Fressen Schlangen Fische?

  • Welche Vertrautheit sich da unversehens zwischen ihnen gewebt hatte, ihr Name rüttelte ihn auf. Mallalai blinzelte in das grüne Aufblitzen als sei er gerade erwacht. Unbekanntes Gesicht, welches einen Namen trug, mit dem er es in Verbindung bringen konnte, entledigte sich jäh seiner Fremdheit. Wie konnte er sich nicht respektvoll vor ihr verhalten, jetzt da seine Lippen ihren Namen flüstern konnten? Hieß es nicht deshalb bekannt machen?
    Seine Arme sanken. Beschämt senkte er den Kopf, trat sogar einen Schritt zurück.


    "Verzeiht es ihm, wenn er Euch, Losifa, zu nahe trat. Hat er doch seinen Unmut über den Verlauf des Tages in ein ... unpassendes Gefühl strömen lassen", entschuldigte sich Mallalai sanft. Die Dunkelheit der Gasse überschattete hoffentlich sein Gesicht. Ja, sie war ihm willkommen gewesen, als Ablenkung, als ein Hineingleiten in das Vergessen ... es war ihrer und auch seiner nicht würdig.
    Sein Nacken kribbelte, wie gerne wäre er geflohen, doch stattdessen verkrampften sich seine Glieder, stocksteif stand er da, ganz anders als sein gleitendes Wesen sein sollte. Was man begonnen hatte, musste man ausstehen, egal was es nach sich ziehen mochte. "Wie kann jener es wieder in Ordnung bringen?"

  • Das Unsichtbare zwischen Mallalai und ihr, eine Barriere war es nicht, schien ein wenig dünner und durchsichtiger zu werden. Sie wollte lieber nicht daran glauben, dass es im Laufe ihrer Begegnung weiter schwand, und dennoch hoffte sie sehr darauf. Er faszinierte sie, er war einzigartig, auf eine seltsame und unbekannte Art und Weise - auch wenn sie noch nie einem Mira'Tanar begegnet war, war sie irgendwie sicher, dass nicht alle seines Volkes wie er waren. Diese Überlegungen brachten sie auf etwas anderes ... was tat ein Meereswesen denn an Land ... eines der vielen ungelösten Rätsel, die sie vorerst auf die Warteschlange abschieben musste. Doch sie war entschlossen, das, was er war, mehr und mehr zu entwirren, auch wenn sie nie sicher sein konnte, ihn zu verstehen. Doch der ungewohnte Reiz kribbelte angenehm unter ihrer Haut und regte sie auf. Ja, es war ein Spiel ... um Nähe und Verstehen, nichts weiter und doch so viel.


    Als die wirklichen Sperren links und rechts sanken, blickte sie verwirrt auf. Was war nun, was hatte ihn veranlasst? Weiche Worte umwoben sie, während er steif dastand, belustigter Gedanke: hat er einen Besen verschluckt?, nur verbale Fühler ausstreckte. Die Grenze der Sittsamkeit rutschte unentschlossen hin und her, doch wieder ein wenig vor.


    Um ihn aufzumuntern, erzählte sie. "Als ich ... ich in Arvonar lebte, war ich einmal alleine unterwegs - in der Gestalt meines Patentiers." Etwas hielt sie - dennoch - zurück, ihre zweite Natur preiszugeben. "Es wirkt nicht sehr gefährlich, und ein großes Wolfsjunges entdeckte mich und machte sich einen Spaß daraus, mich anzutapsen und herumzuschubsen. Ich wollte rücksichtsvoll sein, den Wolf nicht erschrecken, indem ich meine Gestalt wechselte, und nach einiger Zeit rettete mich eine Freundin ..." Sie lächelte, zurückdenkend, suchte jedoch auch in seiner Miene Anzeichen von Belustigung. "Wahrscheinlich war das das Seltsamste, was mir dort passiert ist." Sinnend stand sie eine Weile da, sah ihn an und sah ihn nicht.


    "Vielleicht sollten wir die Schatten verlassen und an einen Ort gehen, der etwas angenehmer ist?", schlug sie dann vorsichtig vor.

  • Mallalais Blick riss auf -- war dies ihre Antwort, auf welche Art und Weise er sein Verhalten wieder ins Reine bringen konnte? Die erste Vorstellung, die hinter seiner Stirn entstand, war jene einer Höllenmuräne: ein schlangengleiches Tier mit scharfen Zähnen und glutroten Augen, die bedrohlich im Sternenmeer leuchteten. Danach hatte er kaum noch ihren Worten lauschen können, der Gedanke versetzte ihn innerlich in Aufruhr. Schande über ihn, war er ihr ahnungsloses Opfer? Hatte er nicht um mehr Demut gebeten? Doch ihm solch eine Herausforderung zu schicken, grenzte schon fast an Übermut.
    Welche Bedeutung hatte also ihre Geschichte für ihn, welche Folgen? Sein Kiefer mahlte, als sich seine Zähne fest aufeinander bissen. Eine Warnung, dass sie weder harmlos war, noch wehrlos? Er ebenso nicht.


    "Was mag Patentier wohl bedeuten?" kaum wollte sich seine Zunge lösen. "Frisst es Fische?" Dann leuchteten fast seine Augen, gleichzeitig mit der Erleuchtung dessen, was sie noch gesagt hatte. Gestaltwandler? "Fresst Ihr Fische?"


    Ohne dass er es verhindern vermochte, schnappte eines seiner Messer unter dem Mantel locker in seine Hand. Mallalai bedrohte sie keineswegs ... doch verteidigen wollte er sich wohl. Ihre Gestalt bekam eine neue Seite ... ihr Schatten ... er blinzelte ... hier war das Dunkle hinter ihr kaum auszumachen ... im Licht jedoch waren Schatten realer, gewaltiger, schärfer.
    Die junge Frau, die anscheinend viel freundlicher tat, seit Mallalai einen Schritt zurück getan hatte, in Wirklichkeit aber nur noch gewaltiger auf den Mira'Tanar wirkte, starrte durch ihn hindurch, wie er sie an.

  • Sie sah ihn wieder richtig an, wirkte ihr Blick kühl, berechnend, oder nur nachdenklich? Bei all ihrer Geheimnistuerei sollte sie sich nicht wundern oder gar freuen, dass die Neugier ihren Weg fand, direkt greifbar war und gehört wurde. Möglicherweise war es mehr als nur Neugier, das er ihr nun entgegenbrachte, nachdem ihre kleine Geschichte ihren Geist verlassen hatte und frei war. Sie war sich zwar sicher, dass das Erlebnis nur der Ablenkung wegen entwischt war, denn es war ihr auch etwas peinlich, jedoch - seufzte sie - hatte es jetzt wohl keinen Sinn mehr, ihm das klar zu machen. Mochte er denken, was er wollte, er tat es ohnehin. In seiner Gegenwart amüsierte sie sich laufend über sich selbst, fiel ihr plötzlich auf. Das sollte sie wohl lieber als gut werten.


    Und er interessierte sich wirklich dafür, für ihre zweite Natur ... Worte würden ihrer nie, nie gerecht werden. Worte beschrieben solch ein Verhältnis nicht. Nein, sie musste schon zu stärkeren Mitteln greifen, auch wenn sie Gefahr lief, Mallalai zu erschrecken oder sogar gegen sich aufzubringen. Langsam sagte sie: "Sie ... oder ihr ... steht nicht auf unserem Speiseplan. Fisch habe ich noch nie probiert, aber ich glaube, möglich wäre es, bei ... kleineren Arten." Sie versuchte, es so harmlos und sachlich wie möglich zu sagen - und scheiterte kläglich.


    Nun war es also an der Zeit, früher oder später musste sie das wohl bei allen Bekannten tun (ausgenommen ihresgleichen) ... und doch graute es ihr fast davor, weil sie die Reaktion nie einschätzen konnte.


    Kurz, für einen alles enthüllenden Augenblick, gab sie Losifas tierischer Seite freies Geleit, ließ die Kontrolle sausen - grüne Augen blitzten, zu Schlitzen geformt - lautes Zischen, gespaltene Zunge - spitze Zähne - giftig - bewegliche, glatte Schuppen ... und dann stand wieder Losifa da, aufrecht, fast herausfordernd. Nein, es war ihrer nicht würdig, sich für die Schlange zu schämen.

  • Es war, als müsste sie erneut zu einer Erklärung ansetzen, die ihr schon unzählige Male über die Lippen hatten kommen müssen, ein wenig entnervt, vielleicht auch sich selbst fragend, ob es der richtige Weg sei, zu dem sie sich würde durchschlagen müssen. Seine Augen schauten hell, aufmerksam und geduldig.
    Erleichterung rann in Wellen durch ihn, einfach, weil sie keine Bedrohung war, er nicht gegen sie die Waffe erheben musste. Verdammte die Vorstellung, in der ihre bleiche Haut von Blut gezeichnet war. Er war weder klein, noch ganz und gar ein Fisch. Die Sternenkatze schlich durch seine Erinnerung, jene, die Einzige, die ihn wohl hatte schmecken wollen, weil er nach Fisch roch ...


    Man musste schon aus härteren Korallen geformt sein, um davor nicht zurück zu schrecken, was dann geschah. Gar seine eigene Form fallen zu lassen, abzustreifen, um einer neuen Gestalt Willen. Was durchaus der falsche Ausdruck sein konnte, denn es war ebenso die ihre, weder neu noch älter, angeboren oder erworben, stellte sich die Frage, beständig ihre?
    Der Wissensdurst siegte ob der Furcht, über die Unsicherheit ...


    "Wer hätte das gedacht!" rief er aus, dann sprudelte es wie ein Quell, Gedanken wie Worte durcheinander.
    "Welche Gestalt ist der wahre Körper?" fragte das Meereswesen interessiert, erstaunt, obwohl unbehaglich berührt. Sehnsucht trat in seine Augen, auch wenn er sich beständig fragte, was an ihm so falsches war, dass er sich davon trennen wollte.
    War es ein Zauber?
    "Hast du sie gerufen und sie hat gehorcht? Kommt sie zu Euch, weil sie es will, die einzigste Rechtfertigung für Gehorsam ..." Konnte man es erlernen? Fühlte jedes Wesen das der anderen? Teilten sie ihre Überlegungen? Einfach: wie war es?


    Träume sprachen mit einem, das wusste jeder, bei Losifa jedoch wurde er zur Wahrheit. Mallalai sah sie durchdringend an. Jetzt sah er, was sich zuvor zwar nicht vor ihm verborgen hatte, dennoch seinen Blicken nicht offensichtlich gewesen war. Roch er jetzt gar einen Hauch von Reptil? So gerne hätte er ihre Schuppen berührt -- waren sie den seinen ähnlich?

  • Und abermals überraschte er sie mehr als sie zugegeben hätte, schreckte nicht zurück, zeigte keine Furcht oder Abscheu oder Missgunst. Nein, ganz anders ... Ungläubigkeit ja, doch ebenfalls Interesse, große Neugier, aufgerissene Augen ... was mochte das bedeuten? Für Mallalai, für Losifa? Verwirrt zuckte ihre Hand, wollte sich beschäftigen, die Haare zurückstreichen, die Augen bedecken, um nur einen Moment die Selbstsicherheit fallen lassen zu können. Wer hatte nicht Angst vor Schlangen - giftigen, noch dazu? Und wen faszinierten sie nicht, diese schönen, sinnlichen Tiere, sich windend und bedrohlich, das Zischen ein Akt der gefährlichen Nervosität. Jedoch überwog die Angst bei den meisten Wesen und sie suchten nur liebend gern das Weite. Losifa hatte nie viele Freunde gehabt, auch nicht im Wald, denn sie war auch unter ihresgleichen anders gewesen. Das begann schon bei ihrem Aussehen.


    Und jetzt ... gab es jemanden, der mehr wollte, wissen, wie es war, so zu sein, und anderen Furcht einzuflößen.


    Leise antwortete sie, sanft und wohl ein wenig verletzlich. Und seine offensichtliche Unkenntnis dieser Dinge ärgerte sie nicht, sie versuchte nur, Empfindungen in Worte zu wandeln. "Ich bin sie, und sie ist ich. Ich bin eine Seele, die sich zwei Körper teilt. Der Schlangenkörper folgt oft seinen Instinkten, es ist kein Gehorsam, sondern Kontrolle über Körper und Geist. Wir dürfen uns niemals den Instinkten hingeben! Trotz allem darf ein Tua'Tanai nie seiner tierischen Seite die Oberhand geben, denn dann ist es aus."


    Nie verachten, nie verstecken. Der Mensch entstand aus dem Tierischen, und das Wilde ist ein Teil des Intelligenten. Sie benahm sich wie ein verschrecktes Kaninchen. Ärgerlich entfuhr ihr ein leises Zischen, wie ferner Peitschenschlag.

  • Der junge Mira'Tanar stand bei ihr und hörte zu, seinen Kopf hielt er gesenkt, lauschte auf Worte wie auf das Zischen. Seeschlangen waren gefährliche Tiere, deren dicker, gleitender Körper in allen erdenklichen Farben schillern konnte, wahrhaftige Schönheiten ... doch Losifa war keines der gewaltigen Wesen, dessen war Mallalai sich sicher, doch noch wusste er nicht, ob sie auch deren Gift besaß und für sich nutzen konnte. Sie war eine junge Frau, ein wenig unsicher wie ihm schien. Fühlten nicht sie alle Wesenszüge in sich, die erfreuten oder auch erschrecken konnten?


    "Dann ist die Schlange nur eine andere Seite Eures Wesens", seine Handfläche drehte sich beispielhaft, "so ist sie Eure Freiheit." Seine Stimme klang fest, so hatte er seine Gefühle wieder unter seiner Kontrolle, wie sie die ihren haben musste. Es war, als wäre nie etwas geschehen, hier in der Seitengasse am lichten Tag. So hoffte Mallalai, dass er genug Ruhe ausstrahlen würde, um sie nicht zu beunruhigen.


    "Gibt es nur die Schlange?" fragte er dann, sah in die Schatten vor sich. Ihr Geheimnis war gelüftet. Tua'Tanai ... er hatte nie von diesem Volk gehört, die ihre Erscheinung wechseln konnten, natürlich, das Land unter der Kuppel war weiter gefächert und war so entfernt von ihm, wie der Ozean von ihrer Welt. Doch, konnte sie sich hier in der Stadt wohl fühlen? Er wollte annehmen, dass sie es verneinen würde. Spielte ihre Frage, diesen Ort zu verlassen darauf an, dass sie sich lieber woanders wusste?

  • Gibt es nur die Schlange? Was meinte er damit? Wenn er dachte ... nichtsdestotrotz hatten Gestaltwandler nur ein Patentier, ansonsten würden wir wohl wahnsinnig werden, sinnierte Losifa. Einige sind es jetzt schon. Sie nickte zu Mallalai gewandt. "Ja, die Schlange ist meine Freiheit, doch sie ist auch eine Gefahr. Sie besitzt keine Moral und keinen Verstand, sie würde einzig ihren Instinkten folgen, wenn der Mensch sie nicht zurückhalten würde. So ergänzen wir uns zu einem Wesen."


    Kurz wagte sie einen Blick die Gasse hinauf, ins helle Licht des Tages, sah undeutliche Gestalten darin gehen und fragte sich, was jede einzelne wohl für Laster und Sorgen hatten. Und Mallalai - der Meereself neben ihr? Wie war es mit ihm? Er konnte sie auf einzigartige Weise verwirren, sich selbst wahrscheinlich auch. Vielleicht war er sich nie sicher. Außerdem war er an Land und nicht im Wasser. War das nicht schon Problem genug oder fühlte er sich inzwischen wohl hier? In ihrem Kopf brannte ein Rätsel, das sie nicht enthüllen durfte, noch nicht.

  • Wie es seine Gewohnheit war, hob er seine Hand und fuhr mit Abstand über ihr Gesicht, ihren Hals, kaum wissend, was er so suchte oder auch fühlte. Im Meer konnte ihm das Wasser als Bote dienen, Wellen und Schwingungen, die sein Gegenüber darauf übertrug, aufnehmen, ersinnen, erschmecken, aber hier war die Luft wenig mehr als leer. Der Geruch war es, die Wärme vielleicht ... sein alleiniger Brauch. So kommentierte er weissagend ihre Erklärung, schalkhaft, aufreizend, wollte sie ihm dahinein folgen?


    "Instinkte sind Gefühle, die Euch in die richtige Richtung begleiten wollen ... antreiben wollen, so dass Ihr den Verstand beseite legen wollt", seine Stimme wurde dunkler, er trat wieder ein wenig näher zu Losifa heran, die erfühlende Hand sank. "sind sie Gefühle der Schlange? Möglicherweise. Sind sie göttlicher Natur? Vielleicht. An uns ist es immer, sie zu verleugnen, sie zu verdammen oder ihnen nachzugeben."


    Losifas Augen huschten zur Straße. Zog es sie ans Licht? War es vielleicht doch eine Fliege, die in ihr wohnte?
    Mallalai folgte scharf ihrem Blick. "Locken sie Euch nun dorthin?" Sein Kinn zeigte in die Richtung, während seine Brauen sich tiefer zogen. Er spürte, wie unangenehm sie ihm waren, er stand da und sah, was er fürchtete, so konnte er in diesem Moment kaum mehr sagen, ob er still stand oder sich mit ihrer Hast bewegte. So wurden sie ihm bald mit verschwommenen Augen zu Schatten und Rauch, die vom Wind angetrieben wurden.

  • Losifa verspürte das Bedürfnis, kurz herauszulachen, oder wenigstens zu lächeln, um einen Teil der Anspannung loszuwerden, etwas davon abzuschütteln, um wieder freier zu werden. Auf keinen Fall wollte sie diesen Instinkt zurückhalten. "Ich für meinen Teil ziehe eine gesunde Mischung vor, deren Auswahl wohl wieder auf Instinkt beruht", sagte sie grinsend, nur um etwas zu sagen, das zu ihrem Ausdruck passte. So schnell wie sie erleichtert aufseufzte, verschwand das Lächeln wieder. "Seltsam, dass es so viele ungelöste Rätsel gibt auf der Welt."


    Die Fast-Berührung schien noch immer auf ihrer Haut zu ruhen, sanft etwas nachzufahren, das nur jemand anders auf diesem Muster erkennen konnte. Nein, diese Berührungen, die keine waren, empfand sie nicht als unangenehm, im Gegenteil. Sie führte Selbstgespräche. "Hier ist keine Distanz. Ich spüre Euch, so wie es die Absicht ist." Den letzten Teil ließ sie fragend ausklingen, noch immer maßte sie sich nicht an, in den Geist anderer zu sehen und das Richtige zu erkennen - geschweige denn, dass sie es in Worte fassen konnte. Doch das konnte sie jetzt nicht beschäftigen, denn sie hatte Zeit ...


    "Mich lockt nichts, es sei denn, die Menschen und ihre Geheimnisse, die sich dort im Sonnenschein verstecken", beantwortete sie die Frage. Etwas erstaunt fühlte sie ihren kräftigen Körper und die Entspannung, die momentan herrschte.

  • Er mochte ihr Lachen, auch wenn es abrupt wieder endete, so brachte es Leichtigkeit in seine ernsten Gedanken. Die Schatten lasteten wieder auf ihm, er vermochte kaum etwas dagegen zu tun, sie stülpten sich einfach über ihn. Es betrübte Mallalai, dass er wieder unfreundlich zu ihr gesprochen hatte, auch wenn sie es möglicherweise nicht so empfunden haben mochte. Er wurde oft schwermütig. Eine Melodie entstand aus seinem Verstand in seinem Denken, die er mit ihren großen, neugierigen Augen verknüpfte und es wurde ihm leichter. Vernehmlich holte er Atem, stieß ihn aus den Kiemen wieder aus.


    "Was glaubt Ihr zu spüren, Losifa?" fragte er leise. "Die kalte Haut des Meeres? Fühlt Ihr die Wellen über Euch zusammenschlagen? Was? Denn es ist das, was er fühlt." So wie er ihren Schatten übermäßig wahrnahm.


    Er nahm ihr Kinn sanft zwischen die Finger. Sein Daumen strich über die weiche Haut. Mallalais Blick wurde leer. Sein Daumen fuhr die Linie ihrer Lippe entlang. Ein Wesen voller Geheimnisse verlangt nach denen der anderen?


    Verstecken sie sich, wenn sie sich im Licht bewegen oder sind wir es, die in den Schatten beobachten? Wenn er gekonnt hätte, so hätte er gewiss gelächelt. Der Platz des Beobachters behagte ihm viel mehr. Was wagte er hier, was er sich sonst nie gestattet hätte? So war er nur ein Lebewesen, welches schwankte.


    "Begleitet ihn oder bleibt, doch es wäre besser, wenn wir in Bewegung gerieten. Er möchte nicht unhöflich erscheinen, nicht prüde, aber ..." Er tat wieder diesen Schritt von ihr fort, spürte doch schon den Drang ihn wieder nach vorne zu tun.

  • "Luft scheint dünner zu sein als Wasser ... und doch träger, langsamer, ruhiger zu sein, oft glauben wir, nicht einmal Bewegung in ihr zu spüren." Nur Gedanken waren es, die an die Oberfläche drangen und in Worte gefasst wurden.


    "Wenn Wellen über uns zusammenschlagen, treiben wir wieder an die Oberfläche, wenn das Meer aufbegehrt, lassen wir uns von ihm tragen und widerstehen nicht." Wieder wusste sie nicht genau, wen sie eigentlich meinte - es schien einerlei. "Man sollte das Meer mit all seinen Überraschungen nicht immer ernst nehmen, wie es ist." Auch das Leben nicht. Mit einem Vergleich, nein, einem Gleichnis versuchte sie, zu ihm durchzudringen. Er ließ die vielen Schichten nichts um sich herum jeden spüren, der nahe genug kam.


    Kalt brannten seine Finger auf ihrer Haut, doch zuckte sie nicht zurück. Fast wollte sie ihm das Kinn noch entgegenstrecken, die Lippen öffnen ... doch sie musste sich zurückhalten. So verharrte sie bewegungslos, bis es wieder verklang.


    "Hier kenne ich dieses Wort nicht", erklärte sie und wollte schon wieder grinsen. Du Luder, halt dich zurück, kränke ihn nicht!, schalt sie sich selbst. Seine Haut sah zwar dick aus, aber wer wusste das schon ... ihr Gefühl sagte etwas anderes. "Gehen ist besser als stehen", sagte sie und wandte sich zur Straße, zum Licht, wartete, ob er folgte.

  • Für eine Trockene konnte sie bemerkenswert gut einen Wesensteil des Meeres in Worte einfangen. Es ging nicht an sich gegen die Strömungen zu wehren, wenn sie zu stark wurden, das Geheimnis war, mit ihnen zu fließen und auszubrechen, wenn sie schwächer wurden, möglicherweise auch jener zu folgen, die mäßiger erschien, um durch sie unauffällig aus dem großen Ganzen zu rinnen. Selbst wenn man zuvor keinen Ausweg sah, würde man früher oder später zurück an die Oberfläche getragen werden, mit einer Welle an den Sand spülen oder auch zerschellen. Das Ende wäre sicher, freudig oder fatal.


    "Man sollte das Meer mit seinen Überraschungen nicht ernst nehmen?" wiederholte er ihre Aussage erstaunt, während sich gleichzeitig seine linke Braue hob. "Das Meer kann ziemlich tötlich sein, wenn dies Eure Ansicht ist." Seine Hand legte sich unter dem Mantel unauffällig auf die lange Narbe, die seinen Bauch zierte. Den Gedanken, dass er eventuell damit gemeint sein könnte, wollte er nicht weiter verfolgen. Es war ihm unangenehm, sich als Überraschung ihres Tages zu sehen.


    Ernüchtert folgte er ihrem auffordernden Blick, ihrem Körper, der sich anmutig abwandte, jetzt in Gänze seinen musternden Blicken ausgesetzt. Mallalai seufzte auf. Insbrünstig betete er, dass das Licht seine Sinne klären möge!

  • Jetzt rang sie nach Worte und fand doch nicht das, was sie gerne gesagt hätte. "Nicht immer. Manchmal hilft es, Dinge locker anzugehen anstatt verkrampft zu sein", sagte sie schließlich, etwas hilflos, was sie versuchte zu verbergen.


    Erstaunt bemerkte sie den unergründlichen Blick, der über ihren ganzen Körper wanderte und fühlte ihre Reaktion darauf, zu stark, dachte sie, viel zu stark. Vielleicht sollte sich deswegen etwas zwischen ihnen ändern, vielleicht kam es mit dem Licht und befreite sie beide von etwas, das Losifa nicht genau beschreiben konnte. Sie konnte sich auch täuschen, doch ihr Geist war immer von erstaunlicher Klarheit gewesen ... war es noch so? Oder hatte Mallalai, der aus dem Meer stammte, ihr den Kopf unter Wasser gehalten, ihre Gedanken isoliert ...


    Noch immer stand sie da, fühlte sich etwas komisch, so von ihm gemustert zu werden. Noch immer war es eine Aufforderung, das Licht zu suchen. Licht ... Schlangen bevorzugten eine Mischung aus Licht und Schatten, die sich auf ihre Schuppen legte und mit ihnen verschmolz, zur perfekten Tarnung wurde. Sie suchte weder Licht noch vermied sie es. "Wollt Ihr?", fragte sie, vielleicht etwas zu leise.

  • Mallalai überhörte die Frage nicht, so leise sie auch gesprochen war, denn seine Augen hatten sie ebenso geformt gesehen. "Aye." Die Tage nahmen immer ihren eigenen Verlauf, vielleicht erfüllte dieser noch seine Erwartungen auf ein wenig geistiges Wohlbefinden, welches er bei Silene hatte finden wollen. Die bedrückende Ballung in seinem Bauch zur Ruhe kommen lassen ... wollte er dies locker sehen und es hinnehmen. Darin lag doch die Kunst, nicht wahr?


    "Er fürchtet nicht den Tod", meinte er schließlich, "auch wenn die Angst uns allen zusetzt. Auf der einen Seite der Muschel somit ein gewisses Wagnis, da behaltet Ihr Recht, die Dinge in ihrer Einfachheit betrachten und locker mit ihnen umgehen -- doch auf der anderen Seite lauert das Unbekannte, welches jederzeit hervorschnellen wird, bewahrt also Eure Vorsicht und ... seht verkrampft über den Rand." Er erinnerte sich an einen jungen Mira'Tanar, der seine lockeren Art bereut hatte, indes er Zurückhaltung lernen musste. "Vielleicht ist es auch möglich, dass er Lockerheit mit Unvorsicht, mit Dreistigkeit vermischt ... wenn Ihr der Gefahr ins Gesicht lacht, dann wird sie Euch ohne Vorwarnung verschlingen." Nun, sollte das Glück seine Finger im Spiel haben, wäre es durchaus denkbar, dass die Lockerheit siegen konnte.


    Dann fischte er eine Perle hervor, flocht sie, während sie gingen, in eine helle Haarsträhne. Bevor sie fragen konnte, erklärte er sein Tun bereits: "Eine Perle für einen Gedanken, ein Gedanke für eine Person, eine Gegebenheit, eine Erfahrung." Sein kleiner Finger strich unauffällig über eine schwarze Perle.

  • Sie gingen. Sie strebten dem Licht zu, Losifa konnte sich nicht erinnern, sich jemals so nach wärmenden Sonnenstrahlen gesehnt zu haben. Befreit atmete sie tief ein und nahm bewusst die frische, klare Luft wahr ... an manchen Plätzen setzte sich nicht immer die Stadtluft durch, und so war es nur recht.


    "Wenn das ein Rat ist, danke ich Euch", erwiderte sie ernst und nickte, was einer kleinen Verbeugung gleichkam. Hier ging es um eine Philosophie, eine Lebensart - sie hatte die ihre und er hatte die seine. Obwohl sie gerne etwas hinzugefügt hätte, ließ sie es. Jeder lebte so, wie es ihm gefiel und änderte seine Lebensweise nicht aufgrund den Worten einer anderen Person, die er kaum kannte. Denn es schien wahr - dass sie einander weniger kannten als der Wind das Wasser, sich nur ganz leicht oder gar nicht berührten. Sollte das so bleiben? Wollte sie das? Unsinnig, sich jetzt solche Dinge zu fragen.


    Interessiert hatte sie sein Treiben, die glitzernde Perle beobachtet, und bevor sie fragen konnte, folgten Worte den Taten und verflochten sich miteinander, wie die Perle und sein Haar. Und erstaunt hörte sie den Grund, was für eine außergewöhnliche Gewohnheit! Und nützlich, äußerst praktisch, wenn man niemals vergessen wollte ... "Ihr sammelt Erinnerungen ..." Jetzt schien ihr das Lächeln leichter zu fallen, vorsichtig streckte sie zwei Finger aus und berührte die Perle kurz. Glatt und kalt, verbunden mit einem Hauch weichen Meereselfenhaars.


    Was würde jetzt passieren? Vielleicht war sie durch das Thema der Lockerheit entspannter geworden, aber auch neugieriger, in einer anderen Art gespannt: auf das Kommende. Was konnten die Launen der Natur ihnen jetzt bescheren, nachdem in der Düsternis schon so viel geschehen war? Sie würde auf die Antwort warten.

  • Mallalai schwieg. Mehr aus Zufriedenheit mit der Situation als auf Antwort auf ihren Dank. Noch war seine Aufmerksamkeit mit seinen Gedanken vermischt, stülpte sich mehr nach innen. Es war ihm bewußt, dass seine Schritte mehr zögerlich waren, als folgsam.
    Sein Mundwinkel zuckte kurz, während sie verstand.


    "Aye, Erinnerungen, so ist das wohl", meinte er verlegen. Streifte scheinbar zufällig ihre neugierigen Finger, die jene Perle berührten, die nun für sie stand, die Erinnerung an sie mit seinem Haar verknüpft. "Es soll nicht abwertend erscheinen, dass mein Vermögen mich zu erinnern zu gering sein mag ... nein, das nicht. Weniger noch, dass Losifa kaum in meinen Gedanken zu bleiben vermag, wenn meine Augen sie verlieren."


    Er blieb stehen, wollte noch nicht aus den Schatten tauchen, auch wenn es ihm schien, dass ihre Schritte dem Licht leichter entgegen gingen. Seine Arme öffneten sich nach Worten suchend, gaben den Blick auf den silbern-blau schimmernden, geschuppten Körper frei, nur mit dem Lendenschurz bekleidet, bevor der Mantel ihn wieder, mit fallenden Armen, verbergen konnte.


    "Sie sind in ihrer Vielzahl mein Schatz, sie schmücken mich." Eine steile Furche zwischen den zarten Brauen. Konnte sie verstehen? Die Erfahrungen nach außen tragen ... darstellend, was er nicht ausdrücken konnte, obwohl er es verinnerlichte. Eine Leichtigkeit, die seiner Ansicht nach, nicht in seiner Wesensart strömte.

  • Nachdenklich beobachtete sie ihn, einen Moment, als würde sie nicht dazugehören. Seine Worte verstand sie. Man will sich sicher sein. Man braucht Gewissheit, denn Ahnung reicht noch lange nicht aus. Ja, das kannte sie sehr gut. Und Mallalai hatte die perfekte Lösung gefunden. Ob das Gedächtnis von Shira'Tanar besser war als das von Tua'Tanai? Vielleicht, weil Tiere keine Erinnerungen brauchten. Sie wusste zwar, was er meinte, allerdings fand sie für sich selbst keinen Anlass, genauso zu handeln.


    Nachdenklich war sie, und melancholisch antwortete sie: "Ja, ich verstehe ... für mich selbst ist so etwas allerdings unmöglich. An so etwas habe ich keinen Bedarf." Besser konnte sie es nicht ausdrücken. Es war nicht richtig.


    Sein Körper hatte sie geblendet. So blau, so schimmernd! Für einen Moment nur ... hätte sie nicht schon genug Hemmungen gehabt, wäre sie liebend gerne unter den Mantel geschlüpft, hätte sich umarmen lassen, als die Falten sich wieder schlossen.


    Vielleicht lag es daran, dass Landtiere gänzlich von Fischen abgeschnitten waren. Wir werden in so vielerlei Hinsicht von unserem Instinkt bestimmt. Wann hört das jemals auf? Soll es denn aufhören? Sie war Schlange - er war Fisch. Punktum. Warum dachte sie dann ausgerechnet jetzt daran, wie diese Barrieren wohl aufzuheben zu wären?


    Wenn der Fisch an Land geht und das Säugetier sich ins Wasser begibt. Der Kreislauf schließt sich.

  • „Natürlich“, er blickte ernst. Perlen waren Sache derjenigen, die sie sammelten, nicht deren, die sich damit schmückten. Darin lag für ihn ein Unterschied. Würde sie in ihrem Wald vielleicht Kerben in einen Baumstamm ritzen, anderem ihre Aufmerksamkeit schenken? Möglich, ein trockenes Leben.
    Sah er gerade Begehren in ihren Augen? Nicht nach dem Schmuckwerk, mehr – mehr nach ihm? Das verwirrte ihn mehr, als er sich eingestehen konnte. Was hatte er ihr offenbart, dass sich solch ein Glanz in ihren Blick schmiegen konnte, den Perlen nicht hervorrufen mochten? Einen kurzen Moment starrten sie sich wohl an, ein Lauern fast, während die Stille sich zog … bis Mallalai begriff. Und bevor er darüber weiter Schlüsse ziehen, sich selbst fragen konnte, was er bei den Gedanken empfand, sie an sich zu ziehen, wohlmöglich selbst einen unbekannten Körper erforschen wollte …


    „Lass uns fliehen“, spottend leise, eine Spur verächtlich, dachte er dieses Mal nur an sich. Er wand sich an ihr vorbei, dem Strom der Menschen zu, während er sich die Kapuze tief in die Stirn zog. In Bewegung bleiben, aus den Schatten treten, bevor weder Worte, noch Handlungen je zurück genommen werden konnten. Ohne weiteres wählte er seinen Weg Richtung Seeviertel, verharrte nicht, dass sie aufschließen konnte, während um ihn der Strom aus Leibern nicht abriss. Keinen von ihnen sah er eindringlich an, verwischte Wesen, von denen er, versperrt durch den Stoff der Kapuze, keines der Gesichter sah.
    Tauchte in diesen Momenten in der Menge unter, wie er es später in den wohltuenden Fluten tun würde. Es drängte ihn allein zu sein, es lockte ihn zum Wasser, ins Schweigen, fort von all dem Gedränge, den Worten und den Trockenen, die niemals verstehen würden!

    Crawling in my skin
    These wounds they will not heal
    Fear is how I fall
    Confusing what is real

    Einmal editiert, zuletzt von Mallalai ()

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