Vogelhandel "Feder und Schnabel"

  • Ta'shara erwiderte Brennans Lächeln und folgte seiner einladenden Geste während der Mann ihr einen Becher dampfenden Kaffees vorsetzte. Tief sog sie den Duft ein. Nicht, dass es in ihr ein Wohlgefühl wecken würde. Aber sie hatte das schon oft bei den Menschen beobachtet. Für sie roch es einfach nur nach starkem Kaffee. Ein guter Kaffee, wie sie meinte. Aromatisch und ausgewogen. Brennan bewies auch hier seinen außerordentlich guten Geschmack.


    Sie legte ihren Kopf etwas schief, ganz so, wie der Rabe es tat, und musterte das Tier interessiert. "So bist du das also. Kalli. In der Hierarchie der geliebten Wesen in Brennans Leben ganz oben zu finden. Bist am Ende auch du eine Göttin?“ Sie lächelte Kalli an, ohne zu wissen, ob es den Vogel überhaupt interessierte oder ob er nicht vielleicht ebenso wie sie kein Gespür für Gefühle hatte. In unbestimmter Weise fühlte sie sich dem Tier verbunden und es war ihr immerhin wichtig, Brennan wissen zu lassen, dass sie seinen Raben... mochte? Nein. Sie sah Intelligenz in den schwarzen Augen des Tieres, ebenso, wie sich in Brennans Augen Intelligenz widerspiegelte. Deswegen respektierte sie Kalli. Deshalb hat sie die Nacht bei Brennan verbracht. Aber zu sagen, dass sie deshalb jemanden mochte, ginge wohl zu weit. Ta’shara blies in ihren Kaffee und nahm einen Schluck. Heiß! Aber aromatisch!


    Ihr Blick fiel noch einmal auf Kalli, ehe sie sich zu Brennan drehte. "Wird sie uns begleiten heute?" Wie selbstverständlich bezog die Valisar den schwarzen Vogel mit ein, der da mit am Tisch saß und alles genau beobachtete, ganz so, als gehöre er ehedem dazu. Im Geiste begann sie, den Tag zu planen.
    "Ich nehme an, du hast keine Tagesgarderobe für mich hier parat?... Begleitest du mich zu mir nach Hause oder treffen wir uns später wieder?"
    Ta'shara betrachtete Brennan. Die Art und Weise, wie er sie offen und ohne jede Scheu ansah war ihr fremd. Die Menschen nahmen eher Reißaus, wenn sie hinter ihre wahres Ich gekommen waren. Das hier kannte sie nicht. Das alles kannte sie so nicht.
    "Was ist? Warum siehst du mich so an?"

  • Der Vogelhändler schmunzelte, senkte den Blick, fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht um danach das Kinn auf selbiger abzustützen. Grinsend sah er Ta'shara an.
    "Warum ich dich so ansehe? Weil du wirklich schön bist und ich dich gerne ansehe."


    Dann zog Brennan seine Hand wieder zurück und begann das Brot aufzuschneiden. Dabei redete er so, als wenn Ta'shara jeden Tag bei ihm säße. Ein Hauch von Normalität.


    "Kalli geht gewöhnlich ihre eigenen Wege. Wenn sie mitkommen will, wird sie mitkommen. Ansonsten wird sie ihren Tag wohl mit Würmern, Aas und Dreck verbringen." Er sagte das leicht spöttelnd und der schwarze Vogel krächste gleich so, als habe er Brennan voll und ganz verstanden.


    Brennan reichte Ta'shara eine Scheibe des Brotes und entschied sich selbst, seine mit Honig zu beschmieren. Aus einem dunklen Tontopf nahm er einen Löffel voll des goldenen Sirups und strich ihn sich langsam über das kräftige Brot.


    "Tatsächlich dürfte dir meine Kleidung nicht passen - auch wenn dir mein Hemd sehr gut steht." Brennan biss in sein Brot und spülte den Bissen gleich mit einem kräftigen Schluck aus seinem Becher herunter.


    "Es kommt drauf an. Wenn du mir helfen willst, die Vögel zu füttern, würde ich dich später gerne begleiten. Aber ich fürchte, wir sind schneller, wenn wir beide unsere Arbeiten verrichten und dann wieder aufeinander treffen." Der Dunkelhaarige konzentrierte sich nun nicht mehr auf sein Brot, sondern sah Ta'shara erneut an. Er war sich nicht sicher, ob die nächste Frage nicht ein wenig gewagt war. Er kannte sie ja kaum. Dennoch spürte er dieses Verlangen schon seit dem Zeitpunkt, als er ihr gestern Nacht die Träne von der Wange gewischt hatte.


    "Was.. was hälst du davon, wenn du ein paar Sachen einpackst und für ein einige Tage bei mir wohnst? Ich hab dich gerne um micht, wir müßten uns heute nicht beeilen und Kalli mag dich auch schon." sprach Brennan - auch wenn der Vogel sich unbeeindruckt weiterhin mit seinem Fleisch beschäftigte.

  • "Ah." meinte die junge Frau, stützte nun ihrerseits den Kopf auf die Hand und betrachtete Brennan. "Ja. Ich bin schön." Sie sagte das, ohne einen Funken von Überheblichkeit. "Du auch. Das klingt seltsam, nicht wahr?" Wenn ein Wort auch kein Empfinden in ihr auszulösen vermochte, so verfügte die Halbvalisar doch über ein gewisses Gespür für die Wirkung eines Wortes an sich. 'Hübsch' oder 'schön' im Zusammenhang mit dem Aussehen eines Mannes passte nicht. Sie wusste nicht warum, aber es passte nicht. Nicht richtig jedenfalls. Andererseits kannte sie auch kein entsprechendes Wort, das das Aussehen eines Mannes akkurat beschreiben könnte ohne kitschig zu wirken. 'Gutaussehend' kam dem nahe, war aber zu allgemein und eher nichtssagend. Trotzdem benutzte sie es mangels einer passenderen Beschreibung. Bisher hatte sich ihr noch kein Anlass geboten, ein solches Wort verwenden zu wollen. Also hatte sie auch nicht danach gesucht. Vielleicht sollte sie das tun?! Aber was zerbrach sie sich überhaupt den Kopf über so einen Unsinn? "Du bist der erste Mensch, zu dem ich so etwas sage." Fast klang es wie eine Entschuldigung.


    Ta’shara langte nach dem Käse und überdachte Brennans Frage. Im Geiste ging sie die Geschäfte durch, ihren Haushalt, überlegte, was sie an Verderblichem dort hatte… sie würde es mitbringen oder verteilen. Akribisch wägte die junge Frau Vor-und Nachteile eines Umzugs gegeneinander ab und nickte dann. Sie lächelte Brennan an. Er hatte sie gerne um sich. Das hatte den Ausschlag gegeben. "Ich denke, das lässt sich einrichten, eine Weile bei dir zu bleiben. Isst du Seestern-Ragout? Könntest du jemanden nach einer Droschke schicken? In dem Kostüm von gestern möchte ich nicht durch die Stadt laufen.“
    Ta'shara biss ein Stück ihres Brotes ab. Viel Hunger hatte sie nicht. Hatte sie eigentlich nie. Ihr reichte für gewöhnlich der Kaffee am Vormittag. "Ich denke, ich werde wieder herkommen, wenn ich soweit alles fertig habe. Wäre es dir gegen Mittag recht?"

  • Brennan lachte nicht, als Ta'shara ihn "schön" nannte, auch wenn es im ersten Augenblick die Reaktion war, die wohl am ehesten zu vermuten war. Nein, er sah die junge Frau nur mit einem Lächeln an und nickte ihr zu. Das war nun mal ihr Blickwinkel auf die Dinge. Die Dinge ohne Gefühl. Und wenn sie meinte, dass er objektiv betrachtet "schön anzusehen" war, dann würde sie wohl recht haben. Dennoch röteten sich Brennans Wangen leicht und kaum merklich.


    Der Vogelhändler setzte sein Frühstück mit einer Scheibe fetten Specks auf seinem Brot fort und nickte. "Gegen Mittag würde mir sehr gut passen." sprach er zwischen zwei Bissen. "Und Seesternragout ist mein Lieblingsessen." Diesmal zwinkerte er ihr zu. Es war nicht eindeutig, ob Brennan das nur sagte um Ta'shara "eine Freude" zu machen, ober ob er das Gericht wirklich mochte. Eigentlich wußte er das selbst nicht - er kochte eigentlich nur selten und konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal dieses Ragout gegessen hatte.


    Als der Dunkeläugige auch den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte, klopfte er sich die Hände an der schwarzen Hose ab, trank noch einen Schluck und stand dann auf.
    "Ich gehe herunter und lasse dir sofort eine Droschke kommen." Versprach er ihr. Eigentlich hatte er es nicht eilig, dass sie ging, aber er fürchtete, dass sie sich vielleicht lieber ohne seine Gesellschaft frisch machen wollte und hatte zu diesem Zweck schon eine große Kanne Wasser aus seinem Brunnen geholt, die nun neben einer tiefen Waschschüssel unter einem präzise geschliffenen Spiegel stand.


    Und so hatte der Vogelhändler schnell seine Wohnung verlassen und während in seinem Kopf die Frage umhergeisterte, ob er Ta'shara ein eigenes Zimmer anbieten sollte oder sie einfach vollkommen eigennützig bei sich schlafen ließ, wagte Kalli einen Vorstoß und hüpfte auf Ta'shara zu. Offensichtlich interessiert, was die fremde Frau so alleine in der Wohnung des Händlers zu tun gedachte.

  • "Ich danke dir."schickte Ta’shara Brennan hinterher und folgte ihm mit ihren Blicken, bis er aus dem Raum hinaus war. Sie goss sich noch etwas von dem Kaffee nach und überdachte ein weiteres Mal diese Situation. Nicht dass sie einen Zweifel hegte, einen Fehler zu begehen – eine Valisar beging nie einen Fehler. Zumindest keinen gefühlsbedingten Fehler. Aber sie überdachte, diesmal ohne die Wirkung des Weines, das Erleben der vergangenen Nacht, das sie letztlich nicht unwesentlich in ihrer Entscheidung beeinflusst hatte.
    Und seltsam. Jetzt, da sie allein war, war es ihr nicht recht. Irgendetwas störte sie an dem Zustand, aber sie vermochte nicht zu erklären, was es war. Eine Ahnung von …Gefahr? kam auf sie zu; so unvermittelt, wie der Rabe, der sich ihr näherte. In einem ersten Reflex zuckte sie zurück, schalt sich aber schon im nächsten Moment eine Närrin. Ein Rabe! Nichts weiter als ein Rabe namens Kalli. Das Tier musterte sie aufmerksam. Sie würde ihm die Gurgel umdrehn, sollte es auf den Gedanken kommen, sie anzugreifen.


    "Hallo Kalli. Bist du neugierig? Was bringt dein Mensch für eine Fremde mit hierher, hm?" Die junge Frau blickte suchend über den Tisch und fand noch ein kleines Stück des getrockneten Fleisches. Wie Brennan eben legte sie dem großen Raben das Stück hin und wartete, ob das Tier die von ihr dargebotene Nahrung nehmen würde.

  • Kalli war es offensichtlich egal, wer sie fütterte. Sie nahm das Fleisch mit dem Schnabel auf und machte zwei Flügelschläge, bis sie wieder auf der Lehne eines der Stühle saß. Dann schlang sie das getrocknete Fleisch herunter und krächzte "dankbar". Viel mehr beschäftigte Kalli sich nicht mit Ta'shara. Ab und an blickte sie die junge Frau neugierig an, doch der Vogel näherte sich ihr nicht mehr.


    Als ein Geschoss weiter unten eine Tür zuschlug, hüpfte der Vogel kurz und entschloss sich dann offensichtlich das Weite zu suchen. Kalli breitete die schwarzen Schwingen aus und entfloh aus dem Fenster, durch das sie auch hinein gekommen war.


    Auf der Straße konnte die Valisar Brennans Stimme hören. Er sprach mit jemanden - und wenn sich Ta'shara ein wenig aus dem Fenster lehnte, würde sie wohl erkennen können, dass es ein junger Bursche von vielleicht 12 oder 13 Jahren war. Am Ende der Unterhaltung legte Brennan ihm eine Münze in die Hand und betrat wieder das Haus.


    Es dauerte einige Minuten, doch dann konnte Ta'shara die schnellen, leichten Schritte auf der hölzernen Treppe hören. Brennan eilte hinauf und als er oben in seiner Wohnung angekommen war, lehnte er sich gegen den Türrahmen, sah Ta'shara mit einem Lächeln an und sprach: "Die Droschke sollte jeden Augenblick kommen."

  • Ta’shara zuckte zusammen, als es laut von unten heraufschallte. Auch Kalli schien erschrocken zu sein und hielt es wohl für angebrachter, sich nach draußen zu flüchten. Kurz blickte die junge Frau dem Raben nach, wie er anmutig seine Schwingen ausbreitete und erhob sich dann, um sich frisch zu machen und anzuziehen. Durch eines der geöffneten Fenster drangen Stimmen zu ihr. Sie konnte Brennans darunter erkennen. Was gesprochen wurde, blieb jedoch ihrer Vermutung überlassen.


    Als Brennan wenig später wieder die Wohnung erreicht hat und sie über die bestellte Droschke informiert, war Ta’shara bereits angezogen. Gerade strich sie sich mit den Fingern ihr Haar glatt.
    "Oh. Vielen Dank. Das ging ja schnell. Was war das für ein Knall gerade eben?" Sie blickte Brennan an. "Kalli hat‘s vertrieben. Sie ist durch eines der Fenster davon gflogen."

  • Brennan bewegte sich genausowenig von seinem Platz, wie sein Lächeln von seinen Lippen wich.
    Sein Blick fixierte Ta'shara. Wie unwirklich sie in ihrem Kostüm jetzt am helligten Tag aussah. Wunderschön und doch fremd. Ein zeitloser Moment im tristen Alltag, so wie ein funkelnder Edelstein im Kiesbett des Flußes.


    Der Vogelhändler schüttelte den Kopf. "Nichts weiter." Antwortete er auf Ta'sharas Frage. "Ich habe die Tür offengelassen, der Wind hat sie zugeschlagen und dabei einen unbenutzten Käfig heruntergeworfen." Unnötigerweise erklärte er Ta'shara, was passiert war. "Fremden gegenüber benimmt Kalli sich gerne ein wenig schreckhaft."
    Die dunklen Augen des Shirashai-Anhängers funkelten amüsiert. Kalli würde sich an ein neues Gesicht im Haus gewöhnen müssen. Er kannte seinen Raben. Sie würde wieder einmal verschiedene Phasen durchstehen - von der Gleichgültigkeit über die Neugierde bis hin zur Eifersucht. Dieser Gedanke ließ das Schmunzeln Brennans ein wenig größer werden. Normalerweise brachte Kalli damit jeden nach kürzester Zeit zur Weißglut. Bei Ta'shara sollte ihr das wohl erstmals nicht gelingen...


    Auf der Straße hörte man Pferdegetrappel und das Klingeln einer Glocke.
    "Ich glaube, die Droschke ist da.."

  • Ta’shara sah das belustigte Funkeln in Brennans Augen, doch wusste sie es nicht seinen Worten zuzuordnen. Ihr wollte nicht verständlich werden, was so amüsant daran sein sollte, dass Kalli sich schreckhaft benahm. Dennoch erwiderte sie Brennans Lächeln, betrachte ihn, wie er da stand, gegen den Türrahmen gelehnt und nickte, als er glaubte, die Droschke vorfahren zu hören. Die junge Frau ging zum Fenster und blickte hinunter auf die Straße.
    "Du hast wohl Recht. Zumindest steht da eine Droschke gleich vor deiner Ladentür", antwortete sie.
    Im gleichen Moment läutete es. Ta’shara lächelte als sie sich hin zu Brennan bewegte.
    "Danke", meinte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
    "Gibt es etwas, das ich mitbringen soll?"

  • "Nur dich." Durch ihren gehauchten Kuss fühlte Brennan, wie er die Kontrolle über seine Zurückhaltung verlor. Er griff sie zärtlich bei der Hüfte, zog sie näher an sich heran und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss. Als sich seine Lippen wieder lösten, sahen die dunklen Augen Ta'shara noch einmal an und ein leichter Ausdruck der Enttäuschung schlich sich auf Brennans Blick. Sie fühlte einfach nichts und daran würde wohl auch ein einfacher Kuss nichts ändern.


    Brennan ließ Ta'shara wieder los und schenkte der Schönen dennoch ein Lächeln. "Sag dem Droschkenkutscher, dass er vorsichtig aber schnell fahren soll. Dann bekommt er von mir eine zusätzliche Krabbe."


    Der Vogelhändler öffnete Ta'shara die Tür und versuchte ihr zu helfen, dass sich die edle Schlangen-Robe nicht am Treppenabsatz verfing. Er begleitete die Valisar hinab, durch den Laden und hob die Hand zum Gruße, als sie in der Droschke sah.


    Wie bitter, dass eine solch schöne Frau zu keinerlei leidenschaftlicher Gefühle fähig war. Körperlich fühlte Brennan sich so sehr zu ihr hingezogen, dass es ihn schon schmerzte, hatte er selbst den letzten Kuss schon wieder bereut. Jemanden zu so einer Tat zu bewegen, ohne dass dieser jemand selbst wußte, ob er das überhaupt wollte, erschien Brennan so falsch. Aber er freute sich, dass Ta'shara zu gesagt hatte, einige Zeit bei ihm zu wohnen. Vielleicht konnte er ja doch noch die ein oder andere gefühlvolle Seite an ihr entdecken.


    Er schloss die Tür und wandte sich seinen Vögeln zu. Viel Zeit würde er nicht haben und die Tiere wollten versorgt werden. Durch irgendein offenes Fenster kam Kalli wieder hereingeflogen und setzte sich in Brennans Reichweite. Aufmerksam beobachtete sie, wie Brennan die Vögel fütterte und die Käfige säuberte.

  • Etwas war seltsam. Verändert. Eigentlich wollte sie gehen, aber Brennan küsste sie und irgendwie dachte sie in dem Moment, es sei richtig. Alles sei richtig. Der Kuss. Die Art, wie er sie hielt. Wie eine ferne Erinnerung. Weit, weit weg aber gut. Sie war fast bereit, sich dem weiter zu überlassen, doch schon im nächsten Moment schob sich ein Nebel darüber, ließ alles verblassen und letztlich verschwinden.
    Brennan ließ sie los und lächelte. Sie lächelte.
    "Ich werde es ihm sagen. Eine zusätzliche Krabbe."


    Sie saß bereits in der Droschke und überlegte immer noch, warum Brennan sie schnell wieder bei sich wissen wollte. Sie würde wohl nie verstehen, was Menschen zu manchen Worten bewegte während ihr Verhalten anderes vermuten ließ.
    Andererseits hatten sie auch noch einiges vor heute. Und so schien es verständlich, dass sie nicht allzuviel unnötige Zeit in einer Droschke verbrachte.


    Ebenso wenig unnötige Zeit verbrachte sie bei sich zu Hause. Sie beeilte sich, zu baden, sich für den Tag passend zu kleiden und alles Nötige einzupacken. Dem Kutscher hatte sie Anweisung erteilt, zu warten.
    Am Ende stand sie mit zwei Taschen, einem Hutkarton und einem Schrankkoffer da und betrachtete sich ein letztes Mal im Dielenspiegel: ein dunkelbrauner, figurbetonter, langer Rock. Schwarze Stiefeletten. Eine ebenfalls schwarze, taillierte Bluse. Der Ausschnitt zeigte gerade so viel von ihrem Dekolltée um noch schicklich zu sein ohne vulgär zu wirken. Eine Valisar hatte immer ein Auge für das, was tragbar war.
    Sie nickte und rief den Kutscher ihr zu helfen.
    Pünktlich wie verabredet hielt dieser gegen Mittag wieder vor dem Vogelhandel. Wie am Morgen bimmelten die Glöckchen. Ta'shara stieg aus, betrat den Laden und wartete.

  • Brennan war nicht weit weg. Er hatte gerade im Hinterzimmer einen Käfig gesäubert und wusch sich schnell die Hände in einem Eimer eiskalten Wassers, als er das kleine Ladenglöckchen klingeln hörte.
    Die Hände waren noch tropfnass, als er sie an seinen schwarzen Beinkleidern abwusch und ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er Ta'shara in der Handlung stehen sah.


    "Ah, dunkel wie die Nacht. So wie ich es mag." Der Vogelhändler kam frech grinsend auf die Halbvalisar zu. Diesmal widerstand er jedoch der Versuchung, die Schöne zu küssen und hauchte ihr nur einen leichten Kuss auf die Wange.
    "Ich dachte gestern, dass du nicht bezaubernder als in deiner Robe aussehen kannst, aber ich habe mich offensichtlich geirrt." Brennan wußte, dass Ta'shara keine Freude über dieses Kompliment empfinden konnte, aber er empfand es als die Wahrheit und die Wahrheit wollte auch ausgesprochen werden. Die dunkle Bluse und ihr dunkles Haar gaben diesen hinreißenden Kontrast zu ihrem kühlen Gesicht und ließen ihre blauen Augen wie zwei Sterne im Nachthimmel wirken. Brennan schmunzelte - ein Stern auf schwarzem Grund.. gewiss würde Ta'shara Shirashai gefallen.


    "Komm, ich helfe dir." Der Dunkeläugige hatte die Kammer, die neben dem Laden lag, bewußt nicht hergerichtet. Wenn Ta'shara schon ihren Heimkomfort für ihn aufgab, dann wollte er sie auch ganz an seiner Seite wissen. Gefühle hin oder her. Brennan trug den Schrankkoffer hinauf in seine Wohnräume.


    Als er mit dieser Arbeit fertig war, zog er das weiße Hemd, dass er in der Vogelhandlung getragen hatte und welches nun leicht verdreckt war, über den Kopf und warf es achtlos in eine Ecke, nur um sich ein schwarzes Hemd aus der Truhe zu ziehen. Während er sich anzog, sprach er weiter mit Ta'shara.


    "Möchtest du nun zu der Wahrsagerin? Oder willst du dich hier erst ein wenig einrichten?"

  • Ta'shara sah es eigentlich als überflüssig, sich für Brennans Kompliment zu bedanken; wusste sie selbst doch sehr genau, dass sie korrekt gekleidet war. Und dass sie mit ihrem eigenen Geschmack den seinen treffen würde, wusste sie seit gestern abend auch. Ähnlich wie sie hatte er ein Faible für dunkle Kleidung. Zumindest der Inhalt seiner Truhe ließ darauf schließen.
    Dennoch lächelte sie Brennan an und bedankte sich, während sie hinter ihm die Treppe nach oben ging. Sie würde also in seinen Räumen wohnen. Neben ihm schlafen. Das Lager mit ihm teilen? Ein Ziehen in ihrer Brust ließ sie seufzen. Nein. Wohl nicht. Er hatte sie eben nicht geküsst.
    Ta'sharas sämtliche Sinne und ihr Verstand arbeiteten schnell und präzise und ihr entging keine Regung Brennans. Sie wollte wissen, was ihm wichtig war, um sich auf ihn einstellen zu können. Sie würde mit ihm, einem Menschen, zusammenleben. Das hatte sie bisher noch nie getan. Nicht einmal für ein paar Tage. Sie duldete eigentlich keinen Menschen um sich, es sei denn zum Zwecke der körperlichen Liebe.
    Nur dieses grauenvolle Chaos, das die Nacht zuvor über sie hereingebrochen war, war der Grund, dass sie nun hier war. Dass Brennan selbst eine Rolle dabei spielen könnte, kam ihr nicht einmal ansatzweise in den Sinn.


    "Wie weit bist du mit deinen Tieren?"
    Ta'shara beantwortete Brennans Frage mit einer Gegenfrage und hob sein Hemd auf. "Hast du eine Reinemachfrau? Jemand, der dir deine Sachen wäscht oder machst du das selbst?" Beifläufig legte sie das Hemd über einen Stuhl. "Ich habe keine Eile. Wenn du noch Zeit brauchst, richte ich mich derweil ein." Ein kleines Lächeln spielte um Ta'sharas Lippen. Sie dachte kaum noch darüber nach, wann es dahin gehörte und wann nicht. "Ich könnte dir auch bei deinen Vögeln helfen, wenn du möchtest."

  • Der Vogelhändler beobachtete schmunzelnd, wie Ta'shara das Hemd ordentlich bei Seite räumte.


    "Die Frau von Nebenan." antwortete Brennan. "Einmal in der Woche schaut sie hier nach dem Rechten und kauft das Nötigste ein. Und sie wäscht auch. Meistens." Auch wenn Brennan sich fast verlegen über den Nacken fuhr, war sein Stimme fest und bestimmt.
    Es war ihm nicht unangenehm, dass er jemanden dafür bezahlte, ihm beim Führen des Haushaltes zu helfen. Schließlich war es gang und gebe, bei den Leuten, die es sich leisten konnten. Und Brennan konnte es sich nunmal leisten.


    "Die Vögel sind versorgt. Wenn du möchtest, kannst du mir heute Abend zur Hand gehen." Tatsächlich war der Dunkeläugige neugierig, wie die Vögel mit einer Valisar zurechtkämen. Die kleinen Tiere waren meist sehr sensibel und griffen die Stimmung der Personen um sie herum auf. Aber was war, wenn eine Person gar keine "Stimmung" hatte?


    "Wie du siehst, habe ich ganz für dich Zeit. Möchtest du, dass ich dir irgendwo helfe?" Brennan blieb weiter ein wenig auf Distanz. Er freute sich sehr, dass er die nächsten Tage nicht alleine verbringen mußte und es war mit Sicherheit eine interessante Erfahrung, doch fürchtete er weiterhin, dass sein Fleisch stärker als sein Geist war und Ta'sharas Schönheit ihn letztendlich doch gefangen nehmen würde.

  • "Die Frau von Nebenan…“, wiederholte die Halbvalisar und blickte kurz nachdenklich zu Brennan. "Es träfe sich gut, wenn sie auch meine Wäsche übernehmen könnte. Denkst du, das ginge? Ansonsten lasse ich Anweisung an meine eigene Bedienstete erteilen."
    Ta’shara lächelte. Auch für sie gab es gewisse Dinge, mit denen sie sich nicht beschäftigen wollte, wenn es sich vermeiden ließ. Interessanterweise fiel ihr erst in diesem Moment auf, wie sehr es sie tatsächlich stören würde, ihre Wäsche selbst waschen und mangeln zu müssen. Sie hatte sich noch nie mit dem Gedanken auseinandergesetzt. Solange sie denken konnte, gab es jemanden der diese Arbeit erledigt hat. Ta'shara strich sich durch die Haare. Sie war verwirrt.
    "Helfen. Ich, ehm… ja. Nein. Nein. Der Koffer ist ja schon hier oben."
    Sie blickte sich um, legte den Hutkarton auf dem Bett ab. "Oder doch." Ta’shara drückte Brennan eine der Taschen in die Hand. "Hier sind die Zutaten für das Seesternragout… In der anderen Tasche sind weitere Lebensmittel. Sie wären verdorben bei mir. Wenn du nachsehen würdest, was wir selbst brauchen können? Den Rest werde ich verteilen…" Sie ließ offen, was sie damit meinte.


    "Kann man die Wahrsagerin, von der du gesprochen hast, den ganzen Tag über aufsuchen oder nur zu bestimmten Zeiten?" Ohne es zu merken sprach Eile aus ihren Worten. Sie wollte den Besuch hinter sich bringen. Der Gedanke daran löste die ganze Zeit über etwas in ihrem Kopf aus, das sie nicht kannte. Sie konnte nicht einmal sagen, ob es sich gut oder schlecht anfühlte, weil sie es nicht kannte. Sie ging zum Fenster und öffnete es. Der Luftzug verfing sich in ihren Haaren. "Können wir gehen, bitte?"

  • Brennan nahm die Tasche von Ta'shara entgegen und linste hinein. Er nickte.
    "Ich werde die Lebensmittel der Nachbarin geben. Sie soll nachschauen, was wir benötigen und den Rest als Zahlung für die zusätzliche Wäsche nehmen, einverstanden?"


    Der Blick des Vogelhändlers blieb an Ta'shara hängen und ein friedliches Lächeln lag auf seinen Lippen. Sie konnte sich ihren Lebensunterhalt also zumindest so gut verdienen, dass sie andere die unliebsamen Aufgaben für sich erledigen ließ. Eine neue Erkenntnis für Brennan, auch wenn er sich nie hätte vorstellen können, dass eine Valisar Betteln müßte um ihr Leben zu bestreiten. Wahrscheinlich ein Vorteil der Gefühllosigkeit - man besaß niemals Skrupel, was immer man auch tat.


    "Bei der Wahrsagerin war ich noch nie, habe nur von ihr gehört. Aber ich nehme an, ihr Zelt sollte um diese Uhrzeit schon für jeden Kunden offen stehen. Wollen wir los?"
    Er schritt zu Ta'shara an das Fenster und legte seine warme Hand auf ihre Schulter.
    "Schau, der Droschkenfahrer steht auch noch draußen. Sieht so aus, als habe er sich Turas Eintopf schmecken lassen."


    Tatsächlich stand das kleine Gefährt noch vor der Tür. Der Kutscher saß mit einem Teller auf dem Schoß auf dem Bock und unterhielt sich schmatzend mit einer Frau, deren Kleidung darauf schließen ließ, dass sie irgendwo als Dienstmagd oder Küchenhilfe beschäftigt sein mußte.

  • "In Ordnung. Soll sie wegen mir die restlichen Lebensmittel behalten." Es war ihr reichlich egal, wer die Sachen bekäme, nur wegwerfen wollte sie sie nicht. "Wenn es dann sonst nichts mehr zu tun gibt hier, können wir uns auch auf den Weg machen."
    Ta’shara drehte sich zu Brennan um, ohne sich dem Druck seiner Hand zu entziehen. So nah bei ihm konnte sie seinen Duft atmen. Sie lächelte. "Komm. Nicht dass der Kutscher sein Mahl beendet und losfährt. Dann müssen wir am Ende auf eine nächste Droschke warten."


    Sie hatte es tatsächlich eilig. Sie wollte diesen verrückten Besuch hinter sich bringen. Denn völlig verrückt kam es ihr im Moment vor, da sie selbst wieder Herrin über ihr Dasein war und das Chaos der Nacht weit entfernt schien. Was versprach sie sich bloß von einer Wahrsagerin, was sie nicht längst wusste? Sie, eine Valisar durchströmt vom Blute der Ashaironi. Es gab nichts, was ihr je schaden könnte. Ganz gleich, was die Zukunft brachte. Aber gut. Sie hatte sich entschieden und sie schloss auch nicht gänzlich aus, dass sie einen Nutzen davontragen würde.
    Ta'shara ging zum Bett und entnahm der Hutschachtel seinen Inhalt: einen schwarzen Hut mit eleganter weiter Krempe. Er schirmte ihren eigenen Blick geschickt gegen den anderer Neugieriger ab. So konnte sie beobachten und auskundschaften, ohne selbst dabei beobachtet zu werden.

  • Ungern ließ Brennan sie wieder los, doch als Ta'shara sich ihren Hut nahm, warf er der Halbvalisar einen bewundernden Blick zu. Die Schöne wußte eindeutig, wie man sich kleidete und wie sie ihre Vorzüge zu betonen wußte. Auch wenn der Hut viel von ihrem Gesicht versteckte, betonte es dessen Ebenmäßigkeit nur noch mehr.


    "Ja." Sagte Brennan und für einen Augenblick fehlte ihm die nötige Spucke zum Sprechen. Er räusperte sich. "Lass uns gehen."


    Er reichte ihr den Arm und führte sie hinab. Unten angekommen hängte er ein "Heute geschlossen"-Schild an die Tür und schloß hinter sich ab.
    Der Kutscher hatte offensichtlich aufgegessen. Ein wenig Eintopf klebte noch in seinem Bart, doch das schien ihn nicht weiter zu stören. Er unterhielt sich aufgebracht mit der Frau im Küchenmagdgewand.


    "Könnt ihr das glauben? 2 Krabben mehr für den Hafer? Ich sage euch, alles wird teurer. Oh.. die Dame, der Herr."
    Der Kutscher registrierte Ta'shara und Brennan und sprang von seinem Bock. "Darf ich euch noch irgendwo hinbringen?"


    Brennan nannte ihm das Ziel und half Ta'shara in die Droschke.
    "Eins muß ich dir noch sagen." Der Vogelhändler nahm neben der Halbvalisar Platz. Diesmal sah er sie nicht an, sondern blickte hinaus. Er wollte Ta'shara mit ihrer Reaktion alleine lassen, wenn er ihr folgendes sagte. Auch, wenn er wohl kaum überhaupt eine Reaktion erwarten durfte.


    "Die Weissagerin. Soweit ich weiß ist sie.. sie ist eine Valisar."
    Die Räder fingen an zu klappern und die Droschke setzte sich in Bewegung zu Silenes Zelt.

  • Tief in ihrem Inneren regte sich etwas. Etwas, das sie an die Valisar von gestern Nacht erinnerte. Ta’shara hielt den Blick gesenkt und starrte zu Boden. Nur ihr Herz schlug wild und wütend gegen ihre Brust, beinahe im Gleichklang mit den ratternden Rädern. Sie kämpfte gegen diese unbarmherzige Sehnsucht und versuchte sie wieder zurück zu drängen… weit zurück zu jenem Ort in ihr, an dem sie zwar um diesen Schmerz wusste, wo er ihr aber nichts anhaben konnte.
    Nach ein paar Augenblicken, die ihr wie die Ewigkeit erschienen, antwortete sie.


    "Nun, dieser Umstand allein verleiht ihr die Fähigkeit, anderen gänzlich unvoreingenommen deren Zukunft weis zusagen. Es zeichnet sie in besonderem Maße aus. Eine kluge Berufswahl für eine von uns." meinte die junge Frau nüchtern.
    "Ich habe kein Problem damit, falls du das befürchtet hast." Ta’sharas Stimme klang leichthin und als sie wieder aufblickte lag ein Lächeln auf ihren Zügen. Doch sie spürte, dass es längst nicht so sicher war, wie sie es beabsichtigt hat. Schlimmer noch: sie spürte, dass sie diese unguten Gedanken der Nacht nicht mehr ganz und gar auslöschen konnte. Sie fühlte es. Ein kleiner Schmerz. Winzig, wie der Stich eines Insektes. Aber das Gift breitete sich aus...


    "Faszinierend, nicht? Innerhalb eines Tages triffst du gleich auf drei Valisar. Vielleicht solltest auch du in Erwägung ziehen, dir weissagen zu lassen..."


    - gehe zu Silenes Zelt -

  • Brennans Stirn legte sich in Falten. Ta'shara hatte recht und ihm war dieser Umstand zuvor noch gar nicht bewußt geworden.
    "Es stimmt. Und doch war keine wie die andere." Der Vogelhändler sah Ta'shara wieder an.
    "Zunächst traf ich dich, eine Halbvalisar und schöner als die Nacht, dann Deleila, die ihren Fluch gebrochen hatte und nun..." Der Dunkeläugige legte eine Hand auf Ta'sharas Hand. "Nun weiß ich ebenso wenig, was mich erwartet, wie du. Aber offensichtlich scheine ich Valisar anzuziehen.."
    Den letzten Satz hatte Brennan eigentlich im Scherz sagen wollen, doch noch während die Worte über seine Zunge glitten, wußte er, dass es kein Scherz war.
    Angeblich gab es nicht viele Valisar in Nir'alenar und dennoch hatte das Schicksal ihm gleich die Begegnung mit Dreien geschenkt.


    "Ob ich mir weissagen lassen soll?" Brennan lachte kurz. "Ich bin mir nicht sicher, ob ein Jünger Shirashais tatsächlich wissen sollte, was in der Zukunft passiert. Oh, schau an.. wir sind gleich da." Brennan deutete hinaus auf das kleine Zelt, das man am anderen Ende des Platzes sehen konnte.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!