Weihrauch und Orakelsteine

  • Die Seherin nickte, schloss die Augen.
    So soll es sein.
    Sie verschränkte wieder die Finger ineinander, machte diese Geste, die sie so überlegt und gefasst wirken ließ. Sie machte sich bereit dazu, atmete sich ruhig, sammelte sich.
    Bald erschien es so also sei sie zur Statue erstarrt, als ob sie ein Gegenstand aus Stein geworden wäre, zum ewigen Stillstand erstarrt.
    In ihrem Inneren jedoch arbeitete sie die Verbindung heraus, die Verbindung zwischen ihr und der Halbvalisar. Sie war stark genug um ohne eine physische Berührung auszukommen.
    Von außen betrachtet mochte es eine bizarre Art von Meditation vermuten lassen, aufmerksam betrachtet, mit den Augen wie mit dem Herzen mochte einem auffallen, dass Silene sich entfernte, dass ihre Präsenz in den Hintergrund trat, obgleich sie körperlich nach wie vor anwesend war.
    Schließlich war sie bereit dazu, dem Chaos im Inneren der Fragenden entgegenzutreten, es selbst zu erleben. Der Anteil von ihr, der sie selbst ausmachte, trat zurück, verschwand fast vollständig hinter dem neuen Bewusstsein, dem sie Raum machte.
    Noch immer rührte sie sich nicht.


    Dann endlich, völlig unerwartet und doch erahnt, löste sich eine Hand aus der sammelnden Geste und griff in den Beutel. Erst als ihre weiße Hand im dunklen Samt des Beutels verschwudnen war, ffneten sich Silenes Augen.
    Brodelnd war das Durcheinander in Silenes Kopf, es war so ungewohnt - sonst herrschte nur Klarheit in Silenes Gedanken. Nun, Ta'sharas Geist mit dieser teilend war es ein wirres Geflecht.
    Nicht nur in ihrem Inneren wurde es bemerkbar, auch die beiden Außenstehenden konnten es nun lesen, in ihren Augen, die sie aufschlug, stand es geschrieben. Von weißen Wimpern geisterhaft umrahmt strahlte das kalte Blau stärker als sonst, wie zersplittertes Glas funkelten sie wirr.


    Der erste Stein, den Silene zog passte sich zwischen Ta'sharas ersten und zweiten. Der nächste Stein füllte den Platz zwischen Ta'sharas zweiten und dritten Stein... so entstand nun eine zweite Reihe von Orakelsteinen, um ein Glied kürzer.
    Den letzten Stein behielt Silene in ihrer Hand, verborgen vor ihr, verborgen vor Ta'shara.
    Nun sieh.


    Das fremde Chaos war immer noch hier, in Silenes Kopf, real als sei es ein Teil von ihr. Fast gewaltsam schickte sie es zurück, drängte es zurück in seine Schranken, leugnete Silene es, auf dass es von ihr weichen sollte.
    Es klang ein hohler Nachklang dessen, was in Ta'sharas Seele war, in ihr, doch war Silene wieder sie selbst.
    Ihr Blick klebte auf den Steinen.
    Sie wusste es jetzt.


    "Es ist der Kodex, der Euch lenkt, Euch Halt gibt, den Ihr braucht... doch nimmt er Euch zugliech die Feiheit das zu Erlangen, wonach Ihr selbst und Euer Schicksal gleichermaßen sehnt. Es ist Euch nicht möglich, dem Toben Eures Inneren den Raum zu geben, den es benötigt um sich ordnen zu können, solange ihr ihm Einhalt gebietet. Wunden muss man bluten lassen, damit sie sich reinigen ... hindert man sie, kann sie nicht heilen."


    Silenes Blick legte sich kristallklar und kalt auf Brennans Gestalt, sah in die grundlosen schwarzen Seen die er anstatt siener Augen trug.


    "Dort ist jemand, der Euch den nötigen Halt geben könnte, um Euren drängenden Gefühlen freien Raum zu lassen. Er muss das Gefäß sein, in dass ihr die überschäumenden Gewalten Euer Seele gießen könnt ... um sie geläutert, geklärt wieder aufnehmen zu können.
    Doch - ich sage dies, weil ich es sah - ist es irrational jemandem wie ihm zu vertrauen."


    Die Seherin verstummte und senkte ihren Blick auf ihre Hände herab. Sie wusste, dass das Aufgeben des Kodex ein fast unmögliches Vorhaben war - Ta'shara würde sich dem Schwarzäugigen schutzlos ausliefern müssen. Und er sich ihr. Sie wusste bei Lilliande und Yanariel nicht, was gefährlich war.
    Es schien, dass die Valisar noch etwas zu sagen hatte, noch etwas bereithielt. Die Hand, welche den letzten Stein umklammerte öffnete sich zwischen den Anwesenden, gab gliech einer Blüte, die ihre Pracht entfaltet, einen schwarzen Stein preis, der wie ein schwarzer Blutstropfen auf der weißen Handfläche ruhte.


    "Es ist möglich.", sagte sie schließlich und sah zu Ta'shara auf, begegnete dem verwandten Blick. Ihre Augen hatten gesehen, was sie gesehen hatte, ihr Kopf das gedacht, was Ta'shara im Begrif war zu denken. "Es ist möglich."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Vertrauen. Brennans Gedanken blieben an diesem Wort hängen. Es war irrational im zu vertrauen. Der Vogelhändler schloß die dunklen Augen für einen Augenblick.


    Wie recht die Valisar wohl hatte. Auf ganz Beleriar war er mit Sicherheit nicht die vertrauenserweckendste Person und er hatte schon so manches Vertrauen missbraucht um sich oder insbesondere seiner Göttin einen vermeintlichen Vorteil dadurch zu erspielen.


    Die dunklen Augen öffnete sich wieder und blickten zu Ta'shara herüber. Aber konnte er ihr vertrauen? Einer gefühllosen Diebin? Nein, die Fronten waren geklärt und ausgeglichen, das wußte Brennan genauso gut wie es Ta'shara wissen mußte. Dennoch war die Frage, wie es weiter gehen würde.


    Eine warme Hand legte sich auf Ta'sharas Schulter. Eine seltsame Geste der Zuneigung die Ta'shara sagen sollte, dass Brennan bereit wäre, ihr dieses Gefäß für ihre Gefühle zu sein.

  • Sie sah und sah nicht; blickte in Silenes Augen und doch durch sie hindurch, wie durch einen eisigen Spiegel. Einzig die Worte der Seherin bewegten sich in ihr wie kleine Wellen auf einem dunklen See; plätscherten mal hier, mal dort gegen den Widerstand, der sich in Ta’shara regte.
    Vertrauen!? Wem hätte sie jemals vertraut außer sich selbst. Es ist möglich… wieder stießen die Worte an den Rand ihres Bewusstseins, schwappten hinüber und sammelten sich tief in ihr; dort, wo sie in der Nacht zuvor das Chaos hin verbannt hatte. Sie lauschte dem nach, begegnete dem Widerhall. Die junge Valisar schloss die Augen und ließ die Gedanken in sich wirken… möglich… sich einen eigenen Weg suchen … Gefäß… sich ausrichten … Brennan… Shirashai... sich ordnen … Vertrauen…
    Sie kalkulierte.
    Keine Frage; das Ergebnis war unsinnig. Ta’shara verließ ihren inneren Raum. Der Blick mit dem sie Silene begegnete war kalt, klar und entschlossen. Sie würde bleiben, wer sie war. So entschied sie.


    Bis sie mit einem Mal durch den Stoff ihres Kleides hindurch Wärme verspürte. Sie floss durch ihre Schulter und für einen winzigen Moment erreichte sie jene Stelle, an der sie gestern Nacht zum ersten Mal so etwas wie Seele gespürt hatte. Möglich… Sie senkte den Blick, sah sich selbst, ihre Wange in Brennans Hand gelegt. '...Du bist nur eine Halbvalisar, was ist, wenn der Fluch gar nicht so schwer auf dir lastet?...' Sie erinnerte sich seiner Worte und atmete tief durch. Noch immer war ihr Blick klar und entschlossen. Doch fehlte ihm die Kälte, als sie Silene erneut ansah.
    "Ein … Experiment."
    Das Wort war ihr vertraut. Der Vorgang war ihr vertraut. Ein Experiment war immer auch bis zu einem gewissen Grad kalkulierbar. Damit musste sie sich nicht sofort und gänzlich einem anderen Wesen ausliefern. So sagte sie sich. Sie blickte zu Brennan, betrachtete ihn, seine dunklen Augen, die markanten Züge, die aufrechte Haltung. Seine Ausstrahlung war enorm und füllte neben den beiden Valisar ebenbürtig den Raum. Ja. Ta’shara lächelte und nickte. Ihm traute sie zu, ihr bei dem, was kommen mochte zur Seite zu stehen und nicht davon zu laufen.

  • Der Wille bestimmt die Bewegung.


    "Ein Experiment.", wiederholte Silene halb fragend, halb feststellend, doch nicht an Ta'shara zweifelnd. Was war es, das die Seherin in den Augen der Halbvalisar erkennen konnte? Das Trugbild einer Emotion aus dem halbgefrorenen Herzen der jungen Frau? Erwärmt durch das heiße, sonnendurchtränkte Blut der Ashaironi in ihr?
    Die Hand des Menschen war es, die Ta'sharas Augen diesen Schimmer verlieh.


    Weiß wie Schnee waren die Haare, die die Seherin sich aus dem Gesicht strich, weiß wie Schnee alles, was sie mit den hellsehenden Augen erfassen konnte. Wo war der Sinn dieser Unsicherheit?
    Silene grub in ihren Erinnerungen, grub in den Tiefen der Erfahrung, die sie in Jahrzehntelanger Arbeit mit den Steinen gesammelt hatte. Warum stand es nicht in ihnen geschrieben?
    Waren es schon wieder die Götter, die ihre Hand im Spiel haben sollten und ihr vorenthielten, was sie sehen sollte?


    Vielleicht., dürchströmte es Silenes Gedanken, vielleicht war die Verfärbung der valisarhaften Augen Ta'sharas nach der Berührung Brennans schon Beweis genug?


    Silene dachte lange nach ehe sie zu einer Art Antwort, zu einer Erklärung ansetze. Die Worte waren schwer in ihrem Mund, träge und langsam hatten sich die Sätze in ihren Gedanken gebildet.
    "Es ist kein Experiment. Es ist eine Chance ... eine Option, die ihr habt. Ihr könnt sie nutzen... wenn ihr verliert, verliert Ihr womöglich die Kontrolle, verliert ihr womöglich Euch selbst. Brennan ist stark. Wenn er schwört Euch zu halten."


    Silenes Augen lagen wie ein Bann auf den zwei schwarzen Seen in Brennans Gesicht, aus denen er Ta'shara angesehen hatte ... war es ein Blick voller Wärme gewesen?
    Seinen Namen hatte sie gedacht, nicht gehört. Seltsam ihn durch die Gedanken eines Dritten zu erfahren, aber was tat es zur Sache. Silene war gefasst und gesammelt, wartete auf eine Reaktion seinerseits.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Schwören. Brennan hatte in seinem Leben nur einen ernstgemeinten Schwur gegeben und wenn er in diesem Moment auch nicht viel wußte, so wußte er doch, dass es bei diesem einen Schwur bleiben würde.


    Und dennoch war er aus einem schwer zu ergründenen Grund bereit, Ta'shara zur Seite zu stehen. Was auch immer sie in der nächsten Zeit durchmachen würde.
    "Ich werde zu Shirashai beten, dass sie mir die Kraft gibt, dich zu halten. Das sie mir die Stärke gibt für dich dazusein und dich aufzufangen, sofern du es willst." Sprach er und befand seine Aussage für gleichermaßen wahr und unverfänglich.


    Langsam strich die warme Hand des Händlers am Oberarm der Valisar hinunter, bis er ihre Hand zu fassen bekam.
    "Mein Heim soll so lange dein Heim sein, wie es dir beliebt und du meiner Gesellschaft nicht überdrüssig bist. Die dunklen Augen sahen Ta'shara warm an. Tatsächlich würde es auch für Brennan ein Experiment werden. Eine wunderschöne Frau, mit der sich jeder zu schmücken wünschte und doch so kühl und unerreichbar wie das Licht des Mondes, der Nir'alenar wohl nie wieder erhellen würde.


    Die Hand Brennans spielte kurz mit Ta'sharas Fingern um sie dann wieder loszulassen. Sein dunkler Blick glitt zu Silene hinüber und Shirashais Jünger schien eine Frage an die Valisar richten zu wollen. Doch im letzten Moment besann er sich anders. Nicht alles, was auf dem Herzen lag sollte auch die Zunge erreichen. Und nicht jede Frage auf die man sich eine Antwort wünsche sollte auch wirklich eine bekommen.
    An diesem Tag waren genug Antworten gegeben worden und vielleicht würde Brennan Silene lieber irgendwann alleine aufsuchen. Wobei..


    "Ich bin ein Mensch und mein Herz ist durchsetzt von Gefühlen. Ich weiß nicht, was in eurer Brust schlägt, wie ihr empfindet oder.. nicht empfindet. Fühlt euch eingeladen uns jederzeit zu besuchen, wenn euch.." Es fiel Brennan offensichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden. Mit jemanden der nichts fühlen konnte zu sprechen ohne Gefühle zu benutzen war eine Herausforderung. Bei Silene noch viel deutlicher als bei Ta'shara. ".. nach ein wenig Gesellschaft ist. Ich würde gerne mehr von und über euch lernen und.. vielleicht würde es Ta'shara ebenfalls helfen."
    Er zwang sich ein Lächeln ab. Die schöne Halbvalisar war doch nicht krank! Und doch wurde sein Beschützerinstinkt immer stärker und unerklärbarer..

  • Eine Option. Ha!!
    Ta’shara schüttelte unwillig den Kopf. Natürlich hatte sie die! Sie hatte immer die Wahl, egal, vor welche Aufgabe das Leben sie auch gestellt hat. Egal, an welcher Kreuzung auch immer sie stand. Sie hatte stets die Wahl!
    Und stets hatte sie ihre Entscheidungen abgewogen, mit jenen Maßen, die der Kodex ihr vorgegeben hatte. Hatte sich für die erfolgversprechendste Richtung entschieden und war gut damit beraten gewesen, ihrem Verstand zu folgen.
    Dies hier jedoch ging weit über eine Option hinaus. Bedeutete wesentlich mehr, als eine simple Berechnung, wagte sie sich doch nicht nur auf unbekanntes, sondern vor allem auf nicht kalkulierbares Terrain.


    Wer war Brennan Targo? Niemand, den sie kannte. Niemand, dem man vertrauen würde. Und doch saß sie hier mit ihm, hatte sich ihm anvertraut. Niemals sonst jemandem, niemals zuvor. Warum? Die Antwort war denkbar einfach: er war zugegen, als sie dieses … etwas… spürte. Und er hat nicht einen Moment lang versucht, ihren Zustand der Schwäche für sich zu nutzen. Nicht für sich und nicht für seine Göttin, die letztlich auch die ihre war. "Es mag widersinnig klingen. Doch braucht er nicht zu schwören. Hat er doch längst bewiesen, dass er diese Stärke besitzt."
    Ta‘shara war nicht in Gefahr. Sie musste Brennan nicht fürchten. Viel mehr müsste er sich fürchten vor dem, was sie vielleicht werden würde. Ob er sich dessen bewusst war, als er sie jetzt berührte… ihre Hand nahm und seine Finger die ihren umspielten?
    Ta’shara lächelte und sah den Händler an. Was war das für ein Blick, mit dem er sie gerade betrachtete? Dieser Ausdruck in den Augen eines Mannes war ihr fremd. Der Versuch ihn zu deuten scheiterte, denn sie kannte nichts Vergleichbares. So neigte sie nur leicht den Kopf und nickte, als Brennan in Gegenwart Silenes seine Einladung vom Morgen, dass sie bei ihm bleiben konnte, wiederholte.


    Doch seine nächsten Worte überraschten sie. Was mochte den Mann dazu bewegen, die Wahrsagerin zu ihnen einzuladen? Die Antwort, nicht weniger überraschend, lieferte Brennan gleich mit.
    Seine Hoffnung, dass es ihr helfen könnte, nahm sich da noch verhältnismäßig harmlos aus. Schließlich war Brennan ein Mensch und diese taten, dachten und fühlten irrational. Seinen Wunsch aber, mehr über das Volk der Valisar zu erfahren, konnte sie nicht nachvollziehen. Hatte das doch ihrer Meinung nach nichts damit zu tun, dass er bereits zugesagt hat, ihr beizustehen. Niemanden interessierte das Wesen ihres Volkes. Nie hatte jemand nach einem Warum gefragt, wenn sie eingewilligt hatte mitzugehen. Sie und Ihresgleichen waren eine Herausforderung für das menschliche Volk. Mehr aber auch nicht.
    Dieser Mann aber sah sie anders an. Sah er auch anderes in ihr? Was?
    Das andere Ich, das vor ihren eigenen Blicken verborgen war?
    Möglich...


    Auch Ta'shara löste nun endlich ihren Blick von Brennan und sah zu Silene. Würde die Valisar der Einladung nachkommen?

  • Kalt hafteten ihre Augen auf Brennan, auf Ta'shara, wandten sich nicht ab um die Bewegungen zu registrieren, die ihre Hände ausführten. Sie klebten wie Eisblumen an einer Glasscheibe auf ihren Gesichtern. Sie las den Ansatz einer Frage aus Brennans Augen, las die Abwägung ob er sie stellen sollte.
    Zu Shirashai betete er... um Kraft. Shirashai, die scheinbar die größte Kraft, die sie besitzt, daran verschwendet eifersüchtig auf ihre Schwester zu sein. Doch grenzte es an ein Wunder, dass sie ihren Ergeiz so sehr bündeln konnte, so sehr auf etwas richten konnte, dass sie nicht aufgab, ehe sie ihr Ziel erreicht hatte.


    Er wollte von ihr lernen? Von der Valisar, die die Welt doch nur in aller Nüchternheit sah, die dazu verflucht wurde sich nach etwas zu sehnen, dass sie schon längst vergessen hatte? Zugegeben, sie konnte Brennans Wunsch nachvollziehen, es musste eine wahrlich beeindruckende, verschreckende Erfahrung sein, das zu sehen, was sich in ihr verbarg ... doch es war keine Neugierde, die sie sah.
    Es war nicht jene Gier nach dem Abnormen, die schon so viele Gesichter vor seinem gezeichnet hatte.
    War es etwa das, was sie aus ihrem Fluch zu gewinnen schien? Das was Mallalai zunächst so bewundert hatte? Mit größter Sicherheit wäre dies etwas, was einem in der Gefolgschaft der Shirashai nur von Vorteil sein konnte.
    Doch auch wenn sie sich nicht ganz erklären konnte warum ihm danach verlangte von ihr zu lernen, mehr von ihr zu erfahren, war alleine dass er es ausgesprochen hatte genug, um eine Entscheidung zu treffen.


    "Ich danke Euch für eure Einladung, Brennan Targo.", entgegnete sie zunächst, im Geiste das Lächeln, dass er sich abgezwungen hatte hinterfragend. "Wenn die Möglichkeit besteht, dass ihr etwas von mir lernen könnt. Etwas, dass ein Segen ist, kein Fluch ... so will ich Eurer Einladung nachkommen."

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  • "Es würde mich sehr freuen." Brennan nickte der Valisar höflich zu und lehnte sich wieder ein Stück zurück. Es war interessant, die beiden Valisar zu beobachten, auch wenn sich ihm nicht erschloss warum.


    Auf Brennans Gesich legte sich ein unergründliches Lächeln. Vielleicht weil Ta'shara im gewissen Sinne seine psychische Stärke gelobt hatte. Vielleicht auch, weil es ihn wirklich reizte, diese unnahbaren Wesen näher kennen zulernen.


    Sein Blick glitt wieder rüber zu Ta'shara und er fragte sich, ob die Schöne wohl noch weitere Fragen hatte. Er selbst hatte keine mehr. Man würde sowieso alles auf sich zukommen lassen müssen und abwarten müssen, was Götter und Schicksal noch für einen bereit hielten. Auf jeden Fall würde es eine spannende Zeit werden und in Gedanken plante Brennan schon den nächsten Ausflug für sich und Ta'shara. Den Besuch des Shirashai-Tempels..

  • Erstaunlich. In der Tat überraschend. Ta'shara war sich nicht sicher, ob in ihren Augen nicht eben jene ... Faszination für den Moment zum Ausdruck kam. Noch weniger sicher war sie, was sie davon halten sollte, dass Silene der Einladung Brennans nachkam. Sie selbst war ein Einzelgänger. Durch und durch. Sich zu unterhalten, nun ja... sie hatte schließlich gelernt, sich anzupassen. Aber sie brauchte keine Gesellschaft. Und sie suchte auch nicht danach. Kurz wollten Widerworte Gehör finden, aber Ta'shara unterband das. Nein! Dass sie bei Brennan war und blieb hatte eine andere Bewandtnis. Doch würde sie nie und nimmer auf den Gedanken gekommen sein, einen Ihresgleichen einzuladen ... oder aber der Einladung eines Ihresgleichen zu folgen. Wozu??? In Gedanken konnte sie nur den Kopf schütteln, so weit war sie von dieser Idee entfernt… Das war einfach absurd. Umso eindringlicher betrachtete sie nun die Wahrsagerin. Aber nichts an ihrem perfekten Auftreten ließ erkennen, dass diese anderes tat, als sie selbst tun würde: angepasst auf eine Situation zu reagieren. Denn die Einladung hatte schließlich nicht Ta'shara ausgesprochen, sondern Brennan. Und so lächelte Ta'shara, analysierte weiter und fragte sich, ob Brennan das wirklich für sie tat… oder ob er nicht doch andere Ziele verfolgte.


    Sein Zögern eben... als hätte er Silene eine Frage stellen wollen... Hing es damit zusammen? Hoffte er möglicherweise in privater Atmosphäre unverfänglicher Plaudern zu können? Aber da wäre er nicht mit Silene alleine. Sie wäre dabei. Die junge Halbvalisar kam letztlich zu dem gleichen Schluss, wie Brennan. Es lohnte nicht, sich den Kopf zu zerbrechen. Sie hatte viel erfahren. Sie hatte eine tiefe Erkenntnis gewonnen und nahm jede Menge zum Nachdenken mit. Ein Erfolg also. Ta'shara setzte sich zufrieden auf.
    "Werte Silene Sana'Santaly. Habt Dank für Eure weisen Worte. Im Moment eröffnen sich mir keine weiteren Fragen, außer der, nach der Begleichung meiner Schuld.“ Ta’shara überlegte, was sie der Seherin geben konnte. Auf den Gedanken, sie mit Münzen zu bezahlen kam sie nicht. Valisar brauchten in den seltensten Fällen Münzen. Vielleicht, wenn sie gerade am Anfang ihres Daseins standen. Nicht aber, wenn sie bereits ein ganzes Menschenleben oder gar mehr verbracht hatten.
    Ein schwacher Luftzug trieb den intensiven Duft von Räucherwerk zu ihr hin. Da wusste Ta’shara, was sie der Valisar für ihre Dienste geben konnte. Sie griff in ihre Tasche und förderte zwei gelblich-weiße, fingerkuppengroße Gebilde hervor. Auf den ersten Blick wirkten sie wie unbehandelte Edelsteine. Stumpf und unansehlich. Doch entströmte ihnen ein feiner Duft. Weihrauch. Äußerst schwer zu bekommen unter der Kuppel. Ta'shara war nicht bekannt, dass hier auch nur ein einziger Baum wüchse. Doch sie hatte ihre Quelle und trug immer etwas davon bei sich, weil sie es kaute. Es reinigte die Zähne und verhalf zu frischem Atem. "Bitte, nehmt dies als meinen Dank für eure Zeit."

  • Brennan sah interessiert zu den zwei "Steinen", die Ta'shara Silene hinüberreicht. Was sollte das für eine Bezahlung sein?
    Der Vogelhändler rümpfte ein wenig die Nase. Hatte er da etwas gerochen? Tatsächlich. Ein schwacher Duft wurde von Ta'sharas "Währung" ausgeströmt.


    Zufrieden lehnte sich der dunkeläugige Anhänger der Shirashai wieder zurück. Offensichtlich handelte es sich um irgendetwas Duftendes, was für Frauen mit Sicherheit recht interessant war. Schließlich achteten die Valisar offensichtlich sehr auf ihr Aussehen.


    Brennan wartete ab, wie Silene reagieren würde und ob dies wohl für ihre Dienste Bezahlung genug war.

  • Silene berührte eines der duftenden Körnchen mit der Fingerkuppe ihres Zeigefingers, schob es eine genauestens berechnete Fingerbreite nach rechts, ehe sie wieder aufsah um die beiden ungleichen Gestalten vor sich zu mustern. Es hatte viel mit der Pflicht zu tun, die sie auf dem Grunde ihres erforenen Herzens wusste, dass sie der Einladung des Menschen nachkam. Zwar gingen ihre Gedanken - fast behutsam - andere Wege um zu ergründen, welche logische Folge sich aus diesem Handeln ergeben würde und welcher Grund sich wirklich hinter der Tatsache, dass der Mensch scheinbar großen Wert darauf legte, der absolute Kälte nicht nur zu begegnen, sondern ihr auch noch näher zu kommen, sie erfahren zu wollen, verbarg.
    Zeit, Zeit war ein dehnbarer Begriff. Was sie Zeit nannte, mochte ein Schmetterling vielleicht Ewigkeit heißen in seiner flatterhaft kurzen Existenz. Zeit konnte man hier genauso wie dort verbringen, Silene konnte sie verschwenden ... auch wenn sie diese Bewertung nicht billigte. Alles was ihrer Pflicht, ihrem Daseinsgrund dienlich war gehörte zu der Zeit, die bedeutsam war.
    Sie würdigte Ta'shara eines langen Blickes, dann falteten sich ihre Hände zu einer Sicherheit ausstrahlenden Geste.


    "Die Zeit die ich für Euch geopfert habe mag wohl ein winziger Bruchteil dessen sein, was ich Zeit nenne ... doch verlebte ich sie ohne den Gedanken sie zu verschwenden.", entgegnete sie und nahm die Körnchen zwischen ihre Fingerspitzen um sie in ihre makellose weiße Handfläche zu bergen. "Ich danke Euch für den Weihrauch, ein kostbares Gut unter der Kuppel."


    Zwar war es sicherlich keine Anerkennung, die sich in ihrem Blick widerspiegelte, doch war es die Annahme, dass Ta'shara all dass, was sie erfahren hatte auch gebrauchen konnte, dass sie es verwenden konnte um ihrem Weg folgen zu können, ihrem Ziel näher zu kommen, was immer es auch sein mochte.
    Angepasst an die Anwesenheit eines Fühlenden und einer Nicht-fühlenden ließ sie ein Lächeln aus der Tiefe auftauchen, dass ihre blassen Lippen streifte und doch sprach gleichermaßen ohne jegliche Emotion in ihrer Stimme, obgleich sie wusste, dass das, was sie nun sagte, den Dunkeläugigen an einem Punkt berühren mochte, den er vermutlich lieber unberührt wusste.
    "Wir werden uns wiedersehen, Ta'shara Yerir, Brennan Targo. Eriadne leuchte Euch den Weg."

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  • Wie als wenn der Anhänger der Shirashai den Namen Eriadnes nicht gehört hätte, schenkte er Silene ein Lächeln und erwiderte freundlich "Möget auch ihr immer den rechten Weg finden." Er neigte kurz den Kopf und erhob sich dann.


    Er reichte Ta'shara den Arm. Er wußte, dass sie dadrauf keinen Wert legen würde, dass er sie aus dem Zelt führte, aber der Vogelhändler fand die Geste angemessen. Wenn sich ihr Schicksal schon zu vereinen schien, konnten sie auch vereint aus dem Zelt der Seherin schreiten.

  • "Eure Worte regen mich zum nachdenken, Silene Sana'Santaly.." Ta'sharas Blick ruhte kurz auf Brennan, ehe sie sich erneut der Seherin zuwandte. "Nochmals Dank dafür. Und ja. Wir werden uns gewiss wiedersehen. Bis dahin sichere Wege für Euch", verabschiedete sich nun auch Ta'shara.


    Ihr Blick fiel auf Brennans Arms. Sie atmete tief ein. Noch so eine Eigenart menschlichen Gehabes, dem sie zwar Folge zu leisten im Stande war, von dem sie aber beim besten Willen nicht wusste, welchem Zweck es diente. Sie stand gut und sicher auf ihren eigenen Beinen und kannte auch den Weg heraus aus dem Zelt. So groß war es schließlich nicht, dass man sich darin verirren konnte. Kaum fiel der Vorhang hinter ihnen, zog sie ihren Arm zurück und blieb stehen. "Warum tut ihr Menschenn das? Warum mögen Eure Frauen das Gefühl, weniger zu sein, als ein Mann?" Ihre Stimme klang völlig neutral. Sie bewertete das Verhalten anderer nicht. Aber das hier, das wollte sie nun erklärt haben. "Immer wenn ich das sehe, habe ich den Eindruck, dass sowohl Mann als auch Frau damit etwas demonstrieren wollen. Eine Art Rangfolge oder ähnliches. Ist das so?"


    Die Droschke, mit der sie hergekommen waren, stand noch immer an ihrem Platz. Gemächlich schlenderte Ta'shara hinüber. Sie hatte keine Eile.

  • Brennan mußte lachen. Es war nur ein kleines, fast schon unterdrücktes Lachen, aber er kam nicht drum herum, Ta'sharas Frage amüsant zu finden. Er versuchte ihr zu erklären:
    "Es gibt sicherlich Männer - und auch Frauen - , die sich eine solche Rangfolge, wie du sie nennst, wünschen. Ich habe schon öfter gehört, dass so mancher altmodischer Kauz glaubt, eine Frau tauge nur, um sich mit ihr zu schmücken.
    Aber ich glaube diese Geste.." Brennan deutete noch einmal an, den Arm zu nehmen, beließ es aber dabei.


    "Diese Geste ist eher eine Form der Höflichkeit. Wir Männer sind gerne die "Retter in der Not". Und wir möchten die Frau, die uns am Herzen liegt, beschützt wissen. Ich glaube, in dem wir ihr den Arm reichen, meinen wir sie ungestört durch ein Schlachtfeld voller Feinde führen zu können."
    Er schüttelte den Kopf und griff sich in den Nacken. Eine Geste, die man bei Brennan immer mal wieder beobachten konnte.


    "Eigentlich eine dumme Geste, da magst du wohl recht haben. Vielleicht möchten wir auch einfach zeigen, wenn eine Frau zu uns gehört, damit kein anderer Mann auf dumme Gedanken kommt und ihr schöne Augen macht." Er lachte wieder. Befreit und belustigt. "Zudem ist es angenehm, die.. die Wärme und den Geruch einer so schönen Frau ganz in der Nähe zu haben." Brennan zwinkerte Ta'shara zu.


    "Wenn du es nicht möchtest, kannst du auch gerne alleine zur Droschke gehen." Brennan zeigte zum Gefährt.

  • "Du willst mich beschützen. Das ist nobel. Aber vor was? Ich kenne keine Furcht. Und ich habe keine einzige Klinge gehört, geschweige denn einen Feind im Zelt gesehen oder gar ein… Schlachtfeld!“ Ta’shara dachte nach. Und schüttelte den Kopf. Nein. Das verstand sie nicht. Dann schon eher Brennans Wunsch nach der Nähe einer Frau. Dass er aber ihre Nähe mit Wärme assoziierte, verstand sie wiederum überhaupt nicht. Sie war schön. Natürlich. Sie duftete angenehm. Dafür sorgte sie schließlich jeden Morgen. Aber das ausgerechnet sie Wärme ausstrahlen sollte, wagte sie doch sehr zu bezweifeln. Sie war eine Valisar. Kälter ging es eigentlich nicht mehr. Aber noch dazu war sie eine Ashaironi. Eine Schlange. Kein Warmblüter also… Wieder schüttelte die junge Frau den Kopf. Die Überlegungen der Menschen waren manchmal seltsamer Natur.


    Sie beschloss, dass die Erklärung der Höflichkeit noch am ehesten Sinn machte. Dem konnte sie folgen. Es war, ähnlich wie in ihrem Kodex beschrieben, ein Verhaltensmuster, das ihr logisch erschien. Sie hielt Brennan ihren Arm hin und blickte ihn an. Sie war verwirrt. Denn ganz entgegen aller Logik wollte sie seine Berührung spüren. Jede andere Art von Berührung aber wäre in der Öffentlichkeit unschicklich. Sagte ihr Kodex.
    Kurz schlich sich der Gedanke ein, dass all die Erklärungsversuche der Menschen am Ende auch nichts weiter waren, als ein gut durchdachtes Tarnmanöver...


    "Ich weiß nicht, ob diese Geste wirklich so dumm ist...", meinte sie also und lächelte. "Aber ich bin so wie du zur Höflichkeit erzogen. Und so sehe ich keinen Grund, deine 'Führung' abzulehnen."

  • Erfreut nahm Brennan wieder Ta'sharas Arm und führte sie weiter in Richtung Droschke.


    "Nein, ein Schlachtfeld im eigentlichen Sinne findet man hier wohl nicht. Und doch ist es mir ein Bedürfnis, dir Schutz zu bieten, wenn du ihn brauchst. Manchmal sind wir Menschen.. irrational. Das wirst du in den folgenden Tagen wohl noch häufiger feststellen."


    Er seufzte leicht, aber nicht so, als wenn ihm wirklich etwas auf der Seele lag. Nein, irgendwie hatte der Besuch bei der Seherin ihm eine gewisse Art von Mut gegeben. Mut, diese junge Frau an seiner Seite bei sich wohnen zu lassen und ihr einen Teil von sich zu zeigen, den wohl bisher nur die wenigsten sehen konnten.. sehen durften.


    Brennan hielt Ta'shara die Tür der Droschke auf und auch wenn sie es nicht nötig hatte, so half er ihr doch, einzusteigen.

  • Manchmal, da war das Einzige, dass sie noch davon trennte zu gehen, das Wissen um ihre Pflicht. Ihr Glaube an ihre Pflicht, basierte alleine auf der akkuraten Kenntnis ihrer Fähigkeiten und der Überlegung, dass sie niemals verschwendet werden dürfen.
    Alleine dieser Gedankenstrang hielt sie fest in dieser Welt, sollte ihre Aufgabe einst erfüllt sein, sollte wirklich niemand mehr ihrer Fähigkeiten bedürfen ... dann, bei Lilliande und Yanariel würde der Tod - der treueste Liebhaber von allen - ihren Fluch brechen und sie in die Traumlande geleiten.
    So schwer diese Bedingung zu erfüllen war, so leicht würde es für Silene sein diese Welt zu verlassen.
    Es verband sie ja nichts weiter mit ihr - als ihre Pflicht.


    Wie ein Pferd, dass den Pflug unermüdlich über den Acker zeiht, zogen ihre Gedanken weiter, doch ungleich präziser war ihre Arbeit, während sie auf den Nächsten wartete, der ihre Augen benötigte um zu sehen, was ihm verborgen war.
    Ausdruckslos und doch von einer Kälte erfüllt, die bar eines jeden Gefühls, aber doch voller Ausagekraft war; auf wundersame Weise also eindrucksvoll doch nicht ausdrucksvoll; war ihr Blick auf den Eingang des Zeltes gerichtet, die Hände wieder ineinander verschränkt auf dem Marmortisch ruhend.


    Sie glich mehr einer steinernen Statue, als einem Lebewesen, doch was man wirklich in ihr sah, der Valisar, in deren Brust doch tatsächlich ebenfalls ein Herz schlug, wenn auch viel kälter und präziser als ein anderes, und die auf wundersame Weise trotzdem existierte, hing wohl entscheidend davon ab, wie derjenige "lebend" definierte.

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Sicil war grummelnd auf dem Marktplatz unterwegs um Körner für Brennans Vögel abzuholen. wäre es nicht für die Vögel, die Sicil am Herzen lagen, weil sie für ihre Situation selbst nichts konnten. Er fühlte sich ihnen verbunden, so komisch sich das auch anhörte, nur war seine Verbundenheit eine andere als die Verbundenheit Brennans, der die Schönheit der Vögel bewunderte und in Sicils Augen nur eine Äquivalent zu seiner Schönheit brauchte.
    Als Sicil nun also von Schatten zu schatten huschte, fiel ihm das Schild ins auge, dass die Dienste einer Wahrsagerin apriesen. Wahrsagen. einige seiner Sippe meinten sie könnten die Zukunfta aus dem Mond und den gestirnen lesen, er hielt nicht viel davon und doch war der Drang hineinzugehen und nachzusehen groß. Er überlegte kurz, da riss die Wolkendecke auf, die den Einkauf erträglicher gemacht hatte und Sicil wurde seines schützenden Schattens beraubt, nur geschützt durch seine Kapuze fühlte er sich zusehends unwohl, also betrat er kurzerhand das Zelt in dem eine moderate Hitze herrschte. Er sah sich um seine augen hatten sich sofort an die beruhigende Dunkelheit gewöhnt und er erfasste mit Leuchtenden augen das gut eingerichtete innere des Zeltes und dessen stumme, ausdruckslose Besitzerin.


    'Eine Valisar, ich bin mir fast sicher. Naja, warum nicht, objektiver ann der Blick in die Zukunft nicht sein.'


    "Seid gegrüßt! Was verlangt ihr für die Weisheiten und Geschehnissen, von denen ich noch nichts weiß? Fragen wir erst eine andere Frage, gilt euer Angebot meine Zukunft zu erahnen auch für einen wie mich?"


    Sicil zog die Kapuze vom Kopf, die sein gesicht verborgen hatte und zeigte seine Herkunft.

    '...by the pricking of my thumbs, something wicked this way comes...'
    William Shakespeare, Macbeth (IV, i, 44-45)
    "Life is Honour. It Ends when Honour Ends"
    Akinwande Oluwole Soyinka, Death and the King's Horseman
    Initiative für mehr :hug:

  • Der Nachtelf hätte seine Kapuze nicht abnehmen müssen, um Silene seine Herkunft zu verraten. Doch die Geste tat ihre Wirkung.
    Flüchtige Gedanken streiften sie in ihrer steingleichen Starre, doch die einzige Bewegung, die man vernehmen konnte, war das Niederschlagen ihrer Augenlieder und ein tiefes Atmen.
    Es klang fast wie ein Seufzen und doch war es nicht mehr als ein kaltes Ausatmen, das Ausstoßen eines kalten Hauchs. Silene blickte den Elfen lange an, ließ ihre Gedanken wie Wolken vorrüberziehen, hörte sich seine Fragen schweigend an, ehe sie sich endlich aus ihrer Starre löste und das Kinn ein wenig anhob um ihn genauer anzusehen.
    Im Halbdunkel des Zeltes, im geheimnisvollen Schimmern der blauen Laternen, im Meereslicht, schienen seine Augen zu leuchten wie die der zahlreichen Nachttiere, denn sie saugten jedes noch so spärliche Licht auf um zu sehen. Mit diesen Augen konnte er selbst im Dunkel vermutlich perfekt sehen... wie ironisch, dass ihm deswegen noch lange nicht der Blick in die Zukunft gewährt wurde.
    Silene erkundete Gemeinsamkeiten, die sie hatten. Es war ein Zusammentreffen zweier Verfluchter, zweier Sehnsüchtiger. Was hatte es zu bedeuten, dass eine Sehnsucht nach der Sonne, genauso grausam sein konnte, wie die Sehnsucht nach all den Gefühlen? Oder war sie gar noch grausamer? Zu wissen, dass man sie niemals erreichen konnte, erfüllt bis in die letzte Faser von Sehnsucht, Trauer, Hass auf eine Göttin, Verzweiflung, Wut und ungebändigter Zorn ... Schmerz. Das Gefühl von Schmerz.
    Eines der Gefühle, die SIlene besonders begehrte. So viele beneideten sie darum, es nicht zu empfinden.


    Er wünschte sich Objektivität. Eine solch reiche Quelle an Objektivität wie Silene konnte man wohl kaum finden.


    Sie analysierte die Gründe für die ersten Fragen, die er ihr entgegenbrachte, für die ersten Worte, die er an sie richtete. Sie wägte ab, welche der Fragen ihm wichtiger war, welche zuerst einer Antwort bedurften.


    "Seid gegrüßt.", erwiderte sie höflich, ließ ein Lächeln über ihre Lippen perlen. Sie verengte ihre Augen unmerklich ein wenig, als sie berechnete, wie weit sie gehen konnte. "Lasst mich mit einer Frage antworten: Konntet Ihr auf jenem Schild, dort draußen an meinem Zelt - etwas davon vernehmen, dass meine Fähigkeiten jemandem vorenthalten bleiben?"
    Silene löste die Geste ihrer Hände auf und legte sie stattdessen aufeinander. "Betrachtet es realistisch... das ergäbe keinen Sinn."
    Wieder ließ sie ein Lächeln durch den Raum schweben, doch diesmal starb es schon bevor es auf ihrer Mimik erscheinen konnte. Sie sah ein schweres Schicksal auf dem Nachtelfen lasten, ein Schicksal, weit schwerer als man es vermuten könnte. Das alles ging über die Verachtung einer Hautfarbe, einer Göttin oder eines Volkes hinaus ... es waren tiefe Wunden, die er mit sich trug, die er verbarg.
    Nun, da seine Kapuze sein gesicht nicht mehr verdeckte wurden sie seinen Gesichtszügen offenbar; sie sprachen ihre ganz eigene Sprache. Sie begegnete seinem goldenen Blick ohne ihr Zutun mit blanker Kälte.


    "Zu Eurer ersten Frage.", nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. "Was ich verlange, hängt davon ab, was es Euch wert ist Eure Antworten zu erhalten."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Sicil seufzte, er hatte das Schild draussen eigentlich gar nicht richtig beachtet, auch weil er im Sonnenlicht über den Marktplatz gelaufen war. Nun hätte er sich dafür Ohrfeigen können.


    "Tja, dann bin ich mal gespannt, was ihr mir eröffnet, dass ich noch nicht weiß!"


    Sicil betrat das Zelt nun vollends, legte den Umhang ab und fragte mit Blicken und Gesten, ob er sich setzen könne. En wenig mulmig war ihm schon zumute, aber er schluckte seine bedenken herunter.

    '...by the pricking of my thumbs, something wicked this way comes...'
    William Shakespeare, Macbeth (IV, i, 44-45)
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