Die Nacht der Shirashai

  • Der Palast der Nacht war unmittelbar vor Amelie, Ta'shara und Brennan. Die 5 Türme aus Marmor waren bereits zu erkennen und es würde nur wenige Schritte dauern, bis die Drei die immerwährende Nacht, die um dem Tempel herrschte, betreten hatten.


    Brennan hielt noch einmal inne. Mit einem glücklichen Lächeln sah er auf den Tempel und es war erkennbar, dass er vom Stolz erfasst wurde. Stolz, den beiden Damen "seinen" Tempel zeigen zu können, dessen Schönheit für ihn selbst oft noch immer unbegreifbar war.


    "Wir sind da." Sprach er in leisem Flüsterton. Seine Hand legte sich auf Ta'sharas Rücken und sein Lächeln wurde breiter. Shirashai würde sich freuen, wenn er ihr Amelie und Ta'shara vorstellte. Ihm war bewußt, dass Ta'shara, sich nicht für seinen Glauben entscheiden würde - aber bei Amelie hatte er gute Chancen. Und dies erhöhte auch seine Chancen, endlich Shirashai wiederzusehen. Shirashai - er stand wohl hier mit zwei der schönsten Frauen Belerias und doch... waren sie nicht viel mehr Mittel zum Zweck? Alleine mit ihm gekommen, damit er auf eine weitere Begegnung mit der Göttin hoffen konnte?


    Brennans Blick glitt über Ta'shara. Nein, die Valisar nicht. Sie war anders. Ta'shara war von Anfang an kein "Opfer" gewesen. Amelie? Die dunklen Augen des Händlers blieben auf der Tänzerin ruhen. Es würde sich zeigen, ob Amelie einfach der Verführung wegen mit ihm kam oder weil sie tatsächlich die Nacht in ihrem Herzen spürte.


    "Seid ihr bereit?" Fragte er und geheimnisvoll glühten seine Augen auf.

  • Auch Amelie war angetan vom Anblick dieses Tempels. Für einen Moment blieb sie stehen, um sich den Palast der Nacht im Gedächtnis einzuprägen.
    Doch irgendetwas trieb sie dazu an, weiter zu gehen. War es die Neugier, die Brennan in ihr ausgelöst hatte oder gar der Wunsch, diesen wundervollen Tempel betreten zu können? Amelie wusste es nicht.


    Die Nymphe erkannte Brennans glückliches Lächeln und konnte auf unerklärliche Weise den Stolz nachempfinden, den der Vogelhändler in diesem Moment ausstrahlte. Ein Ansturm von Vorfreude, endlich den Palast der Nacht von innen bestaunen zu können, überkam Amelie und begrub alle Zweifel unter sich.
    Den Flüsterton in Brennans Stimme konnte sie nur allzu gut nachempfinden. Es war so still an diesem Ort. Außer Brennans Stimme und ihrem eigenen Herzschlag konnte Amelie keinen Ton vernehmen. Es käme der Nymphe wie eine Respektlosigkeit vor, diese Stille zu durchbrechen, indem man die Stimme lauter erhob, als es denn sein müsse. Sie selbst sprach kein Wort.


    Auf Brennans Frage antwortete sie, indem sie sich langsam wieder in Richtung des Tempels in Bewegung setzte.

  • Ta'shara war beeindruckt. Der Palast strahlte eine Präsenz aus, die im wahrsten Sinne alles andere in den Schatten stellte. Die Dunkelheit war nahezu greifbar; zugleich unantastbar und perfekt. Ein Zustand, dem die Valisar die höchste Achtung entgegenbrachte.


    So schwieg auch sie und beantwortete Brennans Frage mit einem entschlossenen Nicken und einem tiefen, ja zustimmenden Blick in seine Augen. Die Glut darin hatte sie schon einmal gesehen; die erste Nacht, die sie bei ihm verbracht und da er ihr Shirashais Schrein gezeigt hatte. Nicht ganz so intensiv, aber doch seiner tiefen Liebe und Eifer für die Göttin Zeugnis genug.
    Ta'shara seufzte leise. Für einen winzigen Moment schienen ihr die Nacht und Shirashai zur Bürde zu werden. Sie war eine Suchende. Getrieben von dem verzehrenden Verlangen nach Liebe. Doch jener, den sie auserkoren ihr Verlangen zu stillen, war ausschließlich erfüllt von der Liebe zu seiner Göttin! Was erwartete sie hier?


    Die junge Valisar sammelte sich und auch der letzte Rest Nachdenklichkeit verging und machte erneut der kühlen Überlegenheit Platz, die Ta'sharas Leben in der Waage hielt: Wissen, Informationen. Das war es, was sie vom Besuch des Tempels erwartete. Sie war interssiert zu erfahren, wer Shirashai war. Nicht vom Hörensagen, sondern durch die eigene Begegnung mit jener Göttin, die letztlich auch Teil ihrer Selbst war, da durch Ta'sharas Vater zur Hälfte das Blut der in ihr Ashaironi floss. Diese andere Hälfte gehörte zum Volk der Shirashai. Zudem war sie eine Frau.
    Schlug auch das Herz einer Ashaironi in ihr?

  • Brennans Hand blieb auf Ta'sharas Rücken liegen und führte die schöne Valisar sanft neben sich her, während er Amelie folgte.
    In Brennan löste die Nacht und die Dunkelheit immer ein Gefühl der Geborgenheit aus. Während in anderen Menschen die Anspannung wuchs, fühlte Brennan selbige von sich abfallen. Hier konnte er er selbst sein. Hier war er ganz Diener seiner Göttin.


    Die kleine Gruppe erreichte den Palast und Brennan öffnete die Tür, hielt sie den beiden Damen offen und führte sie in das Innere des Tempels. Er hatte nicht zuviel versprochen. Durchbrochen wurde die Dunkelheit hier durch tausende, wie Sterne anmutende Diamanten, die in die großen, schwarzen Säulen eingelassen worden waren.


    Er gab den beiden Frauen einen Augenblick um sich umzusehen. Es war in dieser Nacht ruhig im Inneren des Tempels. Bisher hatten sich nicht viele Gläubige eingefunden und es würde wohl niemanden stören, wenn sie einfach durch den Palast gingen und sich die Schönheit, die Shirashai zu Ehren gebaut worden war, ansahen.
    Doch zunächst ging der Dunkeläugige zu der prächtigen Statue, der Shirashai. Er ging vor ihr in die Knie, legte seine Hände überkreuzt auf die Brust und senkte das Haupt. Für einige Momente verharrte er so und bevor er sich wieder aufrichtete und Amelie und Ta'shara zuwandte, warf er der Statue noch einen sehnsüchtigen Blick zu.

  • Bevor sie die Tür des Tempels erreicht hatte, ließ Amelie Brennan den Vortritt, der den beiden Frauen auch sogleich die Tür offen hielt.
    Kaum hatte sie den ersten Fuss in den Palast gesetzt, kam sie nicht umhin, die Augen weit aufzureissen, als ihr natürlich zuerst die Statue der Göttin ins Auge fiel. Doch wurde sie sogleich von all den anderen Eindrücken, die der Tempel bot, abgelenkt und sie ging ein paar Schritte weiter, während Brennan noch niederkniete.


    Fürwahr. Er hatte nicht übertrieben. Es war nicht zu übersehen, dass Amelie durchaus gefiel, was sie da sah. Ihre großen Augen strahlten mit den vielen Diamanten, die den Tempel zierten, um die Wette. Das unruhige Gefühl und die Zweifel, die Amelie noch vor ein paar Minuten geplagt hatten, waren gänzlich von ihr abgefallen. Die Nymphe war vollkommen ruhig und entspannt, während sich ein entzücktes Lächeln auf ihren Lippen zeigte.

  • "Faszinierend... wie eindrucksvoll... imposant...", murmelte Ta'shara immer wieder, während ihr Auge nach und nach all die Pracht erfasste, die sich ihr im Tempelinneren bot. Allem voran das mannigfaltige Funkeln der Diamanten, die jeder für sich so geschickt geschliffen und im Mauerwerk eingebracht waren, dass sie sich niemals gegenseitig ihrer Perfektion beraubten.
    Dieser Tempel schmeichelte Ta'sharas Sinn für Schlichtheit, Schönheit und Vollkommenheit, wie kein anderer Ort, den sie bislang betreten hatte. Alles fügte sich harmonisch zueinander und lenkte den Blick letztlich unauffällig von ganz alleine zur Göttinnenstatue. Doch gleich dem Maße, wie Brennan ihr liebevolle Beachtung schenkte, ließ Ta'shara ihr Anerkennung lediglich in Form eines Lobes für die hervorragende Arbeit des Künstlers zukommen. Denn nichts anderes war diese marmorne Abbildung für sie: ein gelungenes Kunstwerk.


    "Ein prächtiges Gebäude", meinte sie leise lächelnd zu Brennan, als dieser sich wieder zu ihnen gesellt hatte. "Da haben Baumeister und Steinmetze eine hervorragende Arbeit geleistet." Gefallen schwang in ihrer Stimme und sie konnte Brennan verstehen, der sich wohl fühlte in einem Tempel, einem Raum generell, der die ruhige, besonnene Macht der Dunkelheit widerspiegelte. Ta'shara meinte die Energie zu spüren, die durch die Mauern floss...

  • Mit langen, eleganten Schritten trat ein Mann auf die Gruppe zu. Weder den beiden Frauen, noch Brennan war er weiter aufgefallen, verschmolz er doch dank seiner Kleidung fast gänzlich mit der Umgebung.
    Schwarze Hosen und eine lange, tunikaartige Weste, welche den athletischen Oberkörper des Mannes preis gab, hoben sich genauso wenig von der Dunkelheit ab, wie das schwarze, zurückgebundene Haar.


    "Brennan." Seine Zähne strahlten fast so, wie die Diamanten an den Wänden. "Wie schön, dich hier zu sehen. Und ich sehe, du hast zwei Damen mit gebracht, die ich noch nicht kenne? Du willst sie ja wohl nicht alleine für dich behalten." Er lachte und stieß Brennan leicht an der Schulter an.


    Vor Ta'shara und Amelie verbeugte er sich höflich. "Sharin nennt man mich. Dienender im Palast der Nacht. Mit wem habe ich die Ehre?"

  • "Ich konnte wohl die Neugierde der Beiden für die Schönheit unserers Palastes entfachen." Brennan lächelte und strich sich über den Nacken.
    Dann wurde er sich seine Pflichten als Gentleman bewußt und stellte seine beiden Begleiterinnen vor.


    "Ta’shara Yerir. Sie wohnt derzeit bei mir. Und dies ist Amelie."
    Sein charmantes Grinsen galt beiden Damen gleichermaßen und an ihren Augen meinte er zu erkennen, dass der Palast tatsächlich die Wirkung auf sie hatte, die er erhofft hatte.
    Ein wenig erleichtert atmete er auf. Als er das letzte Mal jemanden den Palast der Nacht gezeigt hatte - nun, er hatte die Dame nie wieder gesehen.

  • Amelie, gänzlich gefangen von der Pracht des Tempels, nahm kaum wahr, dass sich ihnen jemand näherte. Zwar vernahm sie leise Stimmen neben sich, bekam aber nur kleine Bruchstücke von dem Gespräch mit. Erst, als Brennan ihren Namen nannte, wandte sie den Kopf ihren Begleitern zu und nahm von Sharin Notiz. Freundlich begrüßte sie ihn, während ihre Blicke jedoch immer wieder umher wanderten.


    Dann wandte sie sich erstmals wieder an Brennan. "Ich muss zugeben - Ihr habt nicht übertrieben. Dies ist wahrlich ein prächtiger Tempel", erklärte sie mit zarter Stimme. Doch sogleich galt ihre Aufmerksamkeit wieder Sharin. Sie fragte sich, ob er sie genau so willkommen geheißen hätte, wenn er wüsste, wie ungläubig sie doch bisher in ihrem Leben gewesen war. Doch je länger sie die Eindrücke des Tempels auf sich wirken ließ, um so sicherer war sie, dass sie, dass sie hier endlich richtig war.


    Mit der selben zarten Stimme wie zuvor lächelte sie Sharin an. "Sagt, ist es möglich, noch mehr von diesem wundervollen Tempel zu sehen?"

  • Ein weiteres Prachtexemplar, das der Göttin diente. Ta'shara blickte anerkennend, als sie des Tempeldieners ansichtig wurde. Doch auch nichts anderes hatte sie hier erwartet. Nicht nur das Innere des Palastes, sondern ebenso die Diener, gleich ob Mann oder Frau: alles fern jeder Beleidigung für das Auge und ganz und gar der Göttin gefällig.


    Auch ihr gefiel, was sie sah... und was sie nicht sah. Ihr gefiel, was sie hörte und was nicht. Denn dieser Sharin fügte sich in die Nacht, wie Ihresgleichen. Still. Leise. Unauffällig und doch aufmerksam. Gekonnt nutzte er die Schatten und verschmolz mit ihnen. Ein Dieb. Nicht wie sie, die sie auf Materielles aus war. Nein. Er raubte Wertvolleres. Ein Dieb für die Göttin. Ta'shara konnte sich gut vorstellen, dass ihm so manches Herz zuflog, das er nur zu gerne an Shirashai weiterreichte. Sein strahlendes Lachen, die angedeutete Überheblichkeit gepaart mit jungenhaftem Charme... all das sprach Bände.
    Die junge Frau brachte ein kühles Lächeln zustande. Bedeutend anstrengender, als wenn sie Brennan anlächelte, wie sie selbst erstaunt feststellen muss. Doch war sie Valisar genug, ihr Lächeln dennoch freundlich wirken zu lassen, ohne allzu einladend zu blicken. Schließlich war sie Gast in diesem Haus und Sharin ein Diener des Selben.


    "Erfreut Euch kennen zu lernen, Sharin. Ich muss Amelie zustimmen. Dieser Palast ist faszinierend... Doch eben nichts weiter, als der passende Rahmen für Jene, derentwegen ich hier bin." Ta'sharas Blick ruhte auf dem Palastdiener, doch ihre Worte richteten sich ebenso an Brennan und Amelie.
    Mochten diese entscheiden, zunächst die weiteren Räumlichkeiten anzusehen... ihr stand der Sinn nach tieferer Erkenntnis.

  • "Gerne zeige ich euch noch mehr." Antwortete Sharin und lachte Amelie an.
    "Der Palast der Nacht hat viele Wunder und entzückt auch mich immer wieder von Neuem."


    Er wandte sich an Ta'shara und Brennan. "Und ihr?" Fragte er und seine Augen blieben auf Ta'shara liegen. "Ta'shara, Brennan, möchtet ihr euch uns anschließen oder seid ihr aus einem anderen Grund hier?" Ein vielsagender Blick traf zunächst Brennan und hielt dann Ta'shara in seinem Bann.
    "Shirashais Geist findet sich in jedem Raum, in jedem Balken dieses Gebäudes. Und doch scheint ihr mir mehr daran interessiert, ihre pure Göttlichkeit zu spüren."


    Wieder lächelte der Dunkelhaarige. "Sharinoe ist heute zu gegen. Wenn ihr sie treffen wollt, so stehen euch ihre Türen offen."


    Sharin stellte sich neben Amelie und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. "Ihr könnt natürlich auch zu ihr, sofern es nur euer Wunsch ist." Erklärte er der hübschen Nymphe.

  • Nach der schlechten Erfahrung, die sie mit Lilliande und Yanariel gemacht hatte, fiel es Amelie schwer zu glauben, dass Shirashais Geist sich in diesen Räumen befand. "Wollt ihr damit sagen, Shirashai ist hier stets allgegenwärtig?" Die Nymphe sah sich um, blickte zur Decke. Das wurde bei den Göttinnen der Liebe und Schönheit auch immer behauptet und doch hatten sie ihre Gebete nie erhört. Allderdings war hier etwas anders. Amelie wusste nicht was, doch irgendetwas in ihrem Herzen sagte ihr, dass Sharin Recht haben musste. Es war nichts weiter als ein Gefühl und doch überzeugte es die Nymphe. In ihrem Herzen wusste sie nun, wo sie hingehörte.


    Als er von Sharinoe erzählte und ihr anschließend die Hand auf den Rücken legte, sah sie ihn an und nickte einfach, während sie überlegte. Sicher konnte es nicht schaden, wenn sie mit ihr reden würde. "Es würde mich wirklich sehr freuen, wenn sie mich empfangen würde", entgegnete Amelie lächelnd.

  • "Sharinoe ist fast ein Abbild Shirashais." Erklärte Brennan und ein süßes Lächeln umspielte seine Lippen.
    "Selbst wenn der Geist der Göttin nicht durch sie spricht, glaubte schon so manch Ungläubiger, Shirashai vor sich stehen zu haben und auch ich konnte die Ähnlichkeit kaum glauben, als ich das erste Mal in diesen Tempel beten kam."


    Brennan sah nacheinander Amelie und Ta'shara an und seine Brust schwoll vor lauter Stolz. Nicht nur Stolz auf den Tempel seiner Göttin, sondern auch Stolz, dass er tatsächlich Sharinoe zwei so wunderbare Frauen vorstellen durfte. Ein Moment, in dem er sich selbst als unglaublichen Glückspilz sah.


    "Dann bring uns zunächst zu Sharinoe, Sharin. Ich würde mich auch freuen, sie wieder zu sehen und habe auch noch eine Frage an sie." Eine Frage, die auch noch hätte warten können, brannte sie ihm doch nicht unter den Nägeln. Doch seit dem er die Blutsteine von der Priesterin erhalten hatte, wollte er mehr über das Ritual und die Macht, die er damit bekommen hatte, wissen.

  • "Dann folgt mir." Sharin lächelte den Anwesenden zu und deutete ihnen an ihm hinterherzukommen.
    Nun konnten die Damen, die Sharin noch nicht kannten, erkennen, dass das Haar des Dieners der Shirashai ihm bis zum unteren Ende der Schulterblätter reichte und so gepflegt war, dass es samtig wie die Nacht erschien.


    Er führte die drei Anwesenden durch den Tempel, bis er an einen hohen Rundbogen kam, der über und über mit Diamanten besetzt und mit tiefschwarzem Holz eingefasst war.
    Ein schwarzer Samtvorgang trennte den Raum, der dahinter lag vom allgemeinen Tempelgeschehen ab. Sharin schob ihn zur Seite und ließ Amelie, Ta'shara und Brennan hindurch schreiten.


    "Sharinoe, ich habe hier einige Herrschaften, die euch gerne sprechen würden." Sharins Stimme war ruhig und klang ehrfürchtig.
    Vor einem Fenster stand Sharinoe. Schön wie die Nacht war sie tatsächlich ein Ebenbild der Göttin. Doch drehte sie sich nicht gleich zu den Gästen herum, sondern ließ den Blick zunächst weiter in die Ferne schweifen.

  • Mit großen, leuchtenden Augen widmete sich Amelie Brennans Erklärung. Als er geendet hatte, erwiderte sie sein Lächeln. Plötzlich war die Nymphe furchtbar aufgeregt und der süßliche Duft frischer Erdbeeren umhüllte die Anwesenden. Amelie erkannte Brennans Stolz und konnte kaum abwarten, endlich Sharinoe zu begegnen.


    Mit klopfendem Herzen folgte sie Sharin bis zu dem schwarzen Samtvorhang, den er sogleich zur Seite schob, sodass sie eintreten konnten. Sie trat unter dem Rundbogen hindurch und sah sich um. Am Fenster entdeckte sie die Frau, die mit dem Rücken zu ihnen stand. Was würde sie wohl sagen, wenn sie sich umdrehte? Was würde sie davon halten, wenn sie erfuhr, dass Amelie bisher nicht viel von den Göttern gehalten hatte? Diese Fragen wollten der Nymphe keine Ruhe lassen. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als einfach abzuwarten. So stand sie da, mit immer noch pochendem Herzen, den Duft der Erdbeeren auch hier versprühend.

  • Dies also war die Verkörperung Shirashais. Eine beeindruckende Erscheinung, selbst da sie ihnen den Rücken zuwandte. Aus der Geste sprach eine gewisse Arroganz, von der Ta'shara jedoch unberührt blieb. Möglicherweise war sie ja angemessen. Ta'shara vermutete jedoch eher, dass Sharinoe den Moment nutzte, die Gesinnung ihrer Gäste zu erforschen.
    Ta'shara ihrerseits musterte die Frau, während sie sich gleichzeitig einen Überblick über den sie umgebenden Raum verschaffte. Wobei sie nicht die Räumlichkeiten an sich interessierten, sondern viel mehr die Aura, welche die Priesterin umgab. Sie zeugte von Macht, Wissen und ... Ta'shara schnupperte. Erdbeeren?
    Das hatte sie eben schon flüchtig wahrgenommen und war irritiert gewesen. Wieso schwängerte man die Tempelräume mit Erdbeerduft? Das war unlogisch und passte nicht in das Bild des Tempels. Eine Erdbeere gehörte nicht mal zu den Nachtschattengewächsen. Die junge Valisar warf Brennan einen fragenden Blick zu, sah sich suchend um und nickte dann verstehend, als sie Amelie als Quelle des Aromas identifizieren konnte. Natürlich. Amelie war eine Nymphe. Eine Braue huschte nach oben. Was des einen Duft, war des nächsten Aura. Nur einen Unterschied gab es: Den Duft konnte Ta'shara nun eindeutig zuordnen. Nur wessen Aura war es, die sie wahrnahm? Die der Priesterin oder die der Göttin?


    Wieder sah sie zu Brennan. Noch etwas anderes lag in der Luft. Etwas, das sie bei Brennan nicht spüren konnte, obwohl Shirashais Gegenwart sowohl bei ihm selbst als auch in seinem Heim stets präsent war. Etwas in Ta'shara witterte Gefahr.

  • Brennan war hinter den beiden Damen geblieben. Er kannte Sharinoe und auch wenn er einige Fragen an sie hatte, so trug er doch nicht die Ungeduldig und Spannung in sich, die viele verspührten, wenn sie die Hohepriesterin das erste Mal in ihrem Leben sahen.


    Brennans Blick glitt noch einmal von Ta'shara zu Amelie. Ob die beiden hier finden würden, was sie suchten? Ob sie verstehen konnten, warum Brennan sich für diesen Glauben entschieden hatte? Ob ihnen auch das Herz bis in den Hals klopfen würde, wenn sie Shirashai zum ersten Mal sahen?
    Er wünschte es sich. Nicht nur für sich selbst und Shirashai. Nein, Glaube konnte erfüllend sein und insbesondere Ta'shara würde ein wenig Erfüllung mit Sicherheit gut tun. Ta'shara. Brennan widerstand dem Bedürfnis, ihre Hand zu fassen. Stattdessen trat er ebenfalls in den Raum ein.


    Kaum hatte sich der samtene Vorhang wieder hinter ihn geschlossen, legte der Vogelhänder die rechte Hand auf sein Herz und neigte den Kopf. Ein Geste des stillen Grußes an die Hohepriesterin.

  • Es gab keine Hast in Sharinoes Bewegungen, als sie sich zu den Besuchern im Palast der Nacht umwandte. Es lag stets etwas fließendes in jeder ihrer Gesten und ihre Anmut ließ sie Shirashai noch ähnlicher wirken und verführte nur zu gerne zu der Annahme, daß die Göttin in jedem Augenblick in ihr wohnte.
    Ein ruhiger Blick ihrer silberfarbenen Augen glitt über die Wesen, die Sharin hineingeführt hatte und ein leichtes Lächeln tanzte über ihre Lippen, als sie Brennan unter ihnen fand. Einmal mehr hatte der treue Diener der Herrin der Nacht Suchende zu ihr geführt.
    Wenige Schritte führten sie zu einem fein gearbeiteten Sessel von silberner Farbe, der mit nachtblauen Polstern versehen worden war. Sterne und Halbmonde waren in ihn eingearbeitete worden – beides Zeichen, die mit Shirashai in Verbindung gebracht wurden.
    Die Hohepriesterin ließ sich auf die samtigen Kissen gleiten und wies ihre Besucher an, ebenfalls auf einer der beiden Bänke Platz zu nehmen, die davor aufgestellt worden waren.


    „Ich danke Dir, Sharin.“


    Ihre Stimme war dunkel und leise. Sie besaß einen Klang, der unwillkürlich an schwarze Seide erinnerte. Kühl, aber dennoch schmeichelnd wie die zarte Berührung des kostbaren Stoffes. Ruhig ruhten ihre Augen auf Brennan und den beiden Frauen, in der Erwartung, daß sie das Wort ergriffen und ihren Begehr vortrugen.

  • Als sich Sharinoe ihnen zuwandte, stockte Amelie der Atem, konnte sie sich nur allzu gut an die Göttinnen-Statue erinnern. Hätte Brennan sie nicht vorher aufgeklärt, wäre sie tatsächlich der Meinung gewesen, der Göttin persönlich gegenüber zu stehen.


    Sie öffnete den Mund, bewegte leicht ihre Lippen, doch kein Wort kam hervor. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte es der Nymphe voll und ganz die Sprache verschlagen. Auch der Duft der Erdbeeren ließ nach. Dem Hinweis, Platz zu nehmen, kam sie bereitwillig nach, denn ihre Knie fingen an, weich zu werden und Amelies Herz schlug bis zum Hals.


    Krampfhaft versuchte Amelie herauszufinden, was mit ihr geschah. Noch nie in ihrem Leben war sie so aufgeregt, wie in diesem Moment. Angst? Nein. Seltsamerweise verspürte sie keine Angst. Im Gegenteil. Sharinoes Erscheinung rief in ihr etwas anderes hervor. Es war Bewunderung, Ehrfurcht.


    Erst, als die Hohepriesterin Sharin dankte, bemerkte Amelie, dass sie Sharinoe die ganze Zeit angestarrt hatte und senkte verlegen den Blick. Wie unhöflich, schoss es ihr in den Kopf.

  • Ta'shara nickte der Hohepriesterin zum Gruß und setzte sich, durchaus beeindruckt von dem was sie sah. Sharinoe zählte unzweifelhaft zu den schönsten Geschöpfen, die diese Welt zu bieten hatte. Und allein was die Äußerlichkeit anbetraf, konnte sie Brennan verstehen, dass er diese Frau verehrte und die Göttin, die aus ihr sprach. Sie selbst hatte ein Auge für das Besondere, mitunter Kostbare und war allem Schönen zugetan. Ein Sinn, den Narions Fluch nicht hatte vernichten können. Wohl aber die Freude an dem Schönen. Und die Fähigkeit, sich daran zu laben und Genuss darüber zu empfinden. Und so blieb Ta%u2019sharas Herz auch beim Anblick der schönen Hohepriesterin kühl.


    Von kühler Klarheit waren auch die Worte, die sie an die Priesterin richtete.
    "Ich grüße Euch, Sharinoe. Ich bin Ta'shara Yerir. Ich wohne bei Brennan Targo. Er war es, der mir Einblick in seinen Glauben gewährte. Er hat viel von Euch erzählt. Von Eurer... Herzenswärme und jener der Göttin Shirashai..." und von anderen Dingen weiß ich Doch blieb der Blutstein in ihrer Hand nur ein Gedanke. "Sein Herz ist erfüllt von der Liebe zu ihr ... oder zu Euch?... Nun. Ich bin hier, weil ich Brennan darum bat, Euch und die Göttin kennen lernen zu dürfen und ihm diese Idee gefallen hat."


    Ta'shara lächelte freundlich. Natürlich hatte ihm die Idee gefallen. Auch wenngleich er wusste, dass sie als Valisar kaum den Verlockungen des Tempels und den Versprechungen der Priester erliegen würde. Es sein denn... wie eine Schneeflocke glitzerte ein winziges Licht in ihren eisblauen Augen auf, während ihr Blick weiterhin auf Sharinoe ruhte. Konnte man hier wahrlich geliebt werden? Oder sah die Priesterschaft hier in allen Suchenden und Gläubigen nur die willigen Seelen?

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