Prolog
Silbern hoben sich die Ränder der Kuppeln von der Nacht hab, welche bleigrau über Nir'alenar lag. Ein mystischer Anblick, der nur noch das Licht weniger Muscheln durch die Kuppel ließ.
Das Kopfsteinpflaster im Philosophenviertel war feucht. Es hatte vor kurzer Zeit geregnet und die Bewohner Nir'alenars hatten sich in ihre Häuser verkrochen. Nur die, die kein Heim hatten oder Übles im Schilde führten, trieben sich im Freien herum - und beides war im Philosophenviertel eher selten.
Nur ein einzelner, einsamer Karren war auf den breiten Straßen zu sehen. Seine Räder hinterließen Schlieren auf dem nassen Boden und missmutig schnaubte das dunkle Pferd, womit es kleine Nebelwolken aus seinen Nüstern treten ließ.
Es hatte schwer zu ziehen. Und das schon seit einer ganzen Zeit. Doch die Ware war nicht nur schwer - sie war auch noch lebendig.
Part I.
Seit es in den Abendstunden aufgehört hatte zu regnen, war kein einziger Tropfen mehr auf den Boden Nir'alenars gefallen. Der Blick zur Kuppel war klar und eine angenehme Wärme durchzog die späten Morgenstunden.
Am heutigen Tag war es besonders geschäftig auf dem weiten Platz des Händlerviertels. Es war Markttag.
Nicht nur die Bauern aus den umliegenden Ländereien von Nir'alenar waren in die Stadt gekommen um ihre Waren zu verkaufen, auch so manch fahrender Händler nutzte die Gelegenheit, seinen Karren für einen Tag in Nir'alenar zu parken und seine Besitztümer feil zu bieten. Diese Überzahl an Händlern, die nicht direkt aus Nir'alenar stammten, hatten schon vor einiger Zeit dazu geführt, dass auch die einheimische Verkäufer anfingen, sich einen Standplatz auf dem Marktplatz zu sichern um die eigenen Waren an der frischen Luft zu verkaufen.
Besonders beliebt war an diesem Morgen ein Tuche-Händler, der lautstark preisgab, er käme von der Oberfläche und hätte die schönsten und exotischen Stoffe dabei, die es in ganz Nir'alenar gäbe.
Die Marktbesucher drängten sich um den dunklen Karren und befingerten jedes Stück Stoff, dass sie mit ihren dreckigen Händen erreichen konnten - doch das dunkle, faltige Gesicht des Händlers hatte die ganze Zeit ein zufriedenes Grinsen aufgelegt. Sollten sie fühlen, was sie wollten. Die wirklich teuren und exklusiven Stoffe hatte er hinter sich aufgebahrt und nur die Leute, welche wirkliches Interesse zeigten (und saubere Hände vorweisen konnten) ließ der Händler an die Stoffe heran.
Gerade debattierte er mit einem jungen Cath'Shyrr, ob er ebenfalls einen Blick auf die teuren Stoffe werfen würden dürfe, als sich die Masse vor dem Stand entzwei teilte und innerhalb von Sekunden vollkommen auflöste. Neben dem Cath'Shyrr - von dem der Händler gerade erfahren hatte, dass er Artain hieße - stand nur noch eine weitere Frau am Stand. Eine junge, dunkle Schönheit. Doch Schönheit half selten über das Mißtrauen hinweg, dass man als Yassalar erntete - jedoch hatte sich Yassalaria offensichtlich an solcherlei Reaktionen gewöhnt.
Den Händler jedoch schien die junge Frau nicht weiter zu stören und so band er sie und Artain beide schnell in ein fachkundiges Gespräch ein.
Rechts von Tuchehändler war der Stand eines Einheimischen. Eine schrumpelige Bäckersfrau verkaufte Brot und Kuchen, während ein recht junges Kind die ganze Zeit an ihrem Rockzipfel hing. Gerade eben wollte sie Tassia eine süßes Sternenstange einpacken, als sie in der Menschenmenge offensichtlich jemand erkannte.
"He, ihr Unhold! Seht ja zu, dass ihr einen großen Bogen um meinen Stand macht! Verschwindet! Nochmal falle ich nicht auf eure unfairen Betrügereien rein!" Ihre Wangen wurden rot, doch auch wenn einige Leute stehen blieben, wußte niemand, wen die Bäckersfrau da gerade so anschrie. Kerry war zu schnell für sie gewesen und schnell wieder im Gewühl der Stände verschwunden. Nur einer einzigen Person fiel diese flinke Bewegung auf - oder lag es daran, dass sie meinte, das Gesicht zu kennen? Ayala beschloß ihre Schlenderei auf dem Marktplatz für einen kurzen Moment zu unterbrechen und folgte dem bekannten Gesicht - das sich jetzt bis zur linken Seite des Tuchhändlers durchgearbeitet hatte.
Hier, zur Linken des Standes mit den exotischen Stoffen, war wenig los. Der Karren, dessen Waren man bisher nicht mal erahnen konnte, war noch nicht aufgebaut. Nur eine kleine, aus Holz gezimmerte Plattform, in die einige eisernen Ösen eingelassen worden waren, stand vor dem Karren.
Niemand bemerkte den Karren, bis.. ja, bis die Ware heraustrat. Ein großer, grobaussehender Mann trat aus dem Karren und hielt eine dicke, schwere Kette in den Händen. Feste zog er an ihr und schrie einige böse anmutende Worte in den Karren. Gleich darauf hörte man eilige Trippelschritte und 6 Personen eilten aus dem Wagen heraus.
Der Große befestigte die Kette mit einem dicken Schloß an der Plattform und betrat dann erneut den Karren.
Auf dem Podes selber hörte man ein einvernehmliches Stöhnen der Angeketteten. Die sechs Personen sahen mitgenommen aus. Zwar hatte man dafür gesorgt, dass sie gewaschen und ordentlich gekleidet waren - und auch abgemagert oder krank wirkten sie nicht - und doch konnte man in ihren Augen lesen, dass sie nur aus einem Grund hier waren. Sie waren Sklaven. Allesamt. Und an diesem Tag sollten sie verkauft werden.
Zwei rundliche Zwillingsschwestern wollte der Händler wohl als Mägde oder Küchenhilfen an den Mann bringen. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters kauerten sie sich zusammen und klagten sich beide gegenseitig im Flüsterton ihr leid.
Neben ihnen stand ein zierlicher Mann. Ein Ashaironi, wie man mit etwas Völkerkunde leicht erkennen konnte. Er schien sehr gefasst und nicht das erste Mal verkauft zu werden. Ganz anders der Mann der neben ihm saß. Ein breitschultriger Kerl, der jedoch einen gütigen Gesichtsausdruck hatte und offensichtich nicht ganz verstand, was hier um ihn vorging.
Die letzten beiden Sklaven hatten ein wenig mehr Platz auf dem Podest bekommen und standen etwas weiter hinten. Der kluge Betrachter konnte daraus schließen, dass dies die Prachtstücke des Sklavenhändlers sein mußten, die er erst beim Höhepunkt der Auktion zu verkaufen gedachte.
Eine wunderschöne Elfe mit dunklem, seidig anmutendem Haar und heller Haut stand so anmutig wie eben möglich an ihre Kette gefesselt auf dem Podest. Nur ihr Haar bewegte sich gleichmäßig, wenn der Wind hindurch fuhr. Der Rest ihres Körpers schien zu Stein geworden zu sein. Nicht einen Zentimeter rührte sie sich.
Sie alle waren mit Schellen an die schweren Glieder der Eisenkette angekettet. Alle bis auf das letzte Geschöpf. Eine junge Sylphe, deren zierlichen Handgelenke zu schmal waren um von einer Schelle gehalten zu werden und der man deshalb ein Halsband aus Eisen angelegt hatte.
Der Große kam wieder heraus und half einem kleineren, griesgrämig schauenden Mann aus dem Karren, um dessen Kopf eine Fee hin- und herschwirrte. Offensichtlich war er der Mann, dem die Sklaven gehörten.
"Lavenia, zieh die Mundwinkel hoch." Kommandierte dieser die süße Sylphe und positionierte sich vor seiner Ware. Bereit, Angebote einzuholen.
"Meine Damen und Herren! Schaut her, kommt her! Brauchtet ihr schon immer einen stattlichen Burschen, der das Wasser für euch holt? Oder wolltet ihr schon immer, eine eigene Ankleidedame, die euch bis in den Tod verpflichtet ist? Hier bekommt ihr sie! Kommt her, schaut her!"
Sein Schreien zog Aufmerksamkeit auf sich. Doch Ji'Sai's Aufmerksamkeit wurde nicht von der wuchtigen Stimme des Kerls angezogen. Sie wußte nicht wieso, aber sie hatte die kleine Artgenossin sofort gesehen, obwohl diese doch ganz hinten stand. Und ihr Anblick schien Ji'Sai das Herz zu brechen. Schließlich gehörte kein Wesen in Gefangenschaft - aber erst recht keine freiheitsliebende Sylphe.