Weihrauch und Orakelsteine

  • Während die Frau sprach, hatte Shiya erneut das Gefühl, dass ihre Stimme kalt klang. Wahrscheinlich hatte sie eine Valisar vor sich. Aber das spielte für die Cath'shyrr keine Rolle, denn das was sie sagte, interessierte Shiya viel mehr, als wie sie es sagte. Nachdenklich hörte sie zu, was die Valisar ihr erklärte. Ob die Frau auch in der Lage war, herauszufinden wie sie nach Beleriar gelangt war? Das war schließlich das Einzige in ihrer Vergangenheit woran sie sich nicht erinnern konnte, was sie nicht verstand. Ein kleiner Hoffnungsschimmer überkam sie.


    Shiya nickte und erwiderte: "Tatsächlich habe ich ein paar Fragen." Sie machte eine kurze Pause. Darüber zu sprechen kostete sie Überwindung, denn diese Lücke in ihrem Gedächtnis empfand sie als Schwäche. "Könnt Ihr mir sagen, wie ich nach Beleriar gelangt bin? Meine Erinnerung spielt mir in dieser Hinsicht Streiche..."


    Erneut machte Shiya eine Pause, um ihre Gedanken zu ordnen. Falls diese Frau ihr alle Fragen würde beantworten können, hätte sie endlich Frieden. Sie nickte wieder - beinahe, als ob sie sich Mut machen wollte. "Außerdem würde mich interessieren, ob ich irgendwann an die Oberfläche zurückkehren werde oder, wenn nicht, was mich hier erwartet." Ob ich hier glücklich werden kann, fügte sie für sich hinzu. Shiya lächelte der Valisar zu. Es war ein angespanntes, leicht nervöses Lächeln.

  • Silene nickte, dann beugte sie sich leicht vor um der Cath'shyrr etwas näher zu sein. Ihre Augenpaare waren nun nur noch eine Elle voneinander entfernt. Ihre Stimme war bestimmt und ernst, doch weder kälter, noch wärmer als zuvor.


    "Wie ihr nach Beleriar gelangt seid, das mag ich euch vielleicht sagen können, doch ob ihr wieder an die Oberfläche gelangen könnt, entzieht sich meinem Blick. Die Götter lassen sich nicht gerne in die Karten sehen.", erklärte Silene offen und lehnte sich wieder zurück. Einen Moment dachte sie nach, dann streckte sie ihre linke Hand mit der Handinnenfläche nach oben zu ihrem Gegenüber aus.


    "Gebt mir Eure Hand und sagt mir Euren Namen, so will ich es versuchen.", sagte sie, etwas leiser als zuvor. "Doch ich möchte vorher noch eines sagen: Manche Erinnerungen sind mit Recht nicht zugänglich für ihren Besitzer, denn sie würden ihm schaden. In dem ich sie auf mich nehme, bin ich wie ein Buch für Euch. Ihr könnt es erfahren, aber wie weit Ihr lest, bleibt Euch überlassen."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Nun da die Frau sich zu Shiya beugte, konnte die Cath'shyrr deutlich erkennen, dass sie eine Valisar vor sich hatte. Und obwohl diese eine kühle Ausstrahlung besaß, strahlte sie ebenso eine geheimnisvolle Faszination aus. Die meisten empfanden Mitleid mit den Valisar, doch Shiya tat das nicht. Nichts zu empfinden konnte schließlich auch seine Vorteile haben. Die Valisar sahen dies wahrscheinlich anders, beneidetet diejenigen, die Gefühle besaßen. Obwohl... sie konnte eigentlich keinen Neid empfinden. Shiya schob diese Gedanken beiseite. Es war zu mühsam über so etwas nachzudenken und so konzentrierte sie sich auf das, was die Valisar ihr erklärte.


    Im ersten Augenblick empfand Shiya Bedauern, dass die Frau ihr nicht würde sagen können, ob sie je an die Oberfläche zurückkehren würde. Aber eigentlich spielte das auch keine Rolle. Allein die Information wie sie überhaupt hierhergelangt war, würde ihr schon sehr helfen. Und dadurch konnte sie später vielleicht herausfinden, wie sie zurückkehren könnte.


    Shiya lächelte zufrieden. Die letzten Worte der Valisar, die beinahe eine Warnung enthielten, ignorierte sie. Die Cath'shyrr wollte nur die Informationen. Zu welchem Preis - wenn es einen gab - war ihr egal. Sie streckte der Valisar ihre Hand entgegen, nickte und sagte laut und deutlich: "Mein Name ist Shiya."

  • Silene umfasste die warme Hand der Cath'shyrr und schloss die Augen. Shiya... wiederholte sie im Geiste. Sie spürte, wie sie ruhig wurde und langsam aber sicher in den Zustand driftete, in dem sie ihre eigene Identität für einen Moment aufgab. Es dauerte ein paar lange Atemzüge, ehe sie bereit war.


    Plötzlich und unvermittelt, so wie es immer war, spürte sie den Geist der Cath'shyrr. Ihre Hand umgriff jene Shiyas nun umso fester, fast schon krampfte sie sich zusammen. Silene schlug die Augen auf, die nun eigenartig trüb waren. Für die Dauer dieses Zustandes, und keinen Moment länger, lagen Shiyas Erinnerung und Silenes Geist nahe beieinander. Einen starken Gedanken könnte sie nun erkennen.
    Sie nutzte diese Offenheit nicht aus, sondern wandte sich damit an Shiya.


    "Denkt nun fest daran, war vorher war. Denkt daran, was nachher war. Denkt um Eure Gedächtnislücke herum."

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Die Cath'shyrr fühlte sich tatsächlich ein wenig unbehaglich. Natürlich war sie gespannt und freute sich, dass sich so überraschend eine Möglichkeit geboten hatte, die Lücke in ihrem Gedächtnis zu füllen. Doch nun da die Valisar sie mit leeren Augen ansah, ihre Hand fest umklammert hielt, ließ die Freude ein wenig nach und ihr wurde mulmig. Aber nun hatte sie diese Chance. Wer konnte schon wissen, wann sie sich erneut bieten würde? Vielleicht gar nicht. Und so biss Shiya die Zähne zusammen, schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern, so wie die Valisar es ihr gesagt hatte.


    Und obwohl sie sich nicht gerne an Vergangenes erinnerte, waren die Bilder zunächst klar und deutlich. Shiya erinnerte sich, dass sie tagelang gereist war und endlich eine Stadt erreicht hatte. Ganz genau konnte sie sich an diese Stadt nicht mehr erinnern. Shiya wusste nicht mehr, wie sie hieß - hatte es vielleicht nie gewusst - und was dort passiert war, blieb ebenso verborgen. Ein paar einzelne Bilder von Häusern tauchten auf, doch nichts Konkretes, nichts Wichtiges. Sie hatte das Gefühl je mehr sie versuchte, Klarheit ins Dunkel zu bringen, desto mehr verschwamm ihr alles vor Augen. Also konzentrierte sie sich auf das Später. Als sie mit all ihrem Hab und Gut, was nicht viel war, in der Nähe von Nir'Alenar aufgewacht war. Das wusste sie natürlich damals nicht, ein Reisender hatte es ihr berichtet. Sie hatte sich schlecht gefühlt, benommen und orientierungslos.


    Ein wenig betrübt schüttelte die Cath'shyrr den Kopf und sah die Valisar dann wieder an. Hatte sie ihre Gedanken nun auch gesehen oder würde Shiya erzählen müssen, an was sie sich erinnerte? Fragend sah sie die Frau an. Womöglich hatte sie auch etwas sehen können, was Shiya verborgen geblieben war?

  • Es war mehr als ungewöhnlich, bemerkte Silene innerlich und ihr Blick wurde einen Moment klarer. Es war mühsam gewesen, durch die unwichtigen Gedankengänge und Erinnerungen das Wichtige herauszufiltern. Und sie hatte herausgefunden, was sie erwartet hatte. Ein gähnendes Nichts. Und irgendwo einen Hauch einer Erinnerung. Es war nur ein ganz kurzer Moment in dem ein unscharfes Bild auftauchte und gelich darauf wieder verschwand. Aber Silene hatte es bemerkt.


    Langsam kehrte sie zurück, nahm die Hand zurück und schloss die Augen für einen Moment. Als sie sich gesammelt hatte, war es als wäre nichts geschehen.


    "Wenn ich Euch nun sagen würde, das ich nichts gesehen habe, wärt vermutlich nicht nur geknickt, sondern würdet mich als unfähig bezeichnen. Doch dieses Nichts, dass ich gesehen und doch nicht gesehen habe, hat eine Bedeutung.
    Ich habe Euch bereits erklärt, dass die Götter selten ihre Absichten mir gegenüber offenbaren und das haben sie auch diesmal nicht getan. Doch sie ließen mir das Bild, dass in Eurem Gedächtnis verblieb eine innere Vorstellung von dem, was geschehen ist. Ihr scheint in großer Gefahr geschwebt zu haben, ich sah einen schwarzen Blitz, eine schnelle Bewegung am Rande Eures Gesichtfeldes.
    Und dann, kurz darauf, ein Licht im Dunkel Eurer Bewusstlosigkeit ... Eshiaré."


    Silene legte die Hände auf den Tisch und sah der Cath'shyrr entgegen. Hatte sie begriffen, was das hieß?

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  • Als die Valisar ihre ersten Worte gesprochen hatte, überkam Shiya tatsächlich ein wenig Wut. Nichts war schließlich genau das, was sie ebenso wahrnahm. Das brachte sie also kein Stück weiter. Allerdings schluckte sie ihre Wut herunter. Die Valisar konnte wahrscheinlich nichts dafür und Shiya konnte sich durchaus weiter anhören, was sie zu sagen hatte. Denn sie würde immerhin dafür bezahlen.


    Aufmerksam lauschte sie also den Worten der Frau. Die Wut wich nach und nach Ungläubigkeit ebenso wie Verständnislosigkeit. Die Cath'shyrr verstand nicht, was die Frau ihr damit sagen wollte. Eine schnelle Bewegung am Rande Eures Gesichtfeldes? Bedeutete das, jemand hatte sie überfallen und dann irgendwie nach Beleriar gebracht? Und was meinte die Valisar damit, dass die Götter selten ihre Absichten ihr gegenüber offenbarten? Sollten etwa Götter daran Schuld sein, dass sie hierher gekommen war? Shiyas Gedanken überschlugen sich. Einen Augenblick dachte sie an den Tag ihrer Verbannung zurück. Sollte das hier nun die Strafe Yana'yrias sein? So lange Zeit danach? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen.


    So wandte sie sich mit ihrer Verständnislosigeit erneut an die Valisar. "Ich muss zugeben, dass ich Eure Worte nicht verstehe. Könnt Ihr mir nicht mehr sagen? Wer mich in Gefahr brachte und warum?" Shiya wusste ebenfalls nicht, was Eshiaré bedeutete, doch sie war zu stolz, um das zu fragen.

  • Silene bemerkte einen Hauch von Wut in der Cath'shyrr, doch verstand sie nicht warum. Sollte Shiya nicht froh sein, zumindest etwas von ihrer Vergangenheit erfahren zu haben? Silene spürte ebenso die Verständnislosigkeit, doch im Gegensatz zur Wut, konnte sie mit dieser etwas anfangen.


    "Wer Euch in Gefahr brachte und vorallem warum, erschließt sich mir nicht, nur, dass es etwas mit Magie zutun hatte. Es muss wohl eine dunkle Magie gewesen sein. Oder der Zorn einer Gottheit.
    Ihr scheint körperlich in Gefahr geschwebt zu haben, denn Eure Seele hatte sich bereits von ihm losgesagt und war auf dem Weg zu Moravon, der Herrin der Traumlande.
    Dann sah ich Eshiaré, Engel des Lichtes, Gesandte der Eriadne. Sie muss Euch geschützt haben. Euer Schicksal war es nicht, zu sterben, ihr hattet noch eine Aufgabe zu erfüllen.
    Ich vermute, der einzige Weg Euch zu retten führte unter die Kuppel, fern vom Land aus dem ihr stammt.


    Mehr kann ich Euch nicht sagen. Auch ich bringe mich in Gefahr, wenn ich zu tief in das Reich der Götter sehe."

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  • Zorn einer Gottheit... Diese Worte brannten sich tief in Shiyas Bewusstsein. Yana'yria kam ihr erneut in den Sinn und langsam glaubte sie immer mehr daran, dass die Göttin der Cath'shyrr dafür verantwortlich war, dass Shiya nun auf Beleriar war - tief unter der Meeresoberfläche - und womöglich nie mehr die Sonne sehen würde. Doch schenkte Shiya dem was die Valisar sagte Glauben, so musste sie Eriadne dankbar sein überhaupt noch zu leben. Nur wie konnte sie einer Göttin dankbar sein, die selbst diese Insel im Meer versenkt hatte, die überhaupt dafür verantworlich war, dass es diesen Ort hier gab?


    Später würde Shiya genauer über all das nachdenken, was die Valisar ihr gesagt hatte. Würde noch einmal versuchen zu verstehen. Denn obwohl Shiya nicht viel erfahren hatte, so war es doch genug. Natürlich blieben noch viele Fragen, doch immerhin hatte sie einen Anhaltspunkt, konnte darauf aufbauen und versuchen, mehr herauszufinden. Vielleicht würde sie in die Bibliothek gehen und sich über Magie informieren. Und über ähnliche Ereignisse - so es denn welche gab.


    Die Cath'shyrr war so in Gedanken versunken, dass sie die Valisar für einen Augenblick vergessen hatte. Nun, da sie sich ihrer Gegenwart wieder bewusst wurde, lächelte sie freundlich. "Ich danke Euch für Eure Worte. Sie haben mir sehr geholfen." Shiya überlegte kurz, ob sie noch irgendwelche Fragen hatte, kam jedoch zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall war. Die Frau hatte ihr schließlich alles gesagt, was sich ihr offenbart hatte.


    Also schüttelte Shiya den Kopf und fügte hinzu: "Da ich keine weiteren Fragen habe, könnt Ihr mir nun den Preis nennen, den Ihr verlangt." Noch während sie sprach, griff die Cath'shyrr unter ihren Mantel und ertastete den Beutel mit ihrem Geld und einigen weiteren Gegenständen.

  • Silene meinte etwas würde sie berühren, ein schwacher Hauch einer Empfindung streifte ihre Seele, villeicht war es etwas wie Zufriedenheit? Ich danke Euch für Eure Worte., wiederholte sie in Gedanken Sie haben mir sehr geholfen.
    Die Valisar erinnerte sich zwar haargenau daran, dass die Cath'Shyrr vor Beginn ihres Gesprächs noch erfahren wollte, was sie hier unter der Kuppel erwarten würde. Zugegeben, beinahe wollte Silene Shiya darauf aufmerksam machen, doch dann leuchtete ihr ein, dass es besser war sie mit den neuen Gedanken in ihrem Kopf alleine zu lassen.


    Es war sicher viel, über was sie nachdenken wollte und noch mehr Informationen würden sie vermutlich noch mehr aufwühlen. Einen Moment lang zeigte das Gesicht der Valisar ein kopiertes Lächeln, dann wurde ihr Blick wieder recht kühl und sie streifte sich mit einer eleganten Bewegung eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht.


    "Nun gut. Ihr könnt mich nicht mit Geld bezahlen, doch mit anderen Dingen, anderen Werten. Habt Ihr etwas bei Euch, etwas wie Kräuter, Perlen oder Muscheln?"

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  • Die Cath'shyrr nickte und öffnete stumm ihren Beutel. Hauptsächlich enthielt er Geld, wenn auch nicht sehr viel. Kräuter, Perlen oder Muscheln besaß sie nicht - was sollte sie auch mit solchen Gegenständen? Nachdenklich betrachtete sie den weiteren Inhalt. Das meiste hatte einen persönlichen Wert für sie. Es waren Gegenstände von der Oberwelt, die sie nie aus der Hand geben würde. Beinahe wollte sie schon verneinen, als ihr das Schmuckstück um ihren Hals einfiel. Shiya schloss den Beutel fest und steckte ihn wieder an seinen Platz. Dann glitten ihre schlanken Finger unter den Mantel an ihren Hals und wenig später zog sie eine feine Kette hervor und hielt sie ins Licht.


    Die Cath'shyrr war sich sicher, dass die Valisar so etwas noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Die filigranen, zerbrechlich wirkenden Stränge aus einem edlen Metall, das es hier unten nicht gab, wanden sich um einen Juwelen, in dem alle Farben dieser Welt zu spielen schienen. Durch das Licht, welches auf den Anhänger fiel, wurden viele farbige Punkte auf die Zeltwand gezaubert, die zu tanzen schienen.


    Shiya betrachtete die Kette einen Augenblick. Sie war ein Geschenk von ihrem Vater. Die Cath'shyrr hatte sie zwar aufgehoben, doch sie hatte schon lange keine Bedeutung mehr für sie. Immer wenn sie den Edelstein betrachtete, so kamen all die Erinnerungen hoch, die sie so gerne vergessen würde. Die Valisar hatte ihr geholfen zumindest ein Stück näher an der Wahrheit zu sein. Nun würde sie ein neues Leben hier in Nir'alenar beginnen. Was auch immer nun geschehen würde, so ein Erinnerungsstück empfand sie als hinderlich.


    Shiya reichte der Valisar die Kette. Diese würde gleich merken, dass die Kette, ebenso wie der Anhänger, stabiler waren als sie aussahen. Beinahe nichts würde sie zerstören können. Einen Moment überlegte sie, was für einen Wert so ein Schmuckstück für eine Valisar haben könnte. Aber eigentlich spielte das keine Rolle. Wenn die Frau es nicht behalten wollte, so konnte sie es verkaufen. Shiya vermutete, dass es hier unten noch weit mehr einbringen würde als in Ancathia.


    "Dieses Schmuckstück stammt aus meiner Heimat Ancathia, der Hauptstadt Canthars. Wenn Euch diese Kette nicht zusagt, so bleibt mir nur Geld, um Euch zu bezahlen", erklärte Shiya der Valisar und wartete dann gespannt auf ihre Reaktion.

  • Silenes fachkundige Augen fingen sich in dem schillernden Juwel, sie erkannte die phaszinierende Schönheit dieses Kleinods, wenn es auch auf analytischem Denken beruhte. Außergewöhnlich stabil und gleichzeitig grazil war die Halskette, die immer noch hautwarm war. Irgendetwas haftete dem Schmuck an, eine Erinnerung vielleicht.
    Silene wusste diese Bezahlung zu schätzen, sie würde diese Kette selbst tragen, auch wenn sie das vermutlich wehmütig stimmen würde. Wie gerne sie doch etwas gefühlt hätte beim Tragen dieser Kette...


    "Es scheint mir weitaus mehr wert zu sein, als das bloße Material aus dem es geschaffen wurde.", kommentierte sie und sah Shiya mit einem Blick entgegen, den sie für einen dankenden hielt. Ihre Hand schloss sich vorsichtig um das Schmuckstück. "Ich nehme dieses Kleinod dankend an."

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  • Es gab tatsächlich eine Zeit in der diese Kette weit mehr wert gewesen war als das Material. In dieser Zeit hätte Shiya sie niemals aus der Hand gegeben, nein, nicht einmal jemandem gezeigt. Doch diese Tage waren lange vorüber und sie hatte gewusst, dass sie sich irgendwann von ihr würde trennen müssen. Dieser Moment war nun gekommen. Dieser Moment war genau der richtige, um neu zu beginnen. Natürlich würde Shiya nicht ruhen, bis sie herausgefunden hatte, wie und warum sie nach Beleriar gekommen war. Aber ein solches Erinnerungsstück würde sie dabei nun wirklich nicht brauchen - die schlechten Erinnerungen kamen auch so oft genug.


    Also lächelte die Cath'shyrr freudig. Sie hatte beobachtet wie die Valisar beinahe vorsichtig ihre Hand um die Kette schloss. Und wieder einmal fragte sie sich, was diese Frau empfand, wenn sie ein so kostbares und wunderschönes Schmuckstück in Händen hielt.


    Geschmeidig erhob Shiya sich und ihre gelben Augen blickten die Valisar glücklich an. "Diese Kette hat tatsächlich einen hohen Wert. Doch das, was Ihr mir geben konntet, ist weit mehr wert als dieses Schmuckstück." Die Cath'shyrr reichte der Frau die Hand und fügte lächelnd hinzu: "Ich danke Euch noch einmal. Ich gebe zwar zu, dass ich mit anderen Erwartungen in dieses Zelt gekommen bin, aber durch Eure Worte schickt Ihr mich in die richtige Richtung." Davon war Shiya überzeugt.


    Sie nickte dankend, drehte sich um und trat aus dem Zelt hinaus - mit der Gewissheit doch irgendwann die ganze Wahrheit zu erfahren.

  • Gerade eben verließ eine Frau die Seherin... Mallalai las noch einmal die Zeilen auf dem Schild Scheut Euch nicht und tretet ein noch etwas unschlüssig, aber genau das hatte er im Sinn Denn hier offenbart sich im Kerzenschein, Das Gestern, Heute und Morgen ...Und Ihr erfasst der Welten Gang... Vor Kerzenflamme scheute er ein wenig, aber dies ließ sich überwinden. Noch war er sich auch nicht sicher, ob ihn bestimmte Fragen bewegten, vielleicht drängte es ihn auch nur ein wenig zu reden, tiefsinnige Worte zu hören, zu sagen ... der Mira'Tanar wusste es nicht genau. Aber kam man nicht gerade deswegen zu einer Seherin? Was konnte sie für klare Antworten geben? Nun, vielleicht sah sie wirklich mehr als andere... sonst hätte sie diesen Beruf nicht gewählt ...


    Er trat ein, blinzelte ob dem Dämmerlicht. Mallalai stand eingetaucht in blaues Licht und fühlte sich sofort wohl und zuhause... er schnupperte... wenn man den Geruch außer Acht ließ. Vorsichtig tippte sein Finger an die kleine Glocke am Eingang.

  • "Auf Wiedersehen.", murmelte die Valisar, als die Cath'shyyr schlussendlich ging. Eine interessante Person. Silene fragte sich still, ob Shiya jemals an eine klare Antwort herankommen würde. Ob das Schicksal es gut mit ihr meinte?
    Zwar dachte sie darüber nach, doch berührte sie es nicht. Stattdessen legte sie die Kette in die Truhe, gebettet auf einem seidenen, dunkelblauem Tuch.


    Als der helle Klang des Glöckchens wieder erscholl, saß Silene schon wieder an ihrem Tischchen, hatte sich jedoch gerade erst gesetzt. Trotz des Umstandes, dass sie erst seit kurzer Zeit hier war und dies zudem ihr erster Tag auf dem Markt war, schienen die Kunden nicht auszubleiben.
    Sie zupfte ihren Schleier zurecht und blickte dem Eingang entgegen.


    "Seid gegrüßt, tretet nur ein!", rief sie der Gestalt entgegen, die sie schemenhaft durch die Vorhänge hindurch erkannte. Sie erahnte ein Geschöpf des Meeres dahinter, doch woher diese Ahnung kam wusste sie selbst nicht. Vielleicht war es auch nur ihre Phantasie die vom Meer erzählte.

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Unschlüssig blieb Losifa vor dem blütenweißen Zelt stehen und warf einen prüfenden Blick auf das angebrachte Schild. Eine Seherin? Nun, sie hatte nichts zu tun, war eigentlich nur aus Langeweile über den Markt geschlendert. Sie sollte sie langsam eine feste Arbeit suchen. Doch der Text enthüllte ihr ein Stückchen Geheimnis und Wahrheit, die sich im Dunkel und Unbekannten verbarg.


    Aus dem Zelt klangen Stimmen. Entspannt, das Treiben auf dem Marktplatz genießend, schlenderte Losifa vor dem Eingang auf und ab und vertrieb sich die Zeit, bis der derzeitige Besucher entlassen wurde, indem sie die verschiedenen Leute beobachtete. War nicht eben eine Cath'shyrr an ihr vorbeigekommen? Elfen gab es viele hier...


    Die Stimmen in dem Zelt klangen nach vernebelter Zukunft. Ach, schließlich sah eine Seherin auch nicht immer klar. Soweit Losifa wusste.

  • Mallalai trat näher, aufgefordert durch den freundlichen Ruf. Seinen Umhang hatte er diesmal nicht um sich gezogen, sondern hielt ihn auf dem Arm gefaltet, so dass man deutlich die blau-silberne Haut, die hier noch verstärkt wurde, erkennen konnte, die seichten Schüppchen glitzterten in den Kerzen, die er misstrauisch musterte, und seine perlmuttenen Augen schimmerten aufmerksam und wachsam. Er brachte den Geruch des Meeres mit hinein, ein Wellenrauschen der Brandung und den Mondschein, in dessen Licht er gerade eben noch außerhalb der Kuppel gebadet hatte. Ein wenig dampfte er in der Wärme des Zeltes, unangenehm berührt hoffte er, dass sie darüber hinwegsehen konnte.


    Der Mira'Tanar deutete ein leichtes Nicken an, sank wie ein perlender Wassertropfen auf den Stuhl und sah die Seherin an. Anscheinend erwartete sie nun eine Entgegnung von ihm ...natürlich, er war der Gast. Er runzelte die Stirn, albern überlegte er, dass sie als Seherin wissen müsse, weshalb er gekommen war und aus diesem Grund schwieg er stur.

  • Silene sah dem Mira'Tanar entgegen. Sie hatte Recht behalten, ein Sohn des Meeres hatte ihr Zelt betreten. Der Kerzenleuchter, welcher nicht fern stand war mit zwei Schritten erreicht und die Kerzen erloschen vom kalten Atem der Valisar. Die blauen Laternchen würden ihm sicher nicht schaden - sie begegnete dem Mira'Tanar mit Respekt.
    Sie kannte die Meereselfen, kannte ihre Kunst und ihre speziellen Persönlichkeiten.
    Einst war sie mit einigen Meereselfen befreundet gewesen. Einst ...


    "Silene ist mein Name, Sohn des Meeres.", sagte sie als sie sich wieder setzte und die silbernen Augen des Meereselfen musterte. Sie deutete mit einem Nicken eine Verbeugung an. "Es wäre mir eine Ehre Eure Zukunft zu deuten."

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  • Verwundert und seltsam berührt verfolgte er ihr Löschen der Kerze, nahm er ihre achtsamen Worte auf und seine Schultern, die er unbewusst versteift hatte, sackten ein wenig herunter. Seine Kiemen flatterten. Selten berührten Worte der Trockenen ihn, doch der Name, den sie ihm zugestanden hatte, stieß auf jene Stelle, die auch sein geliebtes Nachtgesicht, Seide, zu streifen schien. Vielleicht öffneten sich seine Augen merklich, aber seine Miene blieb starr.


    "Er weiß es zu schätzen", antwortete Mallalai rauschend, denn er konnte es nicht unterlassen ebenso Luft durch die Kiemen aufzunehmen, wie der Atem zwischen seinen Lippen floss. "Dennoch verlangt es den Mira'Tanar nicht nach der Zukunft, die Vergangenheit hält und lockt ihn zugleich, wenn er sich entfernen kann." Er sah sich im Zelt um und stellte fest, dass ihm Stoffe mehr behagten, denn feste, trockene Wände... dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Silene zu.
    "Kannst du auch in die Vergangenheit sehen, wie es die Worte auf dem Schild versprechen?"

  • "Ja, das kann ich. Auch wenn es weitaus schwieriger ist als das Sehen der Zukunft.", sagte Silene und bemerkte das vertrauliche 'Du' das er benutzte. Warum sollte sie ihn nicht auch dutzen? Sie musterte ihn nochmals eingehend, denn er kam ihr so bekannt vor.... doch war er es nicht. Vermutlich sahen alle Meereselfen sich in einem Punkt recht ähnlich.
    Die Kälte in ihrem Inneren wallte auf, als sie sich an alte Zeiten erinnerte. Ihre Augen wurden ein bisschen durchscheinender als zuvor und verloren ein Stück ihres kalten Glanzes.


    "Du bist heute schon der Zweite, dem es nach der Vergangenheit verlangt.", sagte sie und griff nach ihren Orakelsteinen. "Sind es ebenfalls verlorene Erinnerungen, die du zu finden suchst?"

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