Durch einen Hinterausgang des Tempels führt Shiarée Deleila hinaus, hinaus in einen Innenhof. U-Förmig angeordnet stehen hier flache, schmale Gebäude, erbaut aus dem gleichen Marmor wie der beeindruckende Palast der Nacht, der sie überragt. Beinahe schüchtern wirken diese Häuser gegenüber ihrem großen Schatten, der ihnen jedoch auch Schutz gibt. Dies sind die Wohnstätten der Priester Shirashais, und sie sind nur von diesem Innenhof aus zu betreten, so das kein Fremder einzudringen vermag, der nicht zuvor unter wachsamen Augen den Tempel durchwandert hat. Der Hof selbst ist vielmehr ein Garten, herrlich und düster zugleich. Hier wuchern Rosen von der tiefroten Farbe des Weines, den Shiarée noch eben der Valisar überreicht hat. Dunkel ist es hier, der mächtige Tempel scheint alles Sonnenlicht fortzuhalten, doch stets geht ein silbriges Glühen von diesem Ort aus. Ein Weg, bestehend aus metallisch glänzenden Steinplatten, führt zwischen den Ranken hindurch, bis in die Mitte des Hofes, wo eine Art Platz vorzufinden ist. Dort sind die Platten in Form einer Halbmondsichel angeordnet und von dort aus führen weitere Wege zu den Türen der Wohnstätten.
Der Priesterin war dieser Ort nicht fremd, dennoch sog sie bedächtig den schweren, betörenden Duft der Rosen ein. Die Wege waren zu schmal, um nebeneinander zu gehen und so gab sie Deleila ein Zeichen ihr zu folgen. Mit ihren nackten Füßen, die nun zum ersten Mal aufzufallen schienen, betrat sie die erste Platte. Der kalte Stein war rau unter ihren Füßen, dennoch hätte sie dieses Gefühl nicht missen wollen.
So durchwandern die Halb-Cath'shyrr und die Valisar, deren Äußeres ungleicher nicht sein könnte, nacheinander den Garten, bis sie vor einer niedrigen Tür aus dunklem Holz angelangt sind. Mit einem leisen Klicken öffnet sie sich unter Shiarées Händedruck, dann verschwindet die Priesterin in der Dunkelheit des Inneren. „Tretet ein.“
Obwohl große Bogenfenster in Richtung des Gartens hinaus gehen, fällt kaum Licht in den Raum. Für einen kleinen Moment genießt sie die Stille und die Finsternis, dann entzündet Shiarée eine einzelne Kerze, damit auch Nicht-Katzenaugen sich orientieren können. Die Kerze erhellt den Raum nur mäßig, das flackernde gelbe Licht ermöglicht dennoch einen Blick auf das Heim der Priesterin. Es ist ein Raum von mittlerer Größe, die unterschiedlichen Bereiche sind getrennt durch dunkelblaue seidene Vorhänge. An der Fensterseite steht ein schwarzes Himmelbett mit aufwendigen Verzierungen am Kopfteil. Auch hier können Seidenvorhänge zugezogen werden, um sich neugierigen Blicken zu entziehen. In einer Truhe am Fußende wird Kleidung aufbewahrt.
Die Mitte des Raumes wird ganz und gar dominiert von einem runden Esstisch aus dunklem, schweren Holz, umgeben von vier Stühlen. Hierauf steht auch besagte Kerze. An der rechten Wand stehen Regale, die gar bis zur Decke reichen und über und über beladen sind mit Büchern, dicken und dünnen, zumeist mit dunklem Einband. So entblößt sich eine von Shiarées Leidenschaften, das geschriebene Wort.
Die Kochnische befindet sich auf der hinteren Seite, ebenso wie allerlei Vorratsschränke. Doch was diesen Ort tatsächlich so erstaunlich macht, sind die Pflanzen. Überall stehen Töpfe mit allerlei absonderlichem Kraut, auf dem Boden, auf den Schränken, auf der Fensterbank. Sie sind der ganz besondere Schatz der Priesterin und enthalten Geheimnisse, die sie nur allzu selten preisgibt.
Insgesamt findet sich viel von Shiarée selbst in ihrem Zuhause wieder. Es ist schlicht, doch überaus elegant, ein wenig befremdlich, dennoch anziehend und geheimnisvoll.
Sie selbst steht nun nahe des Tisches und wendet sich Deleila zu, deren weißes Leuchten dem Ort einen besonderen Glanz verleiht, wie sie findet. „Dies ist mein Heim, aber Ihr sollt euch fühlen, als sei es auch das Eurige. Möchtet Ihr einen Tee, ein wenig Essen? Es fordert viel Kraft, sein Leben radikal zu verändern.“ Sanft lächelt sie ihren Schützling an, erfüllt von der Vorahnung, dass dies alles sie beide noch viel mehr Kraft kosten würde.