Der Tiefe Angesicht

  • Sein Name, gesprochen mit ihrem eingeengten Atem, suchte sich launisch den Weg über ihre Zunge und Mallalai lauschte dem fremden Klang. Und entgegenkommend seiner Wünsche, doch gegensätzlich zu seinen Vermutungen, nahm sie das Angebot an. Jäh durchströmte ihn bange Freude, die Anfänge der Nacht waren augenblicklich nicht ohne Reiz. Nimm an, es wäre jenem ein Vergnügen, sagte er bemüht sanftmütig. Kaum zu glauben in dieser geruhsamen Strenge. Allein, er meinte ehrlich, was er sagte.
    Welch eine Freude auf die laue Nacht, wenn der Schlaf nicht kommen mochte ... und nicht nur das: eher das Wissen-wollen, ob man wirklich ein Kind der Furcht ist. Ein Versuch aus der Vorsicht eine Tugend zu weben, eine Eigenschaft, die man nicht verbessern konnte - der aber nicht immer gelang.
    Und natürlich das erneute Treffen einer Cath'Shyrr, die Mallalai als angenehme Gesellschaft kennen gelernt hatte.


    Der Meereself glitt aus der Fülle, hinein in die, für ihn, kühle Trockenheit, die sich schwer auf seinen Schultern niederließ. Das unbedeutende Licht erfasste sogleich die silbern-blaue Schüppchen, wie kleine Sterne, die seine Haut waren, um rasant mit seinen Bewegungen zu einem Schimmern zu schmelzen, trug er nur den Lendenschurz um die fast zu straffen Hüften, sich seiner Nacktheit nicht bewusst. Perlend daran das süße Nass, wie an den langen Haaren. In den blauen Tiefen herrschten andere Gepflogenheiten, kein Grund sich zu verstecken.
    Den Weg musst du uns weisen - Wer bist du?
    Sein helles Augenmerk glitt über die sich drängenden Häuser, kein bedrohliches Leben in Sicht. Eine nicht wenig anziehende Zeit, die Gassen in diesem Viertel leer fegte, um anderes hervor zu bringen. Ein Funkeln trat in seine Augen, das nichts mit Belustigung zu tun hatte, aber mit den Sternen wetteifern konnte. Schenke auch du mir deinen Namen. Damit sah er sie offen an, die Hände entspannt auf den Oberschenkeln, die Finger leicht eingerollt, neugierig wartend.

    Crawling in my skin
    These wounds they will not heal
    Fear is how I fall
    Confusing what is real

    Einmal editiert, zuletzt von Mallalai ()

  • Geduld, eine Eigenschaft die ihr sonst eher fremd, doch wartete sie still. Das Lächeln schien ihr Gesicht nicht mehr verlassen zu wollen, gerade so, als habe es endlich sein Heim gefunden. Als sich der Meereself aus den Fluten erhob, seinen Körper so unbewusst zur Schau stellte, in einem Schauer aus glänzenden Wassertropfen, spürte die Cath'Shyrr die Röte, die drohte ihre Wangen zu überziehen, und schickte sie vondannen. Auch ihr Kleid liess, nun triefend nass, viel von ihrer Gestalt erahnen, rief sie sich in Erinnerung. Entzückt betrachtete sie das verbliebene Nass, dass sich seinen Weg über schimmernde Schuppen bahnte, ganz versunken in den Anblick. Doch verbot sie sich schnell, ihn auf solch unhöfliche Weise anzustarren, wandte ihren Blick wieder hinauf, zu ungewöhnlich hellen Augen. Ein kurzer Anflug von Nervosität, rastlos wickelten ihre Finger eine Strähne des weissen Haars auf, um sie Sekunden später wieder freizulassen, nur um sie erneut einzufangen.
    "Yarea" antwortete sie, nun wieder ihre selbstbewusste Art gefunden, seinen Blick nicht minder offen erwiedernd. "Irgendwelche weiteren komplizierten Anhängsel gibt es nicht, einfach nur Yarea" ein schelmisches Zwinkern in den Augen, wandte sich die Cath'Shyrr zum gehen, in eine Gasse, die hoffentlich in die richtige Richtung führen würde. Doch ihr Orientierungsinn trog sie nur selten, so hoffte sie, dass dies auch heute nicht der Fall sein würde. Drei Schritte, dann hielt die Cath'Shyrr, um sich nach ihrem Begleiter umzusehen, sich zu versichern, ob er auch folgen würde, und sich nicht als nächtliche Vision entpuppen würde, ein Geist, schon lange verschwunden, nur eine Erinnerung hinterlassend.

  • Unmerklich gab sie die Ruhelosigkeit preis, die Ausdruck in ihrer bewegten Hand fand, die eine Strähne zwirbelte und fühlte sich von seiner Neugier angewidert abgestoßen, gleichzeitig von der trockenen Fremdheit fasziniert erobert. Sssssht! versuchte er es leise, die blassen Augen fuhren schmerzlich langsam über das hübsche Gesicht. Yarea, in seiner Stimme lag das Rauschen des Meeres, die Süße der Tiefen und der Schmerz der Nacht, während sie gegen die Sinne schlägt.


    Erstaunt sah er ihr hinterher, als sie sich abwandte. Yarea ließ ihn scheinbar stehen. Sollte er es genauer benennen, würde er sich als gekränkt bezeichnen, aber es war kein Wort, das Mallalai in der Vergangenheit mit sich in Verbindung gebracht hätte und es auch nun nicht tat.
    Und er wollte seine Nase in die Luft strecken und sich dem Duft der Verlockung ergeben. Seine Beine beeilten sich also hinter ihr herzueilen, ungewohnt zuerst der Gang an Land, der feuchte Schritt seiner baren Füße, zwischen deren Zehen sich die Schwimmhäute spannen.


    In welches Viertel wirst du uns führen, Yarea? fragte der Mira’Tanar, den Weg gerne kennend und hoffend, dass seine Stimme ihr eine gewisse Entspannung geben konnte. Doch wahr war wohl, dass er sich unsicherer fühlte, als sie es für sich empfinden würde. Alle seine Sinne schwammen in Alarmbereitschaft, nahmen Geräusche und Bewegungen wahr, soweit sie es ihm an Land ermöglichten. Die Nacht tauchte die Straße in ein dämmriges Grau, in dem Schemen eins wurden.

    Crawling in my skin
    These wounds they will not heal
    Fear is how I fall
    Confusing what is real

    Einmal editiert, zuletzt von Mallalai ()

  • Ein erleichtertes Seufzen floh über die Lippen hinaus in die Freiheit, als sie den Meereselfen in der dunklen Gasse stehen sah, in seiner betörenden Fremdartigkeit. Seine ersten Schritte wirkten unbeholfen, ein fremdes Element, dass ihm nicht so vertraut schien wie das Wasser, so ihre Vermutung. Doch er fand seine Sicherheit, es war wohl nicht sein erster Gang an Land, dachte die Carh'Shyrr.
    Ihr Körper setzte sich in Bewegung, als der seine ihn erreicht hatte. Ihre Schritte passten sich den seinen an, so wie sie es immer tat, wenn sie sich in Gesellschaft anderer befand. Wieder suchte ihre Hand das weisse Haar, dass nun langsam trocknend, noch vorwitziger immer wieder den Weg in ihr Gesicht suchte, und fand.
    "Das Händlerviertel ist mein letztes Ziel, doch falls euch ein anderer Ort reizt, zu besuchen, so werde ich meinen Weg gerne verlängern."

  • Das Händlerviertel ist ein gutes Ziel, wie er findet, wohl wahr, wusste Mallalai, von was er sprach. Feinste Meeresperlen handelte er dort, die er in den Tiefen seiner Fülle fand. Aber bisher war es nicht die helle Tageszeit gewesen, in der er sich an Land getraut hatte, obwohl er wusste, dass er mehr verdienen konnte. Er saß meist im Korallenriff – der Mira’Tanar lauschte gerne anderen Stimmen, wenn er schweigen konnte. Ein Lächeln sah man nicht auf dem schmalen Gesicht, aber man hörte es vielleicht durch die Worte, die Stimme, wenn man aufmerksam lauschte.
    Und da er sonst kaum etwas wusste, was zu sagen war, schien es ihm ratsam eine Frage zu stellen, bevor sie ihm zuvor kommen konnte. Wenn du in einem Händlerviertel zuhause bist, so bist du auch ein Händler? Dem lebendigen Fliegen ihres Haares folgten seine Augen, während er doch das Gesicht gerade zwang.

  • Sie lachte, ein fernes Licht brach sich in ihren Augen und liess sie übermütig aufleuchten.
    "Nein, bin ich nicht. Ich stamme nicht aus der Stadt, aber meine Abenteuer suche ich hier. Und hie und da läuft mir eines über den Weg. Oder springt mir nach" sie lächelte, "sesshaft bin ich im Händlerviertel, aber nicht mein Mettier wegen, doch habe ich dort eine Anstellung gefunden, die mir Freude bereitet."
    Die Kühle, die die nahe Nacht mit sich brachte, legte sich wohltuend auf ihre Haut, die noch immer feucht schimmerte, wenn ferner Lampenschein sie berührte. Sie lauschte auf die Geräusche der Nacht, ferner Vogelschrei und gelegentliches Gejohle.
    Hin und wieder warf sie einen Blick auf ihren wundersamen Begleiter, neugierig. Einige Völker hatte sie kennengelernt, im Wirtshaus ihres Vaters, von vielen gehört.

  • Abenteuer suchen, sagte sie. Vielleicht musste man es so sehen in dieser verkommenen Welt, wagemutige Erlebnisse, damit man sich lebendig fühlte. Das Prickeln in den Adern erleben, den Rausch, der den Körper durchfuhr, die Freude auf den Lippen, die einen nur dann beehrte, wenn man triumphiert hatte. Einfach zu warten, was der Alltag einem brachte, erschien viel zu einfach, zu einfältig, zu abgedroschen. Vielleicht ließ man dann auch das Leben unterworfen, doch siegreich, hinter sich.
    Und er war ungewollt Teil ihres Abenteuers geworden, mit guter Absicht wohl. Was war Gehen anderes, als einen Fuß vor den anderen zu setzen, eine Einfachheit in ihrem Sinn, doch auch dies hatte er lernen müssen. Ein Gleichklang, sich durch die Leere bewegend, anderes hinter sich zu lassen, zusteuernd auf ein unbekanntes Ziel, während man Währendes betrachtete.
    Ja, dachte Mallalai bei sich, verurteilen konnte er dies unbekümmerte Wesen ob seiner arglosen Aussage nicht -- auch er suchte auf seine eigene Art ein Abenteuer, war es stets ein Erlebnis sich der Fülle zu entheben. Aber er war ihr ein Fremder und Yarea, seiner misstrauischen Ansicht, zu vertrauensvoll. Und sein Pulsschlag war wie ein Strudel in einem ruhigen Fluss, der ihn in Sorgen hinab ziehen wollte. Mallalai schüttelte sich, legte kurz die Hand auf die lange Narbe auf seinem Bauch. Es war seine Sorge nicht.
    Nur in dieser Nacht würde er sie sicher begleiten, nur heute.


    Was blieb ihm also, als zustimmend zu nicken, da er noch fern in Vergangenem stand? "Aye, Abenteuer sind hier nie fern", murmelten seine Lippen einfach, Zuhören konnte Mallalai. Wahrscheinlich hatte er es erfunden, obwohl seine Aufmerksamkeit nicht immer bei seinem Gehör weilte.
    Doch heute war er hier, ganz und gar, achtete auf die Straßen, wie auf ihr Haar, ihre Stimme und traf auf Yareas Blick, den sie ihm gerade eben wieder zuwarf. Schweigen breitete sich einen Atemzug aus, für den er weit seine Kiemen öffnete, ein Rauschen in seinem Gehör.
    "Was ist es, das dir Freude bereitet? Sich bei Dunkelheit in kaltes Wasser stürzen?" Wie er gerade freudig Sprenkel in ihren Pupillen zählte, beiläufig eine Hand durch ein Wasserbecken gleiten ließ, dass man als Tränke für Tiere aufgestellt hatte, die man zum Markt trieb. Scheuten Katzentiere die Fülle nicht?

  • Die Cath’Shyrr lachte nicht, das Lächeln auf ihren Lippen sollte genügen.
    „Nein, normalerweise bevorzuge ich bodenlose Abgründe.“ Übertrieben erst der Klang ihrer Stimme, während ihre Augen ein weiteres Mal den Anblick Mallalai’s suchten. Sie musterte ihn, nun nicht mehr verstohlen, warf die Höflichkeit über Bord.
    „Um der Wahrheit den Zehnten zu leisten, ich habe mich bei einem der ortsansässigen Pferdehändler verdingt. Die Arbeit mit diesen Tieren schenkt mir eine Ruhe, die meinem Gemüt ansonsten fehlt.“
    Sie bog in eine Gasse ein, erfreut darüber, einige vertraute Dinge zu erblicken, die sich aus der Dunkelheit schälend als sichere Wegweiser erwiesen. Sie seufzte leise, den Blick der grünen Augen in unergründliche Weiten gerichtet, dann schüttelte sie den Kopf, um die unerwünschten Gedanken zu vertreiben, die sich heimlich in ihren Geist geschlichen hatten.
    Ihre trocknende Haut überlief ein Schaudern, doch Yarea ignorierte dies, hatte sie doch nie wirklich Kälte verspürt, und wollte erst recht nicht damit beginnen.
    Die Schatten um die beiden Gestalten verdichteten sich, hoch ragten die Häuser zu beiden Seiten der engen Gasse hinauf, nur hie und da glimmte der ferne Schein einer Kerze auf.
    „Nun ist es an mir, euch eine Frage zu stellen. Wart ihr schon einmal in der Oberwelt?“ fragte sie leise.

  • Sternenklar lag die Nacht, wie ein Teppich ausgebreitet, vor denen, die sie auch betrachten wollten, um ihre Muster zu bewundern, die sie preis zugeben, bereit war. Wohlig warm, schützend verbergend umhüllte sie die, die sich zwischen ihren Fäden zuhause fühlten, genug, um sich nicht zu flüchten in das Licht, und schien gleichzeitig für solche mit Furcht, zum saugenden Widersacher zu werden, der sich sträubte, sie ohne weiteres in das Licht ihrer Heime gehen zu lassen.
    Anständiges Volk schlief um diese Zeiten, drehte sich bereits Rücken an Rücken in ihren Laken, die Türen um die Zimmer fest verschlossen, denn nichts hielt dieser Stadtteil um diese Zeit bereit, was es lohnend machte, den Hals und gesunde Knochen zu riskieren.
    Alles Illusion, alles Trug, meinte des Mira'Tanars Verstand, kaum betört von der törichten Annahme, was er nicht sehen konnte, würde ihm nicht Schaden beibringen, doch es erleichterte jeden Schritt. Die Nachtschatten blickten ihnen nach, wussten von seinem flachen Atem.


    Ihren ersten Worte wollte Mallalai Achtung schenken, waren sie spontan über ihre Lippen geflossen, und in ihnen ruhte eine einfache Bitterkeit, dass sie Abgründe nicht zu überwinden fand, keinen Halt, um sich nicht doch einfach hinunter zu stürzen in das weit aufgerissene Maul, weil man es vielleicht gar nicht mehr wahrnahm ... und am Abgrund fanden viele Platz.
    Sein Kopf neigte sich in Überlegungen, während sein bekümmerter Blick dem ihren musternden begegnete. Eigentlich wollte er ergründen, wie ernst es ihr war, denn ein Tropfen Wahrheit fand man möglich darin. Und dann dachte er, wie nah Springen doch am Fliegen war und wie sehr man dann alle Sinne allein dem Rausch des Himmels übergeben könnte. Es war eine klare Nacht, rein riechend und lau, perfekt für einen Flug. Jetzt würde er gerne lächeln, doch dieses Gesicht zeigte er einer fremden Rasse nicht.
    Sie ging einer anständigen Arbeit nach, trieb sich also nicht nur nachts im Hafen herum und einem unruhigen Geist mochte es verziehen sein, dass er den Körper in Gefahren trieb, nervenzehrende Erlebnisse suchte ... wie ein Sprung in die tiefe Fülle. Dann wäre es nicht die Furcht, ein verkrampfter Atem, der sie schaudern machte, sondern die Kühle der Luft.
    Was bist du nur für ein leichtsinniges Geschöpf ... nein, erkannte er, es liegt in deiner Natur. Man sah es ihr auf den ersten Blick nicht an.


    "Ich bin nicht unter der Kuppel geboren, Yarea." Seine Hände verschlungen sich an seinem Gesäß. "Es sind die Weiten der Fülle, die du Ozean nennst, die meine Heimat sind. Meine Oberwelt sind die Wellen, die sich unter der Sonne und dem Mond breiten, das trockene Land zieht mich nicht an.
    Es gibt Meeresbuchten und Sandstrände, die einsam und versteckt an der Küste liegen, wenn man die Stille sucht, es gibt Wasserfälle, deren diamantenen Tropfen einen aus der Fülle locken ...
    " Mallalai schwieg. Er wollte sie nicht betrüben, wenn sie es noch nie gesehen hat, doch was vermissen, wenn man es nicht kennt? War es das, was er hörte, wenn sie so leise spricht? "Aye. Ich habe die Leere auch außerhalb der Kuppel geatmet."


    Irgendwo in der Nähe wurde eine Kneipentür geöffnet, Mallalais Aufmerksamkeit schoss dort hin, gedämpftes Licht, wie lautes Stimmengewirr drang zu ihnen, bevor sie sich wieder mit einem Knall schloss und alles so still war wie zuvor. Eine traurige Gegend, obwohl er sie sehr mochte.

  • Auch Yarea bemerkte die sich öffnende Tür, einen kurzen Moment, zu flüchtig um bewusst zu werden, stand sie unter Spannung, bereit, doch es war nichts. Oft ging es ihr so, wenn sie sich im Dämmerlicht der Nacht bewegte, und andere Wesen um sich wusste. Nicht die Geräusche und Kreaturen der Nacht, allein die menschlichen Wesen fürchtete sie. Die Cath'Shyrr fand wieder zu ihrer scheinbaren Ruhe zurück.
    Sie lauschte Mallalais Worten, schmunzelte über seine Wortwahl. Die Leere, wie er sie nannte, die ihr das Leben schenkte. Die so viel beinhaltete, und doch schien sie für das Meereswesen in keinem Vergleich zu seinem Refugium, dem Ozean, zu stehen. Doch die junge Frau blieb stumm, lauschte der Stimme Mallalais. Eines Fremden, wie ihr wiederum bewusst wurde.
    "Es entzieht sich meinem Geiste, eine solch grosse Landmasse weit über mir zu wissen. Und doch interessiert sie mich, findet doch auch mein Volk seinen Ursprung in diesen Landen."
    Sie blickte wieder zu ihm hinüber, wobei sie ein wenig nach oben schauen musste. Viele Fragen wirbelten durch ihren Kopf, doch stellte sie keine. Kurz überlegte sie, was der Grund dafür war. Fehlte ihr der Mut dazu? Nein, wohl nicht. Doch Fragen zogen immer Gegenfragen nach sich, und obwohl sie sich selbst als offenes Wesen betrachtete, mochte sie nicht zu Vieles von sich selbst preisgeben.

  • Man hatte nicht jeden Tag das Recht neugierig zu sein, man konnte nicht immer hoffen, dass einem alles verziehen wurde. Es war real, auf einmal so erschreckend fassbar und wahr. Wenn er sich vorstellen mochte, nie mehr außerhalb der Kuppel schwimmen zu können … er zog sich mit Yarea in Wirbel von Gedanken, die er ihr gar nicht zumuten wollte und doch würde sich wohl jedes Wesen hier geboren, irgendwann diese Fragen stellen.
    Und unleugbar, auch er kannte die Vorstellungen eingesperrt zu bleiben in einer Welt, die nicht die seine war, obwohl er darin wuchs - in der er atmen konnte, tauchen … es war nie ganz richtig und noch immer hielt man fest an dem heiteren Glauben, weil man durchdrungen war von der eigenen Poesie des Lebens, dass alles gut werden würde.
    Aber die Angst seiner Seele nahm ihm heute nicht mehr die Besinnung, mehr läuterte sie alles in eine Schärfe, die sehr ernüchterte. Man fand sich ab: Nicht anders, als wenn man morgens den Laden aufmachte und die Morgensonne blitzte durch die tiefen Schichten der Fülle bis hinunter in ihre Städte: man musste zwinkern und doch war man erfreut.


    Er pickte aus einem Beutel an seinem Gürtel eine kleine violett anmutende Muschel, halb so groß, wie sein schimmernder Handballen. Pflanzenmuster hatten sich gegraben in ihre Rillen, die Gezeiten hatten sie gezeichnet, doch nicht ihre Schönheit verletzt.
    Bedächtig wies er sie Yarea zu, sie zu nehmen, zu erfühlen, ein Teil der oberen Welt und seiner zugleich. Er fand sie in einer Felsenkammer oberhalb eines Strandes, gebettet in tiefen Sand. Manchmal rufen sie ihn mit ihren wässrigen Stimmen, um wieder hinab getragen zu werden zu den Tiefen Grund.
    Sie bringt die Muster des oberen Landes mit sich, in dessen Leere sie lag, nur um sich zu begraben. Es kann nicht so bezaubernd sein, wie mancher denkt.

    Mallalai blinzelte. Wünschst du es dir sehnlichst zu sehen oder bist du zufrieden hier, weil du es nicht anders kennst?

  • Fast schon ehrfürchtig streckte die Cath'Shyrr die Hand aus, die silbernen Ringe spiegelten weit entferntes Licht. Vorsichtig nahm sie das zierliche Gehäuse, ihre Fingerspitzen streiften die Haut des Meereswesen. Sanft glitten die Fingerkuppen über die Muschel, erfühlten darin Muster, Zeugen der Oberwelt, weit über ihren Köpfen. Einen Moment lang blickte sie nach oben, suchte das Auge etwas hinter der blauschimmernden Kuppel. Doch war dort nichts, als der dunkle Ozean. Stumm lauschte sie seiner Stimme, die ihr ein karges Bild der oberen Welt zeichnete, in der sie zugleich mehr zu hören glaubte.
    "Noch bin ich zufrieden mit dieser Welt, es gibt hier noch so Vieles, was ich sehen, entdecken möchte. Die Stadt selbst scheint ein niemals endender Vorrat an Neuem zu bieten. Doch möchte ich eines Tages auch einmal den Rest von Beleriar erkunden. Solange dies unerfüllt bleibt, interessiert mich die Oberwelt, doch bestimmt sie nicht mein Leben" antwortete sie, Fernweh packte sie wiederum. Ein Gefühl, ihr so vertraut, immer wieder packte es sie, und liess sie nur zögerlich wieder entschwinden.

  • Lass dich ansehen. Das merkwürdige Zwielicht überzog Yareas Gesicht mit einem Schimmer und sie war so gegenwärtig, doch derart, dass Mallalai das Gefühl hatte, nur die Hand strecken zu müssen, um ins Leere zu greifen. Er glaubte fest, dass sie es vermochte, das Erkunden und Finden. Des Elfen Sinne waren geöffnet durch die Augen, die Nase, das Gehör und das nahe Gefühl, anders als in der Fülle, ganz anders. Aber das alles hat seinen Preis. Was man erbittet und nimmt. Und auch, was man erhält.
    Vorgeblich leicht wandte sein Kinn sich ab, während die Arme hingen, wie von Gewichten beschwert, an jedem einzelnen Finger lasteten ein jeder Traum, den er sich gewünscht. Aber es war nur ein kurzer Moment und er bemühte sich sofort, die Eingebung zu verscheuchen, in deren Wellen er keinen glänzenden Anklang fand, redete sich ein, dass es ein Augenblick voller Unwissenheit und Schatten seiner Vergangenheit war. Was würde die Zukunft schon bringen? Irgendwann einmal würde er es anders beschauen und nicht mehr mit seiner Wirklichkeit in Verbindung bringen, dann, wenn es wirklich Vergangenheit hieß. Seine Erinnerung, die von da an nur seine Vorstellung sein würde, abhängig von seiner Aufrichtigkeit.


    Ein jedem von uns ist die Macht gegeben worden: Ereignisse, die noch in der Zukunft liegen, werden wir einst berühren können, tief in der Vergangenheit Verborgenes wurde von uns berührt ... so leben wir in dem Atem der Zeit und im Grunde auch in ihrer Harmonie, meinte Mallalai aufrichtig. Strebe darin und sie wird dein sein, deine Wirklichkeit, deine Zukunft.

  • Sie sah ihn von der Seite an, Zweifel in ihrem Blick. "Denkt ihr wirklich, was ihr da sagt, Mallalai?" Wiederum kostete ihre Zunge den Klang des Wortes, dass ihr so unbekannt, so fremd, doch interessant. Der Meereself schien aus einer inneren Quelle Weisheit zu schöpfen, doch fragte sich die Cath'Shyrr, ob Mallalai diesen Worten selbst Glauben schenkte. Natürlich zählte sie noch nicht viele Jahre, doch auch ihr Gegenüber schätzte sie nicht um so vieles älter. Und von der inneren Ruhe, die dieser zu besitzen schien, fühlte sie nichts. Seine Worte schienen eine Wahrheit zu verkünden, deren Inhalt so simpel, und doch tiefsinnig, ihren Geist zum nachdenken anregte. Rastlos strichen ihre Finger über die Muschel, erfühlten jede Unebenheit, die in die glatte Schale eingegraben. Sanft schimmerte die Muschel im blauen Licht der Kuppel.

  • Es wurde ihm ganz still, als er sie entließ, die tausend Gedanken unausgesprochen wichen sie mit ihm zurück, der Zauber, der ihn mit der Fülle Arm umfangen gehalten hatte, ließ ihn kalt allein. Yarea traute ihm tiefgründige Gedanken nicht zu, ihre Zweifel schnitten in ihn, dem Wahrheit war ein höchstes Gut, weil sie Würde und Tatsachen in sich trug … in seinen seltsamen Augen erglühte es, von ruhigem Ertragen war keine Spur, sein Erzittern trug eine glitzernde Hülle. Lügen und Blendwerk sind Eigenschaften der Yassalarzungen!
    Wenn er seine Hoffnungen verloren glaubte, könnte er eingehen in die Meeresgründe, seinen Bruder verloren geben, den Yassalar hätte er das Kind überlassen können, das einst in ihren Reihen um sein Leben kämpfte. Kaum mochte er glauben, dass das Geschehene bald schon 200 Jahre in der vergangenen Zeit verschwamm.

  • Verwundert blickte sie ihren Begleiter an, der bis jetzt durch eine Art ruhige Besonnenheit einen Gegensatz zum sprunghaften Gemüt der Cath'Shyrr gebildet hatte. Doch diese kurze Unsicherheit blieb im Innern der jungen Frau, gen aussen blieb das angedeutete Lächeln, das übermütige Funkeln der grünen Augen.
    "Habt ihr etwas gegen die Yassalar?"
    Eine an sich dumme Frage, das wusste sie, den die Yassalar, ein kriegerisches Volk, dass sie nur aus Geschichten kannte, war wohl bei keiner der Meeresrassen sonderlich beliebt, trachteten sie doch nach den Landen jener. So hatte sie jedenfalls gehört. Doch dachte sie auch, oder hatte es viel eher mit einem unbestimmten Gefühl zu tun, dass hinter diesem Ausbruch, dem plötzlichen, scharfen Aufbegehren mehr lag, als es den Anschein hatte.

  • Seltsame Frage, wie er fand… von den Meeresländern fern. Er verstand. Gewoben in den Geist, Faden um Faden zu einem Muster verschlungen, eingebettet zwischen seine Wünsche und Träume, ein Leben. Seines war es. Er war der Selbe noch, in sich nur zwei.
    Der eine sich verbunden fühlte mit der schwarzen Geisel der Meere und der andere ihn deshalb verabscheute, sich selbst verachtete, weil er sie bewunderte für ihre Disziplin, das gerade Voranschwimmen, den Willen zum Sieg. Seine Augen, deren Wimpern beruht waren vom Schicksalsschatten, wie konnten sie wohl klar sehen? Mallalai umfasste sich, als bräche er entzwei, doch zum Zerbrechen brauchte es mehr. Er wollte sich nicht dies zufügen, alles, nur nicht das, aber seine Gedanken kratzten an der Erinnerung und sein Herz trug die Schrammen.
    Er gäbe sein Leben im Kampf, wenn es sie nur vernichten würde. War es das? Selbst dies konnte ihn nicht retten, es nichts ändern. Wahrscheinlich gab es keine einfache Antwort auf diese Frage, nein, auf diese nicht. Kann man etwas gegen die Gaben einer Hand haben, die einen hütete, auch wenn es eine Faust war? Durch die Yassalar war er auch jener, der er heute war.
    Ich weiß es nicht, Yarea. Der Mira Tanar sah auf seine Hand, die fein gewobenen Häute, die sich zwischen den einzelnen Fingern spannen. Ihre Körper sind den unseren ähnlich, ihre Herzen nicht.
    Alle Völker der Meere leiden unter ihnen – man sollte nicht für immer kämpfen müssen, nicht für die Ewigkeit. Haben wir uns schon zu sehr daran angepasst, die Yassalar pressen uns dieses kriegerische Leben auf.


    Ich habe die Furcht schon mit den Kiemen aufgenommen, als ich geboren wurde, und geführt hat meine Hand das Schwert erst durch sie, die Kunst liebte ich durch ihre Lehren, die Disziplin gaben sie mir mit auf den Weg – habe ich etwas gegen sie? Nein und ja. Es ist das, was sie meinem Volk antun, das ich nicht tolerieren kann. Was sie mir angetan, aber dies sagte er nicht. Nur, ganz unbewusst, kam seine erhobene Hand auf dem Bauch zur Ruhe, den die lange Narbe zierte, die Wunde, der zuerst nicht zu heilen vergönnt war und die sich desgleichen durch seine Seele wand.

  • Die Cath’Shyrr war überrascht, auch wenn sie dies mit keiner Regung äußerte. Solche Gedankengänge, ein Wesen welches seine Antworten so wohl durchdachte, es beeindruckte sie. Die Yassalar, wer waren sie für sie? Die junge Frau dachte über ihre eigene Frage nach. Sie wusste nicht viel, kannte nur Erzählungen über das grausame, wunderschön anzusehende Volk von Mördern, wie man hörte. Sie war sich sicher, hier in der Stadt schon den ein oder anderen gesehen zu haben, doch jetzt erschienen ihr diese Begegnungen weit entfernt, fremd, wenn man überhaupt von flüchtigem Erblicken als Begegnung sprechen konnte. Mallalais Worte sickerten in ihren Geist, verknüpften sich mit ihren eigenen Gedanken. Ähnlich im Körper, doch so verschieden im Geist, eine geradezu erschreckend andere Kultur, ehrgeizig, nach Herrschaft trachtend. Und doch brachte das kriegerische Ansinnen dieser Rasse vielleicht auch einige Errungenschaften. Vielleicht half es den Meeresvölkern wieder zurück zu finden, zurück zu Sicherheit, die man sich selbst schuf. Natürlich sah sie ein, dass dies wohl eher traurig zu nennen war, doch…
    Sie schüttelte sacht den Kopf, um die abstrusen Gedanken zu vertreiben, was dachte sie sich? Natürlich wäre Frieden besser für alle Beteiligten!
    Sie sah den Meereselfen neugierig an, als dieser von der Kampfkunst als Leidenschaft sprach, dies hätte sie ihm nicht zugetraut. Nicht dass sie gedacht hätte, er sei nicht fähig mit Waffen umzugehen, doch schien er eine friedliebende Persönlichkeit, einer von jener Sorte, die eine Waffe nur in die Hand nahm, wenn es unbedingt nötig sein sollte.


    Ihre Schritte trugen sie weiter durch die Nacht, die engen Gassen weiteten sich, die Grenze zum Händlerviertel war nicht mehr weit. Schon bald würde sie bei ihrer Unterkunft sein, vielleicht noch einmal kurz bei der Stute vorbeischauen, und dann in ihren wohl verdienten Schlaf sinken. Doch das bedeutete auch, dass diese interessante Begegnung ein Ende finden würde, was ihr nicht sonderlich behagte.
    Ein leichter Wind kam auf, suchte sich seinen Weg durch die Strassen und umschmeichelte die nackten Arme Yarea’s. Er trug ein leises, kaum hörbares Geräusch mit sich, dass die Cath’Shyrr stutzen liess. Sie konnte es beim besten Willen nicht einordnen, ja, konnte nicht einmal einen vergleichbaren Klang aus ihrem Gedächtnis zur Rate ziehen. Stirnrunzelnd lauschte sie, doch es war verschwunden. „Habt ihr das eben auch gehört?“ Fragte sie zögernd, nicht wissend, ob es nicht einfach eine Sinnestäuschung gewesen war.

  • Ihre Antwort war Schweigen, dem er wieder still lauschen konnte, ob sie einatmete, um Worte zu formen, ob sie aufgrund eines Gedankenganges ausatmete. Es war kein belastendes Schweigen, das gefüllt sein wollte, mehr war es Mallalai willkommen. Er war verstummt, während sie nichts zu sagen hatte. Was gab es da auch schon?
    Gemächlich gingen sie weiter, er folgte ihrem Weg, den sie vorgab, der sie letztendlich zu ihrem Heim führen würde. Wahrscheinlich würde auch er nach Kina'mallei zurückkehren, um den Abend ausklingen zu lassen.
    Deshalb war es gut zu hören, das leise Geräusch. Erstaunt sah er sich um, bemerkte, wie es ihn dabei schaudernd durchlief, innerhalb weniger Sekunden stieg die Bedrohung in dieser Gasse, machte sie einen beträchtlichen Sprung in Richtung der Wehrlosen – und all dies nur, weil ein unscheinbares Geräusch, kaum einzuordnen, ihre Aufmerksamkeit für sich beanspruchte. Aye, das habe ich. Vertraue deinem Gehör.
    Es gab in seinen Zügen kein Verrat eines solchen Wesens, das mit Herzklopfen schwankte, zweifelte und überlegte zu fürchten und zu flüchten oder in Neugier verharrend war. Sein Weg war ein dritter, den er vermittelte: Furchtlosigkeit. Sein Körper war so angespannt, als zöge eine mächtige Hand einen Bogen bis zum Zerbrechen an und es wollte scheinen, dass solchen Gewalten der Natur gegenüber gäbe es kein Hindernis, und wer nicht die Kraft hatte, sein Leben im Kampf zu wahren, der musste es verlieren. Seine Hand wies in die Richtung, aus der er vermutete, es vernommen zu haben.
    Seiner Meinung nach sollte er sie schleunigst in Sicherheit bringen: weder sollten sie darauf warten, was der Ursprung war, stehen bleiben, um zu lauschen, noch sollten sie versuchen, dem nachzugehen. Aus diesem einfachen Grund, denn ihr Leben war kostbarer als jede Befriedigung der Neugierde, ergriff der Mira'Tanar sie sachte am Handgelenk. Komm, Yarea, verweilen wir nicht.

  • Die Cath stand ruhig da, lauschend, darüber grübelnd, was dieser Laut wohl gewesen sein könnte. Längst hatte sie sich an die Geräusche gewöhnt, die die Stadt nachts von sich zu geben pflegte. Die schlagenden Türen, das Geschrei, gelegentlich das laute Schnarchen einer Person, der der Weg zu ihrem Bett zu lang erschienen war und sich lieber gleich auf dem Pflaster zur Ruhe legte. Doch all dies bot ihr keine Erklärung, und weckte somit ihre Neugierde. Doch so sehr sie ihr Gehör anstrengte, das sanfte Säuseln der Brise hatte kein weiteres Geschenk für sie.
    Sie brach ihre Überlegungen überrascht ab, als sie eine Berührung am Handgelenk wahrnahm. Den Impuls unterdrückend, zurückzuzucken, sah sie auf, dem vergessenen Begleiter in das schattige Antlitz. Sie musste ob ihrer selbst lachen.


    "Habt ihr eine Erklärung für diesen Laut, Mallalai? Meinen Ohren ist er fremd, ich kann ihn nicht einordnen." Fragte sie ihn, rührte sich aber trotz seiner Aufforderung nicht vom Fleck. Drohte die späte Stunde sie vorher noch langsam, schleichend zu überwältigen, war sie nun wieder hellwach, bereit sich in ein neues Abenteuer zu stürzen, nachdem sich jenes am Hafen als kurz, aber lohnend erwiesen hatte.

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