Wolfsspuren

  • Alles geben die Götter, die unendlichen,
    ihren Lieblingen ganz:
    alle Freuden, die unendlichen,
    alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.


    Johann Wolfgang von Goethe (aus: "Seefahrt")


    ~ ~ ~


    Ein Gewühl von Schatten erfüllte das dichte Unterholz. Die Bäume wiegten sich in einem ruhigen Wind, der die Blätter streichelte und sie stetig flüstern ließ.
    Es war zu jener Stunde, zu der die Sonne schon verschwunden, der Mond noch nicht aufgegangen war, weder Tag noch Nacht herrschte, sondern das wispernde Zwielicht einer Zeit zwischen beiden. Die Luft roch schwer und feucht, ein paar dunkle Wolken dräuten am tiefen Düsterhimmel, verdeckten die ersten Sterne. Gefährten waren sie wahrlich, ein Schatten auf zwei Beinen, ein anderer auf vier weichen Pfoten, gleichsam geschmeidig und verschmolzen mit den Wäldern. Nir'alenar lag fern hinter ihren Mauern, hier herrschte niemand über Grund und Bewohner. Alleine dem Gesetz der Natur unterworfen, strichen auch sie beide durch den Wald, die Nasen umweht von Fährtenduft und Waldgeruch.


    Ein Schatten nach dem anderen floh vor dem goldenen Glühen eines Paares grüner Wolfsaugen. Layias Sinne waren wach und klar, nichts entging den gespitzen Ohren, nichts der witternden Nase, nichts übersah ihr reflektierender Blick. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, malte dunkle Striche auf ihr Gesicht, als die Wolken für einen Augenblick das Sternenlicht freigaben und es zu ihnen vorstieß. Der Wald hatte sie in seine Adern aufgenommen, sie floß davon, trieb wie ein Blatt im Wind.
    Ihr Blick fiel auf Argon, den Tua'tanai, zumindest suchte er die Gestalt des Wandlers im nahen Dickicht, dass den bepelzten Körper nur widerwillig freigab. Ein Stich im Herzen, gemischt mit Freude rang ihr ein weiteres Lächeln ab, gleichzeitig mit einem Winseln bettelte ein Wolf in ihrem Inneren um Aufmerksamkeit. Scharrte an den Toren, begann einen Weg nach Außen zu graben.


    Layia schluckte.


    Viel Schönes hatte sie durch ihn gesehen, viel Hässliches durch ihn erlebt. Viel hatte ihr bewiesen, dass sie stark war, stärker als sie gedacht hatte. Und doch war eine eizige Angst geblieben. Die Angst vor der Angst selbst. Die Angst vor etwas, das sich nicht kontrollieren ließ und sie ihren Verstand verlieren machte. Spitze Eckzähne blitzen aus dem Lächeln, ehe sich die Lippen wieder schlossen. Ein kehliges Knurren nur drang aus der Kehle, eine silberne Perle tropfte aus ihrem Auge, spritzte ungesehen davon als sie ihre Schritte beschleunigte.
    Sie ließ sich nichts anmerken, trieb weiter durch das Gehölz, hörte unweit die trappelnden Laute von Pfoten.
    Heute sollte die Nacht werden, jetzt sollte der Moment sein, in dem sie loslassen wollte. All das loslassen, das sie so lange bedrückt und gequält, alles was sie in sich verschlossen hatte. Doch zwei Jahrzehnte Angst, zwei Jahrzehnte Furcht, ließen sich nicht einfach vergessen. Sie fühlte weiche Pfoten, die die Erde liebkosen wollten, schüttelte ein pelziges Haupt - und fühlte im selben Moment wieder ihr Gesicht mit den elfischen Zügen. Es ist nicht möglich!, schrie es in ihren Gedanken.


    Du hast es gewusst., sagte ihr Herz.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

    Einmal editiert, zuletzt von Shiai ()

  • Es war herrlich. Der Wald konnte so viel Geborgenheit bieten, wenn man sich nur darauf einließ. Doch ebenso gefährlich konnte er sein. Der Wald war alles was er zum Leben brauchte. Im Wald wurde es nie langweilig. Der Wald gehörte zu ihm, genauso wie der Wolf. Es benötigte wohl alle drei Dinge zum Leben. Die Bäumen boten Schutz und versteckten einen, doch genauso auch seine Opfer. So wie ein Tua’Tanai zwei Seiten besaß, so besaß sie auch der Wald. So schön, so elegant so voller Leben auf der einen Seite, konnte er genauso düster und auch tödlich sein. So wie er selbst. Es konnten wohl kaum unterschiedlichere Charaktere in ihm stecken als der Wolf und der Zweibeiner. So einer wie er passte wohl nur in die Wälder. Denn nur hier konnte er beide Seiten ausleben. Es war schon eine weile her, doch einige Narben erinnerten ihn immer wieder daran, wie es war, einen Teil von sich selbst zu unterdrücken. Er wusste nur zu gut, wie schmerzhaft es sein konnte, egal welcher der beiden der Unterlegene am Ende war. Ein Tua’Tanai konnte nur existieren, wenn er beide Seiten akzeptierte und nutzte. Lange hatte es gedauert ehe er dies wirklich verstanden hatte und dies auch verinnerlicht hatte. Wohl auch zulange, wenn er sich an die Jahre der Kämpfe entsinnte. Es stimmte ihn fast schon nachdenklich. Am Ende hätte er damals bei nahe seine Humanoide Form verloren. Doch rechtzeitig hatte er verstanden.
    Zu ihrem eigenen Leidwesen hatte seine Begleiterin dies wohl noch vor sich. Layia war inzwischen wesentlich mehr für ihn, als nur eine Bekannte. Ja fast schon eine Verwandte. Beide wussten wohl am ehesten, welchen Fluch der Wolf bringen konnte. Nur hatte sich ihr bisher leider der Segen dieser Gabe verschlossen.
    Bei dieser Wanderung spürte er deutlich den Wolf und sein wildes ungefesselte Ich. Ein Ich, welches er kaum kontrollieren konnte und eben dieses auch aufgegeben hatte. Ein in Freiheit lebender Wolf ist friedlicher als in Gefangenschaft, schoss es ihm durch den Kopf. Und Layia schien langsam aber sicher ähnliche Gedanken zu haben.
    Mit Wolfszähnen lächelte er ihr zu. Zusammen würde sie sicherlich alles schaffen, wie ein Rudel. Ein ehr aufbauendes Winseln verließ seine Kehle, als wollte er sie aufmuntern mit einfachen Dingen, wie sie Worte niemals sein konnten.

  • Verbissen in ihre Gedanken rang sie um Beherrschung. Das aufmunternde Winseln Argons strich um ihr Elfenohr wie lauer, süßer Wind, doch fühlte sie einen unsichtbaren Pelz sich sträuben, die Schultern und das Rückgrat hinab. Sie spürte sich von Kraft durchströmt, welche nicht ihre eigene war, sondern die eines viel tieferen inneren Selbst, einer Urkraft die sprudelte wie eine Quelle, die man all zu lange verschlossen hatte. Sie spülte sich ihren Weg immer weiter, Layias Knie wurden weich, das Gesicht eine angestrengte Maske. Sie hatte keine Kraft mehr, und konnte doch die fremde, viel größere Kraft nicht annehmen, die immer noch ihr ruhte. Sie stieß den Wolf zurück, hörte ein Heulen in sich. Ein Keuchen war ihre Antwort darauf, ein müdes, erschöpftes Keuchen und ihre Schritte wurden langsamer, ihr wilder Herzschlag verebbte zu einem gleichmütigen Pochen, der Glanz ihrer Augen jedoch war ungetrübt, als sie stehen blieb.
    Ihre schlitzförmige Pupille haftete auf dem Dickicht, sie beugte sich nach vorne, die Hände auf die Knie gestützt, den stechenden Schmerz hinter den Rippenboöen verdrängend, gleich ob er von ihrem ungleichmäßigen Atem oder dem tieferen Schmerz kam.
    Die Nähe zu ihrem Seelensplitter machte sie nervös, Geräsuche, Gerüche waren zu intensiv, fast surreal. Sie konnte das nahende Gewitter in ihren Knochen fühlen, eine Gänsehaut überzog ihre Arme.


    Da in ihren Ohren nunmehr das eigene Blut dunkel rauschte und ihre Ohren betäubt waren, konnte sie nicht hören ob Argon immer noch in ihrer Nähe war, doch ihre Nase hatte seine Witterung nicht verloren. Wild und zerzaust wehten ihre Haare um ihr blasses Gesicht, auf dem sich rote Flecken der Anstrengung zeigten. Die Kehle trocken und die Stimme heiser, klangen ihre Worte dramatisch, zweideutig, tiefer als Layia sie klingen lassen wollte.


    "Ich habe keine Kraft mehr.", keuchte sie, mehr zu sich selbst als zu Argon, wischte sich fahrig Haarsträhnen aus der Stirn. Ein flackernd lächelnder Blick tastete nach dem Gefährten, den sie nahe wusste.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Neugirig kam er ihr immer näher. Er spührte das Beben in ihr und wie etwas an die Oberflächer ihrer Selbst drang, vergeblich. Sie unterdrückte es immer noch und immer wieder. Wie lang vermochte dies wohl noch gut zu gehn. Er selbst wusste nur zu genau, was es am Ende brachte, wenn man das Tier in sich unterdrückte. Es brachte Schmerz und Leid und nicht nur für einen selbst. Jahre hatte es ihn gekostet dies zu lernen. Doch nicht nur Zeit hatte er dabei verloren, auch seine Familie und beinahe sogar sein Leben. Im Nachhinein kommt er sich ziemlich töricht vor. Vorallem wenn er bedenkt, dass es ihn auch die Begegnung mit dieser Wandlerin gekostet hätte. Der Wolf wollte ihr helfen, sein Wolf, doch wie? Wie konnte er auf vier Pfoten ihr und ihrer anderen Seite helfen.
    Die letzten roten Strahlen huschten über die Wälder und wie von diesen Verfolgt kamen die weißen Strahlen der Nacht zum Vorschein. Schimmernd schwammig erhob sich die Sichel. Als wolle sie sich mit letzter kraft gegen die Dunkelheit erheben. Doch wie es in jeder Nacht war, wohl ehr vergebens. Die wenigen Strahlen vermochten es kaum sich durch zu setzten. Noch dazu in den Wäldern, wo die Bäume schon am Tage es verstanden das Licht aufzuhalten. Doch für die beiden Wandler reichte dies aus. Sie konnten sehen, wo andere nach dem Weg tasten mussten.
    In dieser Dunkelheit wandelte sich Argon wieder. Als in seiner Wolfsform konnte er nicht das tun, was er tun wollte. Er wandelte sich direkt hinter Layia, derren Sinne ihn wohl grade nicht wahr nahmen. Hinter ihr stehend vom Dreck bedeckt umfasste er sie. Sanft glitten seine Arme über ihre Schulter. eng stand er an ihr, berührte ihren Rücken, wollte Trost spenden.
    Er ahnte, dass die Worte weniger ihm galten, doch wollte er ihr antworten. Sanft erklang seine ruhige Stimme. Ein Gefangener wird immer gefährlich sein, doch der freie Wolf, wird dir steht's ein guter Freund sein. Er legte seinen Kopf auf ihren Schultern ab und blickte hinunter. Seine Arme umschlossen ihre Brust. Sieh auf meine Arme. Diese Narben stammen aus der Gefangenschaft. Wir haben uns gegenseitig bewacht, ehe wir lernten zu vertrauen. Lerne zu vertrauen. Lass dich fallen. Wehre dich nicht. Denn das Bewachen wird mit jedem Tag nur noch mehr schmerzen verursachen. Lass es raus. Dein Wolf wird mir nichts tun, was ich mir nicht selbst schon längst angetan habe.

  • Für einen Moment war Layia im Erschrecken gefangen, Ohren zuckten kurz, Zähne blitzen, dann war sie wieder still, spürte eine unerwartete Umarmung, unerwartete Nähe und doch herzzerreißende Ferne. Sie fühlte ihr Herz pochen, hörte ihren Atem rasseln, denn für einen Moment war alles still. So still, dass sie bemerkte wie nah Argons Atem, seine Worte an ihrem Ohr war. Ein Anflug von Übelkeit, ein Krampfen ihres Herzens, dann flackerte ihr Blick hinab auf Argons Unterarm.
    Lange sagte sie kein Wort, starrte ohne zu blinzeln auf Narben hinab, die sie ebenso auf ihrer Seele spürte. Ihr Atem beruhigte sich, bis er ruhig ging und ihr Herz nicht mehr jagte wie zuvor.


    Ein wenig verkrampft atmete sie auf, öffnete den Mund aus dem Worte kommen sollten, doch nur ein stummer Hauch entfloh ihm, ihre Stimme schwieg. Layia schluckte, hob eine Hand um ihre Finger vorsichtig und zaghaft auf Argons Arm zu legen, ein Hauch von Berührung und doch spürte sie die Verbindung. Die beiden Wandler verband viel mehr, als Layia zunächst gedacht hatte, hatte sie doch gehofft es sei nicht mehr als ihre Wolfseelen, die sich ähnelten, so musste sie nun erkennen, dass auch er tiefe Narben trug. Er wusste um ihren Schmerz, Layia begann zu verstehen, wie er sich fühlen musste, wie es sein musste, jemanden leiden zu sehen, der litt, wie man selbst gelitten hatte.
    Endlich drängten sich Worte an ihr Bewusstsein.


    "Du versprichst mir Dinge, die ich nicht annehmen kann. Du... kannst doch nichts dafür.", sagte sie heiser und ihre trockene Kehle erwehrte sich weiterer Worte. Sie hoffte und doch befürchtete sie, dass Argon sie nicht damit alleine lassen würde. Gleichzeitig wehrte sich alles in ihr gegen eine Umarmung, gegen jede Nähe und doch wollte sie nicht, dass der Moment vorrüberging. Sie war durcheinander, so durcheinander, dass sie das Winseln ihres inneren Wolfes für ihr eigenes Weinen hielt, dass sie nicht wusste ob ihre Sinne noch die ihren waren, dass sie nicht wusste ob ihre Wolfsaugen noch sahen was sie sehen wollte, oder längst das wirre Farbenspiel von Tieraugen zeigten.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Auf eine ungewisse ganz eigene Art beneidete er seine Wolfschwester. So lang hatte sie es schon durchgehalten. So stark war sie, ist sie und das nun schon so lange. Er selbst hatte in der Vergangenheit weit aus weniger Eigenbeherschung bewiesen. Wer weis wie sich alles entwickelt hätte, wäre er so stark gewesen, wie es Layia ist. Vielleicht würde er ohne den Wolf zu missen durch die Wälder ziehen, ohne seine Fangzähne, ohne seine Krallen und ohne die Narben auf der Oberfläche und denen im Inneren. Wie oft hatte es ihn schon innerlich zerfetz bei den Versuchen ihn zu unterdrücken oder auch sich selbst zu befreien. Es war vielleicht auch sein Glück, dass er nicht ihre Stärke besaß, denn dann hätte sie vermutlich auch sein Wolf gehabt und er wäre es, der nun an seiner Stelle mit Fell durch die Wälder streifen würde. Es war wohl besser so wie es nun war. Die Balance ermöglichte ihm ein Leben, was sich wohl nur wenige Vorstellen konnten. Ein Leben, welches sich ihm aus mehreren Perspektiven bot. Und doch schwand sein Neid auf ihre Stärke nicht. Sie beeindruckte ihn nur noch mehr. Sie war etwas besonderes und damit meinte er nicht nur ihre Willensstärke. Ihr fühlte er sich verbunden, wie zuvor noch nie. Da war etwas, was ihn an sie band, etwas dasanders war, anders als das, was er mit Okina hatte. Layia schien seine Seele zu teilen. Und doch schien sie seine Hilfe nicht annehmen zu können oder zu wollen. Doch sie hatte er recht, er konnte nichts dafür. Er konnte genauso wenig dafür wie sie selbst. Und du auch nicht. Wir suchen uns unseren Wolf nicht aus. Er hat uns beide ausgesucht. Doch wir können damit leben. Ich sehe wie es dich zereißt, wie es raus will. Und ich möchte nicht das du leidest, so wie ich gelitten habe. Dich habe ich dafür viel zu gern. Unwissend ob der Worte, der Erinnerungen oder der Gefühle, eine Träne glitt seine Wange hinab.

  • Nichts war vergleichbar mir dem skurrilen Wirrwarr von Gefühlen in den Tiefen ihrer Seele, als ein tragikomisches Theater aus alten Tagen. Sie spürte Tränen, wie sie sich drängten, aus ihren Augen quellen wollten wie Schmelzwasser, das unter einem Gletscher hervordrängte und zugleich spürte sie ein warmes Lächeln auf ihren Lippen, die aller Welt zeigen wollten, wie wunderschön es war, voll und ganz angenommen zu werden. Sie spürte das Brechen eines Dinges in sich, dass sie für unzerbrechlich gehalten hatte. Niemals hätte sie geglaubt, dass der Panzer um sich selbst so leicht aufzuknacken war. Ein großer Teil ihrer selbst fühlte den unsäglichen Schmerz, der dadurch verursacht wurde, spürte die Panik und die Angst ... ein anderer, ungleich kleinerer Teil witterte bereits die Freiheit und ertastete mit der forschenden Schnauze die ersten, feinen Risse.


    So absurd und gegensätzlich wie auch ihre Gefühle, war der Ausdruck ihrer Augen, nunmehr waldgrün, Pupillen geschlitzt, der Augengrund das spärliche Licht reflektierend. Sie musste nicht aufsehen um die Träne zu sehen, die einzeln an Argons Wange herablief, noch konnte sie Worte finden, fand sie überflüssig. Sie beide waren auf eine Weise verbunden, in der man keine Worte mehr brauchte. Layia blinzelte, schob sich aus Argons Umarmung heraus, bemerkend wie warm sie gewesen war, und sah ihn unverwandt und stumm an.
    Noch immer fochten Tränen und Lächeln einen aussichtslosen Kampf auf ihrem Gesicht und noch immer wehte ihr Haar zerzaust um ihr blasses Gesicht. Langsam kroch die Träne an Argons Gesicht hinab. Sie versuchte nicht, ihn zu berühren, sie wegzuwischen, eine Hand zu erfassen oder die Schulter zu drücken oder etwas anderes von all dem, was ein anderer vielleicht in einem solchen Moment gemacht hätte. Vielmehr zeigte sie Argon ihr wahres Gesicht, wie es war, ungeachtet dessen, dass es einen erbärmlichen Anblick bot, denn Argon wusste auch um ein anderes Gesicht, um ein viel tieferes, ursprünglicheres. Er hatte es vermocht, tiefer zu sehen, als es jemand zuvor es je vermocht hätte.
    Schmerzhaft war die Erinnerung an Sicil, der ihr seine Unterstützung und Schulter aus tiefstem Herzen angeboten hatte ... und sie hatte nicht geahnt, dass es so nicht möglich war. Unbewusst erfasste sie das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen.


    Der Wolf in Layia verhielt sich wenig rücksichtsvoll, er scharrte unaufhörlich an dem Tor, dessen Riegel Layia zurückgeschoben hatte, aber noch immer mit aller Kraft, die ihr geblieben war zudrückte. Unerwartet drängten sich Worte auf ihre bebenden Lippen.

    "So führt uns das Schicksal immer wieder zu wundervollen Seelen ... voller Wunder."
    , wisperte sie, doch ohne das man ihre Stimme als rauh hätte bezeichnen können. Einen Moment lang schwebte das Gleichgewicht zwischen Weinen und Lachen. Unmöglich, dass dies ein Wunder war, doch war sich Layia sicher, dass niemand außer Argon es vermocht hätte. Sie blickte voller Wärme in seine Augen.


    Das Lächeln siegte.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

    Einmal editiert, zuletzt von Layia Wolfstochter ()

  • Argon ahnte was in ihr vorging. Auch wenn es schon Jahre her war, so hatte auch er lange mit dem Wolf gehadert. Letzt endlich war es bei ihm die Natur, die ihn mehr oder weniger sanft dazu zwang der Kreatur freien lauf zu lassen. Doch diese Freiheit allein führte nicht zum Gleichgewicht. Wie ein langer Schlaf wirkten die Erinnerungen an die Zeit, die er kaum bewusst wahr nehmen konnte, an die Zeit in der er im Rudel lebte, an die Zeit, welche sein Wolf der Stärkere gewesen war. So lang hatte er sich verwehrt, bis er selbst zum laufen zu schwach. Er konnte nur Mutmaßen, was wohl ihr Wolf mit ihr anstellen könnte. Sie sollte nicht diese Erfahrung machen. Oder doch. Es hatte ihm zumindestens viel gelehrt, auch wenn er für diese Lehren leiden musste.
    Langsam lößte sie sich. Ohne widerstand ließ er die Umarmung ab von ihr. Beide standen sich un gegenüber. Ihre blicke ruhten auf dem jeweils anderen. Ohne Worte erwiderten sie lediglich die Blicke des jeweiligen und schienen gleichwohl in ihren Gedanken vertieft. Layia war es, die diese Stille durchbrach, mit ihren Worten und ihrem Lächeln. Argon konnte nicht anders als eben so wie die Stille zuvor, nun auch dieses Lächeln zu erwidern. Es war erleichternd wieder zu lächeln.
    Wir sind vier, war seine Antwort. Vier Seelen sind hier zusammen gekommen. Vier Seelen und ein Wunder. Er wusste nicht was er sonst hätte sagen sollen, doch zumindest brachte es ihm kurz zum lachen, was seine Zähne aufblitzen ließ.

  • Auch Layia lachte. Kurz und kühl, doch es brach die Starre, die von ihr Besitz ergreifen wollte. Ein wenig Licht fing sich in ihren spitzen Eckzähnen und sie blickte an den sich allmählich verdunkelnden Himmel. Für einen kurzen Moment rissen die Wolkenschichten auf, einzelne, blasse Lichtstrahlen drangen durch das Blätterdach zu ihnen vor, kaum ein würdiges Abbild des Mondes, wie er über den Wellen fernab über der Kuppel stand.
    "Vier."
    Mit erschütternder Macht traf sie die Erkenntnis, dass sie aus ganz anderen Gründen vor diesem Problem stand. Zum ersten Mal, seit sie ihre Heimat verlassen hatte, fühlte sie Zorn, bebenden Zorn, der allein derjenigen entgegenbrandete, die sie fortgeschickt hatte. Ihre Mutter. Sie hatte ihrer Tochter ins Gesicht gelogen. Ob voll mütterlicher Sorge oder nicht, es war Layia gleich, sie war zornig und wenn der Weg nicht viel zu weit und die Bemühungen viel zu groß gewesen wären, sie wäre augenblicklich aufgebrochen, ihre Heimat aufzusuchen. Es schmerzte sie, nicht fragen zu können, es scmerzte noch mehr, nicht weinen zu können. Diese Tränen waren schon vor Jahren geweint worden, waren längst getrocknet.


    Sie seufzte bebend, ihr Blick kreuzte Argons, dann schloss sie die Augen voller Erwartung und lauschte auf ihren eigenen Herzschlag. Was kommen sollte, das sollte kommen. Langsam löste sie die Kräfte, die den Wolf zurückdrängen sollten, vorsichtig trat sie innerlich einen Schritt zurück, zitternd blieb sie stehen. Nichts geschah.
    Der erwartete Schmerz blieb aus, beinahe schmerzte die entttäuschte Erwartung mehr, als das Drängen des Wolfsseele. War sie zu verkrampft, zu angespannt? Nervosität ließ ihren Blick flackern, große, runde Pupillen blickten gebannt und dunkel an den Himmel. Ihr Wolf war nicht starkt genug, es gab keine Verbindung zwischen ihm und ihr ... wie sollte sie ihn rufen, wie sollte er sie rufen? Sie hatte es gewusst! Zorn mischte sich mit Verzweiflung. Ein Anflug von Übelkeit ließ sie innehalten, kraftlos ließ sie ihre Schultern sinken und schluckte. Geduld.
    "Gehen wir weiter.", sagte sie mit ungewohnt tiefer Stimme, unterdrückte mit einem Schlucken ein sachtes Schaudern und sah in das Dämmerlicht des Waldes.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Doppelpost

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Argon merkte wie Niedergeschlagen Layia war und es tat ihm Leid. Ihr zu helfen war sein Wunsch und nicht ihr noch mehr Sorgen bereiten. Doch wenigstens hatte sie kurz gelacht. Auch wenn er sich nicht so sicher war, ob dieses wirklich ernst gemeint war. Argon konnte sie verstehen, aber er musste zugeben, dass er sie nicht lesen konnte. Zu gerne hätte er nun gewusst, was in ihr vorging, doch er ahnte es nicht einmal. War sie betrübt? Darüber, dass er ihr so viel Negatives von der Gewalt der Unterdrückung erzählt hatte. Es stimmte zwar, dass es da viel Negatives gab, doch es gab auch viel Positives. Das Leben eines Wolfes hatte eingies zu bieten, vielleicht sollte er es ihr zeigen. Auch wenn er erstmal eine Weile nicht die Wolfsgestallt annehmen konnte, so konnte er wenigstens eingie seiner Fähigkeiten nutzen.
    Er lächelte ihr zu und legte die Hand auf ihre Schulter. Nein, meinte er leicht belustigt, lass uns rennen. Ein Wettrennen. Wer schneller am Horizont ist? Mit diesen Worten begab der Wandler sich auch sogleich in die Startposition.

  • Mit einem kurzen Aufleuchten in den Augen ließ sie der Kehle ein raues Knurren entkommen. Der Wolf machte es ihr schwer, klare Worte zu sprechen, sie klangen vielmehr rau, ungeschliffen. Seine Präsenz füllte ihren Kopf, verwirrte ihre Gedanken, machten anderes Denken als das wölfische unmöglich. Sie lächelte, zwar kraftlos, doch aus vollstem inneren, druchwühlten Gefühl. Der Wolf grub sich mit der Schnauze durch ihre Gefühle und Gedanken, seine Pfoten schoben manche Dinge beiseite, scharrten anderes aus dem harten Geist hervor.


    "Einverstanden."


    Sie begab sich anders als Argon nicht in Startposition, sondern verweilte genau so, wie sie auch zuvor dagestanden hatte. Sie legte noch ein letztes Mal den Kopf in den Nacken, erfasste den blassen Schimmer des Mondes auf der Kuppelfläche, sog seine gerade so spürbare Kraft mit jedem Atemzug tief ein. Sie konnte nicht sicher sagen, ob sie sich anders fühlte als zuvor, ob sie nun wirklich eins mit dem Wolf in sich war, oder ob sie sich noch immer getrennt voneinander misstrauisch beäugten. Doch eines hatte sie sogleich bemerkt; sie selbst, das was sie war, was sie ausmachte, hatte sich verändert.
    Noch wusste sie nicht, ob sie darüber glücklich sein sollte, es machte ihr Angst, sich selbst nicht mehr richtig zu kennen. Nach Jahren des Alleinseins kannte sie ihr Inneres in und auswendig, wusste genau wann sie wie reagieren würde, konnte ihre Beherrschung so gut einschätzen, dass sie selten in Gefahr kam, den Wolf nicht mehr zähmen zu können.
    Nun gab sie ihre Macht an etwas ab, das sie nicht kannte. Der Wolf konnte nun entscheiden, was zu tun war. Sie wusste, dass sie ihm nicht widersprechen konnte. Sie hoffte, das er ihr wohlgesonnen war.
    Alles oder nichts. Was kommen sollte, das sollte kommen.
    Die Angst ist wie ein kleiner Tod - sie musste ihn nur sterben, um sich ihre Kraft anzueignen.


    "Worauf wartest du noch, Argon?", sagte sie schließlich, wandte den Blick von der Kuppel ab und lächelte schwach. Mit einem Funkeln in den Augen blickte sie ihn unverwandt an. "Lauf!"

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Wer schneller am Horizont ist, sprach er grinsend und rannte los. Er genoss den Wind des Laufens in seinem Gesicht zu spühren, den Boden unter seinen Füßen, die Äste in seinen Händen. Argon war es schon von den frühen Jagtausflügen gewohnt, dass der Wald keine Rennstrecke bot. Es glich ehr einem Hindernislauf. Immer wieder sprand der Wolf-Tua über Wurzeln oder hielt sich am Geäst fest, um sich über einen Busch zu schwingen. Hin und wieder stütze er sich mit seiner Hand an den Bäumen links und rechts ab oder rutschte ein stückchen hinab, wenn es der Boden zu ließ. Bei solchen Läufen vermochte er alles zu vergessen, um sich nur noch dem Erspühren des Waldes hinzugeben. Zu fühlen, wie die Mose unter seinen blanken Füßen für einen Moment nachgaben. Zu sehen, wie der Wald einen unbekannten Weg frei gab, keine Grade, keine Strecke, kein Pfad und doch ein Weg, der sich über Steine, Wurzeln und Sträuchern hinweg schlängelte, mal Links und mal rechts am Baum vorbei. Nun gut, so ganz stimmte es nicht, alles ließ es ihn nicht vergessen. Er drehte den Kopf leicht, er wollte seinen Blick nicht allzu weit abwenden, nicht dass er am Ende noch gegen einen Baum lief. Doch grade weit genug um nach ihr ausschau zu halten, Layia. Schwer ging sein Atem und sein Blick versuchte den ihren zu finden.

  • Argon war davon. Ihr Körper setzte sich ohne ihr Zutun in Bewegung, ihm nach, durch das scheinbar undurchdrinbare Dickicht. Ein in alle Richtungen auffächerndes Gefühl von Nervosität durchströmte ihre Adern, doch versuchte die wölfische Seele sie zu fassen und abzusichern, ihr wie ein wilder Vogel aufflatterndes Herz wieder einzufangen.
    Ihr Schritt beschleunigte sich, immer mehr erschien es der Halbwandlerin, als wiche das Dickicht vor ihr zurück, als gäben die Bäume ihr einen Weg frei, einen Pfad zwischen allerlei Geäst und Wurzeln, durch das sie glitt, als müsse sie den Boden nicht einmal flüchtig berühren. Ihr Geist war stets einen Schritt voraus, ihre Sinne geschärft wie noch nie und doch fühlte sie sich wie betäubt, hin und wieder flackerten Fragen auf, wie das Mondlicht, das durch das Laub der Kronen brach und sich fleckig über das Unterholz ergoss. Horizont., sagte ihre innere Stimme, ungewohnt klar konnte Layia sie hören, einen Nachhall erzeugend verklang sie wieder.


    Ihre Augen tasteten den Weg vor sich nach bekannten Umrissen ab, nach dem Pelz ihres Freundes Argon, der sich irgendwo vor ihr bewegen musste. Diesmal jedoch, kam ihr jeder Ast bekannt vor, jedes brüchige Stück Rinde, das unter ihrem leichten Fuß nachgab, jedes weichfeuchte Fleckchen Moos, jedes einzelne wispernde Blatt. Der Wolf brachte eigene Erinnerungen mit sich, sein Auge erkannte Dinge wieder, die Layia noch nie gesehen hatte. Duftspuren flatterten wie unsichtbare Stoffstreifen an den Ästchen, verrieten, wohin Argons Wolfgestalt verschwunden war.
    Noch fühlte sie weder Schnauze noch Fell, noch gab es vier Pfoten oder weichpelzige Ohren, die sich vor dem rauschenden Wind nach hinten drehten. Es war nicht ihre Entscheidung, sondern die des Wolfes. Mochte er sie treffen, wann er sie treffen wollte.


    Einen Augenblick später erfasste ihr Blick Argon, wie er zwischen den Stämmen auftauchte, hinter dem nächsten wieder verschwand als sie vorüberglitt. Plötzlich entkam ihr ein klirrendes Lachen, sie drehte sich wie im Tanz an einem weiteren Stamm vorbei und warf sich, mit den ausgstreckten Armen voran, über einen umgestürzten Baum hinweg, landete auf allen Vieren, richtete sich wieder auf und unterbrach den Fluss ihrer Bewegung keinen einzigen Augenblick. Ihrer Kehle entkam ein Wolfsjauchzen, keine Nervosität mehr, nur noch Neugierde. Der frische Wind durchwühlte ihr Haar.


    Und wie sie sich weiterbewegte, mit wachsender Bewusstheit jeder Faser ihres Körpers, fühlte sie wie sich ihr Körper schmälerte, sich Gliedmaßen streckten, ihr Gangbild sich zu einem Traben auf vier weichen Pfoten veränderte. Für den Bruchteil einer Sekunde löste sich ihre hominide Form auf, ein kleiner, schmaler Wolf duckte sich gewandt unter einem tief hängenden Tannenzweig hindurch, sein rotliches Fell mit graudunkler Zeichnung auf Rücken und Rute blitzte im Mondlicht auf, große Ohren fingen jedes fliehende Geräusch, ehe wieder die Wandlerin Layia zwischen den Zweigen entlang strich und sich ihr Schritt verlangsamte, zu einem Schlendern wurde.
    Ein Lachen lag auf ihren Zügen, ihr schnell gehender, hechelnder Atem ließ ihr jedoch keine Luft es zu Atmen. Ihre glänzenden Augen blickten sich nach Argon um, ihre Finger strichen zärtlich über die Tannenzweige, die ihren Pfand säumten. An einen, von harzigen Tropfen klebrigen, Stamm lehnend verschnaufte sie, das Baumharz roch um ein vielfaches intensiver, als sie es je gerochen hatte, die zahllosen Nadeln unter ihren Füßen knisterten wie ein Feuer.


    Sprachlos wie sie war, bestaunte sie mit glänzenden Augen und gespitzen Ohren die Welt, die sie kannte und doch nie zuvor so intensiv kennengelernt hatte.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Die Bäume verschwammen am Rande seines Blickfeldes, er jagte an ihnen vorbei, immer weiter voraus, immer weiter in die Nacht hinein. Sein Blick wanderte unabläßlich von der Rechten zu seiner Linken und suchte ihren Blick. Instinktiv bewegte er sich zwischen dem Geäst hindurch, nahm die eigentlichen Hindernisse kaum noch wahr. Hier irgendwo musste sie sein. Sein Augen versuchten Layia zwischen den Bäumen zu erspähen. Und da war die Halbwandlerin. Zwischen den Bäumen sah er sie, unweit von ihm. Sie konnte gut mithalten, ja sie wurde so gar schneller un zog an ihm vorbei. Sie war einfach nur erstaunlich. Der Wolf in ihm heulte auf, er durfte sich doch nicht von einer Halbwandlerin schlagen lassen. Er spührte diesen Ehrgeiz in sich, schneller zu werden und belächelte ihn sogleich. Soweit man dies so nennen konnte, da seine Mundwinkel ehr den schnellen Atemzügen nachgaben als dem Lächeln. Trotzdem Versuchte er noch schneller zu werden.
    Ein Heulen erklang, das eines Wolfes. War es Layia oder ein fremder Wolf. Argon konnte es nicht zuordnen wurde aber unbewusst langsamer. Es kam aus der Richtung in die er gerannt war. Er empfand das Jaulen aber nicht als Hilferuf, ehr als Jubel. Argon lief lagsam weiter in die Richtung des Heulers. Argon staunte nicht schlecht als er aus dem Schatten eines Baumes hervorkam und Layia erblickte. War es also ihr Jaulen? Hatte sie es geschafft? Argon trat langsam an sie heran, als sie sich anscheinend den Eindrücken der Welt hingab. Langsam streckte er ihr seine Hand entgegen. Willkommen in der Welt der Wölfe.

  • Layias leicht geöffneter Mund zeigte den Glanz eines spitzzähnigen Lächeln, ihre murmelgleichen Augen lagen nun auf Argons Gesicht. Sie ergriff Argons Hand sanft und entschlossen, entließ sie jedoch rasch wieder und das Lächeln verebbte. "Hab Dank.", sagte sie leise, wand den Blick wieder ihrer Umgebung zu, versank im Anblick der tiefhängenden Zweige der Bäume, den von Abendtau glänzenden Triebspitzen.
    Der Himmel war finster geworden, der kühle Wind trug die Geräusche großer Regentropfen an ihr Ohr, sie konnte hören wie sie aufprallten, platzten, versickerten. Unversehens ruhte eine ihrer Hände nun auf ihrer Brust, hob und senkte sich im Gleichtakt mit ihren Atemzügen. Wo war es, das Gefühl des Wolfes, das sie noch eben durchströmt hatte? Gerade noch, nur Augenblicke zuvor waren es Wolfsaugen, welche das Dickicht durchbohrt hatten, nun war das wirre Farbenspiel der Blätter, Zweige, Gerüche und Fährten wieder blasser geworden, gewöhnlich.


    Ein Blinzeln später war sie mit ihren Gedanken wieder bei Argons Worten.
    "Ich fürchte, ich habe sie nur einen kurzen Moment besuchen dürfen.", brachte sie hervor, sah ihrem Wolfsgefährten in die Augen, schlug die Lider nieder. "Es war nur eine kurze Berührung."


    Als mehr und mehr Tropfen fielen und ein dunkles Fleckmuster auf die Tannennadeln zu ihren Füßen zeichnete, drängte sie sich wieder an den Stamm des Baumes, schwieg sich darüber aus, was in ihr vorging.
    Das drängende, sich windende Gefühl eines fremden Seelensplitters tief in sich, das Wühlen eines zweiten Gesichtes, es war fort. Layia bemerkte, wie sehr sie sich daran gewöhnt hatte, nun, da es fort war. Sie wusste weder, was Wolf an ihr war, noch was die Layia geblieben war, die sie in und auswendig kannte.
    Furcht vor dem neuen Gefühl war zwecklos, sie hatte dem Tier die Fesseln genommen, ihm das Heft in die Hand gedrückt, sie hatte gewollt, dass es hervorbricht und sie verschlingt. Nun war sie nicht mehr als ein wirres Gemisch aus allem, was sie in sich trug. Ihre Gedanken kreisten in endlosen Bahnen, ihr Geist brauchte Zeit, sich neu zu ordnen. Fast war es ihr, als müsse sie nur die Hände ausstrecken um sie zu Wolfspfoten werden zu lassen, doch konnte sie es nicht. Layia fühlte sich ertrinkend und im selben Moment verdurstend. Sie fühlte sich plötzlich müde, träge, keine Worte wollten sich finden lassen um etwas zu sagen. Was sollte sie schon sagen?


    Als sie dies in sich spürte, wandte sie sich dem anderen Wandler zu, blickte stumm, wissend, dass er ihren Durst nach Klarheit auch ohne Worte verstand.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Argon sah sie an ohne ein Wort zu sagen. Er wusste nicht was er sagen sollte, konnte oder gar müsste. Es einfach etwas, wobei er ihr nicht helfne konnte. Etwas, wo sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln musste. Er wusste wie zerissen die Seele nach einer lange unterdrückten Wandlung ist und doch fand er keine Worte dafür. Er ahnte was in ihr vorging. Wie das wilde hertrat und nun wieder weicht. wie ein Teil von ihr den anderen ablößt und doch keiner für immer gehalten werden kann, sie kann nur wechseln. Doch wie sollte er so etwas erklären, wo er selbst sich dieser nicht einmal sicher war. Er hatte erkannt, dass die Wandlung ihn komplett machte, doch diesen zustand zu halten, würde alles nur wieder trennen. Ein Tua musste im Wechsel zwischen den Welten leben um komplett zu sein. Schweigend betrachtete er sie, sagte nichts und drückte doch verständnis aus.
    Der regen wurde immer stärker, langsam legten sich seine ins Gesicht. Die Kleidung wurde schwer un kühl. Und ohne seinen Blick von Layia abzuwenden wusste er, dass sein Anblick dem schmelzen des Schnees gleich kommen musste. Er spührte wie der regen den Sand und dreck, der seine Haut dunkler werden ließ, abwusch und wie er Tropfen für Tropfen langsam seine Haut herunter ronn. An ihr konnte er das nicht sehn. Irgendwie wirkte sie makellos, selbst in diesem Wetter.
    Wie aus einem Traum erwachend nahm er sie nun wieder wirklich wahr. Ich denke wir sollten vielleicht einen Unterschlupf suchen, oder zumindestens etwas laufen, ehe uns kalt wird.

  • Layia nickte schwach, ihr Blick war unfokussiert, schwebte irgendwo zwischen den vielen Regentropfen die vom Himmel stürzten. Verloren und ziellos huschten ihre Gedanken durch ihren Kopf, mal klar, mal verschwommen dachte sie an die zurückliegenden Momente, fühlte das Sträuben eines Pelzes, wo keiner war.
    Dann, mit einem scharfen Einatmen, raffte sie sich auf und lächelte Argon an, dem der Regen den Schmutz vom Gesicht gewaschen hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, eine Gänsehaut unterdrückend sah in den sich verfinsternden Himmel. "Du hast recht, lass uns zurück gehen ... es wird dunkel. Es ist nicht weit zu meinem Baumhaus."


    Mit zunehmender Dunkelheit wich auch immer mehr Wärme aus der Luft, getränkt von Regen wirkte sie eisig und peitschend, doch Layia spürte ihn nicht, als sie neben Argon herging. Ihr Blick wanderte ziellos umher, im diffusen Dunkel sahen ihre Wolfsaugen wie zwei kleine Spiegel aus. Sie versuchte nicht zu tief in eine Gedankenwelt zu versinken, die sie nicht verstehen konnte, noch nicht, doch es fiel ihr schwer. Sie fühlte sich auf eine nicht beschreibbare Art und Weise leer, sich selbst fremd, als habe man ihr Inneres gegen ein anderes getauscht. Keine Kapsel voll verschlossener Ängste barg sie mehr, stattdessen wirbelte eine wilde Mischung aus allem in ihr. So wandte sie sich schließlich Argon zu und sah ihn nachdenklich von der Seite an. Eine Frage drängte sich hervor.


    "Woher weißt du, wer du bist, wenn du dich wandelst?", fragte sie zaghaft, schniefte kurz und wischte sich ein paar Regentropfen aus dem Gesicht. Nachdem sie nicht mal in diesem Augenblick wusste, wer sie war ... wie gefährlich mochte es dann sein dies in der Wolfsform herausfinden zu wollen. Layia beschlich das Gefühl etwas trennen zu wollen, was sich bereits endgültig vermischt hatte.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Mit seinem Nicken setzen sie sich langsam in Bewegung, Richtung Baumhaus. Argon betrachtete den Himmel, wie er von Wolken verdunkelt war und sein kaltes Nass über sie nieder gehen ließ. Es sah düster aus und doch war es irgendwie schön. Die Blätter knickten sich unter dem Druck der Tropfen und doch schienen sie mit jedem Tropfen neue Kräfte zusammeln um sich nur noch kräftiger gegen den Regen zu stellen um noch mehr von ihm abzubekommen. Der Wald brauchte diese Finsternis, ebenso wie er die Sonne brauchte. Licht und Schatten waren sein Naturel und er brauchte beides, wollte er erblühen.
    Layias Frage ließ Argon stottern. Ich denke,…hmm… nun also. Ein weiterer Moment der Ruhe trat ein und er wusste nicht, wie er es in Worte fassen sollte. Du bist immer die Selbe, denke ich… und doch jedes Mal etwas anderes. Ja… Unser Wesen ist die Wandlung, wir sind Wandler, doch können wir sie nicht festhalten. Wir verschwinden zwischen ihnen und leben immer nur einen Teil. Doch wir selbst, das ganze, sind immer Teil einer jeden Seite. Argons Blick galt immer noch dem Himmel, trotzdem setzte er seine Schritte sicher über den Waldboden hinweg.
    Sieh hoch, sprach er plötzlich, war ihm in der Dunkelheit doch ein Licht aufgegangen. Es ist Dunkel, trüb, ungemütlich. Doch der Wald braucht das um zu leben, genauso wie er die Sonne braucht zum Wachsen. Auch wir brauchen beides, beide Seiten und sind doch immer da. Die anderen sehen den dunklen Wolf in uns, oder die sonnige humanoide Gestallt, doch wir sind wie der Wald dahinter und brauchen beides. Doch so wie der Wald, können wir beides nicht zur gleichen Zeit haben. Wir sind keine Menschen, die ständig ihr Ganzes zeigen, Trotzdem, sind es immer wir.
    Es klang irgendwie überzeugend, selbst für ihn selbst. Es schien als hätte auch er es erst eben begriffen. Und doch war er sich nciht gnaz sicher. Er war seit Jahren unterwegs, hatte sich selbst verleugnet und gequält. Nun konnte er leben, doch wer er wirklch war, schien er noch nie gnaz begriffen zu haben.
    Denke ich.

  • Argons Worte wanden sich durch ihre Gedanken, pulsierten durch ihren Kopf, schlichen sich gewandt ein und Layia begann darüber nachzugrübeln. Die anderen sehen den dunklen Wolf in uns, oder die sonnige humanoide Gestallt, doch wir sind wie der Wald dahinter und brauchen beides.


    Ihr Wolfsgefährte hatte natürlich recht, es war ein Prinzip, das Layia schon lange kannte, dass sie in den Jahren ihrer Wanderung immer wieder erlebt hatte. Sie war verbunden genug mit der Natur und ihrer Wesensart, als dass sie genau wusste, von was Argon sprach. Es wurden stets beide Seiten gebraucht, es gab immer zwei Seiten der Medaille, immer ein Hell, ein Dunkel ... Tag und Nacht, die Bedrücktheit einsamer Tage und die Fröhlichkeit ungetrübter Momente.
    Ihre Ohren nahmen ein Knacken im Unterholz war, Beute! schoss ihr durch den Kopf, einen Moment lang fühlte sie, wie sich die Kraft in ihr zum Sprung bündelte, dann brach der Gedanke ab - sie hatte zwei Beine, keine 4 Läufe, es gab keine Beute. Sie fühlte sich wanken, ging jedoch ungeachtet dessen weiter. Ihre Brauen zogen sich zusammen.


    "Wir sind beides ... doch können wir nicht beides zur gleichen Zeit sein ... das ... ", begann sie leise zu sagen, geriet ins Stocken, verstummte letztendlich wieder. In ihrem Kopf wirbelten noch immer die Gedanken, in ihrer Brust wühlten und gruben Gefühle, die sie nicht verstand. Ihre Beine bewegten sich von selbst, schlafwandlerisch, ihre Füße fanden ihren sicheren Tritt ohne ihr Zutun, während ihr Blick in die Leere ging, sich zwischen Blättern und Zweigen verfing wie in einem Spinnennetz. Ein Schaudern überkam sie, Gänsehaut kroch über ihren Körper, ein nach außen unsichtbares Fell sträubte sich. Schließlich war sie nicht mehr als eine zerwühlte, verwirrte Wandlerin, die getrennt hatte, was nicht getrennt sein sollte, sich an diese sauber getrennte Zweipoligkeit gewöhnt hatte ... und nun zwei untrennbar miteinander verwobene Seelen in sich trug. Dafür waren sie geschaffen worden, das war ihre Bestimmung ... sie fühlte einen Kloß im Hals, schluckte.


    "Aber es lässt nicht trennen. Ich spüre, wie ich beides bin ... doch es ist so durcheinander ... ich ... ", sagte sie mit belegter Stimme, dann blieb sie abrupt stehen, schlang fröstelnd ihre Arme um den Oberkörper. Ihr erschütterter Blick traf Argon, der neben ihr hergegangen war. In ihren Augen stand Ratslosigkeit, Verwirrung und Verzweiflung. "Ich kann so nicht sein."

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

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