Der Palast der Nacht (alt)

  • Der Priester wirkte ein wenig erstaunt. Dieser Mann war ihm nicht unbekannt und schon seit langer Zeit war er nicht mehr in dieser Stadt gewesen. Er wusste, dass seine Herrin eine gewisse Schwäche für ihn besaß, denn mit seinem Eifer hatte er sich seinerzeit unverzichtbar gemacht. Ein gewisses Gefühl des Grolls brodelte in ihm. Seitdem der dunkle Mensch gegangen war, war er selbst, Sirenor, in Sharinoes Gunst aufgestiegen. Würde es nun bedeuten, dass er seinen Platz verlieren würde?
    Trotzdem verneigte er sich ehrerbietig und nahm die Nachricht entgegen, um sie der Herrin zu überbringen.


    „Wartet hier. Ich werde die Herrin über Euer Kommen informieren.“


    Mit diesen knappen Worten verschwand er in den Schatten und es dauerte eine Weile, bis er plötzlich wieder daraus auftauchte und Brennan zunickte.


    „Kommt, die Hohepriesterin erwartet Euch.“


    In der Tat. Sirenor hatte gehofft, dass sie sich ein wenig Zeit lassen würde, bis sie diesen Mann empfing. Doch sofort, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte, hatte sie nach ihm verlangt. Und für gewöhnlich war es besser, Sharinoe Gehorsam zu zeigen.
    Also ging der Schattenelf voran. So hochmütig, wie man es von einem Angehörigen seines Volkes erwartete. Vor Sharinoes Gemächer angekommen, öffnete er die Tür und trat beiseite, um Brennan einzulassen, schloss sie dann sogleich wieder, als er den Wink der Hohepriesterin erblickte, die ihn dazu aufforderte, sich zurückzuziehen.


    Sharinoe war allein. Sanftes Licht aus weißlichen, schwebenden Kugeln erhellte ihren Arbeitstisch und die Dokumente, die darauf ausgebreitet lagen. Eines davon war die Nachricht aus Shay’vinyar, die noch immer offen vor ihr lag.
    Eine frische Brise drang durch das offene Fenster herein und ließ die schwarzen Seidenvorhänge sanft flattern. Es war ein luftiger, lauer Tag, dessen Licht jedoch nur schwach in den Palast der Nacht eindrang.
    Die Hohepriesterin war so schön wie immer. Doch Sorgen zeichneten ihr Gesicht und ersetzten ihre sonst stets majestätische Haltung. Sorgen, die größer schienen, nachdem sie die Botschaft von Evoras Tenyor, des Hohepriesters des dortigen des Tempels gelesen hatte. Beinahe wirkte sie klein. Kleiner als sonst. Es war ein erschreckender Blick hinter eine sonst so perfekte Fassade, die ihr niemals entglitt.
    Trotzdem zierte ein leichtes Lächeln ihr Gesicht, als sie Brennan die Hände entgegen hielt.


    „Brennan, mein Lieber. Es erfreut mein Herz, dass ihr den Weg zurück nach Nir’alenar gefunden habt. Beinahe habe ich befürchtet, dass ihr niemals mehr zurückkehren würdet. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch böse sein sollte, dass Ihr uns einfach verlassen habt.“

  • "Sharinoe." Brennan ging auf die Knie, ergriff die dargebotenen Hände der Hohepriesterin und hauchte ihnen einen Kuss auf, bevor er sich wieder erhob.
    "Die Nacht meint es gut mit euch, ihr seht noch schöner und erhabener aus, als in meinen Träumen." Seuselte der Dunkelhaarige und auch wenn jedes Wort ernst gemeint war, so machte er durch seine Gestik doch sehr schnell klar, dass er nicht nur wegen solcher Floskeln hier war.


    "Es wäre sicher nicht in meinem Sinne, euren Zorn auf mich zu ziehen, Hohepriesterin und doch würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass es für mich immer schon feststand, nach Nir'alenar zurückzukehren.
    Tatsächlich war es mehr der Zufall und Meister Tenyors Bitte, die mich zurück an diesen Ort führte."


    Der Vogelhändler wartete einen Augenblick, bis die Hohepriestern ihm anzeigte, Platz zu nehmen. Als sie beide saßen, fuhr er fort.


    "Als ich zuletzt in Nir'alenar war, war ich noch jung und unerfahrener, als ich es selbst hätte zugeben wollen." Brennan kniff die Augen zusammen, als könnte er so besser in die Vergangenheit sehen.
    "Tatsächlich wußte ich irgendwann nicht mehr, ob.." er stockte. Dann umspielte ein leichtes Lächeln seine Züge. "Ob ich Verführer oder verführter war und wie ich mit diesem ganzen Chaos in meinem Kopf zurechtkommen sollte. Meister Tenyor nahm mich daraufhin unter seine Fittiche und es ist mir eine große Ehre, von ihm selbst die Grundzüge des Priestertums erfahren zu haben."
    Demutsvoll neigte Brennan den Kopf.
    "Früher dachte ich, ich könnte Shirashai auf meine eigene Art und Weise dienen, doch Evoras machte mir deutlich, dass es einfacher ist, wenn meine Fähigkeiten auf geführtem Wege sich entfalten können." Er sah die Hohepriesterin nicken und wieder glitt ein Lächeln über seine Züge.


    "Doch genug von mir. Meister Tenyor bat mich euch den Brief zu überbringen und er meinte, meine Anwesenheit in Nir'alenar würde euch genauso dienen, wie meinem persönlichen Werdegang. Darum bin ich nun hier." Wie zur Bestätigung nickte der Händler.
    Was in Evoras Tenyors Brief stand wußte er nicht, noch, wie er Sharinoe zur Hilfe sein können. Nur das seine eigenen Fähigkeiten im Priesteramt sich alleine durch die Anwesenheit in diesem Tempel noch weiter entfalten würden, dessen war er sich sicher.

  • Sharinoe lauschte der Erzählung mit schief gelegtem Kopf und nickte schließlich wissend. Auch ihr war es nicht verborgen geblieben, dass sich ein Liebeskarussell um den jungen Mann zu drehen begonnen hatte. Und wenngleich Verführung eine Komponente war, die in den Reihen der Shirashai Priesterschaft nur zu gerne zum Einsatz kam, so barg sie durchaus einige Gefahren in sich.


    Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah für einen Augenblick in die Ferne. Als sie ihren Blick wieder auf den jungen Mann richtete, lag eine gewisse Erschöpfung auf ihren Zügen.


    „Evoras hat mir davon berichtet, dass Ihr Zuflucht in den Reihen unserer Priesterschaft gesucht habt. Und Ihr kommt zur rechten Zeit. Die Dinge stehen nicht zum Besten in Nir’alenar.“


    Ein bitterer Zug bildete sich um ihre Lippen.


    „Nein, wahrscheinlich stehen die Dinge auf der ganzen Insel nicht zu Besten. Die Lehren dieses impertinenten Ektor Saramnas breiten sich auf Beleriar aus wie eine Krankheit. Niemand tritt mehr unserem Glauben bei. Entsagung der weltlichen Freuden, Besitzlosigkeit. Es ist Wahnsinn, doch es trifft auf fruchtbaren Boden.“


    Sie deutete auf die Nachricht des anderen Priesters.


    „Evoras schreibt davon, dass diese Seuche bis nach Shay’vinyar vorgedrungen ist. Einige Adelige haben sich den Lehren dieses Wahnsinnigen verschrieben und Hab und Gut aufgegeben, um in Armut zu leben. Könnt Ihr Euch diesen Irrsinn vorstellen? Wie lange wird es dauern, bis es auch vor Nir’alenar keinen Halt mehr macht?“


    Sharinoe vermochte es nicht, ihre Erregung im Zaum zu halten und erhob sich von ihrem Stuhl, um ruhelos zum Fenster zu laufen und über die Stadt zu blicken.


    „Shirashais Macht ist bedroht. Wenn unser Orden nicht bald wieder Zulauf erhält, schwinden wir und werden von diesem Fanatiker zerquetscht, der in Eriadnes Namen die ganze Insel in Aufruhr versetzt.“


    Tatsächlich war es bedenklich. Die Geschehnisse in Kyora erinnerten stark an die Zeit, in der Narion die Macht über die Insel ergriff. Und je mehr Wesen sich von diesem Fanatismus anstecken ließen, desto stärker würden alle anderen Götter in den Hintergrund rücken. Es war für jede Gottheit überaus unangenehm, Anhänger zu verlieren. Für Shirashai, die ohnehin geschwächt war, wäre es jedoch fatal.

  • Ein abfälliges Schnaufen kam über Brennans Lippen.
    Über diesen Saramnas hatte man in Shay'vinyar nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Zu ungehörig waren seine Lehren. Zu unglaublich die Vorstellung, alle Besitztümer aufzugeben um dann Händchen haltend und glückselig über die Wiesen zu hüpfen. Zumindest war es das Bild, was Brennan bei der Erwähnung diesen Namens in den Sinn kam.


    Einen Moment lang überlegte der Mann mit den dunklen Augen, was Evoras damit bezweckte, ihn hier her zu schicken, wo das Tauziehen um die Gläubigen doch scheinbar in Shay'vinyar stattfand, doch während er die unruhige Sharinoe beobachtete, kam ihm die Erkenntnis.
    Es war einfacher, jemanden den Glauben wieder nahezubringen, wenn er ihn noch nicht verloren hatte. Und es war einfacher diejenigen zu bekehren, die sich schon lange keinen Gedanken mehr um ihren Glauben gemacht hatten, als die, die frisch bekehrt worden waren.


    Brennan erhob sich ebenfalls und schritt auf Sharinoe zu.
    "Ich verstehe." Sagte er knapp und neigte den Kopf.
    Evoras Tenyor hatte häufig Brennans Leidenschaft für die Schattengöttin lobend erwähnt und ihm vorhergesagt, dass er noch Viele bekehren würde. Jetzt war es wohl an der Zeit zu zeigen, was er tatsächlich konnte.


    "Sagt, Sharinoe, findet ihn nächster Zeit ein gesellschaftliches Ereignis statt? Ich würde gerne einige neue Kontakte knüpfen und neue Herren für meine Vögel finden."

  • Sharinoe schwieg für einen Augenblick und betrachtete nachdenklich das Bild der Stadt, das sich draußen vor dem Fester bot, wenn man den Schleier der Dunkelheit durchbrach. Schließlich wandte sie sich wieder um und richtete das Wort an Brennan.


    „Die Parade der Sternengarde steht bevor. Und die traditionellen Fechtkämpfe der Hallen des Schwertes im Anschluss. Womöglich wäre dies eine sehr zwanglose Möglichkeit. Die Besucher werden bei diesen Festlichkeiten recht empfänglich sein. Ihr erinnert Euch sicher an die Atmosphäre. Die jungen Mädchen, die attraktiven Fechter … bei dieser Gelegenheit denkt sicherlich niemand gerne an Verzicht.“


    Sie seufzte leise.


    „Tatsächlich sind die Lehren dieses Mannes auch hier bereits auf fruchtbaren Boden gefallen. Savras Delondar zeigt sich ihm sehr zugetan und sein Einfluss auf einige der niederen Adelsfamilien ist unbestreitbar vorhanden. Alles, was wir nicht benötigen, ist eine Gruppe von adeligen Fanatikern, die Kunstwerke auf offener Straße verbrennt und ihrem Besitz entsagt.“


    Die Delondar gehörten dem Hochadel an. Es war kein Wunder, dass ausgerechnet diese von Skandalen gebeutelte Familie einen solchen Weg einschlug. Noch mochte das Oberhaupt Savras nicht den letzten Schritt tun. Aber es war eine Frage der Zeit, bis er sich den Lehren ergab und ein schlechtes Vorbild für den Rest der Stadt abgab.

  • Eilig schritt Amelie die Marmorstufen empor, welche ihr den Eingang zum Palast der Nacht gewährten. Schon länger war sie nicht mehr hier gewesen, obgleich sie auch ständig an die dunkle Göttin hatte denken müssen. Doch auch, wenn Amelie schon seit geraumer Zeit die Schönheit dieses Tempels nicht mehr bewundert hatte, so gönnte sie sich an diesem Tag keineswegs den Anblick der Edelsteine, welche in die Wände eingelassen waren und ihr jedes Mal den Atem raubten. Nein. Dieses Mal schritt sie geradewegs zum Altar und sank unvermittelt vor der Statue der Shirashai auf die Knie. Mit geschlossenen Augen faltete sie die Hände und senkte den Kopf. In Gedanken sprach sie mit ihrer Göttin, bat sie um Kraft und Unterstützung. Amelie fühlte sich hilflos und schwach. Es schien eine Ewigkeit her, dass sie zum ersten Mal diesen Palast betreten hatte und seither war viel geschehen. Es war Schicksal ... Berufung, dass ihr der Weg hier her gezeigt wurde und zwischenzeitlich war aus ihr eine eifrige Priesterin geworden. Doch seit ihrer Priesterweihe hatte sich kaum noch etwas getan im Glauben an Shirashai. Auch Amelie spürte, dass es schlecht um die Anhängerschaft der dunklen Göttin stand. War sie selbst nicht auch ohnehin die Letzte, die diesem Glauben beigetreten war? Sie hatte sich wirklich bemüht, hatte ihre besten Verführungskünste an den Tag gelegt, mit samtener Zunge versucht, so manchen Bürger dieser Stadt auf ihre Seite zu ziehen doch es war zwecklos. Sie hatte auf der ganzen Linie versagt. So kniete sie immer noch mit gesenktem Kopf auf dem dunklen Marmorboden und bat Shirashai um Hilfe. Die langen dunklen Haare fielen in Wellen wie ein Vorhang über Gesicht und Schultern, der zarte Duft von Minze erfüllte die Luft um sie herum.

  • "Die Sternengarde.." Brennan hob die Hand ans unrasierte Kinn. "Ja, ich denke, das ist ein guter Anlass um einige neue Kontakte zu knüpfen."
    Brennan war gespannt auf die Feierlichkeiten. Die Bekanntschaft junger Damen zu machen war für einen einigermaßen höflichen Mann kein allzu schweres Unterfangen. An den Adel heranzukommen war da wesentlich schwieriger.


    Er wandte sich von Sharinoe ab und schritt durch das Zimmer.
    "Delondar sagtet ihr? Ich denke, dann wird es Zeit, dass ich diesem Haus eines meiner Vöglein ins Nest setze. Es schadet mit Sicherheit nicht, Genaueres über diesen Mann zu erfahren."


    Plötzlich hielt er in seiner Bewegung inne und drehte sich wieder zur Hohepriesterin um.
    "Sharinoe, darf ich euch noch um einen persönlichen.. nun.. Gefallen? bitten?" Er hielt einen Moment die Luft an, als er aber keine Ablehnung im Gesicht der Hohepriesterin erkennen konnte fuhr er fort.
    "Evoras berichtete mir, dass ihr mir vielleicht bei einem Problem helfen könnt. Es.. nun... also.. die Heilige Dunkelheit bereitet mir noch immer große Schwierigkeiten. Könnt ihr mir vielleicht einen Priester empfehlen, der mir helfen kann, dort Fortschritte zu erlangen?"

  • Sharinoe nickte und ein leichtes Lächeln hob ihre Mundwinkel und milderte den sorgenvollen Ausdruck. Es war ein Segen, ergebene Diener der Göttin um sich zu wissen, deren Eifer ungebrochen war und die keine Zweifel an ihrem Weg hegten.
    Auf seine Frage hin hob sie jedoch überrascht die Brauen und dachte dann für einen kurzen Moment nach, bis sie schließlich zu einer Antwort ansetzte.


    „Tatsächlich? Nun … ich bin mir sicher, dass wir Euch in dieser Hinsicht behilflich sein können. Vielleicht könnte ich Euch Sirenor zur Seite stellen. Er ist ausgesprochen begabt und hat sich um unsere Sache verdient gemacht. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob Ihr ihm früher schon einmal begegnet seid. Er war damals noch ein Novize, der sich noch nicht lange in der Umarmung der Schatten befunden hat.“


    Sie hielt inne, als ihr die Anwesenheit einer gewissen Nymphe in das Bewusstsein drang. Einer Nymphe, die seinerzeit zum ersten Mal an Brennans Seite Palast der Nacht betreten hatte. Sharinoe spürte, dass sie den Tempel betrat, so wie sie die Anwesenheit aller Diener Shirashais fühlen konnte, die diesen Hallen angehörten.


    „Es wird Euch vielleicht überraschen, mein Lieber … nachdem Ihr Nir’alenar verlassen habt, hat eine junge Nymphe Zuflucht im Schoße Shirashais gesucht. Ich glaube, dass sie Euch nicht unbekannt ist.“


    Sie verstummte und überließ es ihm, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

  • "Nein," antwortete er und schüttelte den Kopf. "dieser Name sagt mir nichts. Aber es wird mir eine Freude sein, meine Studien gemeinsam mit ihm zu vertiefen."
    Seicht lächelte der Händler. Die Heilige Dunkelheit herbeizurufen war einfach eine seiner Schwächen und er konnte sich immer nur schwer aufraffen, im Selbststudium daran etwas zu ändern. Aber er hoffte sehr, dass eine führende Hand ihm helfen konnte.


    "Ah." Entgegnete Brennan einsilbig und sah auf seine Hände, ganz so, als wären sie viel interessanter, als das, was Sharinoe ihm gerade offenbart hatte. Dann nahm er jedoch das Kinn wieder hoch und blickte der Hohepriesterin in die Augen. Die Höflichkeit wollte dies so, auch wenn es ein Thema war, das Brennan lieber verdrängt hätte.


    "Amalie, nein.. Emelie? Amelie, ja, Amelie hieß die kleine Nymphe, nicht wahr? Nun, ich hätte nicht gedacht, das ich sie schon soweit in Shirashais Fänge gezogen hatte, aber umso besser." Weiße Zähne blitzten bei einem fast diabolischen Lächeln auf. "Dann hatte mein Weggang aus Nir'alenar ja doch etwas Gutes und der Zweck die Mittel geheiligt." Der Vogelhändler versuchte kühl zu klingen, dennoch war sein Innerstes plötzlich in Aufruhr geraten. Er hatte sich bisher keine Gedanken gemacht, wie er reagieren wollte, wenn er die Nymphe, die ein Auslöser seines Gefühlschaos gewesen war, wiedersah.

  • Sharinoe legte den Kopf schief und betrachtete Brennan mit einem gewissen Interesse, das jedoch undeutbar blieb. Seine kühle Reaktion mochte sie ein wenig überraschen. Es schien, als ob er diesem Treffen nicht mit Freude entgegensah. Und dies mochte sogar beidseitig sein. Es sollte sie wundern, wenn die Nymphe andere Gefühle in dieser Sache hegte.
    Nun, sicher war, dass sie die Entwicklung im Auge behalten würde. Shirashais Priesterschaft konnte es sich nicht erlauben, ihre Mitglieder aufgrund von persönlichen Differenzen zu verlieren. Jeder Novize war ein Gewinn und ließ die Göttin wieder stärker werden.


    „Amelie, tatsächlich. Es scheint, als ob Ihr einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen habt. Etwas, das der Königin der Dunkelheit mehr Macht verleihen wird. Ihr habt gute Arbeit geleistet.“


    Sie lächelte und verließ ihren Standpunkt am Fenster, um wieder zu ihrem Arbeitstisch zurückzukehren. Eine zarte, langfingrige Hand legte sich auf den Rücken des komfortablen Samtstuhls, der davor auf sie wartete.


    „Sie befindet sich im Augenblick im Palast der Nacht. Es ist wahrscheinlich, dass Ihr ihr über den Weg laufen werden. Es liegt bei Euch, ob Ihr dies möchtet oder es auf einen späteren Zeitpunkt verschieben wollt. Allerdings wird es sich wohl nicht für immer vermeiden lassen.“


    In früheren Zeiten hätte Sharinoe durchaus Freude an einem kleinen Spielchen gehabt und ein solches Treffen unvorbereitet geschehen lassen. Doch die letzte Zeit hatte ihr die Lust an solcherlei Kleinigkeiten geraubt. Zu ernst war die Lage, um sich mit Ränken zu amüsieren.

  • Brennan senkte den Kopf. "Ich danke euch, für euer Lob. Und doch war ich sicherlich nur der Auslöser, für etwas das schon lange in ihr gesteckt hat."


    Der Vogelhändler lächelte und schritt dann zur Tür. "Ich wäre ein schlechter Diener Shirashai's, wenn ich mich vor der Konfrotration mit einer Liebelei fürchten würde. Sie wird mir schon nicht gleich die Augen auskratzen." Brennan versuchte die aufkommende Nervösität im Keim zu ersticken und wie er überrascht feststellte, gelang es ihm einfacher als gedacht.


    "Und selbst wenn - so war es schön, euch noch einmal gesehen zu haben, Shiranoe." Er zwinkterte der Hohepriesterin über die Schulter hinweg zu. Eine Unart, die sich mit Sicherheit nicht jeder erlauben konnte.
    Dann öffnete er die Tür, setzte eine ernste Miene auf und verneigte sich abschließend noch einmal vor Sharinoe.


    "Habt dank, werte Hohepriesterin. Wenn ich euch noch anderweitig zu Dienste sein kann, schickt einfach ein Vöglein an mich. Shirashai sei mit euch und ewig möge die Nacht über euch wachen."


    Mit pochendem Herzen ging der Vogelhändler durch die Hallen des Tempels.
    Fast magisch wurde sein Blick von dem Altar der Göttin und einer davor knieenden Person angezogen. Der Duft von Minze bestätigte seine Vermutung.


    "Noch immer schön wie die Nacht." Sprach er leise, doch fehlte seiner Stimme der säuselnde Unterton, den sie im Zimmer der Hohepriesterin noch gehabt hatte.

  • Noch immer kniete Amelie betend vor der Statue ihrer Göttin, die Augen geschlossen haltend und innerlich verzweifelt. "Ich flehe Euch an. Schickt mir Hilfe. Alleine schaffe ich es nicht", bat sie Shirashai in Gedanken denn zu gerne wollte sie der gunklen Göttin dienen. Shirashai helfen, den Glauben an sie zu erhalten. Doch wie sie feststellen musste, war sie alleine wohl zu schwach dafür. Und kaum, dass sie Shirashai um Hilfe gebeten hatte, erklang eine dunkle Stimme hinter ihr. Es war dieselbe Stimme, welche es schon vor langer Zeit geschafft hatte, ihr Herz zum rasen zu bringen. Das tat es auch dieses Mal. Allerdings hatte sich der Grund dafür geändert. Wenn Amelies Herz früher ihrer Liebe wegen beim Klang seiner Stimme wie verrückt gepocht hatte, so war in diesem Augenblick ihr Herz mit Wut gefüllt. Er hatte sie einfach stehen lassen. War verschwunden und hatte sogar seinen Vogelhandel aufgegeben, um die Stadt zu verlassen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Brennan hatte sie mit einem gebrochenen Herzen zurück gelassen und nun stand er plötzlich hinter ihr und wagte es auch noch, sie anzusprechen. Langsam erhob sich die Nymphe und warf einen Blick zu der eindrucksvollen Statue hinauf. Nein. Sie durfte sich deswegen nicht mit ihm streiten. Nicht hier. Dann wandte sie sich um und ihre dunklen Augen blitzten gefährlich. "Aber längst nicht mehr dumm genug, auf solche Floskeln herein zu fallen". Ihre Stimme klang kalt und zischte leise durch den Tempel.

  • "Das ist schön." Brennans Stimme war ruhig, kühl.


    "Denn dumme Vögelchen sind nur schlechte Diener unserer Göttin." Für ihn war damit alles gesagt. Den Regeln des Anstands entsprechend hatte er Amelie begrüßt und sah nun keinen Grund, noch länger im Tempel zu verweilen.


    "Möge die ewige Nacht über dich wachen." Sprach er noch im Umdrehen und schritt dann auf den Ausgang des Tempels zu.

  • Amelie zog die Augenbrauen zusammen und sah Brennan mit schief gelegtem Kopf hinterher. Es war zum Haare raufen! Ausgerechnet jetzt, da sie ihren Schmerz einigermaßen überwunden hatte, tauchte dieser Kerl wieder auf. Und nicht nur das. Auch jetzt vermochte er noch, ihr Blut in Wallung zu bringen. Im Inneren der Nymphe kochte es ob Brennans kühlen Verhaltens. Und schon ließ er sie wieder stehen. Für einen Moment rang Amelie um Fassung, dann schritt sie dem Vogelhändler hinterher. Sie wollte sich nicht mitten im Palast der Nacht mit ihm streiten. Deswegen riss sie sich zusammen, bis sie den Ausgang erreicht hatte. "Ist das alles, was Du mir zu sagen hast?" Wenigstens hätte er sich für sein Verhalten entschuldigen können, befand die verletzte Nymphe.

  • Brennan drehte sich um und blieb stehen und musterte die Nymphe für einen Augenblick.


    Er hatte viel mit Evoras Tenyor über sie gesprochen. Über sie und Ta'shara, die beide zur gleichen Zeit in sein Leben getreten waren und ihn damals beide faszinierten. Brennan, der eigentlich gar nicht gerne über seine Gefühle sprach, sondern diese lieber auslebte, hatte sich dem Hohepriester seiner Heimatstadt anvertraut und dessen Rat erbeten.
    Nach etlichen Stunden waren sie zu der Erkenntnis gelangt, dass beide Frauen einen unglaublichen Zauber auf den Vogelhändler ausgeübt hatten, der nur in ihrer Gegensätzlichkeit begründet lag und der bei der einen nicht ohne die andere wirkte.


    Ta'shara, die kühle Valisar, mit der Brennan so wunderbar nüchtern hatte reden können und deren nicht vorhandene Gefühle zu ergründen eine wahre Herausforderung war und Amelie, die Leidenschaft und eine innere Lebensfreude in sich verbarg, deren sie sich oft nicht mal bewußt zu sein schien.


    Evoras Tenyor hatte Brennan geholfen, über diese Verwirrung seiner Gefühle hinwegzukommen. Er hatte ihm gelehrt, dass die einzig wahre Liebe in seinem Herzen Shirashai gehörte.


    "Ich denke schon." Erwiderte Brennan und blieb ruhig stehen.
    Was sollte er diesem Mädchen sonst sagen? Er war ein Mann - er hatte keine Ahnung was sie von ihm hören wollte. Soviele Jahre waren vergangen und nicht zu vergessen war sie eine Nymphe, die sicherlich schon viele Männer nach ihm geliebt hatte.
    "Es freut mich, dass du in Shirashai deinen Glauben gefunden hast." setzte er flach hinterher.

  • Na schön. Dann eben nicht. Eigentlich hätte Amelie es sich denken können. Viel zu oft war sie schon auf die unterschiedlichsten Vertreter des männlichen Geschlechtes herein gefallen und immer wieder hatten sie ein ähnliches Verhalten an den Tag gelegt. Und sicher war es nicht sehr klug, mit jemandem aus den eigenen Reihen in Streit zu geraten. Gewiss würde die Hohepriesterin dies nicht gut heißen und es schadete auch dem Glauben an Shirashai allgemein. Die immer kleiner werdende Gemeinschaft musste sich wohl oder übel zusammen raufen. Und vielleicht, so überlegte sich Amelie, war Brennans Rückkehr kein Zufall. Hatte sie nicht kurz zuvor noch die dunkle Göttin um Unterstützung gebeten? So nickte sie schließlich auf die Worte des Vogelhändlers hin. "Ja ... zumindest in dieser Hinsicht hatte unser Zusammentreffen etwas gutes", gab sie zu, auch wenn man ihrer Stimme anmerkte, dass sie noch immer gekränkt war. Dann jedoch seufzte sie. "Aber es ist nicht leicht. Ich habe mir so viel Mühe gegeben und dennoch wollte es mir nicht gelingen, irgendjemanden auf unsere Seite zu ziehen".

  • Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung lag soetwas wie Wärme in Brennans Lächeln.


    "Mühe.. das Geheimnis daran jemanden von etwas zu überzeigen liegt darin, es eben nicht wie Mühe aussehen zu lassen." Er zuckte mit den Schultern.


    "Tanze, Lache, Lebe, Liebe... wenn dir die Herzen zufliegen, fliegen sie auch deiner Göttin zu."
    Wieder wandte sich Brennan von Amelie ab. Er hatte nun wirklich genug geredet. Schließlich wollte er weder in der Nymphe Hoffnungen wecken, noch sich selbst in alten Erinnerungen wiederfinden.


    Allerdings schaffte er nur zwei Schritte, bevor ein Gedanke in dazu Zwang, sich Amelie doch wieder zuzuwenden.


    "Tanzt du ab und zu noch für den Adel?"

  • Wahrscheinlich hatte Brennan Recht. Wann hatte sie das letzte Mal einfach nur gelebt? Wann hatte sie zum letzten Mal getanzt? Das alles schien Amelie so lange her zu sein. Viel zu sehr hatte sie sich darauf konzentriert, Shirashai zu dienen und genau darin lag wohl auch ihr Fehler. So nickte Amelie lediglich, während Brennan sich abermals von ihr abwandte. Doch dann drehte er sich wieder zu ihr herum und stellte ihr eine Frage, deren Antwort Amelie verneinen musste. "Ich habe schon lange für niemanden mehr getanzt". Seit ihre Tanzschule in einem einzigen Disaster geendet hatte, denn niemand war als Schüler bei ihr erschienen, hatte sie die Tanzerei gänzlich aufgegeben. Dann jedoch legte sie den Kopf schief und blickte den Vogelhändler fragend an. "Warum willst Du das wissen?"

  • Der dunkelhaarige Händler winkte ab.
    "Ich würde gerne einige Vögel an den ein oder anderen Adeligen verkaufen. Und ich hatte gedacht, du wärest vielleicht dazu der Fuß in einer Tür."


    Er zuckte mit den Schultern. "Viele Männer sind eher zu ein paar Ausgaben bereit, wenn sie von einer hübschen Frau abgelenkt sind." Er schmunzelte und nickte Amelie zu.


    "Es wäre sehr liebreizend von dir, wenn du mir Bescheid gibst, falls sich so eine Gelegenheit in naher Zukunft doch einmal ergibt."

  • Kurz überlegte Amelie. Vielleicht sollte doch wieder mit dem tanzen anfangen. Und gerade die Adligen zahlten doch immer sehr gut. Und Geld konnte sie immer gebrauchen. Abgesehen davon, konnte es der Nymphe gewiss nicht schaden, mit einem erfahreneren Shirashaianhänger zusammen zu arbeiten. "Ich denke, da ließe sich etwas machen", lächelte Amelie den Vogelhändler an. Und ablenken konnte sie verdammt gut. Allerdings fügte sie mit ernsterem Gesicht noch etwas hinzu. "Aber ich würde mir wünschen, dafür die Vergangenheit ruhen zu lassen". Brennan hatte Amelie zutiefst verletzt, was ihm offenischtlich nicht ganz klar war. Und nie wieder würde sie sich auf weitere Spielchen mit ihm einlassen. Aber der Nymphe war auch bewusst, dass es zu nichts führen würde, wenn sie ihm dies weiterhin anlastetete, weshalb sie für sich entschied, lieber mit Brennan gemeinsame Sache zu machen.

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