Es war eigentlich einer dieser ganz normalen Tage gewesen. Mallalai Ciel’Anan war in den Armen der stolzen Tehanu aufgewacht, dort im inneren Ring Kina’malleis. Die klassenbewusste Mira’Tanar gehörte ihm nicht wirklich an, sie teilten lediglich Zeit, wenn sie sich beide einsam fühlten. Es war eine stille Übereinkunft, über die man keine Worte verlor und die genauso allmählich beendet werden konnte wie sie begonnen hatte. Mallalai wusste, dass sie sich niemals für ihn entscheiden würde, dazu war er viel zu unwichtig in ihrem Leben. Es waren seine jugendliche Kraft und die „Traurigkeit in seinen großen Augen“ wie sie betonte, die sie anzogen. Und beides war vergänglich, Mallalais Mundwinkel verzog sich spöttisch. Es war auch nicht das Leben im inneren Kreis, das er sich wünschte, die Zugehörigkeit zu den höchsten Familien der Mira’Tanar, gewiss nicht.
Ruhig war er davon geschwommen und hatte sie im Schlaf zurückgelassen. Längst als er den Rundbogen mit den Rosen hinter sich ließ, der den Eingang zu ihrem Garten zierte, bedauerte es bereits.
Es war noch sehr früh, die goldenen Sonnenstrahlen fanden gerade erst ihren Weg in die Tiefen und die Wege, an deren Seiten sich das Seegras in der Strömung bewegte, waren leer. Glitzernd breitete sich der neue Tag vor ihm aus. Mallalai war in solch zufriedener Stimmung, dass er es sogar auf sich nahm den Fischschwärmen auszuweichen, anstatt sie mit Schwung auseinander zutreiben.
Tehanus Haus stand so nah im inneren Ring, dass er an der Alin’Amoran vorbei kam, ein hoher, perlmuttweißer Palast, dessen Muster seine Augen verschlangen, er schwamm einmal außen herum – ein Ritual. Weiter kam der Elf zu dem Gebäude des Ritterordens, hier waren immer Wächter an den Toren anwesend, beachteten ihn aber kaum noch, da Mallalai schließlich öfters morgens vorbeischwamm und mit seinen zweifarbigen Haaren war er ihnen bekannt. Einer hob sogar ausdruckslos die Hand mit dem Speer zum Gruß.
Ein ganz normaler Morgen eben.
Vielleicht aber doch nicht.
Kina’mallei hatte der junge Meereself hinter sich gelassen, gewandt und anmutig schwamm er zu seinen geheimen Plätzen, an denen besonders schöne Korallen und Muscheln zu finden waren. Er hatte sich besonders feinen Draht besorgt, auf die er sie aufziehen und verflechten wollte. Übermütig drehte er sich um die eigene Achse und tauchte tiefer. Ein kleiner goldener Fisch begleitete ihn und durchstreifte heiter die langen Haare.
Dann war es aber so, dass sich seine kaum sichtbaren Häarchen im Nacken stellten, sein Herz begann zu rasen und seine Kiemen pumpten das Wasser schneller hindurch, der Seeigel in seinen auf einmal tauben Fingern fiel heraus. Voller Panik blickte er sich um, seine seltsamen Augen wanderten über die weich bewachsenen Steine, zwischen das Seegras, ruckartig drehte Mallalai den Kopf, seine langen Haare waberten um ihn herum. Eine seiner Hände fuhr nach vorne als ob er etwas greifen wollte, das Licht schien durch die Schwimmhäute und der ganze Elf schien unwirklich und durchlässig, als er da im Meer erstarrt war und lauschte.
Seine silbrig-blau schimmernde Haut schien ein wenig dunkler zu werden als er die unerwartete Gegenwart spürte. Das Wasser schien ihn auf einmal zu erdrücken, näher, schärfer zu werden.
Damit kam die eiskalte Ruhe und sein schönes Gesicht verzog sich fürchterlich. Ein Yassalar im Gebiet nahe Ya’tanai, weit entfernt von Zesshin Doraz. Und ganz allein. Mallalais zog die Lippen zurück und zeigte ein scharfes Grinsen, nichts war zurückgeblieben von der Sanftmut, wildes Verlangen zu töten überflutete seine Sinne, sein Blickfeld verengte sich zunehmend. Beide Messer sprangen aus den Armmanschetten in seine Hände als er den nicht sichtbaren Mechanismus betätigte.
Mallalai schoss in die Richtung. Aber er hatte nicht erwartet, was mit ihm geschehen würde, wenn er den Yassalar wirklich sah. Das Meer verwandelte sich in eine dicke Suppe, er war wieder das Kind. Das Kind, welches unter Angst erstarrt, welchem der Atem stockt, welches die Hände vor die Augen schlägt.
Seine Zähne klapperten aufeinander, aber er konnte den Blick nicht von der schwarzen Haut mit den silbrigen Schuppen lösen, nicht von den glitzernden Edelsteinen, nicht von den Augen, die auch ihn anstarrten. Seine Hände tasteten von selbst nach der Narbe an seinem Bauch. Er stöhnte leidenschaftlich. Eine Qual, die in ihm verankert ist und an seinem Fleisch zerrte.
Der Yassalar zeigte ein boshaftes Grinsen, welches seine Schönheit jedoch nur unterstrich, als er sich bewusst wurde, dass der Mira’Tanar um sein Gleichgewicht kämpfte.
Mallalai fühlte die Wasserblasen, die um ihn herum aufstiegen als der Yassalar grausam makellos herangeprescht kam. Bitter schmeckte Mallalai seine Furcht. Scham brannte hinter seinen Gedanken. Aber er schaffte es, seine Arme hinter dem Rücken zu verschränken und so die Messer aus dem Blickfeld des Yassalar zu ziehen.
„Was haben wir denn da?“ die Stimme war verlockend süß. „Ein zitternder, kleiner Seestern.“ Die violetten Augen musterten die perlmuttfarbenen.
Mit all seiner Kraft fand Mallalai seine Stimme, überraschend klang sie fest und dies beruhigte ihn auf seltsame Weise, die Angst verflog. „So alleine weit entfernt vom Nest, Yassalar?“ Mallalai erstickte fast an dem Wort. Er hörte ein scharfes Lachen. Jetzt oder nie! sagte er zu sich. Versuch es nicht, tue es!
„Du bist gezeichnet, Seestern!“ der Yassalar zeigte mit spitzem Fingernagel auf die Narbe. „Welche Schande, tat es weh? Hast du gejammert, gefleht?“
Mallalai fletschte die Zähne vor Erregung. Jetzt! Bevor die Überraschung nicht mehr auf seiner Seite war, zog Mallalai seine Messer hervor, doch seine feinen Sinne und eine unglaubliche Reaktion retteten den Yassalar davor, dass diese sich quer über seinen Bauch zogen, sondern lediglich das Wasser durchschnitten. Dennoch frohlockte er laut und seine Augen leuchteten dem Mira’Tanar wie Himmelssterne entgegen. „Das war deine Chance gewesen, so ein Pech wieder einmal – du bist nicht derjenige, der Narben bringt, kleiner Seestern!“
Es war ein Spiel für den erfahrenen Yassalar. Er war zu schnell. Er war zu geübt. Mallalai blutete bereits aus zahlreichen kleinen Wunden, die das Wasser um sie herum rot färbten. Raubfische durchpflügten bereits das Meer in ihrer Nähe. Aber Aufgeben stand nicht zur Auswahl, verbissen griff Mallalai an. Durch kleine Kniffe hielt er sich den Yassalar vom Leib, in Ausdauer und Gewandtheit stand er ihm in nichts nach, aber oh, es fehlte ihm an Erfahrung und Übung. Mallalai erkannte es in einem Aufflackern in den Augen des Yassalars …