Erste Schritte ins Leben

  • Die Füße taten weh, doch Sedrik war frohen Mutes. Seit etwas mehr als vier Tagen war er bereits unterwegs. Er hatte von seinem Onkel Marcin nicht bloß gute Ratschläge mit bekommen, sondern in einem kleinen Beutel auch ausreichende Wegzehrung. Und immer die Frage, warum er - Sedrik - nicht am Hofe bleiben wolle, jetzt wo die Ernte einzufahren wäre und der anschließende Festreigen doch sicher junge Frauen herbei brachte, wo Sedrik wählen könne. Doch Sedrik hatte mit seinem alten Leben abgeschlossen.
    Sein Vater war verschwunden, auf mysteriöse Weise verschwunden. Mit Wagen, Maultier und der gesamten Ernte. Einige der "wohlmeinenden" Nachbarn munkelten, der Vater wäre seiner Familie überdrüssig geworden, andere meinten, er hätte vielleicht eines der sagenumwobenen Portale entdeckt und wäre deshalb so ohne eine Spur zu hinterlassen verschwunden.


    Sedrik hatte zu all den seltsamen und unhaltbaren Äußerungen geschwiegen. Doch manch eine Vermutung hatte sich doch in sein Gedächtnis und sein Herz geschlichen. Vor allem, was über diese Portale gesprochen und vermutet wurde.
    Lange hatte der Junge gehofft, eines Tages würde der Vater draußen vor dem Tor stehen und seine Familie, die ihn nicht vergessen hatte, in die Arme schließen.
    Doch dann war die Mutter krank geworden. Ein herbei gerufener Heiler hatte ihr nur kurz helfen können. Der schwarze Kern der Krankheit steckte bereits zu tief in ihr. Obwohl Sedrik von dem Heiler erfuhr, dass es so sein könnte, dass die Mutter nicht mehr lange leben würde, hat er diesem nicht geglaubt. Mit aller Kraft seines jungen Herzens hatte sich Sedrik daran geklammert, dass doch noch ein Wunder geschehen würde und die Mutter sich wieder erholt. Doch es war kein Wunder geschehen.
    Der Onkel hatte nun den Hof, nachdem er Sedrik auf dessen eigenen Wunsche hin, ausbezahlt hatte. Das Geld trug Sedrik bei sich. Sicher eingeschlossen in der Geldkatze, die er sich aus der Haut seines ersten erlegten Beutelbären gemacht hatte. Der Vater hatte Sedrik einen aus feinem Leder gefertigten Beutel geschenkt und darin bewahrte dieser nun die Steine auf, die er für seine Schleuder benötigte.
    Kurz bückte sich Sedrik, als sein Blick aus den hellblauen Augen auf die Steine neben dem Weg fiel. Mit kundigem Griff prüfte er die Steine und steckte sich vier davon in den Beutel, den er am Gürtel seiner Hose trug. Die anderen schob er mit dem Fuß beiseite und strich sich geistesabwesend eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr. Er trug sein Haar nicht nach der gängigen Mode kurz, sondern geflochten. Zwei dicke Zöpfe fielen ihm über die Schulter auf die Brust. Und seit ihm der Bart sproß hatte er sich zwei Bartlocken an den Kinnseiten stehen gelassen. Zu Beginn hatte er damit viel Gelächter geerntet, doch inzwischen gab es ein oder zwei der Burschen in Wiesenfeld, die ihm in dieser Barttracht nach eiferten. Ein kurzes Grinsen glitt über Sedrik Steinhäusers Gesicht, als er daran dachte. Unbewusst strich seine rechte Hand über die roten und blauen Steine seiner Ketten, die er seit Kindertagen um den Hals trug. Die Mutter hatte sie einst von vorbei ziehenden Elfen bekommen. So hatte sie ihm erzählt. Doch die Mutter war auch für ihre ausgeprägte Fantasie bekannt und beliebt.

  • Immer wieder hob Sedrik Steine auf. Langsam füllte sich der Beutel und es war ihm nicht bange, dass er auch reiche Beute machen würde. Wenn er erst einmal den Waldstreifen erreicht hatte, in dem sicher Hasen und anderes Niederwild zu finden war. Doch vorläufig war Sedrik zufrieden mit dem Zustand, der eben herrschte. Er war nicht hungrig, nur müde und sein Munitionsvorrrat für die Schleuder vergrößerte sich.
    Sedrik ging noch etwas mehr als eine Stunde weiter, inzwischen hatte er es aufgegeben, weitere Steine zu sammeln. Er erblickte einen kleinen Hain voll Beerensträucher. Rot und Blau leuchteten sie ihm entgegen. Kaum hatte er sie erreicht, als er sich auch schon daran machte, sie abzupflücken und sie zu vier und fünf Stück gleichzeitig in den Mund zu stecken. Dabei achtete Sedrik wohl darauf, sich seine beiden Bartlocken nicht zu beschmutzen. Den Mund und das Kinn konnte man säubern, bei den Bartlocken sah die Sache schon anders aus.
    Es dauerte nicht lange, so hatte sich Sedrik satt gegessen und atmete auf. Jetzt wäre eine kurze Ruhepause nicht übel. Seine Füße hätten sicher nichts dagegen. Und niemand jagte Sedrik. Er hatte alle Zeit der Welt zur Verfügung. Nun ja, was seine Welt betraf. Wäre er ein Elf oder ein anderes ätherisches Wesen, hätte er natürlich mehr Zeit zur Verfügung, doch ...!
    Sedrik unterbrach den unfruchtbaren Gedankengang, strich sich erneut die eine nervige Strähne zurück und dachte daran, noch etwas weiter zu wandern. Beinahe konnte er schon die Ausläufer der Stadt riechen. Was natürlich eine Unmöglichkeit war, doch Sedrik hatte von seiner Mutter eine Menge Fantasie geerbt.
    Sedrik ließ sich jedoch in das weiche Gras fallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte einige Minuten lang in den über ihm wölbenden Himmel. Er hatte sich noch nie Gedanken gemacht über das Aussehen dieses Himmels. Er nahm es als gegeben hin und er machte sich auch jetzt keine Gedanken. Es dauerte nicht lange, so fielen ihm die Augen zu und bald darauf verkündeten leise Schnarchgeräusche, dass Sedrik eingeschlafen war.

  • Lysia war auf dem Heimweg. Sie war in Wiesenfeld gewesen um Werbung für Darcas und Amelie zu machen. Natürlich war kein Kunde gleich mit ihr zusammen nach Nir'alenar aufgebrochen. Obwohl sie sich so viel Mühe gegeben hatte. Es wäre ein so toller Beweis ihrer Arbeit gewesen, wäre ihr jemand gefolgt.
    Nun wollte sie aber zurück in die Stadt um ihren ersten Lohn einzuholen. Sie wollte auch einmal in so einem Gasthaus übernachten und sich dort etwas zu essen bestellen.
    Sie flog flach Bäumen hindurch über Lichtungen und Haine als sie ein Geräusch hörte. Suchend sah sie sich um und entdeckte jemanden, der im Gras lag.
    Näherfliegend musterte sie die gestalt. Zuerst hatte die Feenelfe sie für eine Frau gehalten, aufgrund der Zöpfe, doch bald erkannte sie einen Mann.
    Schließlich landete sie neben ihm und musste sich ein Kichern verkneifen. Mit den Fingern zog sie an den Mundwinkeln des Mannes und besah sich die Fratzen, die dadurch enstanden. Nebenbei lauschte sie auf das Schnarchen und wartete gespannt darauf ob er aufhören würde oder gar aufwachen würde.

  • Sedrik war erwacht, doch er machte seine Schnarchlaute auch weiterhin. Es interessierte ihn, wer da so frech war, mit seinem Gesicht Turnübungen zu machen. Er machte sich bereit, sich diesen Komiker zu fangen. Langsam öffnete er die Augen, doch nur so weit, dass er zwischen seinen Wimpern durch spähen konnte. Aber so sehr er sich auch anstrengte, niemand befand sich neben ihm. Und noch immer wurden die Verzerrungen mit seinem Mund und dessen mittelbarer Umgebung gemacht.
    Schließlich reichte es Sedrik und er riss die Augen auf, wischte mit der Hand durch die Luft und ergriff etwas, das einen erschrocken Laut ausstieß. Er spürte hektisches Bewegen in seiner Handfläche und sah erstaunt darauf nieder. Inzwischen hatte er sich aufgesetzt und war nun sehr gespannt, was er sich da wohl gefangen hatte. Vorsichtig öffnete er die Faust und - erschrak. Denn das, was ihm da entgegen sah, war weder ein Insekt, noch etwas, was er je gesehen hatte.

  • Lysia versuchte erschrocken ihr Handgelenk zu befreien. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Als sie jedoch ihr freigewordenes Handgelenk rieb und den Mann anschaute, musste sie lachen.
    Er wirkte nicht minder erschrocken als sie selbst. Die Vorstellung, dass er vielleicht sogar ein bisschen Angst vor ihr hatte, bereitete ihr großes Vergnügen.
    Beim Lachen schlug sie mit ihren Flügeln und eine leichte Röte begann ihr Gesicht zu überziehen. Langsam musste sie wieder Luft holen und sie versuchte sich etwas zu beruhigen.

  • Langsam beruhigte sich sein Herzschlag wieder. Sedriks Gesicht verzog sich zu einem belustigten Lächeln, als er das mitreissende Lachen vernahm. Obwohl noch immer Sedriks Puls etwas jagte, begann er sich langsam zu beruhigen. Er neigte leicht den Kopf und meinte leise:
    "Verzeiht, wenn ich etwas grob zu Euch war!" Sedrik deutete mit dem Kinn zu dem Handgelenk, das dieses Wesen rieb. "Erlaubt, dass ich mich Euch vorstelle? Mein Name ist Sedrik Steinhäuser und ich wäre froh, wenn Ihr mir nicht böse deswegen seid!" Wieder deutete Sedrik zum Handgelenk.Er hätte eher mit Räuber oder Abenteurer, die seine Wege kreuzten, gerechnet. Nicht mit dieser Begegnung.

  • Lysias Lachen war einem Kichern gewichen. Sie folgte seinem Blick auf ihr Handgelenk. Es tat schon nicht mehr weh.
    "Dafür schuldest du mir etwas," sagte sie bestimmt und obwohl sie wieder ernst wirkte, hatte sie eigentlich ihren Spaß.
    "Ich bin Lysia. Wieso hast du hier geschlafen? Schlaft ihr nicht eigenltich in Häusern," fragte sie dann, denn es wunderte sie schon. Natürlich war sie gleich wieder neugierig geworden.
    "Und warum hast du Zöpfe wie ein Mädchen?" Dabei zog sie ein bisschen an einem seiner geflochtenen Zöpfe.

  • Sedrik hatte erst sprachlos den vielen Fragen zugehört, dann verzog sich sein Mund zu einem belustigtem Lächeln. Seine Besucherin begann ihn zu amüsieren, ausserdem empfand er Sympathie für diese quirlige Person. Er neigte leicht den Kopf, als er ihren Namen erfuhr.
    "Eigentlich stimmt es schon, dass wir sonst in Häusern übernachten. Doch ich habe kein Haus mehr und ich war auf den Weg in die Stadt. Meine Füße führten mich bis hierher, dann wollten sie nicht mehr weiter. Also habe ich kurz eine Rast eingelegt und bin eingeschlafen. Woraus mich dann ein freundliches Wesen namens Lysia geweckt hatte!"
    Sedriks Lächeln vertiefte sich. Es begann ihm Spaß zu machen. Als sie an einem seiner Zöpfe zog und nach dem Grund dafür fragte, nahm er es ihr nicht übel. Sedrik nickte und meinte dann:
    "Nun ich halte nicht viel von normaler Frisur. Und warum soll ich keine Zöpfe tragen? Sie sind schick, ich habe meine Haare aus den Augen und Zöpfe bieten sich von selbst an, um daran zu ziehen!" Sedrik lachte kurz belustigt auf und unwillkürlich griff er mit einer Hand nach seinen Bartlocken. Diese Unterhaltung machte ihm riesigen Spaß, er genoss sie und er bedauerte bereits den Augenblick, an dem sich die Wege von ihm und Lysia trennen würden.

  • "In die Stadt?" Lysia 's Augen wurden ein Stück größer. "Nach Nir'alenar? Kennst du denn den Weg? Ich bin gerade auf dem Heimweg dorthin!" rief sie aufgeregt und flatterte, wobei kurzzeitig ihre Füße das Gras verließen.
    Mit seiner Antwort über die Frisur war sie nicht zu frieden. Bestimmt hatte es noch einen anderen Grund, den er ihr nicht verraten wollte. Aber vielleicht würde sie denn ja noch herausfinden.
    "Ich kann dich in die Stadt bringen. Aber nur, wenn du mithalten kannst. Wenn mir die Füße wehtun werde ich nämlich fliegen und wenn die Flügel wehtun werde ich gehen." Sie zog noch einmal an seinem Zopf. "Aber vorher........kannst du mir auch die Haare so machen? Aber nicht so einen breiten Zopf!"

  • Sedrik konnte sich nun eines Lachen nicht mehr erwehren. Doch es dauerte nur kurz, dann nickte er und meinte:
    "Ich kenne ein wenig den Weg in die Stadt. Ich bin ihn einige Male mit meinem Vater gegangen, ehe er nie mehr wiederkam. Und beinahe alle Wege führen nach Nir'alenar. Dieser Meinung war jedenfalls mein Vater. Was die Reiseart betrifft, die Ihr machen werdet, so liegt es an Euch dies zu tun. Fliegen kann ich nicht, außer durch eigene Tollpatschigkeit und da nur auf die Nase. Und sollte ich Euch zu rasch gehen, sagt es nur. Was nun die Frisur betrifft ...!" Sedriks Blicke glitten rasch über die Haare der Feenelfe. Schließlich sagte er:
    "Wie würden Euch statt einem oder zwei dickeren Zöpfen mehrere dünne gefallen?"

  • Lysia musste erneut lachen als Sedrik den Witz erzählte. Noch im Lachen erwiderte sie aufgeregt:
    "Ja, das würde mir gefallen. Machst du das jetzt gleich?" Mit leuchtenden Augen sah sie ihn erwartungsvoll an. "Außerdem...nur weil ich klein bin, heißt das nicht, dass ich langsamer bin!" fügte sie noch hinzu und versuchte dabei ernsthaft zu gucken, wobei der Versuch erfolglos blieb.

  • Sedrik musste über den freudigen Eifer der Feenelfe lächeln. Er nickte, sah sich kurz nach längeren Grashalmen um und fand auch welche. Mit wenigen Handgriffen und seinen Zähnen als Haltegriff flocht er fünf biegsame Bänder und legte diese sich auf die Oberschenkel. Nun griff er nach Lysias Haaren, die sich weich und federleicht in seine Finger schmiegten. Ein seltsames Gefühl durchrieselte Sedrik, als er begann mit schnellen und kundigen Fingerbewegungen ihre Haare zu Zöpfen zu flechten. Nach und nach nahm er, sobald einer der Zöpfe fertig war, ein Grasband von seinem Schenkel und verhinderte den Zopf damit am sich Wiederöffnen.
    Schließlich nahm er das letzte Grasband auf und befestigte es an Lysias Zopf. Kritisch betrachtete Sedrik sein Werk und nickte zufrieden. Dann griff er zu seinem Beutel, öffnete ihn und wühlte kurz darin herum, bis er gefunden, was er gesucht
    hatte. Er zog die Spiegelscheibe heraus und hielt sie der Feenelfe hin.
    "Wenn Ihr Euch darin betrachten möchtet? So sieht Eure Frisur derzeit aus! Ich hoffe, sie gefällt Euch und Ihr seid mit meinem Kunstwerk zufrieden?" Sedrik war es auf alle Fälle.

  • Die kleine Feenelfe hatte mühe nicht die ganze Zeit zu zappeln. Als Sedrik endlich fertig war, riss sie ihm förmlich die Spiegelscherbe aus der Hand und bewunderte sich darin selbst. Immer wieder wechselte sie den Winkel, damit sie die Frísur auch ganz bewundern konnte. Schließlich senkte sie die Scherbe, Tränen standen in ihren Augen, und reichte sie ihm zurück. "Kann man die auch wieder rausmachen?" Ihre Schultern bebten, die Mundwinkel zuckten.
    Noch länger konnte sie ein Lachen nicht zurückhalten. "Das sieht toll aus" Freudig viel sie ihm kurz um den Hals, mit Hilfe weniger Flügelschläge. Dann ließ sie ihn wieder los.

  • Sedrik musste über den Eifer der Feenelfe schmunzeln. Wie sie sich von allen Seiten betrachtete! Als sie ihm den Spiegel zurück gab, sah er Tränen in ihren Augen glänzen. Was hatte er falsch gemacht? Sie wollte nun die Zöpfe wieder offen haben? Sedrik fühlte sich nicht sehr wohl, denn verärgern oder kränken wollte er dieses nette und fröhliche Wesen ganz sicher nicht.
    Doch ehe Sedrik sich entschuldigen konnte, wurde er von ihrer nachfolgenden Aktion zu tiefst überrascht. Er sah, wie ihr Gesicht in einem strahlenden Lachen erglühte und sie mit schnellen Flügelschlägen zu ihm huschte um ihn zu umarmen. Damit hatte er absolut nicht gerechnet. Er spürte, wie sein Gesicht zu glühen begann und um seine große Verlegenheit zu überspielen, schob er die Spiegelscheibe, nachdem Lysia ihn beinahe sofort wieder los gelassen hatte, an deren Platz. Dabei senkte er den Kopf, so tief er konnte. Das quirlige Wesen brauchte nicht sehen, dass Sedrik nicht nur - in ihren Augen - eine Mädchenfrisur hatte, sondern auch noch errötete wie ein solches. Sedriks Hals wurde rau und er räusperte sich leise.
    "Ich bin froh, dass ich Euren Geschmack getroffen habe!" sagte Sedrik mit noch immer vor Verlegenheit zittriger Stimme. Unwillkürlich kroch seine linke Hand zu der Doppelkette an seinem Hals. Sedrik verschloß den Beutel, stand auf und meinte, einen raschen Blick um sich werfend:
    "Ich werde mich dann wieder auf die Füße machen!" Und er war froh, als die Hitze der Verlegenheit endlich aus seinem Gesicht wich.

  • Lysia kicherte noch immer. Ihr war nicht entgangen, dass mit dem Mann etwas geschehen war, doch sie konnte nicht sagen was. "Ist mit euch alles in Ord.....?"
    Sie stockte nur, weil er auf einmal nur von sich sprach. Wollte er sie etwa nicht bei haben? Warum war er dann so nett gewesen? Die Feenelfe schwieg. Unsicher wie sie ihre Zweifel äußern sollte. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet.
    "Ich komme mit euch?" fragte sie und versuchte ganz normal zu klingen. Wobei, was hieß normal? Immerhin schwankte die Feenelfe meist zwischen einem der Extremen.

  • Sedrik sah überrascht Lisya an.
    "Aber selbstverständlich! Dachtet Ihr etwa, ich würde jetzt, wo ich Euer Haar geflochten habe, eine so charmante Begleitung missen wollen?" Sedrik sah die Feenelfe verunsichert an. Er hatte von sich aus angenommen, dass sie sich seiner Begleitung sicher gewesen war. Doch dies schien nicht so gewesen sein. Er überdachte kurz seine Worte und meinte dann, wieder leicht verlegen geworden:
    "verzeiht, ich habe mich vorhin nicht gut ausgedrückt. Ich kann verstehen, dass Ihr jetzt unsicher seid, was die Begleitung betrifft. Nein, nein! Es ist schon so, dass wir beide in die Stadt gehen. Ich war zwar lange nicht dort, das letzte Mal als Kind, aber es interessiert mich, ob sie gewachsen ist und ob sie mich noch immer so fasziniert, wie sie es getan hatte, als ich noch etwas kleiner und jünger war!" Sedrik musste grinsen, als er daran dachte, dass er inzwischen wohl bereits viermal so groß war, als vor so vielen Jahren. Die Gassen und Plätze würden ihm sicher kleiner und schmäler vorkommen, vorausgesetzt er konnte sich noch an diese erinnern. Wahrscheinlich waren auch viele neue Häuser dazu gekommen. Sedry schulterte seinen Beutel, nickte der Feenelfe zu und meinte mit einem freundlichen Lächeln:
    "Wollen wir?"

  • Die Feenelfe sah auf und das Strahlen war zurückgekehrt. Keine Spur mehr von den Zweifeln. Fröhlich ging sie neben ihm und plapperte: "Bestimmt ist sie größer geworden. Ich habe vorher noch nie eine so große Stadt gesehen. Ich bin schon eine Weile da und habe noch immer nicht geschafft alles zu erkunden!" Zwischendurch tastete sie immer wieder nach ihren Zöpfen um sicher zu gehen, dass sie noch immer da waren.
    "Wie lange ist es denn schon her, dass ihr dort wart?"

  • Sedrik war wohl aufgefallen, dass er seine Begleiterin sehr fröhlich gemacht hatte, als er ihr die Zöpfe geflochten hatte. Nun dachte er darüber nach, wie lange es wohl her war, dass er die Stadt zum letzten Mal besucht hatte.
    "Ich war noch ein Kind, das muss wohl vor etwa fünfzehn Jahren gewesen sein, und mein Vater hatte mich mitgenommen, ihm beim Verkauf zu helfen. Danach haben wir - so erinnere ich mich - noch einen raschen Abstecher in eines der Gasthäuser gemacht. Wir hatten an diesem Tag vieles unserer Gemüseernte und auch die Blumen, die meine Mutter zog, verkauft. Unser Karren war leer, bis auf einen Sack Kartoffeln. Die wurden am Abend, als wir heim kehrten gebraten und dann mit einer riesigen Portion Eiern und Beerenmusgelee verzehrt. Beim nächsten Besuch meines Vaters in der Stadt hatte er darauf bestanden, dass ich ihn zu Hause vertreten soll. Er ist nie mehr nach Hause gekommen!"
    Sedrik schluckte. Doch lange hielt das Gefühl der Trauer und Hilflosigkeit nicht an und er warf einen schnellen Blick auf seine Begleiterin. Wieder einmal betastete sie ihre Haarpracht und entlockte damit Sedrik ein leises Lächeln.
    "Die Zöpfchen stehen Euch gut!" sagte er und nickte bestätigend. Ja, das fand er wirklich.

  • "Mir gefallen sie auch," erwiderte die kleine Feenelfe glücklich.
    "Hmm, wenn er nicht wiedergekommen ist...das tut mir leid. Niemand wünscht sich, dass den Eltern etwas zustößt." Auf den Gedanken, dass der Vater vielleicht mit Absicht nicht heimgekehrrt war, kam sie nicht.
    "Aber aus euch ist ja auch ohne ihn ein Mann geworden!" meinte sie tröstend.

  • Sedrik nickte und grinste wieder. Er hatte vor seiner Begegnung mit der Feenelfe noch nie soviel gelächelt.
    "Da habt Ihr wohl wahr. Als mein Vater nicht mehr wiederkam, haben meine Mutter und ich dann den Hof weiter geführt. Mein Onkel hat uns hin und wieder ausgeholfen und ab da dann die Ernten in die Stadt gebracht. Manchmal hat er auch einige seiner Knechte geschickt, die uns dann halfen. Doch dann ist meine Mutter krank geworden und schließlich gestorben. Mein Onkel hat den Hof zu seinem noch dazu genommen und wollte eigentlich, dass ich dort bleiben sollte. Eine seiner Töchter zur Frau nehmen und viele Kinderlein sollten dann den Hof und die Felder bewirtschaften. Doch ich fand, das wollte ich nicht. Nicht dass die Töchter meines Onkels häßlich oder dumm waren, nein wirklich nicht. Aber Teresa war meist kränklich und Rosalite sehr putzsüchtig. Na ja, ich bin noch jung, und so bat ich meinen Onkel, den Hof zu übernehmen und er zahlte mich aus. Nun machte ich mich auf den Weg nach Nira'lenar um dort mein Glück zu versuchen. Wer weiß, vielleicht treffe ich ja ein Mädchen, das so nett und sympathisch ist, wie Ihr. Aber verbinden möchte ich mich noch nicht und eine Familie gründen - danach steht mir noch nicht der Sinn. Und vielleicht treffe ich ja auch jemanden, der weiß was mit meinem Vater damals passiert ist?" beendete Sedrik seine lange Rede nachdenklich geworden. Denn dass sein Vater damals seine Frau und den Sohn mit Absicht verlassen hatte, das glaubte Sedrik nicht. Weder eine andere Frau, noch die Aussicht auf ein anderes Leben als ein Bauer, konnte seinen Vater von seiner Rückkehr abgehalten haben. Es musste etwas gravierenderes passiert sein.

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