Für einen kurzen Augenblick bekam Uera das Gefühl, dass sein Blick geradewegs durch sie hindurch ging, als habe er sie gänzlich aus dem Fokus verloren. Unvermittelt erhielten die fremdartigen Augen eine fast schon entsetzte Qualität, fast als sähe er ein Gespenst, dort wo doch nur ihr magerer Körper saß. Uera blinzelte. Er musste ein paar wirklich kräftige Schläge auf den Kopf abbekommen haben.
Als sein Blick ins Hier und Jetzt zurückkehrte, hatte sich seine Stimmung deutlich verschlechtert. Tonlos und mit knirschenden Zähnen sprach er zu ihr. 'Welche Bedeutung soll das haben? Jetzt bin ich nichts anderes, wie Ihr auch.'
Falsche Antwort, bedauerte die Yassalar und auch sie war versucht, die Zahnreihen aufeinander zu schlagen und verächtlich zu zischen, doch sie blieb ungerührt sitzen, entgegnete seinen grimmigen Blick mit einem gefährlichen Glanz in den Augen. Du bist nicht wie wir. Nicht in geringster Weise … wir befinden uns lediglich in der selben misslichen Lage, törichte Eidechse.
Sie ließ ihn zu Ende sprechen, gestattete ihm, sie grollend zu mustern. Er gab sich unbeugsam, sprach mit fester Stimme davon, dass er nicht aufgeben würde, bevor er freikam. Uera gefiel seine Einstellung, doch die Art und Weise in der er sprach, ließ sie hinter ihrer weißen Stirn leise lachen. Irgendwann gab jeder auf und auch sie spürte längst, dass es Zeit wurde, diesen Ort zu verlassen.
456 Tage hatte sie in diesem Loch ausgeharrt, standgehalten, hatte jede verfügbare Minute dazu genutzt einen minuziös ausgefeilten Plan zu erschaffen, ihn bis ins letzte Detail auszuarbeiten. Sie war vorbereitet. Der richtige Tag würde bald anbrechen. Und dann würde sie triumphieren, zumindest war das der Plan.
Keine persönlichen Fragen … bildete sich der Schuppenmensch ein, er bestimme die Regeln? Ihr fiel nicht ein, warum sie sich daran halten sollte … wenn ihm Antworten auf seine Fragen wirklich so viel wert waren, würde er schon beikommen. Und sie würde erfahren, was er für ein seltsames Geschöpf war, wenn er es denn selbst wusste.
Uera begann zu mutmaßen, dass ihr Gegenüber nicht mit den Umgangsformen der unteren Schichten vertraut war, er wirkte so kultiviert als stamme er aus einem der dünnblütigen Adelsgeschlechter der Trockenen. Vielleicht würde ihn bald jemand freikaufen? Für einen privaten Tiergarten vielleicht?
Gerade wollte sie darüber hämisch auflachen, doch dieser eine, bohrende Gedanke in ihrem Kopf ließ nicht locker, drängte sich auf, zwang sie dazu, ihre Idee erneut zu überdenken und den Spott erneut fallen zu lassen. Seine Hände waren derart fest um die Eisenstangen geschlossen, dass die Fingerknöchel weiß schimmerten. Mit genügend Kraft wäre er sicher ausgestattet ...
Doch wenn er nichts verraten wollte, würde sie sich selbst zusammenreimen müssen, ob er auch nur einen einzigen weiteren Gedanken in diese Richtung wert war.
"Dein Wort? Ein Wort, das … genau was wert ist?", hakte sie nach und schüttelte sachte den Kopf, woraufhin ihr silberne Haarsträhnen ins Gesicht fielen, und führte mit ihrer Hand eine wegwerfende Geste aus. Sie erwartete keine Antwort, denn sie konnte sie sich selbst geben. Uera machte sich keine Illusionen, schon lange nicht mehr. Wenn er wollte, würde sie ihm tausende Worte geben ... und jedes davon ohne zu Zögern brechen.
Doch wie du mir, so ich dir., dachte sie bei sich und ihr Blick fiel beinahe desinteressiert von ihm ab, als wüsste sie bereits, was als nächstes kommen würde, richtete sich auf den Lichtstrahl in ihrer Zelle. Der längliche Lichtpunkt war näher an sie herangekrochen, berührte mittlerweile fast ihre nackten Füße. Sie zog sie ein wenig näher an sich heran. "Frag deine Fragen.", sagte sie trocken, musterte den schmutzigen Boden um ihre Füße herum. "Wenn sie Bedeutung haben und nicht persönlich sind." Ich werde sehen, ob ich sie wahrheitsgemäß beantworten will.