Der Tiefe Angesicht

  • Wahrscheinlich deutete ihr Zögern eben als das, was es war: Neugierde und Wagemut. Er bemerkte die Herausforderung, die ihr über die Schulter sah und lockte, das all zu vertraute Glitzern in ihren Augen, die auf einmal viel wacher als Momente zuvor noch waren.
    Der Mira’Tanar zuckte mit den Schultern. "Ich schätze, da wartet nur ein langweiliger Weg auf uns und am Ende… schwimmen wir enttäuscht zurück." Er selbst war ein grandioses Beispiel für instinktiv gefällte Entscheidungen, er wollte sie nicht in Gefahr bringen, wo er sie zuerst hatte retten müssen. Er ließ ab von ihr und kreuzte die Arme vor der Brust. Anmutig gab er sich geschlagen.
    "Es klang für mich wie das Schlagen eines Nixenschwanzes auf Stein – trotzdem Yarea, es kann nicht sein, die Fülle ist hier zu fern." Nixen mochten leichtsinnig und vertrauensselig erscheinen, doch fangen ließen sie sich nie, in ihrer Magie unvergleichlich und dem Meer zu nah, würden sie nie die Fülle verlassen und es genauso wenig lange überleben.
    Wer es zu imitieren vermochte, hatte Übles im Sinn, es musste ein Falle sein ... für Neugierige, allzu Gutgläubige – und junge Cath’shyrr.

  • Die Cath lachte leise. "Ich für meinen Teil gehe lieber, und, wieso sollte der Weg langweilig sein? Das Gefühl der Neugierde macht ihn spannend. Dann dachte sie über seine Worte nach. Was tat eine Nixe hier, nahezu im Händlerviertel, auf dem trockenen Land? Sie wusste nicht viel über das verspielte Meeresvolk, doch alltäglich waren sie auch hier, in der Hauptstadt Beleriars, nicht. Zudem, was sollte sie zu solch fortgeschrittener Stunde in der Stadt suchen? Die rechtschaffenen Bürger waren längst in ihren Betten, in den Wirtshäusern, jedenfalls nicht in der so dunkel scheinenden Nacht unterwegs. Yarea dachte nach, drehte dabei unbewusst die Ringe, die um ihre Finger lagen.
    "Ihr kennt euch da sicherlich besser aus als ich, doch was sollte eine Nixe hier tun?" Die Cath sah Mallalai zweifelnd an.

  • Dass er das Falsche gesagt hatte, wurde ihm eben in dem Moment bewusst, in dem ihm die Neugier über ihre Schulter entgegen grinste. Vor ihnen ein Weg unter Dunkelheit, gebrandet durch Finsternis, den verzagt manche Laterne versuchte zu erhellen. Vor ihnen eine ganz andere Welt innerhalb der Stadt, für sich, ganz eigen, wenn sie diesen Weg nahmen. Und was still gestanden einen Augenblick, einen Wimpernschlag geflohen war, kam mit Macht zurück: er wollte diesen Weg nicht gehen, nichts finden, was dort war. Stille ging von ihm aus, da am Abgrund, ungesehen … wann bin ich so mutlos geworden? Ganz und gar war er nur Mira’Tanar, Yarea nur ein neugieriges Wesen, verhaftet den Gefühlen, die unter ihrer Haut brodelten und sie in Blasen aufwarfen, was sie spürten, doch niemals sahen.


    So viel Ungesagtes blieb in seinem Mund, blieb er stumm und widerstand … dem Drang, die Fassung zu verlieren, den Verstand, wenn dort wirklich eine Nixe wäre, die Hilfe brauchte. Stand er vor den schmalen Häusern, wie verloren, mitten auf der Straße, sich nicht zu rühren, Atemzüge in einer Ewigkeit. Es war kühl in der nächtlichen Wärme, einfach weil er unentschlossen war. Aber für Worte brauchte man eine Stimme, indessen die Welt sich unerwartet drehte, schlingerte und war auf einmal wieder viel zu klein: ein ungutes Brennen begann in seinem Bauch, was sich langsam in alle Glieder vorarbeitete, um sie zu versengen, in seinen Augen flimmerte der Schmerz wie ein Feuer in der Nacht – du weißt doch, wie Gefangensein ist.


    Ich vermag mir nichts vorzustellen, was eine Nixe in der Leere tun könnte, und sein Blick erwiderte ihre Zweifel eben in derselben Art, auch wenn er ihre Zuversicht nicht teilte. Und wenn ich mich nicht täusche, bist du bereit dem Geräusch zu folgen? Sein Kinn neigte sich fragend zur Seite, während ihm seine Schläfen pochten, tat er auch einen Schritt zurück. In der Leere Mut zu finden war viel schwerer als in der Fülle, das war nicht sein Element.

  • Die hellen Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen, Mallalai, der ihr bisher als ein Wesen von fast unmöglich scheinender Kontrolle schien, zeigte nun erstmals eine Emotion, die in ihren Augen merkwürdig erschien. Fast konnte man meinen, der Meereself habe Angst, oder fühle sich sehr unwohl.


    Dies wiederum schürte das ungute Gefühl in ihrem Innern, welches sie ermahnte, sie dazu bringen wollte, dem Geräusch nicht weiter Beachtung zu schenken, sondern zu ihrer Bleibe zurück zu kehren. Sich von ihrem netten Begleiter zu verabschieden und dieses kleine Abenteuer unbeschadet zu überstehen, sich wieder dem Alltag zu übergeben.
    Nur dieser kleine Gedankenfetzen reichte, um den Trotz der Cath auf den Plan zu bringen. Wieso sollte sie diese einmalige Chance nicht ergreifen? Dies würde ihr wohl niemals wieder passieren, und schlimmstenfalls würde sie dem Geräusch eben alleine nachgehen.


    Entschlossen fand ihr Blick die fragenden Augen Mallalais.
    "Dies gedenke ich zu tun, nötigenfalls auch alleine, es ist schon spät, also falls ihr euch nach Hause begeben möchtet..

  • Ein Abwägen blieb ihm noch, ihrer Worte, der Situation ... es gab einen Sinn in den Gefühlen, die mit einer Gefahr im Blut erwachten, die Aufmerksamkeit schürten, nicht Geruch, noch Sehen, noch Lauschen, nicht die Summe dessen, sondern mehr als dieses alles musste man in sich holen, antreiben, Glück und Recht als Energie des Überlebens. Natürlich, er hatte es geahnt.
    Seine Schultern strafften sich gerade – in aller Stille, ohne Sang und Klang … wann war ich je ohne mich umgebende Geräusche? Warum war dieses eine von Bedeutung für sie? Er harrte ihrem Mut gegenüber und es rührte sein Inneres.
    Mallalai konnte Möglichkeiten offen halten, wenn Geschicklichkeit, Kraft und ihr Wille versagten, sich dagegen abseits halten, sollte Yarea die Gelegenheit erhalten sich auf diesen Pfad zu begeben. Sie war nicht allein und musste es überhaupt nicht alleine vollbringen. Sein Leid war nur noch ein dunkler Glanz, den sie in seinen Pupillen sehen würde, der den Meereselfen indessen nicht mehr umhüllen wollte.


    Dann geh voran, Yarea, beweise deinen Mut“, sagte er leise, auffordernd der Arm, der in die Finsternis wies, die sich in der eng stehenden Häuserflucht zusammenstauchte, lebendig scheinende Schattenarme in das Licht der Laternen griffen, um Schritte zögernder werden zu lassen, weil das Herz mit flatterndem Bangen umschmeichelt wurde.

  • Sie bedachte ihn mit einem entschlossenen Blick, dann drehte sie sich um und schritt in die Dunkelheit. Lauschend versuchte sie, das Geräusch erneut zu erhaschen, doch wiederum wollte die leichte Brise ihr nichts preisgeben. Nun, dann musste sie wohl einfach ihren Instinkten folgen. Bedacht setzte sie einen Fuss vor den anderen, in die Anmut der Cath'Shyrr abgleitend, erinnerte ihre Haltung mehr denn je an die einer lauernden Raubkatze.


    Sie musterte die Gasse, durch die sie ging, sah durch das diffuse Dämmerlicht, das ihr ihre Augen zu offenbaren vermochten. Ein leises Gefühl der Unruhe beschlich sie, verdichtete sich in ihrer Magengegend zu einem unangenehmen Knoten Unsicherheit. Diesen versuchte sie weitesgehend zu ignorieren, wobei ihr dies natürlich nicht vollends gelang. Doch noch war ihre Neugierde stärker.


    Zu beiden Seiten erhoben sich schmale Häuserfluchten, die Fassaden angegriffen von der feuchten Hafenluft, die auch hier noch ihre Spuren hinterliess. Vereinzelt beleuchteten Laternen das dunkle Pflaster, erzeugten mehr Schatten den Licht. Die Strasse führte leicht aufwärts, in die dunkle, erstaunlich stille Nacht hinein.

  • Ein wenig schmunzeln musste Mallalai schon, ob ihres herausfordernden Willens, sie zurückzuhalten, weil es töricht war, lag nicht in seiner Hand. Wie bühnengerecht, seine zarte Geste des Sich-Sammelns, hingegeben, eine Spannung, die bereits in der Ergebenheit zu ihrer Neugierde verrann. Es musste ihm genügen ihr Wesen mit den Augen zu betrachten, das Heben und Senken ihres Brustkorbes zu sehen, um das Lebendige daran auch zu erhalten. Einen Moment war es ihm, als fände er den einen Funken Sinn in all dem Unsinn, der sich gerade abspielte. Er lächelte wehmütig, dass sie das ganze Ausmaß der Gefahr nicht kannte, machte es nicht weniger heldenhaft in seinen Augen, und so folgte er langsam, doch dicht genug. Sie hatte ihm ihr Vertrauen geschenkt, aus irgendeinem Grund, und sie würde es weiterhin zulassen müssen, dass er eingreifen würde, sollte es ihm die Gefahr zu groß erscheinen. Seine Aufmerksamkeit lag zweigeteilt auf seiner Begleitung sowie auf den Fenstern, Nischen und den Schatten. Es empfing sie gefährliche Dunkelheit, anders als die Nacht selbst, eingeschlossen von immer enger stehenden Mauern, die von dem bisschen Helligkeit nichts herunter dringen ließen ... als aus seinem Lächeln dann doch versteinerte Ausdruckslosigkeit wurde.
    Denn der Mira'Tanar lauschte, suchte das eben noch gehörte Geräusch, das nichts mehr von sich verlauten ließ. Sie folgten der leicht ansteigenden Straße, während kein Laut um sie herum ertönte, was beinahe noch unheimlicher erschien, als gäbe es lautes Scheppern, Stimmen oder derlei nächtlichen Klang.

  • "Yarea", sagte er leise, als ein unbestimmtes Gefühl sich über seine Schuppen befahl. Hier ein Stück Urwald mitten in der Stadt, die sie an dieser Stelle verschlingen wollte, über der Stirn eine entrollte Schlange, rechts zuckte ein Schattenhai, den ein nackter Elf an seiner Brust erwürgte, sie spielten Kraft und Schwäche … durch seine Einbildung sah er in den Schatten allerlei Unfug und dummes Zeug. Die Stille war laut knirschend und merklich kühler, seine Zunge strich in Konzentration über seine Lippen, er wollte seinen Versuch sie zu warnen nicht zu Grabe tragen, und doch ... Yarea schien nicht die Absicht zu haben ihre einmal getroffene Meinung zu ändern. "Yarea!", eindringlicher, aber ihre Schritte verharrten nicht, während Mallalai immer weiter zurückfiel. Infolge der plötzlichen nervösen Anspannung seines ganzen Wesens, der Erregung, in die er gerade gestürzt wurde und in die sich immer noch die aufkeimende Hoffnung mischte, sie würde mit ihm umkehren ... Das ist Leben. Kann man Heimweh danach haben? Dann hatte er es nun. Hier stimmte etwas nicht ... Die gewohnt sind, aufgrund des Gefühls zu urteilen, verstehen nichts von der Vernunft. Dem Feinfühligen, der nur spontan zu urteilen gewöhnt ist, verschlug es den Atem.
    Mallalai verließ Yarea, die taub oder blind oder beides war. Blieb stehen und sah ihr nach, wie die lebendigen Schatten sie verschlungen. Hundert Finger gingen von seinem Nacken aus, Feuerschauer jagten sie ihm über die Haut, deren Gänsehaut nicht in Zweifel gezogen werden konnte. Ganz und gar unangenehm, dem man folgen musste, ob man wollte oder nicht. Er räusperte sich, weil sein Herz in seiner Kehle zu dem Stein wurde, der sich darin ballte und wandte sich ab.

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