hüpften die Stirn hinauf. Die Cath'shyrr stieß sich von dem Bierfass ab, gegen das sie sich gelehnt hatte, und trat ein paar Schritte aus der Ecke heraus, in die Nähe einiger tiefer Schatten, um ihm Ernstfall schnell verschwinden zu können. Neben sich hörte sie das erstaunte Atmen einer Person, die sich offenbar dort verborgen hielt.


    "Wer ist das? Einer vom geflügelten Volk?", fragte Maida gedämpft in die Schwärze hinein. "So ein Wesen ist mir bisher noch nie begegnet. Man sagt, ihre Zauberstimme könne den Willen anderer lähmen."

  • Noch keine Spur von Rattenfinger... und dabei war die Gossentafel in dieser Nacht reich gedeckt mit einer üppigen Auswahl besonders fetter Nager. Man konnte den Finger ausstrecken und wahllos in eine der dunklen Ecken zeigen ohne dabei auf keine Ratte zu deuten.
    Als hätte dieser Gedanke den Ausschlag gegeben, nahm Ascan eine Bewegung in einem der lichtlosen Winkel wahr. Womöglich war es nur das flüchtige Blitzen in den Augen deswegen gewesen, der sich dort verborgen hielt, aber mit eben diesen Details war der Syreniae groß geworden. Ein grimmiges Lächeln milderte die steile Furche, die sich seit Betreten des Marktes zwischen seinen Brauen festgesetzt hatte. Jetzt war Rattenangeln angesagt.


    Die Dunkelheit unter seiner Kapuze wurde im zuckenden Fackellicht der ihn ringsherum umgebenden Zeltstände noch undurchdringlicher. Er wählte nicht den direkten Weg, um der Gestalt in den Schatten keinen Anlass zum Argwohn zu geben. Sein bogenförmiger Pfad ließ ihm genug Zeit, sich seine Worte genau zu überlegen. Rattenfinger wäre zwar nicht schwer zu überzeugen... mehr als einmal hatte der verschlossene Einsiedler seine Aufträge ausgeführt, nur um ihn so schnell wie möglich wieder los zu sein... doch der richtige Ton machte die Musik; und den meisten Leuten hier schneller Beine als eine neugierige Stadtwache.


    Seine langen Schritte verzögerten sich kurz. Das waren keine Gedanken, die Emular gutheißen würde... er durfte sie nicht ohne Bedacht gleiten lassen. Nicht hier.


    Eine schlanke Gestalt, gehüllt in einen schwarzen Umhang, hatte sich dem Versteck genähert noch während er sein Schritttempo zurücknahm. Hatte der Rattenfänger unverhofft Gesellschaft gefunden... oder war es ein anderer Spitzel? Er würde es gleich herausfinden. Ohne, dass er etwas daran ändern konnte, pulsierte eine lang entbehrte Hitze durch Ascans Adern, während sein Kopf kühl kalkulierte. Es würde ihnen gleich auffallen, dass er zu nah kam; und dass er es nicht zufällig tat. Würde die Person in den Schatten ihr Heil in der Flucht suchen - sich hinter ihrer Begleitung verstecken - oder in der Erkenntnis verharren wie ein paralysierter Hase? Es war ihm gleich. Wenn es Rattenfinger war, würde er ihn nicht davonwuseln lassen.

  • Doch so fesselnd wie der Anblick dieses geflügelten Wesens auch war, erinnerte sich Amina an die Dunkelhaarige mit ihrem Geschäftspartner. Rasch wandte sie ihren Kopf wieder den beiden zu und konnte soeben erhaschen, dass ein scheinbar recht gut gefüllter Geldbeutel seinen Besitzer wechselte. Oh ja ... Amina beobachtete sehr genau, wohin die Andere ihre Einnahmen verschwinden ließ.


    Doch ein leiser Fluch schlich über Aminas Lippen, als die allgemeine Unruhe anschwoll und das Getuschel aus allen Ecken zu einem unerträglich wirren und durchaus lauten Geräuschpegel anschwoll. Es war ihr nicht möglich, auch nur eines der Worte zu verstehen, welche die Schwarzhaarige in Form von Informationen ihrem Kunden entgegen brachte. Kurz darauf verschwand ihr Geschäftspartner in der Menge. Überhaupt schien der Kerl das einzige Wesen auf dem Nachtmarkt zu sein, das sich in keinster Weise für den geflügelten Mann interessierte.


    Amina grübelte, was dieser Syreniae hier wohl zu tun gedachte und wer er wohl war. Die selbe Frage schien sich auch die Cath'Shyrr zu stellen denn im nächsten Moment vernahm sie deren Stimme neben sich. "Ein Syreniae", erklärte sie mit leisem Tonfall. "Man sieht sie nur sehr selten". Zumindest war Amina ein Angehöriger dieses Volkes noch nie leibhaftig unter die Augen gekommen.


    Amina fixierte den Fremden regelrecht mit ihren Blicken. Das Gerücht mit der Zauberstimme ... Ohja das sagte man. Ihre Augen hingen an seinen Lippen und sie fragte sich, wie es wohl von statten gehen würde, wenn ein Syreniae eine solche Gabe anwandte. Andererseits wollte sie selbst eine solche Erfahrung lieber nicht machen. Er schien auch nicht, als würde er gleich seine Stimme einsetzen wollen. Vielmehr schien es, als hätte er ein festes Ziel im Auge. Ein Ziel, welches Amina bereits nach einem winzigen Moment bekannt war. Sie war es. Oder gar die Cath'Shyrr? Sei es drum. Jedenfalls strebte er ihre Richtung an. "Er kommt auf uns zu", stellte sie vielleicht unsinniger Weise fest, denn der Cath'Shyrr war dies gewiss ebenfalls nicht entgangen.

  • Er kommt auf uns zu.


    Ja, das war Maida zu ihrem Entsetzten auch gerade aufgefallen. Auch wenn der Anblick dieser geflügelten Gestalt faszinierend war, auf eine nähere Bekanntschaft legte sie denn doch keinen besonders großen Wert. Vermutlich war ohnehin nicht sie das Ziel, sondern die Person im Schatten schräg hinter ihr. Was hatte sie selbst schon mit einem Syreniae zu schaffen. Dennoch war es besser, sich unauffällig zu verziehen, ehe sie in Angelegenheiten verwickelt wurde, welche die Cath'shyrr weder etwas angingen noch interessierten.


    "Nun denn, es ist an der Zeit aufzubrechen", sagte sie leichthin, obwohl sich ihre Muskeln anspannten und sich ihre Sinne schärften. Die braunen Mandelaugen huschten hierhin und dorthin. Eine Treppe, eine offene Tür, das feste Dach eines Verschlags, dort ein Schatten der in einen Durchgang mündete. Maida war eine hervorragende Sprinterin. Sprünge auf niedrige Hausdächer bereiteten ihr wenig Probleme. Für den Notfall standen ihr also mehrere Fluchtwege offen. Da der Syreniae jedoch schwer einzuschätzen war, war es besser keine Aufmerksamkeit zu erregen und den Rückzug nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen.


    "Es hat mich sehr gefreut Euch kennenzulernen. Bis zum nächsten Mal", schnurrte sie in normaler Lautstärke zu der verborgenen Person hin und drehte sich nur so weit herum, dass sie den Geflügelten aus dem Augenwinkel noch erkennen konnte. Mit einem geschmeidigen Schritt schob sie sich neben die unbekannten Gestalt in den Schatten. Ihre Absicht war, die Fremde rasch zwischen sich und den Syreniae zu bringen.

  • "Ist euch der Markt nicht finster genug, dass man euch hier im Schatten findet?" erhob der Syreniae die Stimme. Der Klang seiner Worte rann wie dunkler Balsam über alle übrigen Geräusche, ließ sie schief und misstönend erscheinen. Es war nur eine feine Melodie, die er ergriff, doch nie lärmte der Markt schrecklicher als in dem kurzen Moment, als der Syreniae wieder schwieg.
    Sollte sein Anblick sie noch nicht gefesselt haben, würde dies sein Übriges tun.
    Er war inzwischen zwei Armeslängen vor den zwei Gestalten zum Stehen gekommen. "Jemand könnte auf die Idee kommen... ihr hättet mehr zu verbergen als der Rest dieser armen Seelen."


    Ascan erinnerte sich nur vage an Rattenfingers Körpergröße. Das geschah ihm häufig bei Wesen, auf die er so weit hinabblicken konnte. An was er sich noch erinnerte, war der durchdringende Gestank nach Kloake, den der Rattenfänger stets ausgesondert hatte. Unbewusst neigte sich sein Oberkörper etwas vor, was seine Schwingen raschelnd ausglichen.
    Anstelle des üblen Geruchs stieg ihm jedoch ein völlig gegensätzlicher Duft in die Nase. Entweder er war an die gepflegtesten Drückeberger geraten, die der Nachtmarkt jemals gesehen hatte - oder mindestens eine Person vor ihm war eine Frau. Rattenfinger in weiblicher Begleitung? Ausgeschlossen. Nie im Leben würde sich eine Frau freiwillig in Reichweite dessen schmutziger Krallenfinger begeben.


    Ascan beschloss, dennoch das Beste aus der Situation zu machen.
    "Ein Jammer, was für Geschäfte euch dadurch entgehen. Der Preis für gewisse Informationen ist gerade um eine beträchtliche Summe gestiegen..."


    Er gab ihnen einen Moment, in dem die Bedeutung seiner Worte auf sie wirken konnte. Wussten sie nicht spätestens jetzt, welchen Handel er ihnen vorschlug, würden sie ihm keine Hilfe sein.

  • Die leichtfertige Art, mit welcher die Cath'Shyrr Amina zu verstehen gab, dass es Zeit sei aufzubrechen, schien nicht so recht zu ihrem sonstigen Verhalten zu passen. Amina beobachtete ihre Augen, wie sie mal hier und und mal dort hin huschten. Der Syreniae mochte vielleicht eine einschüchternde Wirkung haben aber so furchteinflössend, dass Amina gleich die Flucht ergreifen wollte, erschien er ihr nun auch wieder nicht. Kannte sie ihn? Womöglich hatte er sogar eine Rechnung mit ihr offen? Einerlei. Was interessierte es Amina. Sie selbst jedenfalls kannte den Geflügelten nicht. Noch nicht. Und während die Fremde sich so geschmeidig an ihr vorbei schob, musterten Aminas Augen deren Kleidung genau. Irgendeine Tasche vielleicht? Ein Beutel, der einen wertvollen Gegenstand verbarg? Irgendetwas, das sie gewinnbringend verkaufen konnte? Und dennoch versuchte Amina, nicht all zu auffällig zu wirken und ließ ihre Blicke mehr verwundert über das Verhalten der Cath'Shyrr drein schauen und weniger musternd.


    Doch einer genaueren Musterung konnte Amina ihr Gegenüber leider nicht mehr unterziehen denn im nächsten Moment erklang eine Stimme. Ohja ... Es war die Stimme des Syreniae, die alle anderen Geräusche auf dem Nachtmarkt scheinbar übertönte. Es war, als sei das Geschehen um sie herum in weite Ferne gerückt und alles würde sich nur noch um Amina, die Schwarzhaarige und den Syreniae drehen. Aminas Unterkiefer klappte für einen kurzen Moment herunter. Zum Glück bemerkte sie dies jedoch sofort und schloss ihren Mund wieder, bis sie ihre Fassung wieder fand. "Nun ... Auf diese Idee könnte man an einem solchen Ort bei jedem kommen, findet Ihr nicht auch?" Und im nächsten Augenblick fragte sich Amina, was genau er wohl zu verbergen hatte. Doch dann sprach er weiter. Informationen ... Hier musste es sich um bedeutende Informationen handeln, wenn der Preis hierfür gestiegen war. Natürlich nur, sofern er die Wahrheit sprach. Doch irgendwie beschlich Amina der Verdacht, dass er auf etwas anzuspielen gedachte, was sich ihr nicht recht erschließen wollte. Informationen waren immer erstrebenswert und ihr Interesse war geweckt. "Und wie teuer wären solche Informationen aktuell?" Später konnte sie immer noch entscheiden, ob sie bereit war, den genannten Preis zu bezahlen oder eben nicht.

  • Mitten im Schritt hielt Maida inne. Ein Bein in der Bewegung erhoben, blieb sie wie erstarrt stehen. Der Syreniae hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Ihre braunen Augen hingen verzückt an dem stattlichen Leib des Geflügelten. Was für eine Stimme! Süß wie Honig, trotz der harschen Worte. Oder war es nur Spaß? Maida schauderte leicht vor Entzücken. Die Unbekannte im Schatten neben ihr antwortete ihm. Die Cath'shyrr brachte keinen Ton über die Lippen.


    Knapp vor ihnen blieb der Syreniae stehen. Das Zauberwort weckte Maida aus ihrer Starre. Informationen! Der Kerl suchte Informationen und gab an dafür zu zahlen. Mit einem Mal wirkte der Geflügelte wieder so beängstigend wie beim ersten Anblick. Es war gefährlich einem Fremden gegenüber zuzugeben, was man wusste oder vielmehr, dass man etwas wusste. Es konnte genauso gut eine Falle sein und mörderische Scherereien mit sich bringen sich auf einen Handel einzulassen.


    Ihr Bein bekam wieder festen Stand. Das Plappern der Frau in Hosen wischte die Cath'shyrr mit einer unwilligen Geste aus der Luft und tat einen Schritt aus dem Schatten heraus. Offenbar glaubte diese Unbedarfte, dass der Syrenaie Informationen verkaufen wollte. War wohl neu in diesem Geschäft. Maida tat ein paar Schritte zur Seite, um einerseits den Abstand zu vergrößern und sich andererseits nicht den Hals zu verrenken, da sie zu dem Kerl aufblicken musste. Mit hochgezogener Augenbraue musterte sie den Geflügelten.


    "Informationen, ach, derlei gibt es viele auf diesem Markt. Manche mögen Euch gefallen, andere wieder nicht. Es kommt immer darauf, wie Ihr fragt und wen Ihr fragt. Und noch viel wichtiger ist: Wer fragt."


    Maida setzte ein kokettes Lächeln auf. "Der Preis nun, für die eine oder andere Geschichte, wie viel bedeutet Euch der Inhalt dieser Geschichte? Es gibt so manchen hier unten, der bereit ist Euch ein Märchen zu erzählen. Es kommt also auch auf den Erzähler an."

  • Die Gegenfrage der einen hing noch in der Luft, als das Auftreten der anderen auf nützliches Wissen hindeutete - und damit Ascans Aufmerksamkeit auf sich zog... und sein Erstaunen, denn so große Worte hätte er hier gewiss nicht erwartet. Sie wusste offensichtlich, auf was er anspielte - und mit etwas Glück wusste sie noch mehr...
    "Das sind mehr Fragen als Antworten, Teuerste", entgegnete er. Sein ruhiger Ton täuschte Geduld vor, doch der Nachtmarkt drang ihm bereits in die Knochen wie ein langsam wirkendes Gift. Seine rechte Hand ballte sich verborgen an seiner Seite. War dieser schattige Winkel nicht eben noch breiter gewesen?


    Äußerlich unbewegt wie eine Statue musterte er die zierliche Gestalt vor sich. "Und an einem Tauschgeschäft bin ich nicht interessiert. Genauso wenig wie an Märchen..." Seine Schwingen öffneten sich nur ein wenig, doch die Bewegung reichte bereits, um das spärliche Licht vom Markt weiter abzuschirmen. Der Winkel, in dem sich alle drei aufhielten, versank noch tiefer im Dunkel. "... von denen ihr in meiner Gegenwart absehen solltet, wenn Ihr wisst, was gut für Euch ist."
    Ein Teil von ihm bereute die Art seines Vorgehens, noch bevor er die letzten Worte gesprochen hatte. Wie um seiner Drohung die Schärfe zu nehmen, zog er die Muskeln seiner Schwingen wieder zusammen. Das Licht kehrte zurück. "Denn seht Ihr...", fuhr er versöhnlicher fort "...mit der Wahrheit ist es so eine Sache. Ihr seid keine unschuldige Dame und ich bin kein harmloser Reisender. Aber falls Ihr etwas wisst, das mir weiterhilft, wandern sechzig ehrliche Dukaten in Eure Taschen und wir gehen zufrieden unserer Wege."


    Sein Blick sprang zu der anderen Frau und flüchtig wog er das Risiko ab, sie ebenfalls in seine Suche einzuweihen. "Was könnt Ihr mir über Selcaria Delvipis erzählen? Einmal bekannt als die graue Schlange..."

  • Die Aufmerksamkeit des Syreniae schien voll und ganz auf die Cath'Shyrr und deren große Worte konzentriert zu sein. Nunja womöglich hatte sich Amina getäuscht. Womöglich hatte er doch nicht darauf angespielt, dass er selbst gewisse Informationen verkaufte, wie sie zuerst angenommen hatte. Doch die Situation sprach voll und ganz für Amina. Kurz zuckten ihre Mundwinkel, während sie sich ein Grinsen verkniff.


    Während der Syreniae sich voll und ganz auf die Cath'Shyrr konzentrierte, taxierte sie dessen eindrucksvollen Körper mit aufmerksamen Blicken, während sie langsam, kaum merklich, zur Seite trat. Nein ... Amina wollte nicht die Flucht antreten. Amina hatte etwas ganz anderes im Sinn.


    Und dann horchten ihre Ohren aufmerksam. Sechzig Dukaten würden womöglich noch in dieser Nacht den Besitzer wechseln ... Rasch waren Aminas Blicke wieder voll und ganz auf das Gesicht des Geflügelten konzentriert. Zum Glück, denn eben Jener hatte nun beschlossen, das Wort an sie zu richten. "Selcaria Delvipis", wiederholte sie den Namen mit einem wissenden Grinsen. Die Syreniae ohne Flügel. Wer in ihren Kreisen hatte von der grauen Schlange noch nichts gehört? "Es kommt darauf an. Was möchtet Ihr über sie wissen?", hakte sie nach.

  • Konkurrenz. Wenn Maida etwas hasste, dann war es eben dies - Konkurrenz. Von fliederfarbenen Hüten einmal abgesehen. Die Frau aus dem Schatten kam ihr mit einer Antwort zuvor. Während Maida noch überlegte, wann sie das letzte Mal den Namen der grauen Schlange gehört hatte, platzte das Weibsstück neben ihr bereits damit heraus, dass sie etwas zu wissen meinte.


    Die Gier nach Gold machte eben keinen Charakter. Abschätzig musterte die Cath'shyrr das Frauenzimmer von oben bis unten und verschränkte die Arme vor der Brust. Die spitzen Eckzähne blitzten zwischen den leicht geöffneten Lippen hervor, als sich Maida mit der Zunge über die Oberlippe strich. Dunkel gekleidet, dunkler Umhang, verborgen im Dunkeln. Es konnte sich nur um eine Diebin handeln. Die nun auf das große Geld aus war. Geschlitzte Pupillen, zart geschuppte Haut, soweit Maida dies im Dunkeln ausmachen konnte. Eine aus dem Schlangenvolk. Die Diebesgilde, so hieß es, bevorzugte jene, die sich mit ihren schlanken, geschmeidigen Körpern in jeden Winkel zwängen konnten.


    Die braunen Augen huschten zwischen der Ashaironi und dem Syreniae hin und her. Maida beschloss abzuwarten, was die Schlangenfrau zu erzählen hatte. Mit etwas Glück war es nicht das, was der Geflügelte hören wollte. Die graue Schlange. Die Cath'shyrr wusste nun wieder, woher sie diese Person kannte. Gift, war das Stichwort.

  • Ascans bemerkte die verkrampfte Faust an seiner Seite und zwang sich, den Griff zu lockern. Obwohl die Gesichter der beiden Frauen - ebenso wie seines - im Schatten der Kapuzen gut verborgen waren, verrieten die feinen Nuancen ihrer Stimmlagen viel über deren Mimik. Es war ein Lächeln, mit dem die eine Sels Namen wiederholte. Das Wissen darum half ihm jedoch nicht weiter. Es hätte tausend Gründe geben können, aus denen ein Name auf dem Nachtmarkt ein Lächeln auslöste - Spott, Tücke oder Häme zählten dabei zu den häufigsten.
    Dass die andere nun plötzlich schwieg, bemerkte er mit Argwohn.


    "Wer ihre Kontaktperson ist", brachte es Ascan auf den Punkt. Und gnade Askalar der armen Seele, sollte er jene zu fassen bekommen!
    "Besser noch Hinweise zu ihrem aktuellen Aufenthaltsort in der Stadt oder von mir aus, wer Ware von ihr bezieht. Jedes Detail kann entscheidend sein. Je aktueller, desto wertvoller für mich." Mit etwas Glück und Emulars Beistand würde er sie ausfindig machen, bevor sie Wind von seiner Anwesenheit in Nir'alenar bekam.


    Plötzlich hallten ein halbes Dutzend Schüsse und ein markerschütternder Todesschrei über den Markt. Der Pegel der Geräuschkulisse flatterte nicht einmal. Als wäre nie etwas gewesen, ging man in gewohntem Gang seinen dunklen Geschäften nach.

  • Die Kontaktperson der grauen Schlange? Amina stockte. Nun gut sie konnte versuchen, den Syreniae mit den Gerüchten abzuspeisen, welche sie vernommen hatte. Doch irgendwie wollte sie das Gefühl beschleichen, dass dies nicht angeraten war. Irgendwie hegte Amina das Gefühl, dass mit dem Gefügelten diesbezüglich nicht zu spaßen war. So ein Mist! So war es ihr also nicht gegönnt, die Lorbeeren oder besser den Preis einzuheimsen.


    Über den Aufenthaltsort in der Stadt und etwaige Kunden wusste Amina natürlich eben so wenig Bescheid und für einen winzigen Augenblick huschten ihre Augen zu der Cath'Shyrr hinüber. Ob diese wohl in der Lage war, die entsprechenden Informationen heraus zu geben?


    Doch Aminas Blick wurde kurz von der Cath'Shyrr abgelenkt, als nicht weit von ihnen Schüsse und ein Schrei erklangen. Nein ... Sie würde diesem Kerl da keine Lügen auftischen und ihr Leben auf dem Nachtmarkt aushauchen. Dann musste sie eben anderweitig zu ihren Verdiensten kommen, überlegte sich Amina.

  • Eiskalte Augen starrten die magere alte Frau an, die sich zitternd bemühte, dem Blick des schwarzgeleideten Mannes keinesfalls zu begegnen. Nur kurz hatte sie aufgeblickt als schwarze Handschuhe in die Glut ihrer großen Blechschale geflogen kamen, an der sie sich die dürren Glieder zu erwärmen suchte. Bloss nicht auffallen hier. Bloss nie den Falschen gesehen haben - hier, wo das Leben einer verbrauchten alten Frau nicht mehr wert war als das Paar Handschuhe dort, welches die Glut erneut entfacht hatte und nun von den leckenden Flammen zerrissen wurden. Zwei sorgfältig zurecht geschnittene Leinentücher flogen ebenfalls hinterher, und nein - sie hatte auf gar keinen Fall gesehen, dass sie mit Blut vollgesogen gewesen waren. Noch geduckter wurde ihre Gestalt und noch verbissener starrte sie weg von dem Mann. Ihre Nackenhaare kräuselten sich als sie das Geräusch vernahm, das verriet, dass er sich neue Handschuhe überstreifte und schaudernd dachte sie an den flüchtigen Eindruck leichenblasser Haut, in der sich diese stechenden Augen befunden hatten.
    Mehr hätte sie auch nicht sehen können. Ein schwarzes, fließendes Tuch verbarg Daerid Canvele's Mund- und Nasenpartie und die Kapuze seines schwarzen Umhangs fiel weit über seine Wangen hinaus, so dass auch eine mutigere - oder törichtere - Person als die Alte bei längerem Hinsehen nicht wesentlich mehr von seinem Gesicht gesehen hätte.
    "Nicht in dieser Nacht, Mütterchen.", klang eine ruhige, grotesk melodische Stimme an ihre Ohren und verursachte echte Panik in ihr, obwohl dies bei dem Inhalt der Worte gar nicht angebracht war. Voller Angst sah sie auf - der Mann war verschwunden.
    Lautlos wie eine Katze bewegte sich der Assassine in den Schatten des Nachtmarkts. Es war eine gute Nacht gewesen. Sauber und effizient hatte er dem Zielobjekt einen seiner speziell angefertigten Metallsporne in das Hinterhaupt gerammt und mit den Lippen dafür gesorgt, dass es keine unerfreulichen Geräusche aus ihrem Mund dabei geben würde. Huren waren so unglaublich leicht zu erlegen - aber wer sich in Gefahr begab, könnte nun einmal darin umkommen. Und diese hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihre Erpressungsversuche gegenüber einem vergnügungssüchtigen aber dummerweise nur eingeheirateten Geldadeligen zu bedauern. Und der fürchtete um seine Position. Dafür lag ihre Zunge nun in einer kleinen Holzschachtel in einer Tasche von Daerid's Umhang und harrte ihrem Austausch gegen den Rest seines Honorars entgegen. Eine gute Nacht - und sie war noch jung genug, um einen alten Kontakt wieder aufleben zu lassen, beschloß Daerid. Wenn er schon einmal hier war. Der Valisar legte es nicht mal ernsthaft darauf an, unbemerkt zu bleiben. Aber über die Jahre hatte er es so perfektioniert, sich in Schatten und dunklen Winkeln zu bewegen, dass tatsächlich nur sehr selten jemand seiner gewahr wurde. Sein Ziel lag ziemlich am Rande des Nachtmarkts und es war nicht mehr sonderlich weit entfernt. Schüsse hallten durch die Nacht, gefolgt von Todesschreien. Daerid Canvele presste unmerklich die Lippen hinter seinem Tuch aufeinander. 'Was für Stümper.', dachte er unbeteiligt. 'Roh, laut, ohne Plan oder Verstand, ohne jeden Sinn für Ästhetik.' Es gab einfach zuviele Unfähige in seiner Profession - aber, so gestand er sich ein, deswegen lebte er auch so gut davon. Kurz verhielt er seine Schritte, um den Eingangsbereich seines Zieles zu mustern. Gleich würde er es routinemäßig einmal umrunden, hier und da einen Blick in eines der Fenster wagen. Daerid Canvele war nicht für Überraschungen zu haben....

    Man beherrscht die Leute mit dem Kopf - mit einem guten Herzen spielt man nicht Schach.


    Nicolas Chamfort

  • Maida zuckte zusammen. Die Stille, die zwischen den Gesprächspartnern eingetreten war, wurde brutal durch ein Krachen und Schreien durchbrochen. Trotzdem Maida schon eine ganze Weile ihr Geschäft betrieb und notgedrungen den Nachtmarkt aufsuchen musste, schaffte sie es nur schwer sich an die hier herrschende Gewalt zu gewöhnen. Der Syreniae hatte nach einer Kontaktperson der grauen Schlange gefragt. Eine war der Cath'shyrr bekannt. Willian 'Sprungbart' Pottler. Ein ungehobelter, schmieriger Bursche. Maida hatte ihn ein einziges Mal auf eine Empfehlung hin selbst aufgesucht. Danach hatte sie es vorgezogen, einen Boten zu schicken diverse Giftkreationen bestellen und abholen zu lassen.


    Von der Diebin war offenbar nichts zu erfahren. Kein Mucks kam über deren Lippen. Maida räusperte sich. Würde sie jetzt drauflos plaudern, war die Information geliefert, doch noch längst nicht bezahlt. Sich mit diesem Geflügelten wegen Geld zu streiten war der allerletzte ihrer Wünsche.


    "Die graue Schlange wurde schon eine ganze Weile nicht gesehen, heißt es", warf die Cath'shyrr in den Ring. Eine nutzlose Information, aber eine, welche die nächste umso wichtiger erscheinen ließ. "Ihre Kontaktperson hingegen ist recht umtriebig. Ein Name ist es, den Ihr begehrt? Oder den Aufenthaltsort? Oder gar beides? Wollt Ihr ein Märchen hören oder die Wahrheit? Ich vermute, Ihr werdet Euer Geld nicht vor die Säue werfen."


    Maida schob die Kapuze ein Stück weit aus dem Gesicht, damit der Geflügelte ihr Gesicht sehen konnte. Sie lächelte, kokett und überheblich zugleich.


    "Nun, ich bin eine schlechte Märchenerzählerin. Die Wahrheit allerdings ist hier unten recht gefährlich. Ich begehre stets zu wissen, mit wem ich Geschäfte mache. Betrüger schätze ich nicht. Zeigt mir Euer Gesicht und nennt mir Euren Namen. 50 Dukaten für den Ort, im Voraus bezahlt. Ich führe Euch hin, Ihr gebt mir dasselbe nochmal und ich nenne Euch die Kontaktperson."

  • Die eintretende Stille enttäuschte ihn. Ascans Augen wechselten fragend zu der anderen, als deren Räuspern zu hören war. Ihre Worte wehten seinen aufkeimenden Ärger fort wie eine willkommene Brise. Das Wechselspiel der beiden Frauen ließ ihn annehmen, dass sie unter einer Decke steckten.


    Sein Mundwinkel zuckte nach oben, kaum das die andere sich ausgesprochen hatte. Das versprach amüsant zu werden. Nicht nur, weil er sich seinem Ziel jetzt einen gewaltigen Schritt näher wusste, sondern ebenso sehr, weil sie sich damit in die Disziplin begab, die er bereits Zeit seines Lebens beherrschte.


    Sie konnte es nicht ahnen, doch jedes ihrer Worte zu Sel glich in seinen Ohren einem offenen Buch, das ihm beschrieb, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Sie hatte also jemanden Neues gefunden, der die Drecksarbeit für sie übernahm... Ascan lauschte in sich hinein, ob es ihm etwas ausmachte.


    Was sie als nächstes tat, hatte er dagegen nicht erwartet. Sie lüftete ihre Kapuze weit genug, um ihm ihr Gesicht zu zeigen – und erstaunlicherweise gefiel es ihm. Kaum mehr ein Rätsel, dass sie es nicht offen auf dem Nachtmarkt zur Schau trug. Schöne Frauen und die Abgründe in den Seelen des hiesigen Gesindels vertrugen sich nicht. Zum Leidwesen der Frauen, die das zu spät bemerkten.
    Zudem war sie eine Cath'shyrr. Ihr leicht rollendes 'R' hätte ihn stutzig machen müssen. Diese Wesen gehörten für ihn zu den angenehmeren Völkern Nir'alenars. Stets elegant und mit einem Gespür für eine gute Ausdrucksweise. Die Augen Minarils... mit den weit geöffneten Pupillen, dem selbstbewussten Lächeln und dem nachtschwarzen, langen Haar... Er schüttelte den Eindruck ab, bevor er sich vertiefen konnte.


    Kaum war er dabei, der verfluchten Insel für immer den Rücken zu kehren, ließ sie ihn förmlich an jeder Ecke über hübsche Frauen stolpern. Der Syreniae lächelte grimmig. Aber da musste sich das Schicksal schon mehr einfallen lassen...


    "Ihr verdient Euch zwanzig hier und jetzt für den Ort und dreißig später, wenn ich weiß, dass der Kontakt tatsächlich der Richtige ist", stellte er ungerührt klar. "Dass Ihr mich begleiten werdet, versteht sich daher schon von selbst." Ascan ließ ein dunkles Schmunzeln hören und behielt die Mimik der Cath'shyrr im Blick, die ihm nun so viel mehr über sich verriet. "Angesichts der Tatsache, dass Ihr meinen Namen garantiert weiterverkaufen könntet, könnt Ihr Euch selbst entscheiden, ob er Euch die restlichen zehn Dukaten wert ist... oder ob ihr sie lieber gleich in Eurer Tasche wissen wollt. Obwohl..." Der Syreniae musterte die zarte Gestalt vor sich durchdringend. Seine Stimme gerann zu einem herausfordernden Ton "... wundert es mich, dass Ihr noch nicht von selbst darauf gekommen seid. Vielleicht sind Eure Wahrheiten am Ende doch nur die leeren Märchen eines gierigen kleinen Mädchens..."


    Er kannte den Stolz der Kinder der großen Katze. Mit etwas Glück würde sie ihm impulsiv antworten... Dann würde er sehen, ob sie ihm nur Lügen oder echtes Wissen für sein Geld bieten konnte.
    "Sagt mir, wer ich bin. Und ich füge eurem großzügigen Lohn noch zwanzig Dukaten hinzu." Mit einem letzten Schritt überbrückte er die Entfernung zwischen sich und der Cath'shyrr, sodass nurmehr eine Handlänge zwischen ihnen blieb. Seine Hand streifte den schwarzen Kapuzenstoff nach hinten; ein Kontrast, der seine weißen Haare in den Schatten förmlich aufglimmen ließ. Seine nebelgrauen Augen forschten in ihren.


    Wieviel wusste sie wirklich über die graue Schlange – und ihn? Und würde Emular es als Sünde betrachten, dass er seinen Spaß an dieser Situation zu finden begann?

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