Die Türme der Magie (alt)

  • Kyreia verfolgte die Situation leicht irritiert. Sie hatte angenommen, es würde weitaus schwieriger werden, einen Yassalar in die magische Akademie zu bringen - auch mit ihr an seiner Seite. Dem war nicht so, wie sie nun feststellte. Dem Yassalar wurden hier keinerlei Vorbehalte entgegen gebracht, sodass er auch ohne ihre Hilfe in die Akademie gelangen würde. Die Elfe merkte, wie das Gefühl der Enttäuschung mehr und mehr in ihr wuchs, als sie realisierte, was dies bedeutete: ihre Abmachung war hinfällig geworden, da sie Zeciass nicht geholfen hatte, in die Akademie zu gelangen. Somit war er nicht gezwungen, seinen Teil der Abmachung einzuhalten und wiederum ihr zu helfen. Was sollte sie nun tun? Sollte sie darauf vertrauen, dass er sie dennoch hinein brächte? Wieso sollte sie auf die Ehre eines Yassalar vertrauen? Er hatte bekommen, was er wollte. Ihr zu helfen, würde ihm keine Vorteile mehr einbringen. Im Gegenteil würde es seine Aufnahme womöglich noch gefährden.

    Nachdenklich musterte die Priesterin Zeciass. Sie hatte ihn erst vor wenigen Augenblicken kennengelernt. Mittlerweile hatte sie ihre Vorteile Yassalar gegenüber zurücknehmen müssen, hatte er sich doch anders verhalten, als sie erwartet hatte. Dennoch blieb er ein Fremder, der gewiss sein Vorhaben nicht für sie opfern würde.


    Sie musste sich selbst darum bemühen, in die Bibliothek zu gelangen. Mit der Hoffnung, dass ihr ebenso viel Glück beschieden sein mochte, wie Zeciass, fragte sie: "Ich wäre sehr daran interessiert einen Blick in Eure Bibliothek zu werfen. Wäre es möglich dieses Gesuch ebenfalls bei Meister Varanor vorzubringen?" Während sie sprach, klopfte ihr Herz vor Aufregung, dass sie meinte es beinahe hören zu können. Der Versuch, ihre Anspannung nicht zu zeigen, kostete sie einige Mühe.


    Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bevor der Gnom letztlich antwortete: "Ich denke, das ließe sich einrichten. Wie war noch gleich Ihr Name? Und wollen Sie gemeinsam zu Meister Varanor?" Er deutete mit seiner Rechten abwechseln auf Zeciass und sie.
    Kyreia hatte nicht bemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte, doch nun atmete sie vor Erleichterung hörbar aus. Vielleicht hatte sie sich zu viele Gedanken gemacht? Schnell besann sie sich. Noch hatte sie keine Erlaubnis die Bibliothek zu betreten.


    Sie wiederholte Ihren Namen und wandte sich dann an Zeciass. "Was meint Ihr? Dürfte ich euch zu Meister Varanor begleiten und euch bis dahin Gesellschaft leisten?" Vielleicht hätte sie dann die Gelegenheit, ihn und sein Volk besser kennenzulernen und herauszufinden, wie das Wesen der Yassalar wirklich war.

  • Die Haut des Yassalar glühe beinahe rötlich im Feuerschein, während ihm die trockene Kammerluft die Kehle vertrocknete. Mit mildem Interesse hörte er, dass auch ihrem Vorhaben weniger Hindernisse im Weg standen, als sie erwartet hatte.
    Was war das für ein Ort, an dem sich sogar eine magische Akademie so blind jedem Risiko preisgab? War dieser Varanor ein kompletter Narr - oder war dies ein ausgeklügelter Test?


    Seine Unsicherheit verwirrte und verärgerte ihn. Nein, keines dieser Geschöpfe dürfte in der Lage sein, eine derart ausgefeilte Täuschung zu bewerkstelligen. Dies musste die Schwäche sein, die es seinem Volk so leicht machte auf dem Weg zur allumfassenden Herrschaft.


    Kyreia richtete ihre Frage an ihn und riss ihn damit aus seinen Überlegungen.
    Ihn begleiten?


    Der Gedanke erschien ihm grotesk, müsste sie dazu doch in den Fluss steigen. Ihre Lungen würden sich schneller mit Wasser füllen, als... oder erwartete sie etwa, er würde an Land warten und schlafen? Bei Dunkelheit in irgendeiner zwielichtigen Absteige, hilflos auf dem Trockenen wie ein Fisch, der einmal zu hoch und zu weit gesprungen war...


    Andererseits... ja, andererseits würde er seine Zeit in sehr aufschlussreicher und gewiss nicht unangenehmer Gesellschaft verbringen. Konnte es denn schon von Nachteil für ihn sein, dafür seine Zeit bei diesem Varanor zu teilen?


    "Begleitet mich, wenn ihr wollt", nickte er Kyreai galant zu und räusperte sich dunkel. Er wollte nicht länger als nötig in dieser staubigen Zelle verbringen. Ungeduldig fixierte er den Gnom. "Nennt uns ein gutes Gasthaus." Mit einem Lächeln, das nur entfernt an Freundlichkeit erinnerte, fügte er hinzu: "Bitte."


    "Das Gasthaus zum Korallenriff", kam die Antwort rasch über die Lippen des Gnoms, wenn man ihm die Verwirrung über den Wandel der Tonlage auch ansah.
    "Dann werden wir dort zu finden sein", schloss Zeciass. Er wandte sich zur Tür, um den überheizten Raum zu verlassen. In der Bewegung streifte seine Hand Kyreais Ellenbogen. Ob Zufall oder Aufforderung, ihm rasch zu folgen, blieb dabei jedoch unklar.

  • Für einen kurzen Augenblick war die Elfe froh über die Antwort des Yassalar, sie könne ihn begleiten. Doch ihr entging keineswegs der Unterton und das merkwürdige Lächeln, das Zeciass zeigte, als er sich erneut dem Gnom zugewandte. Waren dies Zeichen von Ungeduld oder tatsächlich von Unfreundlichkeit oder gar Ablehnung dem Fremden gegenüber? Kyreias Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Zeciass sich unerwartet rasch zum Gehen wandte. Seine Berührung an ihrem Ellenbogen deutete sie als Zeichen ihm zu folgen und das tat sie. Doch zuvor nickte sie dem Gnom noch dankend und zum Abschied zu und sagte: "Vielen Dank für Eure Hilfe. Wir freuen uns darauf von Euch zu hören." Es schien Ihr angemessen, sich freundlich zu verabschieden, da sie noch immer befürchtete, der Gnom würde es sich anders überlegen. Insbesondere nach dem merkwürdigen Verhalten Zeciass', das ihm gewiss nicht entgangen war.


    Erst während sie dem Yassalar nach draußen folgte, dachte sie darüber nach mit ihm in ein Gasthaus einzukehren. Der Gedanke an ein überfülltes, lautes Gasthaus behagte ihr nicht. Daran hatte sie nicht gedacht, als sie ihm vorgeschlagen hatte, ihm Gesellschaft zu leisten. Doch der Gnom würde sie dort erwarten, sodass sie nun keinen anderen Ort mehr vorschlagen konnte. Sie versuchte, sich ihr Unwohlsein nicht anmerken zu lassen und hoffte insgeheim, dass nicht allzu viele Gäste den Weg in das Gasthaus gefunden hatten.


    Dass der Gnom Ihnen das Gasthaus zum Korallenriff vorgeschlagen hatte, war wiederum sehr gut, da Kyreia in ebendiesem vor ein paar Tagen ein Zimmer genommen hatte. Das bedeutete, sie musste nun nicht noch ihr Hab und Gut holen und würde ihr Pferd in ihrer Nähe wissen. Darüber hinaus kannte sie den Weg.


    Als Kyreia aus dem Gebäude hinaus trat, bemerkte sie, wie dunkel es inzwischen geworden war. Das Licht der Zaubermuscheln verströmte eine angenehme Helligkeit. Kyreia mochte die Nacht, auch wenn sie mit bloßem Auge hier unter der Kuppel die Sterne nicht sehen konnte. Die bloße Vorstellung, dass sie im Moment dort oben funkelten, gab ihr ein gutes Gefühl. Ein Gefühl der Sicherheit, weil Liaril zu dieser Zeit mehr denn je über sie wachte. Sie hielt kurz inne und schaute hinauf gen Himmel. Dann wandte sie sich wieder Zeciass zu. "Es freut mich, dass ich Euch begleiten darf", gestand sie aufrichtig und ignorierte sein Verhalten kurz zuvor. In der Hoffnung, dass sie sich einfach geirrt hatte.


    "Dann gehen wir also zum Gasthaus zum Korallenriff." Sie versuchte die Unsicherheit aus ihrer Stimme zu verbannen, was ihr vermutlich nicht gänzlich gelang. Dennoch schlug sie zielstrebig den Weg Richtung Gasthaus ein. "Wieviel habt Ihr von Nir'alenar bereits gesehen? Kennt Ihr Euch hier gut aus?", fragte sie nach einigen Schritten.

  • Die kühle Nachtluft schlug um ihn zusammen. Tief einatmend sondierte er argwöhnisch die Umgebung, doch noch immer war das nächtliche Pflaster ruhig und nur wenige Menschen eilten leise die Straße entlang.
    Er bemerkte zufrieden, dass die Priesterin ihm gefolgt war und folgte seinerseits ihrem Blick zur Kuppel. Ein schwarzes Gemisch aus Schatten, das kaum die Bezeichnung 'Himmel' verdiente.


    "Die Freude ist meinerseits", lächelte der Yassalar.
    Kyreia wandte sich zum Gehen und schon sprudelten erneut Fragen aus ihr hervor. Seine Bewegungen verschmolzen mit der Nacht, als er sie mit raschen Schritten einholte. Seine linke Hand auf ihre rechte Schulter legend, hielt er sie zurück. Der Stoff fühlte sich glatt und warm an und ihre Schulter erschien ihm zarter, als er es je bei einer Yassalar gespürt hatte.
    Unvorbereitet traf ihn das Verlangen, ihren Körper gänzlich zu erforschen. Sie nicht einfach nur als unterlegen und feindlich, sondern als exotisch zu betrachten, beeinflusste seine Sinne so grundlegend, dass es ihn selbst überraschte.


    Der Moment schoss vorüber wie ein Schwarm Silberbaben und schon hatte seine Bewegung die Priesterin zu sich gedreht. Während seine Rechte an ihrem Oberarm lag und sein Blick in ihren tauchte, sprangen ihn sowohl sein Verlangen, als auch sein dunkler Drang förmlich an. Der Entzug, keines von beidem zuzulassen, ließ die Gedanken in seinem Kopf umher schwimmen. Mühsam machte er sich klar, dass er sie nicht einfach an Ort und Stelle nehmen konnte.
    "Wartet kurz... ich bin gleich zurück." Fast schon zu ruckartig ließ er von ihr ab. "Ich muss noch einmal zum Fluss. Meine Sachen holen." Die Erregung hatte Spuren an ihm hinterlassen, die nur die Dunkelheit kaschieren konnte.

  • Als Kyreia plötzlich und vollkommen unerwartet die Hand auf ihrer Schulter spürte, spannte sie sich erschrocken an. Dennoch ließ sie es zu, dass Zeciass sie zu sich umdrehte und schaute ihm trotz ihrer Anspannung fest in die Augen. Sie musste sich erneut eingestehen, dass sein Verhalten merkwürdig war. Doch so sehr sie seine mysteriöse und wechselhafte Art beunruhigend fand, so anziehend fand sie ihn zugleich. Seine Berührung war ihr nicht vollkommen unangenehm. Sie versuchte diese Tatsache zu ignorieren. Kyreia hatte einen Auftrag zu erfüllen und Freundschaften oder gar Liebschaften wären hinderlich dabei, rief sie sich erneut ins Gedächtnis. Sie würde ihren aufkeimenden Gefühlen also nicht nachgeben. Als Nordelfe gelang es ihr, sie zumindest nicht zu zeigen.


    Und so erwiderte sie nichts, als er sie ruckartig los ließ, sondern nickte nur knapp. "In Ordnung. Ich werde hier warten." Dann zwang sie sich selbst, sich wieder zu entspannen. Wahrscheinlich waren ihre Gefühle lediglich auf ihre Neugierde sowie ihr Interesse auf alles Unbekannte zurück zu führen. Noch nie zuvor hatte Kyreia einen Yassalar getroffen. Das Fremde an ihm musste sie faszinieren und ihn in ihren Augen anziehend erscheinen lassen. Sie würde also einen interessanten Abend verbringen und mehr über die Yassalar erfahren. Mehr nicht. Innerlich weniger aufgewühlt, schaute sie Zeciass hinterher.

  • Während er mit weit ausgreifenden Schritten die Distanz zum Fluss überwand, fühlte er sich mehr denn je wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    Sein Unwissen über die Frauen jenseits der See war ein Problem. Normalerweise erkannte er die kleinen Zeichen, die ihm verrieten, welche Vorgehensweise ihm zum Erfolg verhelfen würde.
    Diese Priesterin jedoch... entweder sie beherrschte sich in einem Maße, wie eine Yassalar es nicht vermocht hätte... oder er war blind für ihre Signale.
    Beide Möglichkeiten waren beunruhigend. War es reines Glück gewesen, dass er zur richtigen Lüge gegriffen hatte, um ihr Zutrauen zu gewinnen?


    Der Sprung ins dunkle Nass kühlte seinen Kopf und sein Gemüt. Einige Sekunden ließ er unbewegt die kühlen Finger der Strömung an sich entlang streichen. Tief sog er die Kälte mit seinen Kiemen ein und stieß sie kraftvoll wieder aus.


    Nur wenige Meter entfernt schwang sein Tragnetz an einem Pfosten. Er zog es über die Schulter und stieß sich vom Boden ab. Das Wasser klammerte sich noch einen Moment an ihn, dann verlor es seine Kraft und er stemmte sich auf die Ufermauer. Im entfernten Schein sah die schlanke Schönheit warten.


    Ein Fisch auf dem Trockenen? Das war unter seiner Würde. Er war kein Schwächling, der verwirrt zappelte, kaum dass man ihn aus seinem Element riss. Er war ein Yassalar, ein Jäger. Er suchte sich seine Beute, ob zu Wasser oder an Land - und was immer an Geschick, Kraft oder Verstand dazu nötig war, das würde es aufbieten.
    Die erste Frau in seinem neuen Jagdgebiet wartete bereits auf ihn.



    Mit einer Hand das Netz über seiner Schulter haltend, näherte er sich Kyreia. Seine Schritte waren dabei so entschlossen und sicher wie er es von sich gewohnt war und es entlockte ihm ein zufriedenes Lächeln. Was anderes konnte sie schon in ihm sehen außer Perfektion? Kein Schwanken, keine unnützen Bewegungen und ein Körper, vor dem jeder Mitstreiter nur neidisch erblasste...


    "Lasst uns gehen, Kyreia", nickte er ihr zu. "Es wartet eine angenehme Nacht auf uns."

  • Nach seinem Besuch in den Hallen des Wissens fühlte sich Said halbwegs erfrischt. Trotzdem tat es ihm als Gelehrten etwas weh, dass er diesen beinahe heiligen Ort auch zum Schlafen aufgesucht hatte. In der betriebsamen Ruhe der sagenumwobenen Bibliothek war es nicht weiter schwer gefallen die Augen für eine kurze meditationsartige Erholungsphase zu schließen, ehe er sich der nächsten Schriftrolle widmete. Es war – da war er sich relativ sicher – nicht einmal wirklich aufgefallen.


    Ohne seine Lesebrille wurde es ihm allerdings schnell zu mühselig die Texte zu studieren und die Schriften würden ihm nicht davonlaufen. Also erhob er sich etwas schwerfällig, um sich dem nächsten Punkt auf einer langen Liste geschichtsträchtiger Orte aufzusuchen. Die meisten davon gab es, wie er zu seiner großen Freude festgestellt hatte, noch immer oder vielleicht auch wieder. Wenn auch womöglich in etwas anderer Form, wie damals, als er sie aus der Ferne vom Deck eines Segelschiffs aus gesehen hatte.


    Die sechs Türme, die er kurz darauf erreichte, schienen sich jedoch nicht verändert zu haben. Fest – oder in manchen Fällen auch scheinbar alles andere als das – wie eh und je standen sie vor ihm. Ihnen endlich so nah zu sein, der Anblick war atemberaubend! Allein die Magie, die sie ausstrahlten hätte schon ausgereicht, um ihn schwindlig zu machen und so viel Ehrfurcht sah man wohl selten im Blick des alten Djirin. Obwohl, seit seiner Ankunft auf der Insel, war er sich da gar nicht so sicher…


    Dies war also das Zentrum der Magie Beleriars, vielleicht der Welt. Die Aura reichte um eine Saite tief in ihm zum Schwingen zu bringen. Wieviel herrlicher musste es sein diese Gebäude, die von der Macht der Elemente geradezu brummten, zu betreten? Unsichtbare Schilde hielten ihn davon ab es herauszufinden. Vielleicht zum Glück und um sich nochmals als Zauberlehrling zu versuchen war er nun wirklich zu alt. Dennoch vermochte er es nicht seine dunklen Augen von den phantastischen Gebilden zu lösen. Noch nicht jedenfalls…

    Zauberei ist die Soße, die Dummköpfe über ihre Fehler gießen, um damit den Geschmack ihrer Unfähigkeit zu überdecken.


    George R. R. Martin

  • Die Türme der Magie... Über alle Massen beeindruckt stand die hochgewachsene junge Frau vor den gewaltigen Gebäuden. Jedenfalls so nah, wie es ihr aufgrund des magischen Schutzschildes möglich war. Wie alle Djirin konnte auch sie die Magie fühlen, die von den sichtbaren sowie auch unsichtbaren Mauern ausging.


    Der schwarze Schleier verbarg ihren ehrfürchtigen Gesichtsausdruck nur unzureichend. Voller kindlichem Staunen und Entzücken betrachtete sie die Wunder der magischen Akademie Beleriars. Die sechs Türme repräsentierten die Zweige der Magie. Dort war der Erdturm, von der Basis bis zur Spitze überwuchert. Djasihra meinte, die aufstiebende Gischt des Wasserturmes auf ihrer Haut zu fühlen. Dahinter glühte das ewige Feuer, daneben die blendende Helle, tiefste Dunkelheit, tosende Stürme.
    Dieser Ort liess das Herz der Djirin jubilieren, sie spürte aber auch gleichermassen das Lechzen ihres Blutes nach mehr. Mehr Magie, mehr Gefühl, mehr Leben. Wenn sie doch nur hineinkönnte!


    Unmittelbar vor ihr, hinter dem magischen Schild, waren plötzlich erboste Stimmen zu hören. Djasihra verstand nicht, was sie sagten, doch die beiden jungen Männer in einfacher Kleidung waren sich offensichtlich nicht ganz grün. Noch bevor sie irgendwie reagieren konnte, hob der eine die Hände und kurz darauf knallte es. Gleissendes Licht und das Vibrieren der Magie liessen die Djirin erschreckt zurückspringen, nicht ohne dabei ein Laut des Entsetzens auszustossen, gefolgt von einer Reihe Flüche in ihrer Muttersprache.


    "Vermaledeite Idioten von Inselbewohnern. Man könnte wirklich meinen auf dieser verdammten Insel gäbe es keine Handvoll normaler Leute mehr. Solange können die doch noch gar nicht von der restlichen Welt abgeschnitten sein, um bereits so massiv zu degenerieren. Man müsste meinen, die ganze Geschichte mit der Schüssel und den paar hundert Körperlängen Meer über ihnen hätte sie eines besseren belehrt. Denkste. Deppen, allesamt." Murmelte die Djirin vor sich hin. Nicht im Traum wäre ihr eingefallen, dass es auch unter der Kuppel Leute geben könnte, die Djiradhai verstanden.

  • Ehrfurchtsvoll legte Said seine flache Hand auf das Kraftfeld und fühlte
    die undurchdringliche Magie in seinen Fingern kribbeln. Die Augen fest
    auf den von Sprühnebel umhüllten Turm, der scheinbar nur aus fließenden
    Wasser bestand, gerichtet, war er für einen Herzschlag ganz der Djirin,
    der er vor langer Zeit gewesen war. Für einen Moment akzeptierte er
    seine Liebe zur Magie wieder als selbstverständlichen Teil seiner
    selbst. Dann rissen ihn harsche Worte, die der Schild zu sehr verzerrte,
    um sie noch problemlos verstehen zu können, aus dieser sonderbaren
    Stimmung.


    Ein nostalgisches Lächeln schlich sich auf die Lippen des alten Mannes.
    Es war lange her, dass er einen Zauber so unbedarft eingesetzt hatte.
    Andere Beobachter taten das Verhalten der streitenden Jünglinge nicht
    einfach als harmlos ab. “Sie sind jung“, meinte er an eine
    Frau, die zwar gedämpft aber ziemlich erbost schimpfte, gewandt, als
    ließe sich damit jede Form der Dummheit erklären und entschuldigen. Erst
    als er sich halb zu ihr gewandt hatte und sie sah, fiel ihm auf, dass
    er gerade Djiradhai gesprochen hatte.


    Da ihn die vergangenen Jahrhunderte wieder sicherer im Umgang mit seinen
    Landsleuten gemacht hatten, zuckte er kaum mit der Wimper ehe er in
    ausgesucht unverfänglichen Ton fortfuhr: “In ihrem unreifen Alter
    ist es schwer sich zu beherrschen. Wieso sollte ihre Magiebegabung sie
    davon ausnehmen? Eine vernünftige Akademie hat deshalb sowas.“
    Wieder strich Said mit der Hand über die Barriere und drohte sich einen
    Augenblick lang in ihrer Macht zu verlieren. Kein Zauber würde sie ohne
    weiteres durchdringen und es war nun wirklich nicht so, als ob die
    jungen Leute versucht hatten die halbe Stadt in Schutt und Asche zu
    legen.


    Mit einem gewinnenden Lächeln versuchte der Djirin die Dame von ihrem
    Ärger abzulenken. Er musste zugeben, dass sie ihn auf recht angenehme
    Weise an seine verlorene Heimat erinnerte. Vor allem die von einem
    zarten schwarzen Schleier untermalten Augen, so etwas fand man bei den
    anderen Völkern viel zu selten…

    Zauberei ist die Soße, die Dummköpfe über ihre Fehler gießen, um damit den Geschmack ihrer Unfähigkeit zu überdecken.


    George R. R. Martin

  • Der vertraute und doch mittlerweile fremd gewordene Klang ihrer Muttersprache liess die Djirin überrascht aufsehen. Nicht weit von ihr stand einer aus ihrem Volke! Djasihra fragte sich, wie sie ihn hatte übersehen können. Er war gross, dazu die gebräunte Haut und Augen so dunkel wie Obsidian. Ohne Zweifel, er musste aus ihrer Heimat stammen.


    "Jung bin ich auch, doch Jugend sollte nicht gleichbedeutend sein mit Leichtsinn."
    Antwortete die hochgewachsene junge Frau, dann trat sie mit offenem, neugierigen Blick auf den Fremden zu. Sie bemerkte die silbernen Schläfen, die Spuren der Zeit im Gesicht ihres Gegenübers. Dieser Mann musste älter sein, für menschliches Verständnis wahrscheinlich sogar ziemlich alt. Sehr interessant.Als der Fremde sie anlächelte, erwiderte sie diese Geste unwillkürlich. Selbst der schwarze Schleier konnte die Freundlichkeit und das neugierige Interesse in ihrem Gesicht nicht verbergen.


    "Mir graut es davor, Magier auf der Insel zu haben, die einen Schutzschild um sich herum benötigen um nicht ein Teil der Stadt zu zerstören. Grosse Macht bedeutet auch grosse Verantwortung." Ihre Stimme klang für einen Moment lang ernst, bevor sie zu ihrer üblichen fröhlichen Lebhaftigkeit zurück kehrte, "ich bin übrigens Djasihra."

  • Die junge Frau schien nicht weniger überrascht darüber jemanden aus ihrer Heimat zu treffen, wie er es war. Einen Augenblick überlegte Said welche Gründe wohl sie gehabt hatte einen solch entlegenen Ort aufzusuchen, doch Abenteuerlust war bei seinem Volk nichts ungewöhnliches und wer nicht schon auf dieser Insel geboren war, war am ehesten aus Zufall hier gestrandet.


    “Knaben müssen manchmal ihre Kräfte erproben. Ich hatte in jungen Jahren einen sehr begabten Freund, da finde ich das Bisschen Funkenflug nicht weiter tragisch. Natürlich kann und sollte man versuchen die überschüssige Energie in kontrollierte Bahnen zu lenken, aber das gelingt eben nicht immer“, erklärte er mit einem milden Lächeln und ohne zu bemerken, dass er die Streithähne, indem er sie als Knaben bezeichnete, jünger machte, als sie waren.


    Der alte Herr erwiderte das freundliche Lächeln, auch wenn der Ausdruck in seinen Augen wehmütig blieb. Bei ihren weiteren Worten wurde seine Miene jedoch schnell ernst. “Einen solchen Schutzschild kann wohl jeder Magier gut gebrauchen und der Verantwortung bin ich mir durchaus bewusst. Sie kann zu groß sein, als dass ein sterbliches Wesen sie tragen könnte. Ich bin Said verehrte Djasihra.“

    Zauberei ist die Soße, die Dummköpfe über ihre Fehler gießen, um damit den Geschmack ihrer Unfähigkeit zu überdecken.


    George R. R. Martin

  • Es tat gut sich ihrer Muttersprache bedienen zu können. Obwohl es ihr in den meisten Fällen nichts ausmachte, dass sie die Inselsprache mehr schlecht als recht beherrschte, war sie doch froh sich ausnahmsweise einmal nicht wie ein ungehobelter Klotz anzuhören. Dieser Said weckte in Djasihra die Sehnsucht nach der Oberwelt, nach ihrer Heimat.


    Ihre Einschätzung ob des Alters des Djirin schien sich zu bestätigen, als er die beiden Halbstarken als Knaben bezeichnete. Eine Eigenheit, die meist mit fortschreitendem Alter kam. Die Dunkelhaarige musste schmunzeln. Wenn Said tatsächlich so alt war wie sie ihn schätzte - also irgendwo zwischen 175 und 225 - wäre sie mit ihren lächerlichen 28 Jahren wohl auch nicht viel mehr als ein kleines Mädchen für ihn. Hinter der in Würde gealterten Gestalt mussten sich viele spannende Geschichten verbergen.


    Djasihra zuckte die Achseln. "Davon weiss ich wenig. Obwohl ich wie alle anderen den Ruf der Magie im Blut habe, kann ich selbst keine wirken. Vielleicht stelle ich mir das zu einfach vor. Und ich selbst befolge diese Grundsätze auch eher selten, wenn ich tatsächlich einmal ein Artefakt finde. Aber dann bin ich meistens allein und gefährde nur mich selbst."

  • Ein flüchtiges Lächeln huschte über Saids Züge, als er darüber nachdachte, dass die Djirin wohl durchaus Recht hatte. Auch sie war jung: Gewiss noch keine 50, vielleicht auch nur halb so alt. Die Zeit hatte also gerade erst begonnen weniger Einfluss auf ihren Körper zu nehmen, als auf den kurzlebigerer Völker. Warum also sah er sich dazu berufen die Jugend vor ihr zu verteidigen? Oder ging es eher um ihn selbst, und die Fehler, vergangener Jahrhunderte?


    „Ja, der Ruf – der Fluch unseres Volkes. Wenn jemand versucht ist sich von der Magie beherrschen zu lassen, dann sind wir es. Der Glaube die Leere in uns wäre unerträglich und die Bereitschaft sie mit allem zu füllen, dem wir habhaft werden, öffnet dem Wahnsinn Tür und Tor. Ich habe Zauberer gesehen, die auf ihren Verstand verzichtet haben, um sich ganz der Magie hingeben zu können – in der festen Überzeugung das Richtige zu tun und dass sie ihren Beitrag für unser Land bereits geleistet hätten. Das ist vielleicht die schlimmste Form des Leichtsinns und bei uns ist es eine Krankheit des Alters. Lässt man den Wahnsinn erst einmal herein, trägt man ihn bis ans Ende seiner Tage mit sich und wird zur Gefahr für alle…“


    Die eindringlichen Worte hinterließen einen bitteren Geschmack im Mund des alten Djirin und er fragte sich warum er sich dazu hatte hinreißen lassen so viel zu sagen – zu viel zu sagen. Inzwischen hatten sie auch mehr als genug Aufmerksamkeit erregt, groß und auffällig wie sie waren. Es war allerdings nicht anzunehmen, dass außer Djasihra jemand dazu in der Lage gewesen war seinem Monolog zu folgen. „Vielleicht sollten wir über angenehmere Dinge, als diese uralte Frage sprechen. Ihr seid schließlich die erste meines Volkes, der ich in dieser Stadt begegne. Habt ihr vielleicht noch etwas Zeit?“

    Zauberei ist die Soße, die Dummköpfe über ihre Fehler gießen, um damit den Geschmack ihrer Unfähigkeit zu überdecken.


    George R. R. Martin

  • Die sonst so glatte Stirn der Djirin runzelte sich leicht bei Saids Worten. Wollte er damit andeuten, dass jeder Djirin-Magier über kurz oder lang verrückt wurde? Das war eine erschreckende, aber nicht allzu überraschende Theorie. Es würde einige Dinge erklären, die sie selbst erlebt oder aus Geschichten gehört hatte.


    Tatsächlich war es für Djasihra nicht vorstellbar, wie es sein musste, das omnipräsente Verlangen in ihrem Inneren nur mit ihrem Willen, die Magie zu nutzen, stillen zu können. Sie wusste nicht, ob sie einer solchen Verlockung widerstehen könnte. Aber glücklicherweise musste sie sich darüber auch nur wenig Gedanken machen.


    Sie schenkte Said erneut ein herzliches Lächeln, dass ihre Augen funkeln liess. "Ich war gerade auf einem Streifzug durch die Stadt, um mir die beeindruckensten Gebäude anzusehen. Aber ich habe keine feste Verabredung und kann diesen Spaziergang auch auf einen anderen Tag verschieben."

  • Als Said das neuerliche Lächeln der Djirin erwiderte, war es das
    wärmste, das er während ihres bisherigen Gesprächs zustande gebracht
    hatte. “Wie mir scheint gehen wir gerade der gleichen Beschäftigung
    nach. Ihr braucht Euren Spaziergang also nicht unterbrechen, ich werde
    Euch begleiten. Auch wenn ich fürchte, dass ich Euch etwas bremsen
    werde…“


    Im Moment allerdings spürte er den Schmerz in den Gelenken gar nicht
    mehr so arg und auch das Hungergefühl hatte abgenommen. Beides war wohl
    der Wirkung, die die Anwesenheit einer interessanten Frau haben konnte,
    geschuldet. Wenn sie anhielt würde er sich vielleicht als gar kein so
    großes Hindernis erweisen. “Und wenn wir unterwegs eine Kleinigkeit essen könnten, wäre ich nicht abgeneigt“, fügte er an und verzichtete auf einen Hinweis, dass es ihm im Moment kaum Günstig genug sein konnte.

    Zauberei ist die Soße, die Dummköpfe über ihre Fehler gießen, um damit den Geschmack ihrer Unfähigkeit zu überdecken.


    George R. R. Martin

  • Erfreut nickte die Djirin. Wenn der ältere Herr sie begleiten wollte, war ihr das nur recht. Zu lange hatte sie niemanden mehr aus ihrem Heimatland gesehen. Wie lange er wohl schon auf der Insel war? Vielleicht konnte er ihr helfen, diese holprige Sprache besser zu sprechen. Im Moment aber fühlte sie sich noch zu wohl dabei, sich ihrer Muttersprache bedienen zu können. Daher beschloss sie, auf einen anderen Teil seiner Bemerkung einzugehen.


    "Etwas zu essen? Das ist eine wunderbare Idee. Nur werde ich mir in dieser Gegend hier leider kaum etwas leisten können. Ich war gerade in einer alten Ruine auf Schatzsuche, als ich statt einer Grabkammer plötzlich diese Insel hier betreten habe. Beinahe alle meine Besitztümer liegen wohl heute noch in der Eingangshalle zu den unterirdischen Höhlen irgendwo mitten in der Wüste." Djasihra verdrehte die hellen Augen, schmunzelte aber dabei. Kein Groll war in ihrer Stimme zu hören - es war eben wie es war. Sich darüber zu ärgern würde ihre Situation kein Stück besser machen.

  • „Ich habe nicht das Geringste gegen ein günstiges Gericht einzuwenden“, versicherte Said mit einem Lächeln. Er hätte jetzt gerne gesagt, dass er die junge Frau ja einladen könne, aber das entsprach einfach nicht der Wahrheit. Also musste er sich damit zufrieden geben, dass sie ebenfalls knapp bei Kasse war und er sich deshalb keine Blöße geben musste. Zwei Djirin, die es mittellos auf diese verborgene Insel verschlagen hatte, die Gemeinsamkeit ließ ihn schmunzeln. Wobei, er hatte wohl zu aktiv darauf hingearbeitet, als dass man sagen konnte es hätte ihn hierher verschlagen.


    „Habt ihr eine Idee, wo wir etwas zu essen bekommen? Ich richte mich da ganz nach Euch. Und die Geschichte Eurer… Reise nach Beleriar hört sich interessant an. Wie ist es Euch hier in der fremden Stadt ohne Gold ergangen?“

    Zauberei ist die Soße, die Dummköpfe über ihre Fehler gießen, um damit den Geschmack ihrer Unfähigkeit zu überdecken.


    George R. R. Martin

  • Die hochgewachsene Djirin registrierte Saids Antwort mit Interesse. Obwohl sie sich nichts anmerken liess, verriet ihr seine Antwort doch einiges. Sie hatte ihn hier bei den Türmen angetroffen und seiner Aussage nach war er ebenfalls dabei, die Stadt zu erkunden. Er schien nichts gegen ein einfaches, kostengünstiges Mal zu haben, also hatte er wohl selbst nicht allzu viele Mittel zur Verfügung. Neugier blitzte in ihren Augen, doch sie hielt sich noch zurück.


    Sie zuckte leichthin mit den Schultern. "Ein bisschen Gold hatte ich glücklicherweise dabei. Die magische Anomalie, das Portal oder wie auch immer man es nennen mag, lag mitten in einem Grabkomplex. Netterweise war ein Teil der Schätze bereits vor dem Portal. Seltsamer Zufall, nicht war? Und dann bin ich mehr oder minder zufällig in ein kleines Abenteuer gestolpert. Zusammen mit einer recht bunten Truppe habe ich einen Einbrecher ausfindig gemacht. Die Belohnung hat mir ebenfalls geholfen, über die Runden zu kommen. Zu guter Letzt verdiene ich mir die eine oder andere Nacht mit Kost in einer Taverne, in dem ich dort Geschichten erzähle. Das ist sowas wie meine Passion. Ich rede gerne und viel." Sie schmunzelte und zwinkerte dem Djirin zu.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!