Shiarées Schlupfwinkel

  • Durch einen Hinterausgang des Tempels führt Shiarée Deleila hinaus, hinaus in einen Innenhof. U-Förmig angeordnet stehen hier flache, schmale Gebäude, erbaut aus dem gleichen Marmor wie der beeindruckende Palast der Nacht, der sie überragt. Beinahe schüchtern wirken diese Häuser gegenüber ihrem großen Schatten, der ihnen jedoch auch Schutz gibt. Dies sind die Wohnstätten der Priester Shirashais, und sie sind nur von diesem Innenhof aus zu betreten, so das kein Fremder einzudringen vermag, der nicht zuvor unter wachsamen Augen den Tempel durchwandert hat. Der Hof selbst ist vielmehr ein Garten, herrlich und düster zugleich. Hier wuchern Rosen von der tiefroten Farbe des Weines, den Shiarée noch eben der Valisar überreicht hat. Dunkel ist es hier, der mächtige Tempel scheint alles Sonnenlicht fortzuhalten, doch stets geht ein silbriges Glühen von diesem Ort aus. Ein Weg, bestehend aus metallisch glänzenden Steinplatten, führt zwischen den Ranken hindurch, bis in die Mitte des Hofes, wo eine Art Platz vorzufinden ist. Dort sind die Platten in Form einer Halbmondsichel angeordnet und von dort aus führen weitere Wege zu den Türen der Wohnstätten.


    Der Priesterin war dieser Ort nicht fremd, dennoch sog sie bedächtig den schweren, betörenden Duft der Rosen ein. Die Wege waren zu schmal, um nebeneinander zu gehen und so gab sie Deleila ein Zeichen ihr zu folgen. Mit ihren nackten Füßen, die nun zum ersten Mal aufzufallen schienen, betrat sie die erste Platte. Der kalte Stein war rau unter ihren Füßen, dennoch hätte sie dieses Gefühl nicht missen wollen.
    So durchwandern die Halb-Cath'shyrr und die Valisar, deren Äußeres ungleicher nicht sein könnte, nacheinander den Garten, bis sie vor einer niedrigen Tür aus dunklem Holz angelangt sind. Mit einem leisen Klicken öffnet sie sich unter Shiarées Händedruck, dann verschwindet die Priesterin in der Dunkelheit des Inneren. „Tretet ein.“


    Obwohl große Bogenfenster in Richtung des Gartens hinaus gehen, fällt kaum Licht in den Raum. Für einen kleinen Moment genießt sie die Stille und die Finsternis, dann entzündet Shiarée eine einzelne Kerze, damit auch Nicht-Katzenaugen sich orientieren können. Die Kerze erhellt den Raum nur mäßig, das flackernde gelbe Licht ermöglicht dennoch einen Blick auf das Heim der Priesterin. Es ist ein Raum von mittlerer Größe, die unterschiedlichen Bereiche sind getrennt durch dunkelblaue seidene Vorhänge. An der Fensterseite steht ein schwarzes Himmelbett mit aufwendigen Verzierungen am Kopfteil. Auch hier können Seidenvorhänge zugezogen werden, um sich neugierigen Blicken zu entziehen. In einer Truhe am Fußende wird Kleidung aufbewahrt.


    Die Mitte des Raumes wird ganz und gar dominiert von einem runden Esstisch aus dunklem, schweren Holz, umgeben von vier Stühlen. Hierauf steht auch besagte Kerze. An der rechten Wand stehen Regale, die gar bis zur Decke reichen und über und über beladen sind mit Büchern, dicken und dünnen, zumeist mit dunklem Einband. So entblößt sich eine von Shiarées Leidenschaften, das geschriebene Wort.
    Die Kochnische befindet sich auf der hinteren Seite, ebenso wie allerlei Vorratsschränke. Doch was diesen Ort tatsächlich so erstaunlich macht, sind die Pflanzen. Überall stehen Töpfe mit allerlei absonderlichem Kraut, auf dem Boden, auf den Schränken, auf der Fensterbank. Sie sind der ganz besondere Schatz der Priesterin und enthalten Geheimnisse, die sie nur allzu selten preisgibt.


    Insgesamt findet sich viel von Shiarée selbst in ihrem Zuhause wieder. Es ist schlicht, doch überaus elegant, ein wenig befremdlich, dennoch anziehend und geheimnisvoll.


    Sie selbst steht nun nahe des Tisches und wendet sich Deleila zu, deren weißes Leuchten dem Ort einen besonderen Glanz verleiht, wie sie findet. „Dies ist mein Heim, aber Ihr sollt euch fühlen, als sei es auch das Eurige. Möchtet Ihr einen Tee, ein wenig Essen? Es fordert viel Kraft, sein Leben radikal zu verändern.“ Sanft lächelt sie ihren Schützling an, erfüllt von der Vorahnung, dass dies alles sie beide noch viel mehr Kraft kosten würde.

  • Das typische Geräusch einer barfuß gehenden Person lenkte Deleilas Blick einen Moment auf die Füße der vor ihr gehenden Priesterin. Doch nicht lange, viel zu sehr lenkte die dunkle Schönheit des Gartens sie ab. Bewundernd und ehrfürchtig wanderte ihr Blick durch den Garten, sog sie tief den Duft der Rosen in ihre Lungen.
    Für einen Moment sogar wagte sie es, eines der samtigen Blütenblätter mit dem Finger zu streifen, ehe sie leisen Schrittes wieder Shiarée folgte. Welch ein wundervoller Ort. Warum sagen die Leute ihnen so viel Böses nach?
    Das Haar der Valisar wurde von einer sanften Brise gefangen und umspielte ihr helles Gesicht einen Moment. Sodann öffnete Shiarée jedoch eine Tür und trat in das Innere des Gebäudes. Deleila eilte sich, ihr nachzukommen, als die Priesterin sie aufforderte, einzutreten.


    Alles in Shiarées Zuhause wirkte dunkel. Doch nicht abschreckend oder bedrohlich. Schlicht.. wie die Nacht. Einheimelnd, warm. Schützend. Deleilas Blick wanderte herum, um Einzelheiten zu erfassen. Bücher, seltsame, der Valisar unbekannte Pflanzen. Im flackernden Kerzenschein warf so manches groteske Schatten, doch auf Deleilas Lippen zeigte sich ein Lächeln.
    Bei der Frage, die Shiarée ihr stellte, wandte Deleila der Dunkelhaarigen den Blick wieder zu.
    "Tee klingt gut." meinte sie leise. Hunger? Deleila war sich nicht sicher, ob sie wirklich Hunger hatte. Die Eindrücke der letzten Stunden und ihre Entscheidung, einen neuen Weg zu beschreiten, wirkten noch zu sehr auf sie ein. Vielleicht würde sie in ein paar Minuten wissen, ob sie etwas essen wollte. Vorsichtig nahm Deleila auf einem der Stühle an dem großen, dunklen Tisch Platz und beobachtete Shiarée schweigend.

  • Shiarée quittiert Deleilas Antwort mit einem leichten, kaum sichtbaren Nicken. Für einen Moment noch ruht ihr Blick auf der hellen Gestalt der Valisar, die so fremd wirkte in ihrem Zuhause. Sie war es gewohnt, alleine zu sein, noch nie hatte sie hier Besuch empfangen, doch sie entschied, dass die unverhoffte Gesellschaft ihr nicht unangenehm war.
    Schließlich wandte sie sich ab, um das Feuer in ihrem Herd neu zu entfachen. Leises Klappern begleitet Shiarées Werkeln, doch es war kein Ton, der die Stille durchbrach, sondern sie vielmehr noch zu verstärken schien. Ihr Gast schien abwarten zu wollen, was geschah, und sie konnte es ihr nicht verdenken.


    Ein Hauch von Glut ist noch im Herd und so ist der Raum nach kurzer Zeit vom Knacken der Holzscheite erfüllt. Shiarée geht hinüber zum Fenster und zupft vorsichtig einige der Blätter der Pflanze ab, die dort steht. Sie kannte die Wirkung dieses Krauts nur zu gut, es löste alle Spannungsknoten in der Brust und ebenso die Zunge.
    Schweigend gießt sie schließlich das heiße Wasser in zwei Tassen mit dem Blättern. Sogleich strömt der Geruch des Waldes durch den Raum, frisch und leicht. Die Flüssigkeit färbt sich derweil tiefgrün. Die Priesterin stellt noch eine Schüssel mit grünen Äpfeln auf den Tisch, dann lässt sie sich auf dem Stuhl gegenüber der Valisar nieder und schiebt ihr eine der Tassen zu.


    Über den aufsteigenden Dampf hinweg blickt Shiarée nun wieder Deleila an. „Wer hat Euch den Weg gewiesen in den Palast der Nacht?“

  • "Das Schicksal vielleicht."


    Deleilas helle Augen ruhten auf der Priesterin, während die Valisar den Duft des Tees tief einatmete. Für einen Moment ließ sie ihre Worte im Raum stehen, ehe sie erneut zum Sprechen ansetzte.


    "Oder ein gewisser, dunkeläugiger Mann, dem ich in der letzten Zeit begegnet bin."


    Sie musste ja nicht gleich Brennans Namen aussprechen. Vielleicht kamen einige ja mit der Zeit selbst darauf, wen sie meinte. Sollte Shiarée allerdings weiter nachbohren, so würde Deleila wohl mit dem Namen herausrücken müssen, das war ihr jedoch klar.
    "Ihr habt eine interessante Wohnstatt." Ablenkung? Vielleicht war Deleila nun doch nervöser, als es den Anschein hatte. Doch in ihrem Antlitz konnte man dies nicht ablesen, eine perfekte Maske kühler Unbeteiligtheit. Jahrelange Übung. Es gab Dinge, die Deleila einfach nicht so ablegen konnte. Dinge aus ihrer Zeit ohne Gefühle. Sie hatte es schon einmal festgestellt und jetzt, in diesem Moment, stellte sie es wieder fest. Was sie früher getan hatte, um Gefühle zu imitieren, tat sie nun genau umgekehrt, aber mit der gleichen, meisterhaften Präzision. Sie zeigte eine unnahbare Maske distanzierter Kälte.
    Eigentlich war dies schon beinahe zum Lachen. Nun, da sie endlich Gefühle hatte, weigerte sie sich teilweise, diese zu zeigen. Für einen Moment zogen sich Deleilas Mundwinkel in einem unterdrückten Lachanfall in die Höhe.
    Für Shiarée mochte dies wirken, als fände Deleila es ungemein erheiternd, nicht gleich mit allem herauszurücken. Das dem nicht so war, konnte man ja nicht riechen.

  • Zögernd gibt Deleila Antwort, rückt nicht so recht heraus mit der Wahrheit darüber, wer sie zur Göttin geführt hatte. Shiarée glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, dann könne sie die Anspannung, die die Valisar verströmte, einfach greifen und festhalten. Doch nichts läge ihr ferner, als drängend und aufdringlich zu werden, ihr Gegenüber dazu zu bringen, ihr doch einen Namen zu nennen. Was sollte sie auch damit? Über kurz oder lang würde sich ihr Deleila schließlich offenbaren. Vertrauen war das Mittel, mit dem alle Shirashai-Priester zu arbeiten wussten, nicht mit Druck und psychischer Gewalt. So vermied die Priesterin es, ihren Gast anzustarren, sondern widmete sich lieber ihrem Tee, deren bitterer Geschmack einen angenehmen Pelz auf ihrer Zunge hinterließ. Sie fühlte wie ein Hauch von Kälte durch ihre Glieder strömte, sie völlig erfüllte, nur um sich dann sofort in eine behagliche Wärme zu verwandeln. Einen Wimpernschlag lang erinnerte sie sich an den Mann, der im Tempel so ins Gebet vertieft gewesen war, doch es gelang ihr nicht, sich seine Augenfarbe ins Gedächtnis zu rufen. Sollte er der Bekehrer dieser besonderen Valisar gewesen sein, würde Shiarée es eher früher denn später erfahren und ihm angemessen dafür danken.


    „Mir scheint gewisse dunkeläugige Männer wissen gut darüber Bescheid, wer Euch in eurer Not am besten weiterhelfen kann.“ Sie setzte ihr liebstes Lächeln auf, nämlich das, was für den Betrachter alles bedeuten konnte, aus dem er lesen konnte, was auch immer ihm am meisten behagte. Deleilas Gesicht hingegen war verschlossen wie eine blanke Wand aus Stein, alle Regungen waren sorgsam dahinter verborgen. Shiarée konnte sie verstehen, auch sie hätte sich selbst gegenüber nur ungern ihre Gefühle offenbart. Selbstschutz. Doch dann durchbrach für einen kurzen Moment, kaum wahrnehmbar, eine Andeutung von einem Lächeln die Mauer. War es ein Ausdruck der Unsicherheit gewesen? Die Priesterin fand sich unfähig, es wirklich zu deuten. Valisar waren in der Tat sonderbare Wesen, schwerer zu entschlüsseln als die meisten anderen.


    „Nun, erheitert Euch der Anblick meiner Wohnstatt? Sie mag sonderbar sein, doch all diese Gegenstände sind von Wert für mich. Ein Haus ist nur ein Haus, aber Dinge darin erwecken ein ganz eigenes Leben. Sie verraten viel über den Eigentümer, Ihr könnt darin über mich lesen wie in einem Buch.“ Und wüsstet doch nichts über mich. Ein Teil ihrer Seele war sicher hier gefangen, fand sich in den Büchern, den Pflanzen, der Struktur der Stoffe, doch viel relevanter war der Teil, den sie verborgen hielt, sogar vor ihrer Göttin, sofern ihr dies gelang.

  • "Weniger eure Wohnstatt, als ein Gedanke meiner selbst." merkte die Valisar an, wollte sie ihre Mentorin doch nicht verägern, selbst wenn Deleila bewusst war, das sie möglicherweise wesentlich älter war, als Shiarée selbst. Immer wieder sah sie die Frau mit den katzenartigen Augen an, bis sie sich letztlich selbst ermahnte, eben dies nicht zu tun. Sie hatte sich von Mileana getrennt und eigentlich gefiel ihr Brennan, auch wenn sie den Mann absolut nicht einschätzen konnte.
    Die Frau ihr gegenüber aber, die wirkte auf geheimnisvolle Art und Weise anziehend und Deleila musste mehr als einmal ein ihr ihr aufsteigendes Bild unterdrücken, in dem sie sich Dinge vorstellte, welche man garantiert nicht mit seiner Lehrmeisterin tat.
    Um sich abzulenken, nahm sie nun einen Schluck von dem Tee. Er schmeckte leicht bitter, aber recht angenehm und die Wärme des Trunks tat ihr wohl, nach den Anstrengungen des Tages.
    "Eure Wohnstatt ist ein ungewohnter Anblick für meine Augen, aber sie ist schön. Beizeiten werde ich euch einmal meine Töpferei im Künstlerviertel zeigen."
    Sie hob mit einer anmutigen Geste ihre Hand und wies auf die ein oder andere Pflanze, unter anderem auf die, von welcher die Blätter für den Tee stammten.
    "Was sind dies für Gewächse?"

  • „Es ist erfreulich, dass Eure eigenen Gedanken Euch zu erheitern vermögen.“ Man hätte in diesem Satz einen Hauch von Sarkasmus erkennen können, doch Shiarées Stimme war frei jeder Ironie. Sie lehnte sich ein wenig auf ihrem Stuhl zurück und genoss die plötzliche Entspannung ihres Körpers. Er füllte sich nun schwer an, erschöpft, doch ihr Geist war frei von Müdigkeit und klar. Noch immer ruhte ihr Blick auf Deleila und ihr schien es, als sei der Umriss des schönen weißen Gesichtes ihr noch nie so deutlich erschienen.


    „Meine Pflanzen? Sie befreien den Geist oder beruhigen ihn, besänftigen oder erzürnen, erheitern oder stimmen traurig und helfen mir so beim Nachdenken.“ Viel mehr mochte die Priesterin dann doch nicht preis geben über ihre Gewächse, die sie wie eigene Kinder hütete und deren Wirkungen ihr schon so viele Dienste erwiesen hatten. Langsam stand sie auf. Für einen Moment schwindelte sie es, doch dann schritt sie hinüber zum Regal, griff einen Topf mit einer weinroten Pflanze mit herzförmigen Blättern darin und trug sie hinüber zum Tisch.


    Behutsam pflückte Shiarée eines der Blätter ab. Mehr denn je erinnerte es nun an ein Herz, wie es da einzeln in ihrer Handfläche lag. Fast liebevoll war der Blick der Priesterin geworden, als sie nun sanft zwischen den Fingern zerrieb. Innerhalb von Sekunden war nicht mehr übrig geblieben als roter Staub, den die Priesterin schließlich der Valisar hinhielt, damit sie daran riechen konnte. Doch auch zu ihrer eigenen Nase drang der schwere, süße Geruch vor, der sofort durch die Nasenlöcher ins Gehirn vorzudringen schien und dort eine Wolke der Euphorie hinterließ.


    „Dies vertreibt für eine Weile die traurigen und hässlichen Gedanken. Lasst uns die Ruhe des Abends genießen und bald zu Bett gehen, denn die Aufgabe der Göttin steht kurz bevor. Es ist Zeit, Kraft zu sammeln.“ Flüchtig strich Shiarée Deleila über das weiße Haar, eine Geste des Mutmachens und so sanft, dass es auch ein Windhauch hätte sein können. „Möchtet Ihr nun etwas essen?“

  • Deleilas Blick ruhte einen Moment auf dem Blatt, welches die Priesterin sodann mit ihren Fingern zerrieb. Der Duft stieg der Valisar sofort in die Nase und tatsächlich dachte sie auch recht schnell nicht mehr über die Dinge nach, welche sie eine Sekunde zuvor noch beschäftigt hatten.
    Tief durchatmend, lehnte sich die Weißhaarige in dem Stuhl etwas zurück und schloss kurz die Augen, als Shiarées Hand ihr Haar berührte. Eine Geste, so sanft, beinahe zärtlich schon, mutmachend irgendwie, das sie meinte, es sich eingebildet zu haben, als der Moment vorbei war.
    "Irgendwann muss ich ja was essen." bemerkte sie dann auf Shiarées Frage hin. Nein, sie war nicht wirklich hungrig, eigentlich nur recht müde, aber letzten Endes war das egal, denn sie hatte tatsächlich noch nicht wirklich viel gegessen an diesem Tag - sie war schlicht nicht dazu gekommen. Es mochte nicht schaden, etwas im Magen zu haben und so sah die Valisar der Priesterin wieder aufmerksam zu - zumindest hatte es den Anschein.
    Die Ruhe der Valisar blieb jedoch nur äußerlich. Innerlich fühlte Deleila sich derzeit aufgewühlt, ob all der neuen Eindrücke und ihrer Entscheidung. Aber es kamen keine Zweifel, obwohl sie genau das eigentlich erwartet hatte. Es fühlte sich alles einfach nur gut und richtig an. Die Zeit würde zeigen, was daraus werden würde.
    Die Göttin allein mochte bestimmen, ob Deleila erfolgreich wäre oder scheitern würde. Es lag nur noch zum Teil bei Deleila selbst. Deleilas Part war die Aufgabe.


    "Was habt ihr denn da zu essen? Irgend etwas Leichtes, ich würde gerne bald zu Bett gehen." meinte sie noch in Shiarées Richtung gewandt.

  • Endlich stimmte Deleila ihrem Vorschlag, etwas zu essen, zu. Shiarée musste feststellen, dass sie selbst kaum hungrig war. Die Kräuter löschten stets ihren Appetit aus, was einer der Gründe dafür sein mochte, dass man unter ihrer Haut stets die Rippen durchscheinen sah. Doch die kommende Zeit würde für sie beide anstrengend werden und ein Fehlen an Kraft würde die Göttin wohl kaum verzeihen. So erhob sie sich, schritt hinüber in den Küchenbereich und zauberte aus den Schränken ein allerlei an Speisen hervor. Helles Brot, Oliven, ein wenig Käse, noch mehr Obst. Für jemanden, der so selten aß wie die Priesterin, war es wahrlich eine Menge an Speisen. Des Rätsels Lösung war, dass bisweilen Shiarée nachts der Hunger überkam und sie sich kaum zügeln konnte dann, eines ihrer vielen, sorgsam gehüteten Geheimnisse.


    Alles Essen stand nun auf dem Tisch und abschließend fügte sie noch zwei Kelche und eine Flasche Wein hinzu, dann ließ sie sich wieder gegenüber der Valisar nieder. Langsam nahm sie sich eine Olive und einen Schluck von dem schweren Roten, taxierte dabei jedoch weiterhin ihr Gegenüber. Vielleicht war es zu früh diese Frage zu stellen, aber um ihren Plan umzusetzen, um das Netz Shirashais weiter um Deleila spannen zu können, musste sie es wissen. Wollte sie es wissen. „Habt ihr Gefühle, Deleila? Wie habt ihr den Fluch gebannt?“

  • Ruhig beobachtete sie aus ihren eisblauen Augen, wie Shiarée die Speisen hervorzauberte und alles nebst zwei Kelchen und einer Flasche Wein zum Tisch brachte. Noch während sie sich eine der Brotscheiben und ein Stück Obst auf ihren Teller nahm, stellte ihr Shiarée eine Frage, welche die Valisar überraschte, da sie nicht damit gerechnet hatte, das genau dies gefragt wurde. Kurz war die Überraschung in ihren Augen wohl auch sichtbar und mochte damit allein schon die Antwort auf die Frage geben.
    "Ja ich habe Gefühle."


    Die Valisar wandte den Blick zur Seite weg. Sie erinnerte sich nicht gern daran, das sie Mileana hatte sitzen lassen, obgleich genau jene mit ihrer Liebe es gewesen war, die Deleilas Fluch gebrochen hatte. "Eine Frau hatte sich in mich verliebt und deren Liebe war es, welche meinen Fluch brach... doch ich habe sie verlassen, weil mich nach mehr hungerte, als allein nach ihrer Liebe. Ich dachte immer, Liebe würde genügen... doch scheinbar habe ich mich getäuscht oder sie war doch nicht ganz die Richtige für mich."
    Sie deutete ein Schulterzucken an und biss dann in das Obst, bevor sie anschliessend ein Stück vom Brot nahm und letztlich wieder zu Shiarée aufblickte, um zu sehen, ob sich im Gesicht der so schwer zu durchschauenden Priesterin... 'Verflucht ist sie schön...' ... irgend etwas herauslesen ließ über deren Gedanken.

  • Für ein kurzes Wimpernschlag, kaum sichtbar, flackerte ein heller Funke in Shiarées goldenen Augen auf, nämlich in eben jenen Moment, als Deleila von der „Liebe zu einer Frau“ sprach. Eigene Erinnerungen, mehr schmerzhaft den tröstend, werden unsanft geweckt und drängen sich in den Geist der Priesterin, doch dies war nicht der rechte Zeitpunkt, um sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, zumindest nicht mit ihrer eigenen. Dennoch regte diese Offenbarung ihres Schützlings ein Gefühl in ihr, das lange aber nicht lange genug vergraben gewesen war unter der Erde ihres Glaubens. Sie fürchtete sich, mehr als vor allem anderen, davor es auszubuddeln, etwas anderes als die Liebe zu ihrer Göttin zuzulassen und überhaupt ein Gefühl für ein anderes Wesen zuzulassen, ganz gleich welcher Natur es war. So nahm sie stattdessen noch einen Schluck Wein, einen ganz besonders großen Schluck, und musste für einen Moment den Blick von Deleilas eisigen Augen nehmen. Dann, als der Wärme des Trunks sich in ihrer Brust ausgebreitet hatte, fühlte sie sich in der Lage wieder zu sprechen.


    „Liebe genügt nicht. Das ist die schmerzliche Erfahrung, die wir alle früher oder später machen müssen, der Grund, warum alle Liebschaften in die Brüche gehen müssen. Irdische Liebe ist niemals genug.“ Diese Worte waren eine Art Mantra, das ganz persönliche Mantra von Shiarées Leben, die einzige Überzeugung, die sie nach diesen Geschehnissen noch die Tage überstehen lies, die sie am Leben hielt, die sie das Leben unter dieser verfluchten Kuppel ertragen ließ. „Was uns jedoch erfüllt ist göttliche Liebe. Sie vollkommen, sie ist ewig und sie ist beständig. Deshalb, Deleila, deshalb seid Ihr in den Palast unserer Göttin gekommen. Deshalb werdet ihr eine Priesterin werden, weil es das Einzige ist, was Euch wirklich glücklich machen wird.“


    Langsam erhob sie sich und lächelte die Valisar nun milde an. „Ihr könnt Euch bereits zur Ruhe legen. Nehmt Euch einfach, was immer ihr benötigt. Ich werde noch für ein letztes Gebet hinüber in den Tempel gehen.“ Shiarée machte zwei, drei Schritte in Richtung der Tür, dann blieb sie stehen und wandte sich noch einmal um. „Schlaft gut, Deleila. Sorgt Euch nicht, denn über diese Kammern wacht unsere Göttin.“ Dann glitt Shiarée durch die Tür nach draußen. Mit einem leisen Klicken fiel diese ins Schloss.

  • Jener Funke, der einen Moment in den Augen der anderen Priesterin aufglomm, erweckte Deleilas Aufmerksamkeit, doch ehe sie etwas sagen konnte, schien Shiarée sich wieder gefangen zu haben und begann zu sprechen. Schweigend lauschte die Valisar den Worten der dunklen Priesterin und erwiderte auch nichts, als jene geendet hatte. Nur ein leichtes Nicken. Ja, etwas Schlaf mochte nicht schaden, sie fühlte sich müde, zerschlagen irgendwie. Es war viel passiert und sie wusste nicht, was noch passieren mochte. Geschweige denn wie sie Brennan - sie erinnerte sich an seinen Geruch, daran wie nah er ihr gewesen war, an sein Gesicht, diese dunklen Augen - das nächste Mal gegenüber treten sollte. Wie ihm gegenüber reagieren. Für einen kurzen Moment zog eine Gänsehaut über ihre Arme und ließ sie tief einatmen. Ihr Blick wandte sich in Shiarées Richtung, als die Priesterin zur Türe ging und verharrte auch noch auf selbiger, als die Frau bereits draussen war.


    Sie wirkt so geheimnisvoll... verloren und zerbrechlich und doch so stark. Sie schöpft ihre Kraft aus dem Glauben an die dunkle Göttin. Wird auch mir das möglich sein? Ist das alles, wofür wir zu leben haben oder gibt es doch mehr?


    Sie erhob sich langsam und ging zu dem Bereich hinüber, in dem das Bett stand. Sie hatte nicht wirklich etwas für die Nacht dabei, also zog sie nur ihren Anzug aus und legte sich in der seidenen, weinroten Unterwäsche ins Bett, welche sie trug. Der glänzende Stoff gab einen interessanten Kontrast zu ihrer weißen Haut und war zudem angenehm zu tragen.
    Einige Minuten noch kreisten ihre Gedanken um den Tag, um Shirashai, um ihre Priesterin Shiarée und das Geschehene. Doch letztlich übermannte die Erschöpfung Deleila und sobald Shiarée zurück käme, würde sie die tiefen Atemzüge der Schlafenden hören können.

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