Weihrauch und Orakelsteine

  • Bestürzt hörte er die Antwort... keine Seesterne, nein, davon besaß er nebenbei auch nicht viele. Das Gespräch mit ihr war ihm so viel wert, wie er gar nicht würde geben können. Das Wissen, das sie geteilt hatte, konnte er nicht vergelten. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf - was hatte er zu geben, was all das aufwog? Was war seine Art und Weise?
    Er runzelte die Stirn als ihm das Kostbarste einfiel, welches er immer bei sich trug, nah an seinem Herzen, nah an den Narben auf seiner Haut. Ihr Blut. Das Kind Mallalai hatte es von der kalten Haut der Mira'Tanar gelöst, die keine Ähnlichkeit mehr mit der Mutter hatte, die er so genannt hatte. Damals als er alles verloren hatte außer sein Leben, jenes Leben, welchem Silene wieder etwas mehr Sinn eingehaucht hatte ...


    "Du hast Anteil", sagte er, während er die filigrane Kette von seinem Hals löste. Der Anhänger war eine außergewöhnliche Koralle, die eine Perle umschlungen hielt, tiefes Rot und Violett, ein Drehen von Formen, ein Schimmern von Perlmutt, eine seltenes Fundstück aus den Tiefen von Ya'tanai. Aus dem Beutel an seiner Hüfte fischte er eine Nadel und eine feine Schnur. "Anteil an seinen Erinnerungen, seinem Schmerz, seiner Suche."
    Es war fast wie ein kleines Ritual. Zuletzt brach er ein Stück aus der Koralle, betrachtete es kurz, bevor er es mit der Nadel durchstach und auffädelte. "Ein weiteres Teil von Mallalai Ciel'Anan, Silene Weitseherin." Auf seiner flachen, blauen Handfläche bot er es dar, sanfte Schlingen mit dem Korallenstück als Herz, fast schien es man könne es pulsieren sehen. "Geliehen. Wenn ich ihn finde, so soll es ihm gehören aber bis dahin verbleibe es in deiner Obhut, denn ich vertraue, dass du es gut verwahrst." Er streckte es weiter vor als müsse er sich zwingen es von seiner warmen Haut zu fern zu halten. "Willst du es nehmen?" Es würde sie nicht bereichern, aber danach hatte sie auch nicht gefragt.

  • "Ich werde es sicher verwahren, Mallalai.", versichtere Silene und nickte langsam "An der Stelle an der mein Herz gesessen hat, bevor Narion es mir genommen hat."


    Sie nahm das Stück Koralle vorsichtig zwischen die Fingerspitzen, drehte es im schummerigen Licht der Laternen. Dieses warme Leuchten... vielleicht bereicherte es sie ja doch auf irgendeine Weise. Sie nahm beide Enden des Fadens und verknotete sie in ihrem Nacken, sodass die Koralle nun als blutroter Fleck auf ihrem schwarzen Oberteil ruhte.
    Silene legte die Hand darauf und versuchte zu fühlen.


    Sie konnte ihm doch noch helfen, wirklich Anteil nehmen an all seinem Schmerz und seiner Hoffnung, auch wenn sie es nicht fühlte. Diese Idee gefiel Silene auf eine gewisse Art, auch wenn sie es selbst nur ahnte.


    "Ich weiß es zu schätzen, Mallalai Wogenreisender",, flüsterte sie und lies die Koralle im Ausschnitt ihres Gewandes verschwinden.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Damit war er es zufrieden, nickte und schlug sich wieder die Kapuze über den Kopf. Ohne ein Wort wandte der Mira'Tanar sich um, das Zelt für dieses Mal zu verlassen.

  • Silene schüttelte sacht den Kopf. Wie überwältigend ... anders Mallalai doch war.
    Sie wusste, dass er eine Bedeutung für sie hatte, sie konnte es zwar nicht betiteln... mit 'Freundschaft' oder dergleichen, aber sie wusste es doch. Sie warf ein Bröckchen Rosenweihrauch auf die Kohle und fächelte sie mit der Hand an.


    Im Aufstehen befestigte ihren Schleier wieder, zupfte ihn rasch zurecht. Dann nahm sie den Kerzenleuchter und ging zu den Laternen um die Kerzen erneut zu entzünden.


    Dem Raum kehrte sie dabei den schwarz gekleideten Rücken zu.

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  • Losifa sah, wie der Meeresmann hinausging. Bedeutete das, dass sie jetzt an der Reihe war? Ein wenig zaghaft trat sie wieder an das weiße Zelt, streifte mit ihrem Blick das Holzschild und tippte mit dem Finger leicht gegen ein Glöckchen, um sich anzukündigen.


    Und Ihr erfasst der Welten Gang...


    Drinnen roch sie als Erstes eine Spur von Weihrauch. Zusammen mit dem bläulichen Licht, das hier vorherrschte, fühlte sich Losifa beinahe in eine andere Welt versetzt, der kühle Duft stieg ihr schnell zu Kopfe. Es beunruhigte sie ein wenig, ihre Gedanken verblassten. Die schwarze Gestalt der Seherin hatte sich einer Lampe zugewandt, als sie eintrat.


    Sie raschelte ein wenig, um sich bemerkbar zu machen. "Seid gegrüßt."

  • Silene schloss in aller Ruhe das Türchen der blauen Laterne, an der sie gerade den Kerzenleuchter entzündet hatte. Dann drehte sie sich um.
    "Eriadne leuchte Euch den Weg.", entgegnete sie würdevoll und ging mit dem Leuchter in der einen Hand auf ihre neue Kundin zu.
    Die alabasterweiße Haut der Tua'Tanai schimmerte in diesem Licht fast so bläulich wie Mallalais. Silene begegnete dem giftgrünen Blick ungerührt, vielleicht mochte er anderen Leuten einen Schauer über den Rücken jagen, doch Silene mit Sicherheit nicht. Sie schraubte den Kerzenleuchter wieder auf den unteren Teil des Ständers und sah der Tua'Tanai wieder entgegen.
    Nun legte Silene eine offene und interessierte Miene auf.


    "Wie kann ich Euch weiterhelfen?"

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  • Schneeweißes Haar, eiskalter Blick, stach unter dem Schleier, den die Seherin trug, hervor. Losifa verstand nicht sofort, denn das darauffolgende Interesse, das sich ganz deutlich im Gesicht abzeichnete, verwirrte sie. War sie nicht eben noch ein Eisblock gewesen, kalt, frei von Gefühlen? Sie musste sich getäuscht haben. Abwarten.


    "Ich frage mich, was diese Stadt für mich bereithält - oder ob sie überhaupt irgendetwas bereithält ..." Es mochte wie ein flüchtiger Gedanke klingen, doch die Seherin würde verstehen, Losifa war sich sicher.


    Sie wollte erklärend hinzufügen, dass sie aus Arvonar kam, zuckte aber kurz davor zurück. Warum nur war die Versuchung so groß, jedem, den sie traf, zu erzählen, dass die Stadt nicht ihre Heimat war? Und dennoch war sie hier - auch das musste etwas zu bedeuten haben. Draußen, vor dem weißen Zelt, hatte sie noch keinen Schimmer von dem gehabt, was sie sich von dessen Inneren erhoffte. Jetzt, drinnen, war es ihr zugeflogen.

  • Silene wieß auf den Stuhl und forderte die Tua'Tanai mit einer stummen Geste dazu auf, sich dort hinzusetzen. Sie musterte ihr Gegenüber eingehend. Eine Tua'Tanai... was erhoffte sich ein Naturwesen wie sie von der Stadt? Silene kannte kaum einen Vertreter dieses naturverbundenen Volkes, der es länger hier ausgehalten hatte.
    Schlussendlich waren sie zurückgekehrt in ihre Wälder... und sich auf ihrem Weg dorthin nicht einmal nach der Stadt umgedreht.


    "Ihr wollt also etwas über Eure Zukunft hier in Nir'alenar wissen...", folgerte sie, während sie sich selbst setzte und den schwarzen Beutel herbeizog. Ihre Linke bot sie ihrem Gegenüber an. "So reicht mir Eure linke Hand und zieht nacheinander sieben Steine aus diesem Beutel."

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  • Kurz zögerte Losifa. Irgendetwas an dieser Frau, ihre Aura, ihre Bewegungen, ihre Stimme ... war anders, nicht ganz menschlich; es ließ sich nicht einordnen. Was war sie? Losifa merkte, sie würde sich nicht auf ihre Zukunft konzentrieren können, wenn sie nicht das Rätsel dieser Frau gelöst hatte. "Welchem Volk gehört Ihr an, wenn ich fragen darf? Entschuldigt, aber es lässt mir keine Ruhe ...", sagte sie leise. Würde ihr Gegenüber antworten?


    Sie setzte sich, wartend, Licht und Schatten flackerten über das verhüllte Gesicht der Seherin.

  • Silene hielt inne, zog ihre Hand zurück und sah die Tua'Tanai emotionslos an. Es beschäftigte ihr Gegenüber, was sie war? Natürlich ließ es Silene vollkommen kalt, was ihre Kunden oder andere Leute von ihr hielten, doch wenn es ihre Aufgabe als Seherin beeinträchtigte, fühlte sie sich dadurch gestört.
    Entweder, der Wandlerin war es doch nicht so wichtig, was die Zukunft über sie wusste, oder es beschäftigte sie tatsächlich.


    "Wenn es Euch so sehr nach diesem Wissen verlangt, möchte ich es Euch nicht vorenthalten.", begann Silene tonlos und war sich trotzdem sicher, das Eiseskälte aus ihrer Stimme sprach. "Ich bin eine Valisar. Ich denke, ich muss Euch nicht erklären was das heißt?"


    Die Tua'Tanai musste in ihrem bisherigen Leben zumindest eine, der vielen Geschichten über die Valisar, gehört haben. Natürlich musste der Umstand, dass sie eine Valisar nicht sofort erkannte, nichts heißen. Wenn sie bisher noch keine Vertreter ihres Volkes gesehen hatte...? Aber die Geschichten über die eiskalten Schönheiten aus Fal'Nular, waren weit über die Grenzen von Lyr'Vilor, und Norvandor bekannt.

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  • "Nein", sagte Losifa schlicht. Eine Valisar - natürlich ... Eine der gefühlskalten, verfluchten Wesen, die Eisblöcken glichen, doch Emotionen nachahmten, um ihrem sehnlichsten Wunsch, diese empfinden zu können, näher zu sein. Natürlich. Wie sollte sie sich jetzt verhalten? Die Seherin hatte ihr Geheimnis preisgegeben. Sie wollte sie später nicht bei ihrer Arbeit stören, nur weil sie ihr mit Mitleid gemischt mit leichtem Entsetzen entgegenbrachte. Was könnte sie sagen?


    Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne jegliche Gefühle dahinzuvegitieren. Wahrscheinlich konnte man sich nicht einmal darüber aufregen. Aber hatte sie nicht irgendwo gehört, wie man den Fluch rückgängig machen konnte? Die Seherin würde es sowieso wissen. Dann blieb nur noch eines.


    "Ich wünsche Euch, dass Ihr Euren Frieden findet", sagte sie. Nicht mehr und nicht weniger. Und legte ihre warme Hand auf den Tisch.

  • Silene nickte kühl. So hatten bereits viele reagiert, die von ihrem Schiksal erfuhren. Silene wusste es nicht einzuordnen, gehörte Losifa nun zu denen, welche sie bemitleideten? Oder war sie schlichtweg neugierig gewesen? Vielleicht gehörte sie auch zu jenen Leuten, die sie beneideten? Nein... sicher nicht. Dazu zeigte das Mienenspiel der Tua'tanai zuviel des Begreifens.
    Sie sah der Wandlerin ohne zu blinzeln entgegen, dann schob sie ihre Hand unter Losifas und wiederholte die Anweisung von vorhin.


    "Konzentriert Euch und zieht sieben Steine aus diesem Beutelchen."


    Sie wartete stumm und mit ihrer gewohnt aufrechten Haltung auf die Schicksalssteine. Was auch immer die Wandlerin hier in Nir'alenar erwartete, Silene würde es ihr berichten. Insofern nicht wieder die Götter ihre Finger im Spiel hatten.
    Nochmal wollte sie die Geduld der Gottheiten nicht auf die Probe stellen.

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  • Die kalte Hand glitt unter Losifas, und die Seherin hieß sie, die Steine zu ziehen.


    Kurz zögerte sie, schloss dann die Augen und langte in den Beutel, um die Steine zu erfühlen. Sie waren alle gleich, rund und glatt und kalt. Auf die eingeritzten Zeichen achtete sie erst gar nicht, auch wenn sie sie hätte erfühlen können, war es falsch, danach bei ihrer Wahl zu urteilen. Außerdem sagten sie ihr rein gar nichts. Sie suchte sich sieben Steine, nur die Lage unterschied sie von anderen. Einen wählte sie von ganz unten, einen von rechts, links, vorne und hinten und zum Schluss einen, der jetzt ganz oben lag. Sie hatte keinen Schimmer, warum gerade diese Kombination, ihre Hand folgte dem Instinkt.


    Sie nahm sie heraus und betrachtete die Zeichen, dann die Seherin, obwohl sie wusste, dass sie sich durch nichts verraten würde.


    Nir'alenar ... was beinhalteten die Steine für ihre Zukunft in dieser Stadt?

  • "Nun.", kommentierte Silene gedehnt und verschränkte die Finger beider Hände ineinander. Ihr Blick huschte über die Kiesel, kühl und berechnend, doch immer noch nach Anzeichen für göttliche EInflüsse suchend.
    Hier, das Irrlicht. Ein langer, sehr verworrener Schicksalsfaden war der Tua'Tanai zueigen. Es würde noch viel Verwirrung und Unklarheit in ihr Leben treten, und das in absehbarer Zeit.


    "Ich sehe einen langen Weg, der vor Euch liegt, Teile davon, so berichtet mir der leere Stein, liegen noch im Dunkeln und sind noch nicht entschieden. Dieser Weg führt lange Zeit durch diese Stadt, doch in entfernter Zukunft sehe ich Euch eben dieser den Rücken kehren. Es bahnen sich Schwierigkeiten an, hier", sagte sie und deutete kurz auf den zweiten Stein, ein weißer Dolch aus dessen Spitze ein Blick zuckte prangte auf seiner Oberfläche "Gebt Acht auf Leute, die sich als Eure Freunde ausgeben. Ein wenig Misstrauen ist durchaus angebracht."


    Silene strich mit einer geübt wirkenden Geste über den dritten Stein, ein kleiner Stern der über den Wellen tanzte. "Ich sehe eine glückliche Beziehung auf Euch zukommen. Freundschaft oder Liebe. Doch ... steht Eurem Glück noch etwas im Wege."


    Sie sann einen Moment über den vierten Stein nach. "Ihr müsst Euch einem Konflikt stellen, den Ihr schon lange verdrängt. Es geht um Eure Heimat. Ihr müsst Euer inneres Gleichgewicht zurückgewinnen. Vielleicht hilft Euch der Glaube dabei."


    Die Seherin sah nun von den Schicksalsteinen auf und der Tua'Tanai entgegen. Hatte sich da nicht eben etwas in der Mimik der Wandlerin verändert?

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  • "Ich glaube, ich stecke bereits mitten drin."


    Ein Flüstern war es, auf einmal fühlte Losifa sich schwer und trübsinnig. Ihre Heimat ... natürlich. Plötzlich erschien ihr ihre Zukunft düster, schwierig, nicht mehr voll von Neuem und verheißungsvoll, und unbekannt. Jetzt wurde sie ihr zumindest in groben Zügen enthüllt, und sie wünschte, sie hätte nie danach gefragt. Doch es gab kein Zurück, sie konnte das Wissen nicht einfach wegwischen, sie musste etwas damit anfangen. Sie würde den Nutzen daraus ziehen und lernen, was es zu lernen gab. Dann würde sie ihren eigenen Weg gehen. Nacheinander betrachtete sie die Steine und prägte sich ein, was die Seherin dazu sagte.


    Ein langer Weg, der aber nicht immer nur durch die Stadt führen würde ... würde sie sich also irgendwann doch von der unbekannten Kraft, die sie hierhielt, befreien und in ihre Heimat zurückkehren. Und sie sollte durchaus ein wenig misstrauisch sein. Würde sie etwa von jemandem, den sie in nächster Zeit kennenlernte, betrogen werden? Nun, es nützte nichts, übervorsichtig zu sein. Sie würde warten, wie sich die Dinge entwickelten.


    Eine Beziehung mit einem Hindernis ... darauf war Losifa neugierig. Dann war dieses eine Probe für diese Beziehung. Bestimmt würde sie ihr Bestes geben, um das Problem zu lösen - gemeinsam mit ihrem Freund oder Partner.


    Ja, und ihre Heimat. 'Vielleicht hilft Euch der Glaube dabei.' Diese Worte berührten sie, wie ein Lichtblick, ein kleiner Sonnenstrahl, verborgen unter eisblauem Licht und dem ebenso eisigen Blick der Seherin. Liaril, ihre Patengöttin würde ihr helfen können ...


    Sie wartete auf die Deutung der restlichen drei Steine. Die Valisar zuckte nicht einmal mit der Wimper, doch sicherlich las sie in Losifas Gesicht."Bitte erzählt mir mehr", bat sie.

  • "Nun. Hier auf der Ebene der Wahrnehmung liegt die Elster.", sagte Silene und deutete auf den fünften Stein, der über und über weiß-schwarz gemustert war. "Die Elster ist kein diebischer Vogel, nein. Sie ist ein Symbol des Sammelns, des Prinzips der Selbstgenügsamkeit."


    Sie sah auf den sechsten Stein "Und das Zeichen des Schlachtrosses verstärkt diesen Effekt noch. Euer inneres Selbst wird reifen, Eure Persönlichkeit wird sich erweitern, ihr werdet die Chance bekommen, große Weisheit zu erlangen."


    Der letzte Stein schien von bezaubernder Schlichtheit. Ein kleiner unendlicher Knoten, der silbern auf einem schneeweißen Stein leuchtete. Dieser Stein war Silene vertraut. Sie hatte ihn schon so oft gezogen für andere Wesen, für Wesen, die sich in einer Situation gefangen fühlten.


    "Der gerechte Lohn für Anstrengungen und Taten ist Euch gewiss. Keine Eurer Bemühungen wird umsonst sein, auch wenn es anfangs so erscheinen mag." Daraufhin schob Silene die Steine zu einem Kreis zusammen und bedachte nun die Bedeutung der Steine in ihrer Gesamtheit.


    "Bringt man den tanzenden Stern und die Elster miteinander in Verbindung, so ergibt sich daraus die Begegnung mit einer Person, deren Schicksalspfad eng an Euren eigenen Lebensweg geknüpft ist. Ich sehe sie in einem Moment in Euer Leben treten, in dem ihr sie nicht erwartet, lediglich erhofft.
    Einen besonderen Hinweis kann ich Euch nicht geben, doch ... Achtet auf den Wind. Der Wind hat etwas damit zu tun."

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  • "Der Wind?" Losifa runzelte die Stirn, Unverständnis zeichnete sich in ihren Zügen ab. Schön, sie war eine Tua'Tanai, verbunden mit der Natur und ihren Elementen. Doch was hatte ausgerechnet der Wind an sich, was bedeutete er für sie?


    So viele Fragen lagen ihr auf der Zunge ... doch natürlich war auch die Valisar-Seherin nicht allwissend. Sie hielt sich zurück, verbiss sich den Schwall von Fragen, der auszubrechen und ihr Gegenüber unvorbereitet zu überschwemmen drohte. Elster, Schlachtross und der silberne Knoten ... sie würde eine entscheidende Begegnung mit einem neuen Freund erleben, wenn sie sich diese erhoffte.


    Nachdenken war überflüssig, mehr als die Seherin ihr erzählt hatte, würde sie sowieso nicht herausfinden. Sie musste einfach abwarten und tun, was sie für richtig hielt. Und sie sollte die Ratschläge, die in der Weissagung verborgen waren, beherzigen. Mehr konnte sie nicht tun. Mehr stand ihr nicht zu. Sie war ein Geschöpf der Gegenwart, geschaffen für den Augenblick. Was tat sie dann hier? Einfach nur neugierig sein?


    "Wisst oder vermutet Ihr noch etwas? Oder haben die Steine alles enthüllt, was es zu sagen gibt?", fragte sie. Ja, die Neugier zerrte an ihr und drängte ihr die Frage auf die Zunge.

  • Die Steine schiegen beharrlich, doch Silene las in ihnen wie in einem offenen Buch. Dort gab es die Eiche, sie stand für die Heimat der Wandlerin. Der Blitzende Dolch... Sie konnte ihr nichts Neues erzählen, die Schlangenwandlerin kannte ihren inneren Konflikt gut genug.
    Sie weiß nicht wo sie hingehört, flüsterte Silenes innere Stimme. Sie sucht nach ihrem Lebenssinn. Zeige ihr den Weg.


    "Hört zu. Trotz all den Hinweisen und Deutungen, die ich Euch mit auf Euren Weg gebe; noch liegt es an Euch, was Ihr daraus macht. Ihr habt eine schwere Zukunft vor Euch, jedoch sehe ich in Euch auch die Kraft, die kommenden Prüfungen zu bestehen.
    Ihr müsst Euren Weg nur noch beschreiten und durch kluge Entscheidungen die Richtung bestimmen."


    Silenes Augen leuchteten einen Moment auf, ehe sie wieder ihre übliche Unnahbarkeit annahmen. Sie ging nun auf die eigentliche Frage Losifas ein. "Niemals enthüllen die Steine etwas ganz. Sie lassen mich lediglich kurz hinter den Vohang sehen.", gab Silene zu bedenken. Sie sah die Fragen aus Losifas Augen sprechen. "Doch wenn Ihr noch Fragen habt, so stellt sie nur. Jetzt habt Ihr die Möglichkeit dazu."

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Losifa wusste das kurze Aufleuchten der kalten Augen nicht einzuordnen. Verwirrt durch die Verwirrung in ihrem Kopf stellte sie die drängendste Frage, die momentan viele andere überlagerte. Der Wind ... "Ihr sagtet, ich solle auf den Wind achten ... was bedeutet das genau?"


    Dann war da noch etwas. Wie sollte sie ausführen, was die Seherin ihr gesagt hatte? Ihr müsst Euren Weg nur noch beschreiten ... "Meint Ihr, ich soll meiner inneren Stimme folgen?" Noch war ihr nicht klar, wie sie diese Aussage auffassen musste. Woher wusste sie denn, welcher speziell ihr Weg war?

  • "Der Wind...", sagte Silene leise und für einen Moment spürte man fast einen kühlen Windhauch, der durch das Zelt strich, obwohl es ja eigentlich wind-dicht war. "Der Wind kann für vieles stehen. Einerseits kann es sein, das das Leben der Person einen starken Bezug zum Wind hat. Denkt bespielsweise an Sylphen. Andererseits steht er auch für eine flüchtige, schlüpfrige Person vielleicht... ein schüchterner Charakter?
    Aber was bringt es Euch, wenn ich beschreibe, was der Wind für mich bedeutet, es ist an Euch dieses Rätsel zu lösen. Nicht an mir."


    Silene hatte emotionslos gesprochen, dch wie immer was die Scharfkantigkeit der Worte nicht zu vermeiden gewesen. Vielleicht hatte das eben sehr belehrend gelungen, aber Silene wusste es nicht.


    "Eurer inneren Stimme solltet Ihr immer Gehör schenken. Sie weiß meist mehr, als Euer Kopf zu wissen vorgibt."

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