Die Füße taten weh, doch Sedrik war frohen Mutes. Seit etwas mehr als vier Tagen war er bereits unterwegs. Er hatte von seinem Onkel Marcin nicht bloß gute Ratschläge mit bekommen, sondern in einem kleinen Beutel auch ausreichende Wegzehrung. Und immer die Frage, warum er - Sedrik - nicht am Hofe bleiben wolle, jetzt wo die Ernte einzufahren wäre und der anschließende Festreigen doch sicher junge Frauen herbei brachte, wo Sedrik wählen könne. Doch Sedrik hatte mit seinem alten Leben abgeschlossen.
Sein Vater war verschwunden, auf mysteriöse Weise verschwunden. Mit Wagen, Maultier und der gesamten Ernte. Einige der "wohlmeinenden" Nachbarn munkelten, der Vater wäre seiner Familie überdrüssig geworden, andere meinten, er hätte vielleicht eines der sagenumwobenen Portale entdeckt und wäre deshalb so ohne eine Spur zu hinterlassen verschwunden.
Sedrik hatte zu all den seltsamen und unhaltbaren Äußerungen geschwiegen. Doch manch eine Vermutung hatte sich doch in sein Gedächtnis und sein Herz geschlichen. Vor allem, was über diese Portale gesprochen und vermutet wurde.
Lange hatte der Junge gehofft, eines Tages würde der Vater draußen vor dem Tor stehen und seine Familie, die ihn nicht vergessen hatte, in die Arme schließen.
Doch dann war die Mutter krank geworden. Ein herbei gerufener Heiler hatte ihr nur kurz helfen können. Der schwarze Kern der Krankheit steckte bereits zu tief in ihr. Obwohl Sedrik von dem Heiler erfuhr, dass es so sein könnte, dass die Mutter nicht mehr lange leben würde, hat er diesem nicht geglaubt. Mit aller Kraft seines jungen Herzens hatte sich Sedrik daran geklammert, dass doch noch ein Wunder geschehen würde und die Mutter sich wieder erholt. Doch es war kein Wunder geschehen.
Der Onkel hatte nun den Hof, nachdem er Sedrik auf dessen eigenen Wunsche hin, ausbezahlt hatte. Das Geld trug Sedrik bei sich. Sicher eingeschlossen in der Geldkatze, die er sich aus der Haut seines ersten erlegten Beutelbären gemacht hatte. Der Vater hatte Sedrik einen aus feinem Leder gefertigten Beutel geschenkt und darin bewahrte dieser nun die Steine auf, die er für seine Schleuder benötigte.
Kurz bückte sich Sedrik, als sein Blick aus den hellblauen Augen auf die Steine neben dem Weg fiel. Mit kundigem Griff prüfte er die Steine und steckte sich vier davon in den Beutel, den er am Gürtel seiner Hose trug. Die anderen schob er mit dem Fuß beiseite und strich sich geistesabwesend eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr. Er trug sein Haar nicht nach der gängigen Mode kurz, sondern geflochten. Zwei dicke Zöpfe fielen ihm über die Schulter auf die Brust. Und seit ihm der Bart sproß hatte er sich zwei Bartlocken an den Kinnseiten stehen gelassen. Zu Beginn hatte er damit viel Gelächter geerntet, doch inzwischen gab es ein oder zwei der Burschen in Wiesenfeld, die ihm in dieser Barttracht nach eiferten. Ein kurzes Grinsen glitt über Sedrik Steinhäusers Gesicht, als er daran dachte. Unbewusst strich seine rechte Hand über die roten und blauen Steine seiner Ketten, die er seit Kindertagen um den Hals trug. Die Mutter hatte sie einst von vorbei ziehenden Elfen bekommen. So hatte sie ihm erzählt. Doch die Mutter war auch für ihre ausgeprägte Fantasie bekannt und beliebt.